Zürich: LUISA MILLER, 16.12.2014 (WA)
Oper in drei Akten | Musik: Giuseppe Verdi | Text: Salvatore Cammarano, nach Schillers Kabale und Liebe | Uraufführung: 8. Dezember 1849 in Neapel | Aufführungen in Zürich: 19.12. | 19.12. | 21.12. | 27.12. | 30.12.2014 | 2.1.2015
Kritik:
Verdis LUISA MILLER stellt zwar noch ein Werk aus seiner von ihm selbst als „Galeerenjahre“ bezeichneten Schaffensperiode dar, doch weist das Werk neben einigen konventionell geratenen Passagen (Chorszenen) auch schon deutlich auf die reiferen Kompositionen mit genauer psychologischer Durchdringung der Charaktere hin, wie sie seine mittleren und späteren Meisterwerke auszeichnen. Bereits an vielen Stellen bricht Verdi auch mit den Konventionen und findet zu überraschend eindringlichen Momenten, als Beispiel sei das nun in Zürich so herrlich rein gesungene a cappella Quartett im zweiten Akt erwähnt. Das Werk erscheint erfreulicherweise immer öfter auf den Spielplänen (so hat z.B. der Zürcher Intendant Andreas Homoki diese Oper kürzlich in Hamburg neu inszeniert). Hier in Zürich nun wurde die gelungene Inszenierung von Damiano Michieletto aus dem Jahr 2009 wieder aufgenommen. Von der damaligen Besetzung kehrt Leo Nucci als Miller ans Opernhaus Zürich zurück. Alle anderen Partien und der Dirigent sind neu besetzt.
Leo Nuccis Jahrgang ist kein Geheimnis, er wurde im April 72 Jahre alt. Mit seiner herausragenden Stimmtechnik, seiner klugen Disposition der Kräfte und seiner immensen Stilsicherheit ist und bleibt er ein Phänomen. Die Vaterrollen scheinen ihm von Verdi auf den Leib und die Stimmbänder geschrieben worden zu sein, so auch der Miller. Seine grosse Arie im ersten Akt Sacra la scelta und die anschiessende Cabaletta Ah fu giusto il mio sospetto geriet zu einem veritablen Showstopper und riss das Publikum zu einem Beifallssturm hin. Sicher, die plakative Art des Singens mag nicht jedermanns Sache sein, doch beeindruckend sind der grosse Atem und die imposante Kraft allemal. In der Titelrolle durfte man in Zürich endlich wieder einmal Elena Mosuc erleben, welche in der Vergangenheit oft zusammen mit Nucci für vokale Sternstunden (z.B. in RIGOLETTO) gesorgt hatte. Frau Mosuc wurde dem etwas schwankenden Vokalstil, den Verdi für die Lusia komponiert hatte, gerecht. Der erste Auftritt schien noch etwas verhalten auszufallen (ist ja auch verständlich, wenn ein stimmstarker Chor ein junges Mädchen mit feierlichen Gesängen aus dem Schlaf rüttelt und zudem Carlo Rizzi am Pult der Philharmonia Zürich ein der Sängerin nicht ganz genehmes Tempo vorgibt), doch Elena Mosuc fand schnell in die Rolle und die Inszenierung hinein, begeisterte im zweiten Akt mit einer intensiven Auseinandersetzung mit Wurm und einer blitzsauberen Kadenz und der dritte Akt gehörte dann ganz ihrer berührenden Gestaltung der Seelenqualen der jungen Frau. Aufgerieben von Intrigen, vom Vater unter anormalen Druck gesetzt, vom Geliebten vergiftet, sang sie die Preghiera, das bewegende Duett mit Rodolfo und schliesslich das wunderbar ergreifende Terzetto finale. Diese Wiederaufnahme wartete aber auch mit bemerkenswerten Haus- und Rollendebüts auf: Vitalij Kowaljow ist zwar in der Schweiz kein Unbekannter (er sang schon in Biel und in St.Gallen), doch war dies sein erster Auftritt am Opernhaus Zürich. Sein Conte Walter begeisterte mit differenzierter Gestaltung, sonorer Schwärze und phänomenaler Tiefe. Sein Sohn wurde von Ivan Magri gesungen, der an diesem Abend ebenfalls in Zürich debütierte. Mit seinem hellen und strahlkräftigen Tenor, grossem Atem und sauberen Bögen verlieh er dem Rodolfo glaubhaft die aufbegehrende, widerspenstige Kraft des eifersüchtig und ungeschickt agierenden Jünglings. Fantastische Rollendebüts gab es von Judith Schmid (Federica), dem neuen Ensemblemitglied Wenwei Zhang (Wurm), Hamida Kristoffersen (Laura) und Spencer Lang (ein Bauer) zu bewundern. Judith Schmid begeisterte mit ihrem satt und luxuriös-erotisch tönenden Mezzosopran als Herzogin Federica – und einmal mehr bedauerte man, dass Verdi der seconda donna nicht wenigstens eine Arie zugestanden hatte. Wenwei Zhang war ein Wurm von bedrohlich-serviler Präsenz, herrlich kernig und souverän im Stimmklang. Aufhorchen liessen auch Hamid Kristofferson mit ihrem interessant timbrierten Mezzosopran und der junge Spencer Lang als Bauer.
Die Philharmonia Zürich spielte Verdis stellenweise sehr inspiriert orchestrierte Partitur mit einer reichen Palette an präzise herausgearbeiteten Klangfarben. Im Vorspiel wussten die einzelnen Instrumentengruppen mit der geschliffenen Gestaltung des Motivs des Unentrinnbaren zu beeindrucken.
Michielettos Inszenierung im assoziativ gehaltenen Bühnenbild von Paolo Fantin ist nach wie vor stimmungsvoll, intelligent die Charaktere aufspürend und am Ende mit den die Bühne vereinnahmenden Projektionen der sich auflösenden Gifttropfen geradezu genial! (siehe auch Besprechung der Premiere von 2010)
Werk:
Nicht weniger als vier von Verdis insgesamt 28 Bühnenwerken basieren auf Vorlagen Friedrich Schillers (GIOVANNA D'ARCO [Die Jungfrau von Orléans], I MASNADIERI [Die Räuber], LUISA MILLER [Kabale und Liebe] und DON CARLOS). Zwar gehört LUISA MILLER noch zu Verdis Galeerenjahren, d. h. seinen Frühwerken, als er auf Auftragskompositionen angewiesen war. Doch stellt diese Oper in mancherlei Hinsicht einen aufschlussreichen Wendepunkt in Verdis Gesamtwerk und seiner Reifung als Opernkomponist dar:
Die Ouvertüre ist nicht als Potpourri von eingängigen Melodien aus der Oper angelegt, sondern Verdi verarbeitet darin gekonnt das die Handlung prägende Intrigenmotiv.
Das a cappella Quartett im 2. Akt stellte in der italienischen Oper der damaligen Zeit etwas ganz Aussergewöhnliches dar.
Um dem ersten Akt das notwendige dramatische Gewicht zu verleihen, schliesst dieser entgegen der Konvention ohne Cabaletta und Stretta.
Verdi wendet sich mit LUISA MILLER ab von den grossen historischen Themen und widmet sich erfolgreich seinen Stärken, der psychologisch fundierten Durchdringung seiner Charaktere mit Hilfe seiner unerschöpflichen musikalischen Eingebungskraft.
Rezitative, Ariosi, Arien und Ensembles verschmelzen zu einer dramaturgisch motivierten Einheit, zu einem Vorwärtsdrängen der Handlung, hin zu einem Finale von äusserst angespannter Dramatik.
Leider musste Verdi auf die Gegebenheiten am Teatro San Carlo in Neapel Rücksicht nehmen und die Partien auf die Möglichkeiten der Sängerinnen und Sängern ausrichten. So erhielt Wurm keine eigene Arie, in welcher er seine Psyche offenbaren könnte. Ebensowenig ist die Partie der Federica als Gegenspielerin Luisas ausgearbeitet. Erst mit dem TROVATORE (Leonora-Azzucena) und erst recht in den Meisterwerken DON CARLO (Elisabetta-Eboli) und AIDA (Aida-Amneris) gelang es ihm, zwei rivalisierende Frauengestalten auf eine musikalisch gleichwertige Ebene zu heben.
Inhalt:
Die bürgerliche Luisa Miller ist in den Sohn des Grafen Walter, Rodolfo (bei Schiller Ferdinand), verliebt. Luisa wird ebenfalls vom alten Wurm, dem Sekretär des Grafen Walter, begehrt. Vater Miller misstraut beiden. Graf Walter möchte seinen Sohn mit der Herzogin Federica verehelichen (bei Schiller Lady Milford). Rodolfo schwört Luisa ewige Treue, sein Vater hingegen beschimpft Luisa als Bauernschlampe, worauf er von Vater Miller angegriffen wird. Miller wird daraufhin gefangen genommen. Rodolfo droht seinem Vater, das Geheimnis seines Reichtums öffentlich zu machen.
Um das Leben ihres Vaters zu retten, gibt Luisa dem Drängen des Intriganten Wurm nach. Die Erpressung scheint geglückt, doch Wurm und der Graf können sich nicht in Sicherheit wiegen, solange Rodolfo das Geheimnis (einen vom Grafen und Wurm gemeinsam begangenen Mord) kennt. Rodolfo verzweifelt über Luisas vermeintliche Untreue. Er fordert Wurm zum Duell, doch Wurm entzieht sich dem Zweikampf durch einen Schuss in die Luft. Graf Walter rät seinem Sohn, Federica zu heiraten und sich dadurch an Luisa zu rächen.
Luisa schreibt an Rodolfo und enthüllt in ihrem Brief Wurms Intrigen. Der soeben aus dem Kerker entlassene Miller kann seine Tochter vom Selbstmord abhalten und schmiedet gemeinsam mit Ihr Zukunftspläne an einem andern Ort. Rodolfo kommt hinzu und giesst unbemerkt Gift in einen Becher, von dem beide dann trinken. Im Sterben enthüllt ihm Luisa die Wahrheit. Als Wurm und der Graf erscheinen, ersticht Rodolfo mit letzter Kraft Wurm und verflucht seinen Vater.
Musikalische Höhepunkte:
T'amo d'amor ch'esprimere, Luisa, Laura, Rodolfo, Miller, Chor, Akt I
Fra i mortali...I cenni miei, Finale Akt I
Tu puniscimi, o Signore, Arie der Luisa, Akt II
Che alimento sol per esso, Quartett, Akt II
Quando le sere al placido, Arie des Rodolfo, Akt II
Andrem, raminghi e poveri, Duett Miller-Luisa, Akt III
Piangi, piangi..Ah! L'última preghiera, Duett Luisa-Rodolfo, Akt III
Padre, ricevi l'estremo addio, Finale Akt III