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Hamburg, Staatsoper: MARIA STUARDA; 02.04.2025

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Maria Stuarda

copyright: Brinkhoff/Mögenburg, mit freundlicher Genehmigung Staatsoper Hamburg

Ermonela Jaho als Maria Stuarda und Barno Ismatullaeva als Elisabetta I. in Donizettis Königinnendrama

Tragedia lirica in zwei Akten | Musik: Gaetano Donizetti | Libretto: Giuseppe Bardari | Uraufführung: 30. Dezember 1835 in Mailand (18. Oktober 1834 in Neapel als BUONDELMONTE) | Aufführungen in Hamburg: 16.3. | 19.3. | 22.3. | 25.3. | 28.3. | 30.3. 2.4.2025, 15.2. | 26.2. | 4.3. | 14.3.2026

 

Kritik:

Wie sagte doch einst Verdi so treffend: „Das Wahre kopieren mag eine gute Sache sein, aber das Wahre erfinden ist besser, viel besser.“ Daran hielten sich vor Verdi sowohl Friedrich Schiller, als auch Gaetano Donizetti und sein Librettist Bardari – und auch viele später Geborene, wie der Regisseur des opulenten Films MARY, QUEEN OF SCOTTS, Charles Jarrott. Sie alle gaben und geben mit der erfundenen Begegnung von Maria Stuart und Königin Elisabeth I. im Park von Fotheringhay Diven, Sängerinnen und Schauspielerinnen Gelegenheit, ihre Kunst zu zeigen und die Wahrheit hinter dem Konflikt und den Zwängen dieser beiden durchtriebenen und machtbewussten Frauen zugänglich, verständlich und erfahrbar zu machen. In Schillers Drama kann ich mich an eine geniale Aufführung mit Maria Becker und Agnes Fink erinnern, im Film waren Vanessa Redgrave und Glenda Jackson eine Wucht – und gestern Abend in der Staatsoper Hamburg reihten sich Ermonela Jaho und Barno Ismatullaeva in diese illustre Riege ein. Was die beiden Ausnahmesängerinnen da zeigten, fuhr so richtig ein. Das war von hochexplosiver Dramatik, gepaart mit Belcantokunst vom Allerfeinsten! Zum Niederknien! Die erste Szene gehörte Barno Ismatullaeva, welche als Elisabetta alle Register ihres vollen Soprans zog und glühen liess. Wuchtig, ja, aber ohne je zu forcieren, die Stimme stets gerundet, mit feinen Koloraturen und einem herrlichen Acuto. Ermonela Jaho mit ihrem etwas zarter grundierten Sopran und einer wunderschönen Palette an stimmlichen Pastellfarben liess als Maria Stuarda keine Wünsche offen, ihre Piani waren nicht von dieser Welt, von berückender Schönheit und doch nie verschattet, herrlich phrasiert auf den Atem gelegt – ein Lehrstück an belcantistischem Gesang. Aber auch die dramatischen Ausbrüche beherrschte sie unnachahmlich, erreichte die Spitzentöne ebenfalls ohne jegliches Forcieren, das strömte alles mit einer Selbstverständlichkeit und Intensität des Ausdrucks, führte oftmals zu regelrechtem Gänsehautfeeling (z.B. bei der Preghiera Deh! tu di un'umile preghiera). Die Koloraturen der beiden wunderbaren Sängerinnen gerieten in keinem Moment zu selbstgefälligen, zirzensischen Showstücken, sondern ihre Koloraturgirlanden dienten stets dem Ausdruck der Gefühlslagen. Am Ende applaudierte das Hamburger Publikum stehend und als sich die beiden Kontrahentinnen (auf der Bühne) dann in den Armen lagen anlässlich dieser Derniere, kam man nicht umhin, Tränen der Rührung zuzulassen. Getrieben und manipuliert wurden die beiden Königinnen von ihrem Ehrgeiz, ihrem Standesdünkel, ihrem Verfolgungswahn und den intrigierenden Männern. Eine grosse Rolle spielte der „Go between“, Graf Leicester: Der Tenor Long Long sang diesen Roberto - der ein Verhältnis mit Maria hat, obwohl er immer noch als Günstling Elisabettas agiert - mit sicherer Stimmführung, hellem, durchschlagskräftigem Timbre und Agilität. Vielleicht manchmal eine Spur zu gleichförmig im dynamischen Bereich. Gezim Myshketa war ein stimmstarker, im Hintergrund agierender Lord Cecil, Alexander Roslavets setzte seinen grossartigen Bass gekonnt ein, um als Talbot, Vertrauter Marias und katholischer Beistand, Autorität auszustrahlen und sie intensiv bohrend zu ihrer Verwicklung in die Babbington-Verschwörung zu befragen. Marias Vertraute und bis zu deren Tod unter dem Beil des Henkers treue Anna wurde von Aebh Kelly mit wunderschöner, warmer Mezzosopranstimme gesungen. Damit bereicherte sie auch das exzellente, mitreissende Sextett am Ende des ersten und das Quintett des Schussaktes. Dazu gesellte sich jeweils noch der fein und mit exzellenter dynamischer Differenzierung intonierende Chor der Staatsoper Hamburg (Einstudierung: Eberhard Friedrich).

Dieser Chor sang im starren und mit Backsteinmauern eine unentrinnbare Festung darstellenden Bühnenbild von Amber Vandenhoeck oftmals kommentierend aus rechteckigen Öffnungen der Seitenwände. (Erinnerte etwas an Giancarlo del Monacos Inszenierung von Donizettis Tudor-Trilogie in Zürich.) Amber Vandenhoeck setzte zusätzlich noch einen riesigen Kubus in die Bühnennmitte, der als Projektionsfläche von historischen Porträts und solchen der auf der Bühne agierenden Sängerinnen und Doubles diente, Nischen für die Schreibstube Elisabettas enthielt und durch Türen sensationelle, im weissen Licht gleissende Auftritte ermöglichte. Ein Seite des Kubus war offen. Eines von Marias Doubles stand hier unter einem riesigen Senkblei, aus dem Asche auf sie regnete. Im letzten Akt waren die Wände des Kubus weg, nur der Sockel diente noch quasi als Bühne auf der Bühne. Ja diese Doubles: Die Regisseurin Karin Beier hatte da eine glänzende Idee. Jeder der beiden Königinnen stellte Karin Beier fünf Doubles zur Seite, eines davon eine Schauspielerin, Sandra Gerling als Maria Stuarda rezitierte vor Beginn der Ouvertüre vor dem Vorhang Marias letzten Brief an Elisabetta, in dem sie Wünsche für ihre Bestattung äusserte (Elisabetta hielt sich übrigens nicht daran!) und Elisabetta daran erinnerte, dass sie eines Tages Rechenschaft über ihre Taten ablegen müsse. Vor dem zweiten Akt rechtfertigte Katja Danowski als Elisabetta ihr Handeln (Verurteilung Marias) als Antwort auf eine Petition aus dem Parlament, welche Elisabetta aufgefordert hatte, das Todesurteil gegen Maria Stuarda zu unterzeichnen. Immer wieder agierten die Doubles als Ausdrucksmöglichkeit der privaten Ängste, der Albträume und der Zwänge, denen die beiden Königinnen ausgesetzt waren (bei Donizetti stehen die Anweisungen dann so in der Partitur: „fra sè“). Das war ungemein bildstark (mit Projektionen und viel Theaterblut) umgesetzt und störte keineswegs. Einzig die Kamerateams, die am Ende die Hinrichtung Marias filmten, waren etwas überflüssig; dieses Regietheatermätzchen ist unterdessen auch etwas ausgelutscht. Natürlich wollte man damit zeigen, wie kalkuliert sowohl Maria als auch Elisabetta Imagepflege betrieben, die Meinung der Öffentlichkeit bewusst manipulierten. Denn ansonsten blieb man mehr oder weniger in einem Renaissance – Ambiente, mit etwas Gabba -Style versetzt, wovon auch der Schnitt der Kostüme von Eva Dessecker Zeugnis ablegte. Herausragend und von atmosphärischer Dichte waren die Videos von Severin Renke und das Lichtdesign von Annette ter Meulen. Am Ende war kein Henker notwendig. Marie legte sich im knallroten Abendkleid, das sie unter dem schwarzen Witwen-/ Büsserinnengewand trug, auf Elisabettas Schreibtisch (die Last und die Schuld des Königinnenmordes effektvoll auf die Kontrahentin verlagernd) und zum musikalisch komponierten Fallen des Beils kippte sie ihren Kopf über die Schreibtischkante. WOW!

Antonino Fogliani leitete eine die fein instrumentierte Partitur Donizettis sensibel auslotende Aufführung, hob die wunderbaren und herausragend gestalteten Passagen solistisch eingesetzter Instrumente des Philharmonischen Staatsorchesters mittels subtiler Dynamik hervor – ein grossartig gesungener, vielschichtig erzählter und berührender Belcanto-Abend!

P.S. In der kommenden Saison wird MARIA STUARDA in komplett neuer Besetzung wieder aufgenommen.

Inhalt:

Die Oper spielt gegen Ende der Gefangenschaft Maria Stuarts zwischen 1581 und 1587 in England

Königin Elisabeth I. soll aus Gründen einer politischen Allianz mit dem Erzrivalen Frankreich den französischen Thronfolger heiraten, im Gegenzug müsste sie jedoch ihre gefangen gehaltene Cousine Maria Stuart begnadigen, welche (zu Recht) Ansprüche auf den englischen Thron stellt. Elisabeth zögert. Elisabeths langjähriger Geliebter Robert Dudley, Earl of Leicester, zeigt keinerlei Reaktion auf die Heiratspläne, was Elisabeth vermuten lässt, Leicester habe ein Affäre mit einer Rivalin, nämlich ausgerechnet mit Maria Stuart, für deren Freilassung er sich wie der gesamte Hofstaat einsetzt, mit Ausnahme von Lord Cecil, Elisabeths Chefberater und Schatzkanzler. Leicester erhält von Talbot, dem Betreuer Marias, einen Brief, in welchem Maria um eine Unterredung mit Elisabeth bittet. Elisabeth verlangt, den Brief zu sehen und Leicester gesteht seine Liebe zu Maria. Trotzdem willigt Elisabeth ein, die schottische Königin zu treffen.

Auf Schloss Fortheringay: Maria sinniert über ihre glückliche Jugend in Frankreich nach. Da ertönen die Hörner der königlichen Jagd. Elisabeth ist mit ihrem Gefolge in den Wäldern um Fortheringay eingetroffen. Leicester tritt ein und beschwört Maria, sich gegenüber Elisabeth demütig zu zeigen. Elisabeth verhält sich jedoch von Beginn der (in Wahrheit nie stattgefundenen) Begegnung an sehr aggressiv und feindselig gegenüber der Rivalin um Thron und Liebe. Elisabeth wirft Maria Schuld an der Ermordung von Marias Gemahl Darnley vor (stimmt), beschuldigt sie der Verschwörung und der Intrige, um auf den englischen Thron zu gelangen. Leicester versucht zwar zu beschwichtigen, doch Maria kann die Anschuldigungen nicht länger ertragen und wirft Elisabeth das „vil bastarda“ entgegen, die Tatsache, dass sie ein Bastard sei (stimmt, Elisabeths Vater Heinrich VIII. war mit Katharina von Aragon nicht offiziell geschieden als er Anne Boleyn, die Mutter Elisabeths, schwängerte). Elisabeth ist dermassen vor den Kopf gestossen, dass sie Maria Stuart mit der Enthauptung droht.

Doch zurück in ihren Gemächern zögert Elisabeth das Todesurteil zu unterzeichen, denn immerhin ist Maria Stuart tatsächlich von königlichem Blut und zudem mit ihr verwandt. Lord Cecil drängt auf die Vollstreckung des Todesurteils (auch er hat ganz proivate Gründe für seinen Hass auf Maria). Es kommt noch zu einer Begegnung mit Leicester, dem Elisabeth doppeltes Spiel vorwirft. Als er erneut um Gnade für Maria bittet, unterzeichnet sie das Todesurteil und hält es ihm triumphierend entgegen, ja sie befiehlt ihm sogar, bei der Vollstreckung anwesend zu sein.

Talbot und Cecil überbringen Maria die schreckliche Nachricht. Sie lässt ihr Leben Revue passieren. Talbot trägt unter seinen weltlichen Kleidern ein Priestergewand und Maria legt bei ihm Beichte ab. Dabei gesteht sie sowohl ihre Schuld an der Ermordung Darnleys wie auch ihre Beteiligung an der Babington-Verschwörung (Elisabeth hatte also in allen Anklagepunkten Recht!).

Maria schreitet in den schwarzen Kleidern einer Nonne zum Schafott. Sie bittet die Anwesenden mit ihr zusammen zu beten. Sie verzeiht ihren Feinden. Leicester wirft sich ihr zu Füssen, doch Maria bittet ihn, sich nicht selbst in Gefahr zu bringen. Von ihrer Vertrauten Anna Kennedy begleitet, schreitet Maria Stuart dem Henker entgegen.

Werk:

Eigentlich war MARIA STUARDA für Neapel geplant, doch wie so oft in dieser Zeit machte die Zensur dem Komponisten einen Strich durch die Rechnung. Die Enthauptung einer katholischen Königin auf der Opernbühne war für das Königreich Neapel undenkbar. Zudem erlitt die Königin beider Sizilien, Maria Christina von Neapel, anlässlich der Generalprobe, der sie beiwohnte, einen Ohnmachtsanfall, worauf die Produktion verboten wurde. Da Donizetti seine Musik aber retten wollte, wurde das Libretto hastig umgeschrieben und unter dem neuen Titel BUONDELMONTE erfolglos uraufgeführt. In Mailand aber setzte sich der Star Maria Malibran für das originale Werk ein. Doch auch diese Uraufführung stand unter einem schlechten Stern. Wegen einer Erkrankung der Starsopranistin wurde die Uraufführung um zwei Tage verschoben, doch genesen waren weder die Malibran noch die Sängerin der Elisabeth. Es muss desaströs geklungen haben. Danach wollte Donizetti nie wieder etwas mit der Scala zu tun haben. Es folgten einige Aufführungen an kleineren Theatern, meist in einer „gereinigten“ Form, das heisst die vulgären Ausbrüche der beiden Königinnen im Mittelteil wurden abgeschwächt oder eliminiert. Danach verschwanden MARIA STUARDA wie auch BUONDELMONTE in der Versenkung. 1958 gab es dann wieder eine Aufführung in Donizettis Heimatstadt Bergamo, es folgten San Francisco 1971 (mit Joan Sutherland) und die New York City Opera 1972 (mit Beverley Sills). Doch erst als Mitte der 1980er Jahre in Schweden die Originalpartitur auftachte und daraus eine kritische Neuausgabe in Druck ging, setzte sich MARIA STUARDA im Kernrepertoire durch.

Die auch bei Schillers Drama - welches als Vorlage für das Libretto diente - vorkommende Begegnung der beiden Königinnen, die historisch gesehen nie stattgefunden hatte, entwickelt sich bei Donizetti zu einem veritablen Showstopper und Höhepunkt der Oper. Donizetti hatte die beiden Rollen für Soprane geschrieben, genauso wie Bellini seine NORMA, da damals die Differenzierung Sopran versus Mezzosopran nicht wirklich existierte. Heutzutage wird oft die eine oder andere der beiden Königinnen von einer dunkler (Mezzosopran) timbrierten Stimme gesungen. So sang z.B. Dame Janet Baker die Maria (Mezzosopranistin), aber auch Koloratursopranistinnen wie Joan Sutherland, Edita Gruberova und Mariella Devia feierten als Maria Stuarda Triumphe.

Die dramatischen Geschehnisse rund um das Schicksal von Mary, Queen of Scots kann man in über 20'000 Büchern nachlesen (bekannt ist die Biografie von Stefan Zweig), wurde unzählige Male verfilmt (grandios mit Vanessa Redgrave und Glenda Jackson, 1971) und hielt Einzug in TV Serien (REIGN).

Das war aber auch ein Leben dieser Maria Stuart: Im Alter von fünf Tagen (!) wurde sie Königin von Schottland, heiratete mit fünzehn den französichen Thronfolger, wurde mit sechzehn Königen von Frankreich und mit siebzehn Witwe. Wegen Streitigkeiten mit der Königinmutter Katharina von Medici kehrte sie nach Schottland zurück, amtete dort während weiterer sechs Jahre (eher erfolglos) als Königin, heiratete einen moralisch ziemlich verdorbenen Mann (Lord Darnley, ein Stuart), war ziemlich sicher an dessen Ermordung durch Henry Bothwell indirekt beteiligt. Zur allgemeinen Empörung (sie musste abdanken) heiratete sie dann eben diesen Bothwell. Sie flüchtete nach England, erhob Anspruch auf den englischen Thron, was ihr von Elisabeth I. schwer angelastet wurde und zu ihrer 19 Jahre dauernden Gefangenschaft (aber immer in königlichen Schlössern) und schliesslich -  wie in Donizettis Oper erzählt - zu ihrer Hinrichtung führte. Ihr Sohn aus der Ehe mit Darnley, Jakob I., aber wurde nach Elisabeths Tod König von England.

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