Zürich: MARIA STUARDA, 08.04.2018
Tragedia lirica in zwei Akten | Musik: Gaetano Donizetti | Libretto: Giuseppe Bardari | Uraufführung: 30. Dezember 1835 in Mailand (18. Oktober 1834 in Neapel als BUONDELMONTE) | Aufführungen in Zürich: 8.4. | 11.4. | 14.4. | 17.4. | 20.4. | 26.4. | 29.4. | 2.5. | 5.5. | 9.5. | 12.5. 2018
Kritik:
Nach drei Bellini-Premieren folgte gestern Abend am Opernhaus Zürich nun mit Donizettis MARIA STUARDA erstmals in der Intendanz Homoki eine Premiere von Bellinis Rivalen um die Vorherrschaft im Bereich des Belcanto. Um es gleich vorwegzunehmen: Diese Neuproduktion zeigte im musikalischen Verlauf unter der Leitung von Enrique Mazzola nur eine Richtung auf, nämlich den Weg ins noch Lautere, noch Schnellere, noch Grellere, schien über weite Strecken Expressivität mit plakativer Lautstärke zu verwechseln. Die zarten Zwischentöne vermisste man schmerzlich, die Intensität des Ausdrucks musste einem quasi Dauerforte weichen, alles Massvolle wurde über Bord geworfen. Mag sein, dass die Story um die beiden um den englischen Thron rivalisierenden Königinnen diese Exaltiertheit hergibt - hysterisch rasende Weiber am Rande des Nervenzusammenbruchs. Die Musik und der Stil Donizettis sprechen meines Erachtens eine andere, eine differenziertere Sprache. Schuld tragen sicher nicht die beiden Sängerinnen Diana Damrau (Maria Stuarda) und Serena Farnocchia (Elisabeth Tudor), sie wurden vom Dirigenten regelrecht an (unschöne) Grenzen ihrer stimmlichen Ausdrucksmöglichkeiten getrieben, so dass sie jeglicher Möglichkeiten für das messa di voce beraubt wurden, ihnen die Zeit für kostbare, geschmackvolle Ausschmückungen fehlte, die klanglichen Variationsmöglichkeiten nur selten aufblitzten konnten. Die beiden Königinnen wurden in dieser Aufführung mit Sopranistinnen besetzt, was dem Duell auf der Bühne natürlich einen zusätzlichen Reiz verlieh, einen Kampf zweier Primadonnen. Serena Farnocchia gestaltete die Elisabeth (die unsympathischere Figur in Schillers/Donizettis Verarbeitung des historischen Stoffes) mit satter, voller Stimme, einem leichten, durchaus passenden Hang ins Ordinäre, manchmal Keifende und Rasende (sie wird ja auch von Maria als vil bastarda – schändlicher Bastard bezeichnet). Darstellerisch war ihre Elisabeth restlos überzeugend, ihre unzähmbare Eifersucht, ihren Hochmut auf und gegenüber der Stuart grandios ausspielend, um dann im Finale I umso gebrochener dazustehen. Diana Damrau begann ihr Rollendebüt vielversprechend mit schönen, schwebenden Piani und luftigen Koloraturen in der Cavatina auf der Magerwiesen-Insel, die in den Marmorsaal geschoben wurde. Doch schon bald wurde sie zu arg die Stimmbänder strapazierenden Forte-Ausbrüchen gedrängt, Tönen, die stellenweise durch Mark und Bein gingen, deren Intonation auch eher leicht gefährdet war. Den gleichen Eindruck hatte man bei ihrer Beichte im zweiten Akt: Sehr schöner Beginn, dann folgten dynamische Unausgeglichenheiten, zu viel Druck auf der Stimme. Erstaunlich, dass sie dann trotzdem immer wieder zu solch feinen, zarten Tönen zurückfand. Es wird spannend sein, ihre Interpretation unter einem anderen Dirigenten zu erleben (z.B. konzertant an der Deutschen Oper Berlin im Mai). Wie erfüllend müsste es doch sein, die schönste Stelle der Oper (Marias Preghiera Deh! Tu di un'umile preghierai suono) von Diana Damrau in einem angemessenen Tempo und mit abgestufter Dynamik erleben zu dürfen. Gestern Abend klang diese Stelle überhaupt nicht nach demütigem Gebet und Bitte um Vergebung, sondern eher nach aufrührerischer Anklage eines marxistischen Mobs, der vorher anscheinend die Altkleidersäcke geplündert hatte. Der Chor der Oper Zürich (Einstudierung: Ernst Raffelsberger) wiederholte die traumhaft schöne Eingebung Donizettis mit vehementem und lautstark polterndem Gesang. Einen etwas einfacheren Stand in diesem Gefüge hatten die um die beiden Königinnen kreisenden Männer. Nicolas Testé (der Ehemann von Diana Damrau) gestaltete mit seinem herrlich strömenden Bass einen ganz wunderbar für sich einnehmenden Talbot, Andrzej Filonczyk verlieh dem Einflüsterer Elisabeths, Lord Cecil, markantes Profil. Zwischen den beiden Damen stand mit Pavol Bresliks Graf von Leicester ein überaus attraktiver Mann, und so war es natürlich glaubwürdig, dass die beiden Königinnen um ihn kämpften. Pavol Breslik war in der letzten Probenwoche von einer starken Erkältung geplagt gewesen und liess sich deshalb zu Beginn der Premiere ansagen. Er stand die Partie jedoch gut durch, überzeugte mit stimmlicher Ausgeglichenheit und an den gebotenen Stellen mit jugendlich-frischer Emphase (z.B. in der Lobpreisung Marias). Hamida Kristoffersen liess in der kleinen Rolle von Marias Vertrauter Anna Kennedy einmal mehr ihr interessantes stimmliches Timbre aufscheinen, man möchte der Sängerin wünschen, dass ihr auf der Zürcher Bühne bald mal spannendere Rollen zugeteilt werden. In der zentralen Stelle der Oper, der Begegnung der beiden Rivalinnen in Fortheringay, wurde dann allerdings doch noch ein vokaler Höhepunkt erreicht, das Sextett war von grösstmöglicher Intensität geprägt, bevor dann wieder atemlos zum Finale gehetzt wurde.
David Alden hat die Geschichte in seiner Inszenierung nicht historisch fixiert, davon zeugten nur schon die Kostüme (Gideon Davey), ein wilder Mix aus verschiedenen Epochen. Überzeugend gestaltet war die Farbdramaturgie in den Kostümen der beiden Protagonistinnen, Elisabeth zu Beginn in Schwarz, beim Aufeinandertreffen mit Maria dann in flammendem Rot, nach der Pause im schlichten weissen Unterkleid. Marias Kostüm war im erstem Akt ganz in senfgelben Tönen gehalten, zur Beichte erschien sie in schlichtem, hochgeschlossenem Grau, zur Hinrichtung trat sie in streng-katholisch schwarzem Kleid auf, das sie auf dem Richtblock fallen liess, um in flammendem Rot den Beilschlag des Henkers zu erwarten. Die ganze Handlung spielte sich ein einem Einheitsbühnenbild (ebenfalls von Gideon Davey entworfen), einem kalten, halbrunden Raum mit schmucklosen Marmorwänden, ab. Zur Veranschaulichung der Schauplätze dienten einige Versatzstücke, so die erwähnte Magerwiesen-Insel, die heutzutage unvermeidliche Uhr an der Wand im zweiten Akt, eine riesige Pferdestatue, die liegend als Platz für Elisabeths goldenen Thron diente und stehend effektvoll für ihren Auftritt in Fortheringay genutzt wurde, wo sie denn bald vom hohen Ross heruntersteigen musste. Diesen Auftritt begleiteten die Hofdamen allesamt mit Geweihen auf dem Kopf (auch Elisabeth trug eins), Symbol für die Damen als Freiwild oder sind sie gehörnte Opfer männlicher Ranküne und Untreue? Nach der Pause drehte die Inszenierung zusehends ins Albtraumhafte. Lord Cecil, der schon im ersten Akt ständig als bleicher, Beil schwingender Rächer über die Bühne huschte, wurde immer stärker zur Horrorgestalt, ein unerbittlich Besessener im Stil eines Orest oder einer Elektra. Nachdem Elisabeth das Todesurteil für Maria aus den Fingern des Skeletts entrissen hatte, das sich im Finale I so furchterregend anstelle des Kronleuchters aus der Decke gesenkt hatte, begann Cecil aus dem Mund und den aufgeschnittenen Pulsadern zu bluten, und mit diesem Blut unterzeichnete Elisabeth das Todesurteil. Eine Erscheinung von skelettierten Königen (Macbeth lässt grüssen) hatte ihr zuvor quasi die Absolution für den Königinnenmord erteilt. Die Inszenierung schwankte also zwischen Realismus und Albtraum. Die hochdramatische Begegnung der beiden Königinnen auf der Wiesen-Insel geriet zu einem durchaus handfesten Kampf der beiden Frauen, der von den Machern des Denver-Clans hätte stammen können. Fehlte nur noch, dass Elisabeth und Maria im Seerosenteich landeten, wie weiland Krystle Carrington und Alexis Colby. Ganz stark war der Beginn der Oper inszeniert, zum kurzen Vorspiel kreisten die beiden Königinnen um die Krone Englands, die auf einem Stuhl in der Bühnenmitte platziert war, bedachten einander mit lauernden, vernichtenden Blicken. David Alden muss man zugute halten, dass er nie gegen den Text inszenierte, vieles war sehr gelungen umgesetzt, so der Auftritt Leicesters als Degenfechter, mit der in den Kampf involvierten Elisabeth, die sich nicht durch Männer bedrohen liess, ihnen mit Verve entgegentrat.
Dem Publikum hat die auf oberflächliche (Schauer-)Effekte abzielende szenische und musikalische Interpretation offensichtlich gefallen, der Beifall war (gerade für Zürcher Premieren-Verhältnisse) enorm. Vielleicht lässt sich der ständige Dauerforte-Hochdruck in den Folgevorstellungen noch etwas dämpfen, dann liessen sich die wahren Kostbarkeiten von Donizettis Partitur leichter entdecken.
Inhalt:
Die Oper spielt gegen Ende der Gefangenschaft Maria Stuarts zwischen 1581 und 1587 in England
Königin Elisabeth I. soll aus Gründen einer politischen Allianz mit dem Erzrivalen Frankreich den französischen Thronfolger heiraten, im Gegenzug müsste sie jedoch ihre gefangen gehaltene Cousine Maria Stuart begnadigen, welche (zu Recht) Ansprüche auf den englischen Thron stellt. Elisabeth zögert. Elisabeths langjähriger Geliebter Robert Dudley, Earl of Leicester, zeigt keinerlei Reaktion auf die Heiratspläne, was Elisabeth vermuten lässt, Leicester habe ein Affäre mit einer Rivalin, nämlich ausgerechnet mit Maria Stuart, für deren Freilassung er sich wie der gesamte Hofstaat einsetzt, mit Ausnahme von Lord Cecil, Elisabeths Chefberater und Schatzkanzler. Leicester erhält von Talbot, dem Betreuer Marias, einen Brief, in welchem Maria um eine Unterredung mit Elisabeth bittet. Elisabeth verlangt, den Brief zu sehen und Leicester gesteht seine Liebe zu Maria. Trotzdem willigt Elisabeth ein, die schottische Königin zu treffen.
Auf Schloss Fortheringay: Maria sinniert über ihre glückliche Jugend in Frankreich nach. Da ertönen die Hörner der königlichen Jagd. Elisabeth ist mit ihrem Gefolge in den Wäldern um Fortheringay eingetroffen. Leicester tritt ein und beschwört Maria, sich gegenüber Elisabeth demütig zu zeigen. Elisabeth verhält sich jedoch von Beginn der (in Wahrheit nie stattgefundenen) Begegnung an sehr aggressiv und feindselig gegenüber der Rivalin um Thron und Liebe. Elisabeth wirft Maria Schuld an der Ermordung von Marias Gemahl Darnley vor (stimmt), beschuldigt sie der Verschwörung und der Intrige, um auf den englischen Thron zu gelangen. Leicester versucht zwar zu beschwichtigen, doch Maria kann die Anschuldigungen nicht länger ertragen und wirft Elisabeth das „vil bastarda“ entgegen, die Tatsache, dass sie ein Bastard sei (stimmt, Elisabeths Vater Heinrich VIII. war mit Katharina von Aragon nicht offiziell geschieden als er Anne Boleyn, die Mutter Elisabeths, schwängerte). Elisabeth ist dermassen vor den Kopf gestossen, dass sie Maria Stuart mit der Enthauptung droht.
Doch zurück in ihren Gemächern zögert Elisabeth das Todesurteil zu unterzeichen, denn immerhin ist Maria Stuart tatsächlich von königlichem Blut und zudem mit ihr verwandt. Lord Cecil drängt auf die Vollstreckung des Todesurteils (auch er hat ganz proivate Gründe für seinen Hass auf Maria). Es kommt noch zu einer Begegnung mit Leicester, dem Elisabeth doppeltes Spiel vorwirft. Als er erneut um Gnade für Maria bittet, unterzeichnet sie das Todesurteil und hält es ihm triumphierend entgegen, ja sie befiehlt ihm sogar, bei der Vollstreckung anwesend zu sein.
Talbot und Cecil überbringen Maria die schreckliche Nachricht. Sie lässt ihr Leben Revue passieren. Talbot trägt unter seinen weltlichen Kleidern ein Priestergewand und Maria legt bei ihm Beichte ab. Dabei gesteht sie sowohl ihre Schuld an der Ermordung Darnleys wie auch ihre Beteiligung an der Babington-Verschwörung (Elisabeth hatte also in allen Anklagepunkten Recht!).
Maria schreitet in den schwarzen Kleidern einer Nonne zum Schafott. Sie bittet die Anwesenden mit ihr zusammen zu beten. Sie verzeiht ihren Feinden. Leicester wirft sich ihr zu Füssen, doch Maria bittet ihn, sich nicht selbst in Gefahr zu bringen. Von ihrer Vertrauten Anna Kennedy begleitet, schreitet Maria Stuart dem Henker entgegen.
Werk:
Eigentlich war MARIA STUARDA für Neapel geplant, doch wie so oft in dieser Zeit machte die Zensur dem Komponisten einen Strich durch die Rechnung. Die Enthauptung einer katholischen Königin auf der Opernbühne war für das Königreich Neapel undenkbar. Zudem erlitt die Königin beider Sizilien, Maria Christina von Neapel, anlässlich der Generalprobe, der sie beiwohnte, einen Ohnmachtsanfall, worauf die Produktion verboten wurde. Da Donizetti seine Musik aber retten wollte, wurde das Libretto hastig umgeschrieben und unter dem neuen Titel BUONDELMONTE erfolglos uraufgeführt. In Mailand aber setzte sich der Star Maria Malibran für das originale Werk ein. Doch auch diese Uraufführung stand unter einem schlechten Stern. Wegen einer Erkrankung der Starsopranistin wurde die Uraufführung um zwei Tage verschoben, doch genesen waren weder die Malibran noch die Sängerin der Elisabeth. Es muss desaströs geklungen haben. Danach wollte Donizetti nie wieder etwas mit der Scala zu tun haben. Es folgten einige Aufführungen an kleineren Theatern, meist in einer „gereinigten“ Form, das heisst die vulgären Ausbrüche der beiden Königinnen im Mittelteil wurden abgeschwächt oder eliminiert. Danach verschwanden MARIA STUARDA wie auch BUONDELMONTE in der Versenkung. 1958 gab es dann wieder eine Aufführung in Donizettis Heimatstadt Bergamo, es folgten San Francisco 1971 (mit Joan Sutherland) und die New York City Opera 1972 (mit Beverley Sills). Doch erst als Mitte der 1980er Jahre in Schweden die Originalpartitur auftachte und daraus eine kritische Neuausgabe in Druck ging, setzte sich MARIA STUARDA im Kernrepertoire durch.
Die auch bei Schillers Drama - welches als Vorlage für das Libretto diente - vorkommende Begegnung der beiden Königinnen, die historisch gesehen nie stattgefunden hatte, entwickelt sich bei Donizetti zu einem veritablen Showstopper und Höhepunkt der Oper. Donizetti hatte die beiden Rollen für Soprane geschrieben, genauso wie Bellini seine NORMA, da damals die Differenzierung Sopran versus Mezzosopran nicht wirklich existierte. Heutzutage wird oft die eine oder andere der beiden Königinnen von einer dunkler (Mezzosopran) timbrierten Stimme gesungen. So sang z.B. Dame Janet Baker die Maria (Mezzosopranistin), aber auch Koloratursopranistinnen wie Joan Sutherland, Edita Gruberova und Mariella Devia feierten als Maria Stuarda Triumphe.
Die dramatischen Geschehnisse rund um das Schicksal von Mary, Queen of Scots kann man in über 20'000 Büchern nachlesen (bekannt ist die Biografie von Stefan Zweig), wurde unzählige Male verfilmt (grandios mit Vanessa Redgrave und Glenda Jackson, 1971) und hielt Einzug in TV Serien (REIGN).
Das war aber auch ein Leben dieser Maria Stuart: Im Alter von fünf Tagen (!) wurde sie Königin von Schottland, heiratete mit fünzehn den französichen Thronfolger, wurde mit sechzehn Königen von Frankreich und mit siebzehn Witwe. Wegen Streitigkeiten mit der Königinmutter Katharina von Medici kehrte sie nach Schottland zurück, amtete dort während weiterer sechs Jahre (eher erfolglos) als Königin, heiratete einen moralisch ziemlich verdorbenen Mann (Lord Darnley, ein Stuart), war ziemlich sicher an dessen Ermordung durch Henry Bothwell indirekt beteiligt. Zur allgemeinen Empörung (sie musste abdanken) heiratete sie dann eben diesen Bothwell. Sie flüchtete nach England, erhob Anspruch auf den englischen Thron, was ihr von Elisabeth I. schwer angelastet wurde und zu ihrer 19 Jahre dauernden Gefangenschaft (aber immer in königlichen Schlössern) und schliesslich - wie in Donizettis Oper erzählt - zu ihrer Hinrichtung führte. Ihr Sohn aus der Ehe mit Darnley, Jakob I., aber wurde nach Elisabeths Tod König von England.