Genf, Grand Théâtre: TUDOR TRILOGIE II, MARIA STUARDA, 28.06.2024
Teil 2 von Donizettis Tudor Trilogie in der Inszenierung von Mariame Clément
MARIA STUARDA | Tragedia lirica in zwei Akten | Musik: Gaetano Donizetti | Libretto: Giuseppe Bardari | Uraufführung: 30. Dezember 1835 in Mailand (18. Oktober 1834 in Neapel als BUONDELMONTE) | Aufführungen in Genf: 20.6. | 28.6.2024
Kritik:
Rein schon die optische Fortsetzung der Tudor-Trilogie am Grand Théâtre de Genève ist eine Wucht! Der Rahmen für das Bühnenbild hat sich nicht verändert: Noch immer bildet ein blaues Zimmer mit einer riesigen Spielfläche im Zentrum und nach drei Seiten hin riesigen Öffnungen die Grundkonstruktion. Doch was in diesem äusserst praktikablen Aufbau abläuft, das dramaturgisch hochklassig konzipierte Spiel mit den Farben, mit der Natur und dem Licht ist schlicht überwältigend. Die Bäume wachsen nun üppig ins Zentrum hinein, bleiben nicht mehr aussen vor wie in ANNA BOLENA, der Kubus dreht sich nicht mehr, einzig horizontal verschiebbare Wände fahren hinein und wieder heraus, bringen Abwechsulung und Verortungen von Szenen. Die Bäume und die Parklandschaft von Fotheringay Castle (Endstation von Marias durch Elisabetta angeordneter, 18jähriger Gefangenschaft in England) werden immer wieder neu ausgeleuchtet. Vom üppigen Blau-Grün des Beginns ändert sich die Farbe des Blätterwerks zu assoziationsreichem Blutrot und herbstlichem Orange - passend zum nahenden Ende von Elisabettas Herrschaft. Vorne rechts am Bühnenrand steht der Schreibtisch Elisabettas: Auf diesem Schreibtisch gibt sie sich - die "Virgin Queen" hatte durchaus auch Appetit auf Sex; niemand hat das eindringlicher gespielt als Glenda Jackson im Film MARY, QUEEN OF SCOTS - Lord Leicester hin, an diesem Schreibtisch unterzeichnet sie Marias Todesurteil und hält es während des zweiten Geschlechtsakts mit Leicester diesem (der ja auch ein Verhältnis mit ihrer Rivalin Maria Stuarda hatte) unter die Nase - einen klarer motivierten Coitus Interruptus hat man auf der Opernbühne wohl noch selten gesehen! Auch mit MARIA STUARDA ist dem Inszenierungsteam Mariame Clément (Regie), Julia Hansen (Ausstattung) und Ulrik Gad (Lichtdesign) eine überragendes Gesamtkunstwerk gelungen. Wiederum werden Stile gemischt, wird mit dem historischen Hintergrund sehr freizügig umgegangen - und es stört überhaupt nicht, bleibt spannend und interessant. Oftmals tauchen nun auch Filmteams auf der Bühne auf, Maria Stuarda wir zur "Queen of hearts" der Massen hochstilisiert, vor allem auch, weil man ihr noch ihren kleinen, ach so süssen Sohn zur Seite stellt. Historisch natürlich nicht korrekt, da Marias Sohn James, damals bereits 20 Jahre alt war und auf dem schottischen Thron sass. Da sich auch Donizetti und sein Librettist jeweils nicht genau an historische Tatsachen hielten, spielt dieser "Mitleidskniff" überhaupt keine Rolle, trägt im Gegenteil überzeugend dazu bei, die Sympathien in weiten Gesellschaftskreisen, welche Maria auch in England genoss, zu verstehen. Auch die Kostümdramaturgie ist mit fanatstischer Genauigkeit umgesetzt worden. Elisabetta tritt in Gold auf: Mit Goldfäden durchwirkt ist ihr elegantes Jagdkostüm, golden glänzt ihr armierter Bustier - durch dieses Metall dringt kaum ein Hauch Mitgefühls in ihr Herz. Maria tritt zur Konfrontation in Rosa mit kostbar gemustertem Umhang auf - ganz frauliche Eleganz und damit einen wirkungsvollen Kontrast zur eher maskulin gerüsteten Elisabetta bildend, die ihre Maskulinität auch noch mit strenger Kurzhaarfrisur unterstreicht. Die Konfrontation der beiden mit der gegenseitigen Überhäufung mit Schimpfwörtern war von Mariame Clément sehr genau inszeniert und Stéphanie d'Oustrac (Maria) und Elsa Dreisig (Elisabetta) unterstrichen mit auf den Punkt genauer Mimik und sparsamen Gesten diese Begegnung zweier Rivalinnen um Liebe und Thron (die es in Wirklichkeit nie gegeben hatte). Sängerisch bewegte man sich an diesem Abend erneut auf sehr hohem Niveau. Elsa Dreisig sang eine ganz starke Elisabetta, ihr wunderschöner Sopran fand zu intensiver Glut, berechnender Kälte und Leidenschaft. Stéphanie d'Oustrac als Maria Stuarda war ganz wunderbar in den verhalteneren Passagen, begeisterte mit tragfähigen Piani, fein ziselierten Koloraturen. Einzig bei einigen Ausbrüchen im Fortissimo empfand ich ihre Intonation als gefährdet. Edgardo Rocha glänzte erneut mit fantastischer Stilsicherheit, wunderschönem Timbre, mit Leidenschaft - er kam gar sturzbetrunken (natürlich nur gespielt!!!) zur Hinrichtung Marias und sang trotzdem noch betörend schön. In den tiefstimmigen Männerrollen machten sowohl der Lord Cecil des Baritons Simone del Savio, als auch der Bass Nicola Ulivieri als Talbot blendende Figur. Aufhorchen liess Ena Pongrac als Anna Kennedy, der Vertrauten und Amme Marias. Was für eine ebenmässig geführter und wunderschön timbrierter Mezzosopran!
Stefano Montanari leitete das hervorragend spielende Orchestre de la Suisse Romande erneut mit zupackender Verve und trug die Protagonisten in ihren schwierigen Arien und Ensembles auf Händen; gerade auch in den dramatisch zugespitzten (1.Akt) und gefühlsintensiven (2.Akt) Finali vermochte er eine packende Spannungsintensität zu generieren!
Ein ganz besonderes Lob gilt es dem Choeur du Grand Théâtre de Genève (Einstudierung: Mark Biggins) auszusprechen: Die lange Finalszene mit Gebet und Hinrichtung der Maria untermalte der Chor mit fantastischer Stimmgebung und farbenreicher Stimmigkeit. Wobei von Hinrichtung zu sprechen etwas übertrieben ist, denn Maria entledigte sich des schwarzen Umhangs und schritt in blendend weissem Kleid ins Licht der Unsterblichkeit - kein Henkerbeil zu sehen (wie in ANNA BOLENA), kein anklagend knallrotes Kleid wie in Uberlieferungen ... . Vielleicht kann diese Lichtgestalt (die in Wirklichkeit natürlich keine war, an ihrem Mitwirken an der Babington-Verschwörung bestehen kaum Zweifel) Elisabetta in ROBERTO DEUVEREUX als Fantom des Grauens verfolgen? Darüber werde ich nach der letzten Vorstellung dieser aussergewöhnlichen Tudor-Trilogie berichten.
Inhalt:
Die Oper spielt gegen Ende der Gefangenschaft Maria Stuarts zwischen 1581 und 1587 in England
Königin Elisabeth I. soll aus Gründen einer politischen Allianz mit dem Erzrivalen Frankreich den französischen Thronfolger heiraten, im Gegenzug müsste sie jedoch ihre gefangen gehaltene Cousine Maria Stuart begnadigen, welche (zu Recht) Ansprüche auf den englischen Thron stellt. Elisabeth zögert. Elisabeths langjähriger Geliebter Robert Dudley, Earl of Leicester, zeigt keinerlei Reaktion auf die Heiratspläne, was Elisabeth vermuten lässt, Leicester habe ein Affäre mit einer Rivalin, nämlich ausgerechnet mit Maria Stuart, für deren Freilassung er sich wie der gesamte Hofstaat einsetzt, mit Ausnahme von Lord Cecil, Elisabeths Chefberater und Schatzkanzler. Leicester erhält von Talbot, dem Betreuer Marias, einen Brief, in welchem Maria um eine Unterredung mit Elisabeth bittet. Elisabeth verlangt, den Brief zu sehen und Leicester gesteht seine Liebe zu Maria. Trotzdem willigt Elisabeth ein, die schottische Königin zu treffen.
Auf Schloss Fortheringay: Maria sinniert über ihre glückliche Jugend in Frankreich nach. Da ertönen die Hörner der königlichen Jagd. Elisabeth ist mit ihrem Gefolge in den Wäldern um Fortheringay eingetroffen. Leicester tritt ein und beschwört Maria, sich gegenüber Elisabeth demütig zu zeigen. Elisabeth verhält sich jedoch von Beginn der (in Wahrheit nie stattgefundenen) Begegnung an sehr aggressiv und feindselig gegenüber der Rivalin um Thron und Liebe. Elisabeth wirft Maria Schuld an der Ermordung von Marias Gemahl Darnley vor (stimmt), beschuldigt sie der Verschwörung und der Intrige, um auf den englischen Thron zu gelangen. Leicester versucht zwar zu beschwichtigen, doch Maria kann die Anschuldigungen nicht länger ertragen und wirft Elisabeth das „vil bastarda“ entgegen, die Tatsache, dass sie ein Bastard sei (stimmt, Elisabeths Vater Heinrich VIII. war mit Katharina von Aragon nicht offiziell geschieden als er Anne Boleyn, die Mutter Elisabeths, schwängerte). Elisabeth ist dermassen vor den Kopf gestossen, dass sie Maria Stuart mit der Enthauptung droht.
Doch zurück in ihren Gemächern zögert Elisabeth das Todesurteil zu unterzeichen, denn immerhin ist Maria Stuart tatsächlich von königlichem Blut und zudem mit ihr verwandt. Lord Cecil drängt auf die Vollstreckung des Todesurteils (auch er hat ganz proivate Gründe für seinen Hass auf Maria). Es kommt noch zu einer Begegnung mit Leicester, dem Elisabeth doppeltes Spiel vorwirft. Als er erneut um Gnade für Maria bittet, unterzeichnet sie das Todesurteil und hält es ihm triumphierend entgegen, ja sie befiehlt ihm sogar, bei der Vollstreckung anwesend zu sein.
Talbot und Cecil überbringen Maria die schreckliche Nachricht. Sie lässt ihr Leben Revue passieren. Talbot trägt unter seinen weltlichen Kleidern ein Priestergewand und Maria legt bei ihm Beichte ab. Dabei gesteht sie sowohl ihre Schuld an der Ermordung Darnleys wie auch ihre Beteiligung an der Babington-Verschwörung (Elisabeth hatte also in allen Anklagepunkten Recht!).
Maria schreitet in den schwarzen Kleidern einer Nonne zum Schafott. Sie bittet die Anwesenden mit ihr zusammen zu beten. Sie verzeiht ihren Feinden. Leicester wirft sich ihr zu Füssen, doch Maria bittet ihn, sich nicht selbst in Gefahr zu bringen. Von ihrer Vertrauten Anna Kennedy begleitet, schreitet Maria Stuart dem Henker entgegen.
Werk:
Eigentlich war MARIA STUARDA für Neapel geplant, doch wie so oft in dieser Zeit machte die Zensur dem Komponisten einen Strich durch die Rechnung. Die Enthauptung einer katholischen Königin auf der Opernbühne war für das Königreich Neapel undenkbar. Zudem erlitt die Königin beider Sizilien, Maria Christina von Neapel, anlässlich der Generalprobe, der sie beiwohnte, einen Ohnmachtsanfall, worauf die Produktion verboten wurde. Da Donizetti seine Musik aber retten wollte, wurde das Libretto hastig umgeschrieben und unter dem neuen Titel BUONDELMONTE erfolglos uraufgeführt. In Mailand aber setzte sich der Star Maria Malibran für das originale Werk ein. Doch auch diese Uraufführung stand unter einem schlechten Stern. Wegen einer Erkrankung der Starsopranistin wurde die Uraufführung um zwei Tage verschoben, doch genesen waren weder die Malibran noch die Sängerin der Elisabeth. Es muss desaströs geklungen haben. Danach wollte Donizetti nie wieder etwas mit der Scala zu tun haben. Es folgten einige Aufführungen an kleineren Theatern, meist in einer „gereinigten“ Form, das heisst die vulgären Ausbrüche der beiden Königinnen im Mittelteil wurden abgeschwächt oder eliminiert. Danach verschwanden MARIA STUARDA wie auch BUONDELMONTE in der Versenkung. 1958 gab es dann wieder eine Aufführung in Donizettis Heimatstadt Bergamo, es folgten San Francisco 1971 (mit Joan Sutherland) und die New York City Opera 1972 (mit Beverley Sills). Doch erst als Mitte der 1980er Jahre in Schweden die Originalpartitur auftachte und daraus eine kritische Neuausgabe in Druck ging, setzte sich MARIA STUARDA im Kernrepertoire durch.
Die auch bei Schillers Drama - welches als Vorlage für das Libretto diente - vorkommende Begegnung der beiden Königinnen, die historisch gesehen nie stattgefunden hatte, entwickelt sich bei Donizetti zu einem veritablen Showstopper und Höhepunkt der Oper. Donizetti hatte die beiden Rollen für Soprane geschrieben, genauso wie Bellini seine NORMA, da damals die Differenzierung Sopran versus Mezzosopran nicht wirklich existierte. Heutzutage wird oft die eine oder andere der beiden Königinnen von einer dunkler (Mezzosopran) timbrierten Stimme gesungen. So sang z.B. Dame Janet Baker die Maria (Mezzosopranistin), aber auch Koloratursopranistinnen wie Joan Sutherland, Edita Gruberova und Mariella Devia feierten als Maria Stuarda Triumphe.
Die dramatischen Geschehnisse rund um das Schicksal von Mary, Queen of Scots kann man in über 20'000 Büchern nachlesen (bekannt ist die Biografie von Stefan Zweig), wurde unzählige Male verfilmt (grandios mit Vanessa Redgrave und Glenda Jackson, 1971) und hielt Einzug in TV Serien (REIGN).
Das war aber auch ein Leben dieser Maria Stuart: Im Alter von fünf Tagen (!) wurde sie Königin von Schottland, heiratete mit fünzehn den französichen Thronfolger, wurde mit sechzehn Königen von Frankreich und mit siebzehn Witwe. Wegen Streitigkeiten mit der Königinmutter Katharina von Medici kehrte sie nach Schottland zurück, amtete dort während weiterer sechs Jahre (eher erfolglos) als Königin, heiratete einen moralisch ziemlich verdorbenen Mann (Lord Darnley, ein Stuart), war ziemlich sicher an dessen Ermordung durch Henry Bothwell indirekt beteiligt. Zur allgemeinen Empörung (sie musste abdanken) heiratete sie dann eben diesen Bothwell. Sie flüchtete nach England, erhob Anspruch auf den englischen Thron, was ihr von Elisabeth I. schwer angelastet wurde und zu ihrer 19 Jahre dauernden Gefangenschaft (aber immer in königlichen Schlössern) und schliesslich - wie in Donizettis Oper erzählt - zu ihrer Hinrichtung führte. Ihr Sohn aus der Ehe mit Darnley, Jakob I., aber wurde nach Elisabeths Tod König von England.