Hamburg, Elbphilharmonie: CHRISTIAN TETZLAFF | SAKARI ORAMO, 01.04.2022
Werke: Sir Edward Elgar: Violinkonzert in h-Moll, op.61 | Uraufführung: 10. November 1910 in London unter der Leitung des Komponisten, Fritz Kreisler spielte den Solopart | Robert Schumann: Sinfonie Nr. 1 in B-Dur, op.38 "Frühlingssinfonie" | Uraufführung: 31. März 1841 in Leipzig unter der Leitung von Felix Mendelssohn-Bartholdy
Kritik:
Natürlich hört man auch in Elgars Violinkonzert das untrügliche, für den britischen Spätromantiker so typische Schmachten, eine wunderbar warm und schwer parfümierte Musik, die dem Komponisten von Zeitgenossen und später geborenen Kollegen auch Spott und Verachtung eingebracht hat. Doch gerade in seinem Violinkonzert sind diese wundervoll schwelgenden Klänge quasi aufgesplittert in eine Vielzahl kleinteiliger Motive, welche die Komposition dann wieder sehr "modern" klingen lassen. Diesen Kompositionansatz brachten das NDR Elbphilharmonie Orchester und der Dirigent Sakari Oramo (Chefdirigent des BBC Symphony Orchestra) mit transparentem Drive vortrefflich zur Geltung. Da blieb keine Zeit, sich wohlig schwelgend zurückzulehnen, zu aufregend war das Hörerlebnis. Und als dann der Solist Christian Tetzlaff nach der langen orchestralen Einleitung mit dem warmem, aber energiegeladenen Klang seiner Solovioline einsetzte, wurde man vollständig von diesem viel zu selten auf den Konzertpodien gespielten Werk gefesselt. Tetzlaffs Spiel beeindruckte mit seiner ungeheuren Präsenz, der Klarheit und selbstredend mit der Virtuosität. Berückend fein und zart klangen die vielen wunderbar ausgehorchten Piani, expressiv und blitzsauber die verträumten Läufe. Empfindsamkeit und Emphase reichten sich im ausdrucksstark interpretierten Andante die Hand, fantastisch präzise zusammengehalten von Sakari Oramo, der sehr oft nur mit der rechten Hand und Taktstock führte, die linke sparsam für explizite Einsätze und Gestaltungsmomente nutzte. Die Reinheit der Töne der Solovioline in den allerhöchsten Regionen war genauso traumhaft schön wie das Verklingenlassen der Phrasen durch as fabelhaft spielende Orchester. Mit atemberaubendem Schwung wurde das mit Schwierigkeiten für den Solisten nur so gespickte Allegro molto attackiert. Mit bestechendem Feingefühl spielte Christian Tetzlaff die wunderschöne, durch die pizzicato-tremolando Begleitung der Streicher eine verträumte Grundstimmung evozierend Kadenz. Den Abschluss bildeten fanfarenartige Akkorde von Violine und Orchestertutti. Begeisterter Applaus, der Solist bedankte sich mit einer Zugabe aus der Feder Bachs.
Mit Fanfarenklängen beginnt auch Robert Schumanns erste Sinfonie, die so wunderbar lautmalerisch die Frühlingsgefühle weckt. Sakari Oramo zeichnete die Akzente mit klar konturierter Schärfe, sein Schumann klang alles andere als biedermeierlich - beschaulich. Wunderbar plastisch gestaltete er das "Heranrollen" des Hauptmotivs, vorwärtsdrängender, federnder und fordernder Impetus prägte die Interpretation. Mit gewaltiger Kraft setzte die Reprise ein, man war sich gar nicht bewusst, dass Schumann so laut sein kann. Doch die Akustik der Elbphilharmonie hält das natürlich problemlos aus, der Gesamtklang wurde nie matschig, einzelne Orchesterstimmen blieben stets hörbar. So zum Beispiel das Pulsierende der Kontrabässe unter der Melodie im Larghetto, oder die schön abgerundet klingenden Posaunen im gleichen Satz. Das ländlerartig daherkommende Scherzo wurde mit unterschwelliger Dramatik aufgeladen, wechselnd mit lieblichen Reigen. Spannend! Frisch dahineilend dirigierte Oramo den Finalsatz, bezaubernd leichtfüßig jubilierte die Soloflöte und führte zusammen mit schön intonierten Hornrufen zurück zum Hauptthema, das einen jedoch nicht in eine laue Frühlingsnacht, sondern in die beissende Kälte des Hamburger Wintereinbruchs entließ. Die Wärme trug man dank des wunderbaren Konzerterlebnisses im Herzen.
Persönliche Anmerkung: Was in aller Welt ist mit dem Publikum los? Während des Konzerts schreiben einige frisch-fröhlich auf Facebook, applaudieren dann aber nach jedem Satz von Konzert/Sinfonie. Aber Hauptsache wohl, dass man sagen kann: ICH WAR IN DER ELBPHILHARMONIE. Ja, die egomanische Gesellschaft macht auch vor den heiligen Hallen der Konzertsäle nicht halt!
Werke:
Obwohl Sir Edward Elgar (1857--1934) selbst Geiger war, tat er sich schwer mit der Komposition eines Violinkonzerts. Einen ersten Versuch unternahm er 1890, war jedoch unzufreiden mit dem Werk und zerstörte das Manuskript. Erst als ihn der weltberühmte Geiger Fritz Kreisler um die Komposition eines Violinkonzerts bat, machte er sich erneut an die Arbeit. Fritz Kreisler war ein grosser Bewunderer von Elgars Kompositionen und schrieb einmal: "If you want to know whom I consider to be the greatest living composer, I say without hesitation Elgar... I say this to please no one; it is my own conviction... I place him on an equal footing with my idols, Beethoven and Brahms. He is of the same aristocratic family. His invention, his orchestration, his harmony, his grandeur, it is wonderful. And it is all pure, unaffected music. I wish Elgar would write something for the violin."
Elgar widmete das Konzert zwar Fritz Kreisler, doch gibt eine spanische Notiz in der Partitur nach wie vor Rätsel auf: "Aquí está encerrada el alma de ....." Wessen Seele mit den fünf Auslassungspunkten gemeint war, wurde nich ganz entschlüsselt, vielleicht waren mehrere gemeint, in jedem Satz des dreisätzigen Werkes eine (oder mehrere) Geliebte oder Freund*innen.
Das Violinkonzert erlebte eine triumphale Uraufführung, und Elgar war selbst zufrieden mit seinem Opus: "It's good! Awfully emotional! Too emotional, but I love it." In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde es sehr oft aufgeführt, verschwand dann etwas aus dem Fokus der Interpreten und des Publikums, erlebt nun aber wieder vermehrt Aufmerksamkeit, zu Recht. Das Konzert ist hochromantisch, mit gewaltigen Ansprüchen an die Ausführenden des Soloparts und mit einer Spieldauer von rund 50 Minuten gehört es zu den längsten der Gattung.
Robert Schumann (1810-1856) komponierte bis zu seinem 30. Lebensjahr nur für das Klavier. Doch dann kam der Durchbruch: Seine erste Sinfonie schuf er in ganz kurzer Zeit, skizzierte sie innert vier Tagen und bereits einen Monat später war er mit der Instrumentierung fertig. Die Uraufführung unter Mendelssohn-Bartholdy war überaus erfolgreich. Die Sinfonie widerspiegelt mit ihrem ungetrübten Charakter des Aufbruchs auch die glückliche persönliche Phase, in der sich Schumann damals befand. "Wir sind sehr glücklich miteinander", schrieb Schumann über das Zusammenleben mit seiner Frau Clara. Die thematische Anregung zu seinem ersten sinfonischen Werk erhielt Schumann durch eine Zeile eines Gedichts von Adolph Böttger ("Im Thale blüht der Frühling auf"). Er verwendete die folgenden Satzüberschriften: Frühlingsbeginn - Abend - Frohe Gespielen - Voller Frühling. Diese Überschriften liess er jedoch für die Stichvorlage der Partitur wieder entfernen.