Verona, Arena: NABUCCO, 29.07.2022
Oper in vier Akten | Musik: Giuseppe Verdi | Libretto: Temistocle Solera | Uraufführung: 9. März 1842 in Mailand | Aufführungen in Verona: 23.07. | 29.07. | 18.08.| 3.9.2022
Kurzkritik:
Tja, was soll man über eine Aufführung schon groß schreiben, die keine Viertelstunde gedauert hat? Außer dass man seinem Ärger über die abgefeimte Praxis der Verantwortlichen der Fondazione Arena di Verona Luft verschaffen möchte. Selbstverständlich akzeptiert man die Verkaufsbedingungen mit dem Erwerb eines Tickets, selbstverständlich stehen die Festspiele in Verona nicht unter einem besonderen Schutz des Wettergottes, man weiss, dass diese Region ziemlich oft von heftigen Sommergewittern heimgesucht werden kann. Aber: Sämtliche Meteo Apps prophezeihten andauernde Niederschläge, doch die Verantwortlichen nutzten das sich zufällig punkt 21 Uhr öffnende, niederschlagsfreie Fenster, um mit der Ouvertüre zu beginnen - und damit dem Publikum das Recht auf finanzielle Entschädigung zu rauben. Bereits 14 Minuten später - der Eröffnungschor hatte eben eingesetzt - musste die Vorstellung wegen des wieder einsetzenden Regens unterbrochen werden. Was nun folgte, war ein kommunikatives Trauerspiel, ja ein Desaster. Das Publikum wurde alle 30 Minuten (klang wie ein vorproduziertes Band) um Geduld gebeten, man sei in Kontakt mit den Meteorologen und werde dann informieren. Da alle im Publikum ein Smartphone dabei hatten, wussten wir zahlenden Zuschauer, dass das heute Abend nichts mehr werden würde. Trotzdem ließ sich die Leitung der Arena genau 150 Minuten Zeit, um die Aufführung definitiv abzusagen. Anscheinend hatte es jedoch so viele Proteste gegeben, dass die Arena anstelle des nach Reglement beanspruchbaren Rabatts von 50% auf eine Vorstellung in der laufenden oder der kommenden Spielzeit nun Tickets zum Symbolpreis von € 2.50 erworben werden können. Das ist zwar für all die angereisten Zuschauer aus entfernteren Weltgegenden immer noch nicht attraktiv, aber für die näher wohnhaften akzeptabel. Die Geste ändert jedoch nichts am empathielosen Gehabe der Verantwortlichen des Abends. Aufgrund der klaren meteorologischen Verhältnisse (es gibt ziemlich zuverlässige Regenradar Apps, liebe Arena!) hätte man gar nicht zu beginnen brauchen oder zumindest das Publikum nicht noch weitere zweieinhalb Stunden in der Arena aushalten lassen sollen. Die Arena hat sich mit diesem Verhalten sehr viel Sympathie verspielt.
Zur Inszenierung: Viel kann ich logischerweise nicht sagen, nur dass Arnaud Bernard sie zur Zeit des Risorgimento ansiedelt. Im Mittelpunkt steht das Teatro alla Scala, in welchem die Uraufführung von Verdis NABUCCO stattgefunden hatte. Verdi hatte ja nicht geringen Anteil am Erwachen und dem Festigen des Widerstands gegen die Habsburger in Italien. Somit kann man das so zu inszenieren versuchen. Allerdings hat Verdi in dieser Art Opern nie die eigentlichen Kampfhandlungen auf die Bühne gebracht, sonder die daraus entstehenden privaten Konflikte. Da wirken die Kavalleristen auf ihren (echten) Pferden und die Kanoniere, die sich während der Ouvertüre rund um das Theatergebäude tummeln doch eher etwas schultheaterhaft unbeholfen. Aber wie gesagt, beurteilen möchte ich das nicht. Kann gut sein, dass das Konzept aufgeht. Solisten hörte man keinen, da die Oper nach wenigen Takten des Chors abgebrochen wurde. Daniel Oren leitete das Orchestra Fondazione Arena di Verona. Die eigentlich Schmidsite, federnde Potpourri Ouvertüre des jungen Verdi klang ziemlich matt und uninspiriert, die wussten bestimmt alle schon, dass sie gleich nach Hause gehen können - was sie sicherlich auch taten. Nur das Publikum harrte auf den pitschnassen Steinstufen und den Metallsitzen dank der Hinhaltetaktik brav bis beinahe um Mitternacht aus ... .
Inhalt: Zeit und Ort: 587 v.Chr in Jerusalem und Babylon
Der babylonische König Nebukadnezar (Nabucco) hat die Israeliten besiegt und marschiert mit seinen Truppen in Jerusalem ein. Der Hohepriester der Israeliten, Zacharias, versucht seinen niedergeschlagenen Gläubigen Mut zu machen. Die Israeliten haben nämlich eine Tochter Nabuccos, Fenena, als Geisel in ihren Reihen. Ihr Bewacher, Ismaele, hat sich in die Gefangene verliebt. Sie hatte ihn einst aus der Gefangenschaft der Babylonier befreit. Abigaille, Nabuccos vermeintlich erstgeborene Tochter, betritt mit einem Trupp als Hebräer verkleideter Babylonier den Tempel. Auch Abigaille begehrt Ismaele und bietet ihm an, alle Hebräer freizulassen, wenn er sich ihr hingibt. Ismaele geht auf den Erpressungsversuch nicht ein. König Nabucco erscheint. Zacharias droht, Fenena zu erdolchen, wenn sich Nabucco und seine Truppen nicht vom heiligen Ort entfernen. Ismaele schreitet ein und entreisst Fenena dem Hohepriester. Dieser verdammt den Verräter Ismaele. Nabucco ordnet die Brandschatzung des Tempels an.
Abigaille erfährt ihre wahre Herkunft. Sie ist nicht eine Königstochter, sondern die Tochter einer Sklavin. Fenena sitzt nun in Babylon auf dem Thron, während Nabucco weiter gegen die Hebräer kämpft. Abigaille entschliesst sich, die Rivalin umzubringen. Der babylonische Priester des Gottes Baal unterstützt die usurpatorischen Pläne Abigailles.
Zacharias bekehrt Babylonier zum Judentum. Er verteidigt Ismaele gegen den Zorn der Leviten, da Ismaele einer Konvertierten (Fenena) das Leben gerettet habe. Unterdessen kehrt Nabucco nach Babylon zurück. Er erklärt sich in seinem Hochmut selbst zum Gott, der angebetet werden soll. Blitze schlagen ein, der König verliert den Verstand und die Krone, welcher sich Abigaille bemächtigt.
Sie sitzt nun vermeintlich sattelfest auf dem babylonischen Thron, unterstützt von den Priestern des Baal. Mit einer List bringt sie ihren verwirrten Vater dazu, das Todesurteil gegen die Hebräer zu unterzeichnen. Damit scheint auch Fenenas Schicksal besiegelt. Nabucco bemerkt seinen Fehler zu spät. Er will Abigailles Herkunft offenlegen, doch das Beweisstück wird von ihr zerrissen. Abigaille lässt den psychisch zerschmetterten König einsperren. Auf sein Bitten, das Leben Fenenas zu retten, geht sie nicht ein.
Die als Arbeitssklaven gefangen gehaltenen Hebräer beklagen ihr Los (Va pensiero, der berühmte Gefangenenchor). Zacharias spricht ihnen erneut Mut zu und prophezeit den Untergang Babyloniens.
Die Gefangenen (unter ihnen auch Fenena) werden zur Hinrichtung geführt. Nabucco erwacht aus seinen Albträumen. Er betet zum Gott der Hebräer – und damit verfliegt sein Wahnsinn. Königstreue Gefährten führen ihn aus dem Kerker.
Gerade noch rechtzeitig erscheint Nabucco mit seinem Soldatentrupp am Richtplatz. Er befiehlt, die Götzenbilder umzustossen und die Juden zu befreien. Alle knien nieder und danken dem Gott der Juden Jehova. Abigaille hat sich selbst Gift verabreicht. Sterbend bittet sie Fenena und den Gott der Juden um Verzeihung.
Werk:
Giuseppe Verdi (1813—1901) hatte mit seiner ersten Oper OBERTO zwar einen Achtungserfolg errungen, seine zweite Oper UN GIORNO DI REGNO (eine Komödie) fiel jedoch gnadenlos durch. Schon wollte er seinen Beruf als Komponist an den Nagel hängen (auch verschiedene gravierende persönliche Schicksalsschläge stürzten ihn in eine Depression und Schaffenskrise), doch als ihm der Direktor der Scala, Merelli, das von Otto Nicolai abgelehnte Libretto zu NABUCCO übergab, spürte Verdi seinen Schaffensdrang neu erwachen. Die Uraufführung war so erfolgreich, dass das Werk auch in der nächsten Spielzeit beinahe 60 mal gespielt wurde, was zur damaligen Zeit eine Seltenheit war. Diese dritte Oper markierte den Beginn der Karriere eines der erfolgreichsten und populärsten Komponisten des Musiktheaters. NABUCCO besticht durch seine tableauartige Anlage der Komposition, mitreissende, martialische aber auch himmlisch ergreifende und berührende Chorpassagen und einer trotz aller Schematismen des jungen Verdi differenziert ausgedrückten musikalischen Kunst der Charakterisierung.
Als am 27. Januar 1901 der Sarg Giuseppe Verdis durch die Strassen Mailands getragen wurde, stimmte die Menge spontan den Gefangenenchor aus NABUCCO an: Va pensiero sull'ali dorate.