Berlin, Philharmonie: WIENER PHILHARMONIKER | THIELEMANN; 15.09.2024
Die Wiener Philharmoniker zu Gast in der Philharmonie Berlin. Unter der Leitung von Christian Thielemann spielen sie die erste Sinfonie in B-Dur von Robert Schumann ("Frühlingssinfonie", Uraufführung 31. März 1841 in Leipzig unter der Leitung von Felix Mendelssohn-Bartholdy) und die erste Sinfonie in c-Moll (Wiener Fassung von 1890/91) von Anton Bruckner, Uraufführung: 9. Mai 1868 in Linz
Kritik:
Zwei erste Sinfonien von Komponisten, die im Nachgang von Beethovens gewichtigem sinfonischem Schaffen lange um die Ausdrucksform “Sinfonie” gerungen haben, standen auf dem Programm des Gastkonzerts der Wiener Philharmoniker bei ihrem Auftritt im Rahmen des Musikfests Berlin. Robert Schumann, der jüngere der beiden, hatte sich erst im Alter von 31 Jahren an diese musikalische Königsgattung gewagt, Anton Bruckner war gar nochmals 10 Jahre älter, als er seine erste Sinfonien in Linz zur Uraufführung brachte. Was Schumann und Bruckner verbindet, war ihr Anspruch auf “reinen” Ausdruck, das heißt eine Musik zu komponieren, die nicht als Tondichtung zu verstehen sein soll (wie später z.B.die sinfonischen Werke eines Richard Strauss), sondern eine Musik zu schaffen, die zwar durchaus literarisch inspiriert sein kann, aber nicht ein konkretes Programm beinhaltet, sondern die Inspiration in die klassische Form der Sinfonie einbettet.
So nahm Schumann die Satztitel, welche ihr den Namen “Frühlingssinfonie” einbrachten, später zurück. Trotzdem ist in der Sinfonie eine deutlich hörbare Aufbruchsstimmung zu hören. Nur schon die Fanfare der Hörner und der Trompeten des Beginns, welche die Blechbläser der Wiener Philharmoniker so herrlich forsch und mit packender Akzentuierung intonierten, zeugte von diesem freudig erregten Zustand, in welchem sich der Komponist zu dieser Zeit befunden haben musste. Das auf die Fanfare folgende, aufwärts steigende Orchesterglissando brachte ein erstes Mal die wunderbaren Klangqualitäten der Wiener Philharmoniker zum Leuchten. Christian Thielemann, dem das musikalische Schaffen der deutschen Romantiker und Spätromantiker ganz besonders viel bedeutet, führte sowohl bei Schumann, als auch nach der Pause bei Bruckner mit Verve und Zug durch die beiden Sinfonien, ließ durchaus Brüche und Herbheiten der Instrumentation hören - Wiedergaben ohne Weichspüler, und das war gut so. Den Einstieg in die Reprise im ersten Satz der Sinfonie Schumanns muss man gehört haben, ein Wow-Effekt, der unheimliche Kraft hatte. Die Gestik und die Körperhaltung des beide Werke ohne Partitur dirigierenden Maestro führten das Orchester stellenweise zu einem geradezu soghaften Musizieren, und man spürte eine große Vertrautheit zwischen dem Dirigenten und den Musikern, so dass Thielemann oftmals ohne Zeichengebung die Phrasen ausmusizieren lassen konnte. Im Larghetto begeisterte Thielemann mit klar konturierten Spannungsaufbau, konnte voll auf die elegische Wirkung des satt-warmen Streicherklangs der Wiener Philharmoniker setzen und ließ die effektvollen Crescendi sich prachtvoll aufbäumen. Im Scherzo verlieh er dem tänzerischen Grundduktus eine gewisse Schwere mit deutlich akzentuieren Schlägen, mit eingebettetem, furiosem Trio. Sehr spannend gerieten die Dialoge der leicht und verspielt phrasierenden Holzbläser mit der Schwere des Streicherklangs im finalen vierten Satz Auch dieser Satz war vom temporeichen Dirigat Thielemanns geprägt, doch die Wiener Philharmoniker blieben stets äusserst präzise, das klang in keinem Augenblick überhastet. In der triumphalen Rasanz des Schlusses dieser Sinfonie war nochmals der Elan Schumanns zu spüren, eine Gemütsverfassung die sich erst zehn Jahre später dann verdunkeln sollte.
Auch Anton Bruckner befand sich in einer Art Aufbruchstimmung, als er seine erste Sinfonie komponierte, stand doch sein Abschied als Kirchenmusiker in Linz bevor. Noch war er zuversichtlich, in Wien Anerkennung als Sinfoniker zu finden, eine Hoffnung, die sich dann alsbald zerschlug, obwohl er seine Sinfonien immer wieder Revisionen unterzog. So auch seine erste, welche er für eine Aufführung für die Wiener Philharmoniker 1890/91 umarbeitete. Diese Fassung dirigierte Christian Thielemann gestern Abend in der Philharmonie. Noch deutlicher als bei Schumann ist darin trotz der Umarbeitung das Ringen um die Form zu vernehmen. Vor allem im Adagio wirkt für mich einiges etwas zerfleddert, der Satz erreicht bei weitem noch nicht die Größe von Bruckners späteren Adagi, obwohl die Wiener Philharmoniker alles für den Schönklang tun. Abrupte Crescendi stehen im Kontrast zu den “Lullaby-Passagen”, es wird manchmal auch leicht belanglos und geschwätzig, vieles wirkt verloren in der Suche nach der thematischen Erfüllung. Immerhin gewinnt der Satz dann dank Thielemanns Dirigat an Emphase, auch an Verletzlichkeit. Restlos begeisterten mich die übrigen drei Sätze von Bruckners Sinfonie. Der Kopfsatz mit seinem prägnanten, unerbittlichen Marschmotiv, der so großartig orchestriert ist und in dem Thielemann für ein wunderbar durchhörbares Klangbild sorgte, die orchestralen Entladungen und die grellen Zwischenrufe des Blechs unter die Haut fahren ließ. Den musikalischen Glanzpunkt setzte für mich das diabolische Scherzo, diese Musik, die wie ein Derwisch um die eigene Achse rotiert, ein Musikstück, in welchem sich klangliche Finessen und die Brillanz der Blechbläser die Hand reichen. Nach der Idylle des Trios setzte der teuflische Tanz mit der Reprise einen abgründigen Schlusspunkt. Auch das Finale lebte von Kontrasten: Dräuende Passagen des Blechs standen sanften Einwürfen der Flöte gegenüber, harte Schnitte im klanglichen Kosmos, eine spannungsgeladene Generalpause, eine vorwärtsdrängende Unerbittlichkeit in der Ausdruckskraft der Motive, das für Bruckner so kennzeichnende Aufbäumen und Zurückfallen und die von strahlenden Klängen des Blechs strotzende Coda. Thielemann verstand es hervorragend, die Spannung auch nach dem letzten Akkord so zu halten, dass sich bestimmt eine halbe Minute lang niemand traute zu applaudieren. Zeit zur Sammlung nach einem klangintensiven Bad für die Ohren.
P.S. In zehn Tagen werde ich in Zürich Bruckners erste Sinfonie erneut hören dürfen. Paavo Järvi und das Tonhalle - Orchester Zürich werden dann allerdings die Linzer Fassung aufführen. Ich bin dankbar, innerhalb kurzer Zeit beide Fassung von Spitzenorchestern interpretiert erleben zu können.
Werke:
Robert Schumann (1810-1856) komponierte bis zu seinem 30. Lebensjahr nur für das Klavier. Doch dann kam der Durchbruch: Seine erste Sinfonie schuf er in ganz kurzer Zeit, skizzierte sie innert vier Tagen und bereits einen Monat später war er mit der Instrumentierung fertig. Die Uraufführung unter Mendelssohn-Bartholdy war überaus erfolgreich. Die Sinfonie widerspiegelt mit ihrem ungetrübten Charakter des Aufbruchs auch die glückliche persönliche Phase, in der sich Schumann damals befand. "Wir sind sehr glücklich miteinander", schrieb Schumann über das Zusammenleben mit seiner Frau Clara. Die thematische Anregung zu seinem ersten sinfonischen Werk erhielt Schumann durch eine Zeile eines Gedichts von Adolph Böttger ("Im Thale blüht der Frühling auf"). Er verwendete die folgenden Satzüberschriften: Frühlingsbeginn - Abend - Frohe Gespielen - Voller Frühling. Diese Überschriften liess er jedoch für die Stichvorlage der Partitur wieder entfernen.
Anton Bruckner (1824-1896) stammte aus bescheidenen Verhältnissen, war zuerst Lehrer und besserte sein Gehalt mit bäuerlichen Arbeiten und als Geiger bei Volksfesten auf. Seine Musikalität hatte sich schon früh offenbart (Sängerknabe in St. Florian). Nach Organistenstellen in St. Florian und Linz wurde er ans Wiener Konservatorium berufen als Professor für Generalbass, Kontrapunkt und Orgel. Als Komponist schlug ihm aber auch in Wien Unverständnis und gar Häme entgegen. Er wurde in den erbitterten Streit zwischen den Traditionalisten (um Brahms) und den “Neudeutschen” (um Wagner) hineingezogen. Insgesamt schuf Bruckner neun Sinfonien, wobei die neunte unvollendet blieb. Eine frühe Sinfonie in f-Moll bezeichnete Bruckner als “Studiensinfonie”, eine Sinfonie in d-Moll bezeichnete er als ungültige weitere Studie und reihte sie als “Nullte” in sein Schaffen ein. Die erste Sinfonie, in c-Moll, schuf er 1865/66 in Linz und brachte sie 1868 zur Uraufführung, leider ohne Erfolg. Er nannte sie später ein “keckes Beserl” und sie schien ihm so ungewöhnlich für die Hörer zu sein, dass er sie 1890/91 in Wien umarbeitete, wobei er die sich auf Beethovens Neunte berufende Form nicht antastete, wohl aber die Instrumentation ausgeglichener und weniger “keck” gestaltete. Auffallend ist, dass er bereits in dieser Sinfonie eine Themen-Dreiheit im Kopfsatz vorstellt. Das dritte Thema zeigt den bei ihm üblichen monumental-gläubig-religiösen Charakter. Auch im zweiten Satz kündigt sich mit dem Adagio Bruckner als Meister der langsamen Sätze an. Das Scherzo zeigt auf dämonische Art Reminiszenzen des bäuerlichen Tanzes (seine Erfahrungen aus der Jugendzeit). Das Finale wird - wie in seinen späteren Sinfonien - zum gewichtigen Schwerpunkt mit einer Meisterleistung des Kontrapunkts in der Durchführung und strahlendem C-Dur mit majestätischem Jubel in der Reprise.