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Zürich: NABUCCO, 11.09.2022

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Nabucco

copyright: Monika Rittershaus, mit freundlicher Genehmigung Opernhaus Zürich, Fotos der Premierenserie von 2019

Oper in vier Akten | Musik: Giuseppe Verdi | Libretto: Temistocle Solera | Uraufführung: 9. März 1842 in Mailand | Aufführungen in Zürich: 11.9. | 16.9. | 25.9. | 28.9. | 9.10.2022

Kritik:

Anlässlich der Premiere dieser Produktion vor etwas über drei Jahren habe ich mich eher skeptisch zur abstahierten Interpretation der Oper durch Regisseur Andreas Homoki und den Ausstatter Wolfgang Gussmann geäussert. Dieser Eindruck hat sich - leider - auch anlässlich dieser Wiederaufnahme nicht geändert. Die kalte, ganz in grüner Marmoroptik gehaltene Bühne mit der gigantischen Marmorwand, die steifen Kostüme (uniforme Reifröcke für die Damen, ebenfalls in diesem dunklen Flaschengrün gehalten) vermögen keine Emotionen zu wecken, wirken kalt, distanziert, blutleer. Die Choreographie der Chorszenen grenzt manchmal an Persiflage und würde besser in ein Werk Offenbachs passen. Zwar kan man die Intentionen des Regisseurs auf die Reduzierung der Handlung auf ein Familiendram gut nachvollziehen, er bietet auch einige intelligent gemachte Einblicke in die Personenkonstellationen. Der Regisseur wollte neben dem Familiendrama auch das Ablösen einer alten durch eine neue (nicht unbedingt bessere) Gesellschaftsordnung zeigen und blendete so den Religionskonflikt vollständig aus. Doch für diese ehrenwerte Anliegen bieten die von Verdi - wie stets bei ihm - kurz und konzis gehaltenen Szenen zu wenig Raum für eine über blosse Andeutungen hinausgehende Interpretation. So entsteht ein Konzert im Kostüm ohne jegliche Requisiten (bis auf eine Krone und eine Pistole für den Suizid Abigailles). Auf jegliche Bühnen- und Theatereffekte wird konsequent verzichtet. Es ist alles sehr ästhetisch und nett anzusehen, aber wirkliches Interesse vermag die Produktion auch beim zweiten Ansehen nicht zu wecken. Das ist mit Verlaub zu wenig für eine Bühnenproduktion, das hätte man so auch halbszenisch konzertant darbieten können.

Weitaus glücklicher wurde man mit der musikalischen Seite: Gegenüber der Premiere waren sämtliche Partien und der Dirigent neu besetzt. Mit Denato Renzetti (bei ihm studierte übrigens auch der GMD des Opernhauses Zürich, Gianandrea Noseda) stand ein Kapellmeister der alten Schule am Pult der sehr sorgfältig musizierenden Philharmonia Zürich. Renzetti dirigierte mit sparsamen Bewegungen, vertraute auf den sicher von den Musiker*innen grundierten M-ta-ta Rhythmus und formte mit seinen Armen und Händen gekonnt die dynamische Ausgestaltung der facettenreichen Partitur des jungen Verdi. Das Ergebnis war grandios! Die neuen Solist*innen konnten sich unter diesem Dirigat geschützt und sicher fühlen und darauf zum Teil mit imposanten Leistungen triumphieren. So etwa Lucio Gallo in der Titelpartie, der nicht nur gesanglich sondern auch darstellerisch ein einnehmender, sehr differenziert gestaltender Nabucco war. Omer Kobiljak liess inder Premierenserie vor drei Jahren noch in der kleinen Partie des Abdallo aufhorchen, nun verlieh er der grösseren Partie des Ismaele seine wunderschön gefärbte Tenorstimme. Schade, dass Verdi für den Ismaele im zweiten Teil nicht mehr so viel Musik komponiert hatte, denn Kobiljak hörte man ausgesprochen gerne zu. Die dritte grosse Männerpartie, den Anführer der Hebräer, Zaccaria, sang der Bass Alexander Vinogradov mit wunderschöner und voll und beeindruckend klingender Tiefe. Ein ungewohnter WOW-Effekt stellte sich mit der Besetzung der Fenena ein: Oftmals wird die Rolle der "echten" Tochter Nabuccos mit einer nicht allzu grossen, dafür mit sanftem Wohlklang aufwartenden Mezzosopranstimme besetzt. Nicht so bei dieser Wiederaufnahme in Zürich: Die Russin Alisa Kolosova trumpfte mit einem satten, leicht guttural gefärbten Volumen auf, mit dem sie in grossen Häusern oder einer Arena mühelos die hintersten Ränge erreichen könnte. Durch diese spannungsgeladene, dynamisch schon beinahe die Schmerzgrenz erreichende Interpretation von Alisa Kolosova erhielt die Partie plötzlich ein ungeahntes Gewicht, änderte die Balance in den Ensembles und machte die Oper geradezu zu einem Schwesternduell. Denn die eigentliche weibliche Protagonistin der Oper NABUCCO ist ja die illegitime Tochter und Halbschwester Fenenas, Abigaille. Anna Pirozzi hat die mörderische Rolle der Abigaille bereits über hundertmal interpretiert (Verona, Valencia, Beijing, Tel Aviv, Leipzig, Stuttgart, Berlin, Las Palmas, Lyon, Paris, Bologna, Florenz, Parma, Palermo, Cagliari, Napoli, Mailänder Scala). Sie ist stimmlich eine Wucht, meistert die exaltierten Intervallsprünge und die Acuti problemlos, vermag aber auch differenzierte, verinnerlichte Qualen zu transportieren.

Der Chor der Oper Zürich, die Chorzuzüger und der Zusatzchor bringen die Chortableaux effektvoll und dynamisch fein abgestuft zum Klingen (Einstudierung: Janko Kastelic). Sehr gut besetzt sich die kleinen Partien des Oberpriesters des Baal (Stanislav Vorobyov), das Abdallo (Alejandro del Angel) und der Hebräerin Anna (Yuliia Zasimova). Das Publikum im ausverkauften Haus (Volksvorstellung zu stark ermässigten Preisen) bedankte sich für die Leistungen der Ausführenden mit grossem Applaus und Bravi-Rufen.

Inhalt: Zeit und Ort: 587 v.Chr in Jerusalem und Babylon

Der babylonische König Nebukadnezar (Nabucco) hat die Israeliten besiegt und marschiert mit seinen Truppen in Jerusalem ein. Der Hohepriester der Israeliten, Zacharias, versucht seinen niedergeschlagenen Gläubigen Mut zu machen. Die Israeliten haben nämlich eine Tochter Nabuccos, Fenena, als Geisel in ihren Reihen. Ihr Bewacher, Ismaele, hat sich in die Gefangene verliebt. Sie hatte ihn einst aus der Gefangenschaft der Babylonier befreit. Abigaille, Nabuccos vermeintlich erstgeborene Tochter, betritt mit einem Trupp als Hebräer verkleideter Babylonier den Tempel. Auch Abigaille begehrt Ismaele und bietet ihm an, alle Hebräer freizulassen, wenn er sich ihr hingibt. Ismaele geht auf den Erpressungsversuch nicht ein. König Nabucco erscheint. Zacharias droht, Fenena zu erdolchen, wenn sich Nabucco und seine Truppen nicht vom heiligen Ort entfernen. Ismaele schreitet ein und entreisst Fenena dem Hohepriester. Dieser verdammt den Verräter Ismaele. Nabucco ordnet die Brandschatzung des Tempels an.

Abigaille erfährt ihre wahre Herkunft. Sie ist nicht eine Königstochter, sondern die Tochter einer Sklavin. Fenena sitzt nun in Babylon auf dem Thron, während Nabucco weiter gegen die Hebräer kämpft. Abigaille entschliesst sich, die Rivalin umzubringen. Der babylonische Priester des Gottes Baal unterstützt die usurpatorischen Pläne Abigailles.

Zacharias bekehrt Babylonier zum Judentum. Er verteidigt Ismaele gegen den Zorn der Leviten, da Ismaele einer Konvertierten (Fenena) das Leben gerettet habe. Unterdessen kehrt Nabucco nach Babylon zurück. Er erklärt sich in seinem Hochmut selbst zum Gott, der angebetet werden soll. Blitze schlagen ein, der König verliert den Verstand und die Krone, welcher sich Abigaille bemächtigt.

Sie sitzt nun vermeintlich sattelfest auf dem babylonischen Thron, unterstützt von den Priestern des Baal. Mit einer List bringt sie ihren verwirrten Vater dazu, das Todesurteil gegen die Hebräer zu unterzeichnen. Damit scheint auch Fenenas Schicksal besiegelt. Nabucco bemerkt seinen Fehler zu spät. Er will Abigailles Herkunft offenlegen, doch das Beweisstück wird von ihr zerrissen. Abigaille lässt den psychisch zerschmetterten König einsperren. Auf sein Bitten, das Leben Fenenas zu retten, geht sie nicht ein.

Die als Arbeitssklaven gefangen gehaltenen Hebräer beklagen ihr Los (Va pensiero, der berühmte Gefangenenchor). Zacharias spricht ihnen erneut Mut zu und prophezeit den Untergang Babyloniens.

Die Gefangenen (unter ihnen auch Fenena) werden zur Hinrichtung geführt. Nabucco erwacht aus seinen Albträumen. Er betet zum Gott der Hebräer – und damit verfliegt sein Wahnsinn. Königstreue Gefährten führen ihn aus dem Kerker.

Gerade noch rechtzeitig erscheint Nabucco mit seinem Soldatentrupp am Richtplatz. Er befiehlt, die Götzenbilder umzustossen und die Juden zu befreien. Alle knien nieder und danken dem Gott der Juden Jehova. Abigaille hat sich selbst Gift verabreicht. Sterbend bittet sie Fenena und den Gott der Juden um Verzeihung.

Werk:

Giuseppe Verdi (1813—1901) hatte mit seiner ersten Oper OBERTO zwar einen Achtungserfolg errungen, seine zweite Oper UN GIORNO DI REGNO (eine Komödie) fiel jedoch gnadenlos durch. Schon wollte er seinen Beruf als Komponist an den Nagel hängen (auch verschiedene gravierende persönliche Schicksalsschläge stürzten ihn in eine Depression und Schaffenskrise), doch als ihm der Direktor der Scala, Merelli, das von Otto Nicolai abgelehnte Libretto zu NABUCCO übergab, spürte Verdi seinen Schaffensdrang neu erwachen. Die Uraufführung war so erfolgreich, dass das Werk auch in der nächsten Spielzeit beinahe 60 mal gespielt wurde, was zur damaligen Zeit eine Seltenheit war. Diese dritte Oper markierte den Beginn der Karriere eines der erfolgreichsten und populärsten Komponisten des Musiktheaters. NABUCCO besticht durch seine tableauartige Anlage der Komposition, mitreissende, martialische aber auch himmlisch ergreifende und berührende Chorpassagen und einer trotz aller Schematismen des jungen Verdi differenziert ausgedrückten musikalischen Kunst der Charakterisierung.

Als am 27. Januar 1901 der Sarg Giuseppe Verdis durch die Strassen Mailands getragen wurde, stimmte die Menge spontan den Gefangenenchor aus NABUCCO an: Va pensiero sull'ali dorate.

Karten

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