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Berlin, Deutsche Oper: NABUCCO, 13.10.2013

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Nabucco

copyright: Bernd Uhlig, mit freundlicher Genehmigung

Oper in vier Akten | Musik: Giuseppe Verdi | Libretto: Temistocle Solera | Uraufführung: 9. März 1842 in Mailand | Aufführungen in Berlin: 3.10. | 5.10. | 13.10. | 19.12. | 22.12.2013

 

Kritik: 

Ein musikalisch mitreissender und szenisch überzeugender NABUCCO an der Deutschen Oper Berlin

Wie in einem Dampfkessel die Energie stauen sich in Verdis Frühwerk NABUCCO die Gefühle, die politischen und die privaten, eine Explosion steht unmittelbar bevor. Ein alter (weiser?) Mann – oder ist es etwa Gottvater selbst? – öffnet während der aufpeitschenden Ouvertüre diesen Kessel, verschafft uns Einblicke in die emotional aufgeladene Atmosphäre, lässt ein wenig Dampf ab und schliesst diesen industriellen Moloch am Ende der Oper wieder. Denn am Schluss sind die Emotionen besänftigt, es herrscht eine beinahe utopische (wie man aus der Menschheitsgeschichte allerdings weiss: vorübergehende) Friede-Freude-Eierkuchen Stimmung. Die verfeindeten Völker zelebrieren Einigkeit im Glauben. Nur eine wird ausgeschlossen – Abigaille, die uneheliche Tochter Nabuccos, welche durch ihre Gier nach Anerkennung, Liebe und Macht und auch ihre emotionale Ehrlichkeit die Temperatur im Kessel zum Kochen gebracht hatte.

Diese Abigaille ist das Ereignis des Abends: Anna Smirnova füllt die dankbare und schwierige Rolle mit atemberaubender Fulminanz, rast mit bestechender Präzision durch die Läufe, bewältigt sauber die anspruchsvollsten Intervallsprünge und scheint über unermessliche Kraftreserven zu verfügen. Sie vermag die Gefühle ihrer Ambitionen, ihrer Rache, ihrer Enttäuschungen ebenso überzeugend zu transportieren wie die (wenigen) zarteren Passagen, in denen sie ihrer Verletzlichkeit und ihrer Reue Ausdruck gibt. Johan Reuter in der Titelpartie stellt einen beinahe introvertierten babylonischen König dar, ein durchaus interessanter Ansatz, auch wenn sich das z.B. an Leo Nucci und Renato Bruson gewöhnte Ohr zuerst auf seine Interpretation einlassen muss. Doch spätestens ab dem dritten Akt hat man sich mit seinem etwas rauen Timbre angefreundet und entdeckt die vielen differenzierten Schattierungen, die er in die Partie einbringt. Keine Angewöhnungszeit braucht man, um den markanten, sonoren Bass von Vitalij Kowaljow in der dritten tragenden Rolle zu bewundern: Er singt einen vom Anfang bis zum Schluss mitreissenden Zaccaria – eine smarte Führer- und Vaterfigur für die geknechteten Hebräer, welcher sich gekonnt der neuen Medien (es ist hier eine Druckerpresse, welche als Heiligtum angebetet wird) bedient, um seine Ziele zu erreichen und den Widerstand zu organisieren. Sein Volk (und auch die Babylonier) werden vom Chor der Deutschen Oper Berlin hinreissend gesungen, da ist eine Differenzierung im Klang vorhanden, eine Farbenpracht, eine rhythmische Präzision, die verblüfft. Der fantastisch zarte, ungemein sauber intonierte Einstieg in den Gefangenenchor sei als Beispiel genannt: Der Ohrwurm klingt keinen Moment lang abgenudelt oder ausgelutscht – sondern einfach nur traumhaft schön. Eigentlich hätte ja der Chordirektor Willam Spaulding die Aufführung dirigieren sollen, doch leider musste er aus persönlichen Gründen ganz kurzfristig absagen. Paolo Arrivabeni übernahm die musikalische Leitung, ohne die Produktion je gesehen zu haben – und was da aus dem Orchestergraben erklang, war pure, brodelnde Leidenschaft, manchmal an der Grenze zur Überhitzung, doch damit auch wieder sehr passend zum Bühnenbild von Tilo Steffens´ Dampfkessel. Julia Müller kleidete die Hebräer in viktorianisch anmutende, schwarze Kostüme, sehr streng, sehr bieder, sehr altväterlich – Bildungsbürger eben, die sich der Schrift und dem Wort als Waffen bedienen. Die Babylonier hingegen waren eher Menschen, die sich im Hier und Jetzt amüsieren wollen, ganz nach dem Motto „glitter and be gay“.

NABUCCO ist ja eine Oper, die von der dramaturgischen Anlage her total dem damaligen Zeitgeist widersprach: Keine Arien für das Liebespaar, ja selbst das Duett Fenena-Ismael ist äusserst kurz gehalten. Eigentlich schade, denn Thomas Blondelle wirft sich mit grosser Leidenschaftlichkeit in die etwas undankbare Rolle des Ismael und den Namen von Ronnita Miller muss man sich merken: Ihre Fenena ist ein Wucht! Welch bezwingende Fülle der Stimme, welch raumgreifendes Volumen – und dazu ein anrührendes Timbre, das direkt ins Herz geht: Zum Glück hat Verdi ihr noch dieses Gebet im vierten Akt komponiert. Hulkar Sabirova als Anna und Andrew Harris als (fleischlicher Lust nicht abgeneigter) Oberpriester des Baal lassen mit markanten Stimmen aufhorchen und Jörg Schörner ist ein anrührend besorgter, wunderbar weichstimmig singender Vertrauter Abdallo.

 

Keith Warner hat ein schlüssiges Regiekonzept vorgelegt, lässt der aufpeitschenden Musik den ihr gebührenden Vorrang und doch gelingt es ihm, die Charaktere in sehr ästhetischen Tableaus differenziert zu präsentieren.

Inhalt: Zeit und Ort: 587 v.Chr in Jerusalem und Babylon

Der babylonische König Nebukadnezar (Nabucco) hat die Israeliten besiegt und marschiert mit seinen Truppen in Jerusalem ein. Der Hohepriester der Israeliten, Zacharias, versucht seinen niedergeschlagenen Gläubigen Mut zu machen. Die Israeliten haben nämlich eine Tochter Nabuccos, Fenena, als Geisel in ihren Reihen. Ihr Bewacher, Ismaele, hat sich in die Gefangene verliebt. Sie hatte ihn einst aus der Gefangenschaft der Babylonier befreit. Abigaille, Nabuccos vermeintlich erstgeborene Tochter, betritt mit einem Trupp als Hebräer verkleideter Babylonier den Tempel. Auch Abigaille begehrt Ismaele und bietet ihm an, alle Hebräer freizulassen, wenn er sich ihr hingibt. Ismaele geht auf den Erpressungsversuch nicht ein. König Nabucco erscheint. Zacharias droht, Fenena zu erdolchen, wenn sich Nabucco und seine Truppen nicht vom heiligen Ort entfernen. Ismaele schreitet ein und entreisst Fenena dem Hohepriester. Dieser verdammt den Verräter Ismaele. Nabucco ordnet die Brandschatzung des Tempels an.

Abigaille erfährt ihre wahre Herkunft. Sie ist nicht eine Königstochter, sondern die Tochter einer Sklavin. Fenena sitzt nun in Babylon auf dem Thron, während Nabucco weiter gegen die Hebräer kämpft. Abigaille entschliesst sich, die Rivalin umzubringen. Der babylonische Priester des Gottes Baal unterstützt die usurpatorischen Pläne Abigailles.

Zacharias bekehrt Babylonier zum Judentum. Er verteidigt Ismaele gegen den Zorn der Leviten, da Ismaele einer Konvertierten (Fenena) das Leben gerettet habe. Unterdessen kehrt Nabucco nach Babylon zurück.Er erklärt sich in seinem Hochmut selbst zum Gott, der angebetet werden soll. Blitze schlagen ein, der König verliert den Verstand und die Krone, welcher sich Abigaille bemächtigt.

Sie sitzt nun vermeintlich sattelfest auf dem babylonischen Thron, unterstützt von den Priestern des Baal. Mit einer List bringt sie ihren verwirrten Vater dazu, das Todesurteil gegen die Hebräer zu unterzeichnen. Damit scheint auch Fenenas Schicksal besiegelt. Nabucco bemerkt seinen Fehler zu spät. Er will Abigailles Herkunft offenlegen, doch das Beweisstück ist von wird von ihr zerrissen. Abigaille lässt den psychisch zerschmetterten König einsperren. Auf sein Bitten, das Leben Fenenas zu retten, geht sie nicht ein.

Die als Arbeitssklaven abgestellten Hebräer beklagen ihr Los (Va pensiero, der berühmte Gefangenenchor). Zacharias spricht ihnen erneut Mut zu und prophezeit den Untergang Babyloniens.

Die Gefangenen (unter ihnen auch Fenena) werden zur Hinrichtung geführt. Nabucco erwacht aus seinen Albträumen. Er betet zum Gott der Hebräer – und damit verfliegt sein Wahnsinn. Königstreue Gefährten führen ihn aus dem Kerker.

Gerade noch rechtzeitig erscheint Nabucco mit seinem Soldatentrupp am Richtplatz. Er befiehlt, die Götzenbilder umzustossen und die Juden zu befreien. Alle knien nieder und danken dem Gott der Juden Jehova. Abigaille hat sich selbst Gift verabreicht. Sterbend bittet sie Fenena und den Gott der Juden um Verzeihung.

Werk:

Giuseppe Verdi (1813—1901) hatte mit seiner ersten Oper OBERTO zwar einen Achtungserfolg errungen, seine zweite Oper UN GIORNO DI REGNO (eine Komödie) fiel jedoch gnadenlos durch. Schon wollt er seinen Beruf als Komponist an den Nagel hängen (auch verschiedene gravierende persönliche Schicksalsschläge stürzten ihn in eine Depression und Schaffenskrise), doch als ihm der Direktor der Scala, Merelli, das von Otto Nicolai abgelehnte Libretto zu NABUCCO übergab, spürte Verdi seinen Schaffensdrang neu erwachen. Die Uraufführung war so erfolgreich, dass das Werk auch in der nächsten Spielzeit beinahe 60 mal gespielt wurde, was zur damaligen Zeit eine Seltenheit war. Diese dritte Oper markierte den Beginn der Karriere eines der erfolgreichsten und populärsten Komponisten des Musiktheaters, dessen 200. Geburtstag dieses Jahr gebührend gefeiert wird. NABUCCO besticht durch seine tableauartige Anlage der Komposition, mitreissende, martialische aber auch himmlisch ergreifende und berührende Chorpassagen und einer trotz aller Schematismen des jungen Verdi differenziert ausgedrückten musikalischen Kunst der Charakterisierung.

Als am 27. Januar 1901 der Sarg Giuseppe Verdis durch die Strassen Mailands getragen wurde, stimmte die Menge spontan den Gefangenenchor aus NABUCCO an: Va pensiero sull'ali dorate.

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