Zürich: LUISA MILLER, 15.04.2018
Oper in drei Akten | Musik: Giuseppe Verdi | Text: Salvatore Cammarano, nach Schillers Kabale und Liebe | Uraufführung: 8. Dezember 1849 in Neapel | Aufführungen in Zürich: 15.4. | 21.4. | 24.4. | 27.4. | 29.4.2018
Kurzkritik:
Die ausverkaufte Volksvorstellung gestern Nachmittag im Opernhaus Zürich war ein engagiertes Plädoyer für Verdis LUISA MILLER, ein Werk, das vom Namen her zwar die meisten Opernfreunde kennen, das aber insgesamt (zu Unrecht) immer noch zu selten auf den Spielplänen auftaucht. Damiano Michielettos Inszenierung im ausgeklügelt stimmigen Bühnenbild von Paolo Fantin und mit den herrlichen Kostümen von Carla Teti vermag auch acht Jahre nach der Premiere erneut zu überzeugen. Dabei legt Michieletto in seinem Blick auf das Stück den Schwerpunkt auf die Vater-Kind Beziehungen, dominierende Väter, die eigentlich nur das beste für ihre Kinder wollen, sie aber im Erwachsenenalter nicht loslassen können und somit grosse Schuld für den tragischen Ausgang des Stücks auf sich laden. Lauren Felix (Luisa als Kind) und David Ragazzi (Rodolfo als Kind) verkörpern diese stummen Rollen hervorragend. Während Michieletto in der Personenführung also die psychischen Dimensionen der Familienbeziehungen auslotet, spielt Paolo Fantin in seinem Bühnenbild mit den spannenden Spiegelungen auf die Standesunterschiede zwischen dem einfachen Soldaten a.D. Miller und dem reichen und mächtigen Conte di Walter an. Carla Teti wiederum zeigt in den Kostümen, die vom Rokoko der Entstehungszeit von Schillers Drama bis zum frühen 20. Jh. (für den Chor) reichen, die Allgemeingültigkeit des Konflikts zwischen Vätern und Kindern auf – eine exemplarisch geglückte Zusammenarbeit zwischen den Sparten Bühne, Kostüm und Regie. Dazu kommen noch die symbolhaften beiden Videoprojektionen von Timo Schlüssel bei der Aufdeckung des Verbrechens in der unrühmlichen Vergangenheit von Walter und Wurm (beängstigendes Irren durch den Wald) und in der Vergiftungsszene mit den blauen, sich beinahe poetisch schön ausbreitenden Tropfen. Ja, das war mal wieder eine kluge Inszenierung, wie man sie sich des öfteren wünscht, wo man nicht einfach drei Stunden lang auf schmucklose holzgetäfelte oder Betonwände starren musste.
Auch musikalisch steht diese Wiederaufnahme unter einem ausgezeichneten Stern. Riccardo Frizza am Pult der Philharmonia Zürich lässt dem Sturm und Drang des frühen Verdi kontrollierten, rhythmisch präzisen Lauf, im Orchester blitzen wunderbare Kantilenen vor allem der Klarinette und der Celli auf, da ist alles da, von den ganz fein gemalten, farbig orchestrierten Passagen zu den wuchtig-dramatischen Akzenten. Wunderbar gestaltet Frizza die Ouvertüre, kostet das intensiv vorwärtsdrängende Motiv grossartig aus. Der von Janko Kostelic einstudierte Chor der Oper Zürich gestaltet seine Auftritte mit fantastisch schöner und runder Tongebung. Nino Machaidze singt eine sehr einnehmende, anrührende Luisa (die georgische Sopranistin debütiert mit dieser Partie in Zürich). Ihr dunkel gefärbter Sopran verfügt über die intensiven Piani, mit denen sie ihre zwiespältigen Gefühle ausdrücken kann. Sie hat das erforderliche Volumen für die Steigerungen. Einzig in der Höhe und bei gewissen Koloraturen klingt sie etwas metallisch und es zeigen sich leichte Verhärtungen des Klangs. Insgesamt jedoch eine ausgezeichnete Interpretin dieser Rolle. Matthew Polenzanis robuster, heller Tenor scheint über unermessliche Kräfte zu verfügen, der Sänger weiss jedoch, sein Volumen im richtigen Moment zurückzuschrauben, er gestaltet selbst die schwierige Arie Quando le sere, al placido mit bestechendem Schmelz und biegsamer Stimme, wunderbar phrasierend und die Kantilenen einfühlsam auskostend. Sein Papa, il Conte di Walter, wird von Mika Kares mit einem in der Mittellage herrlich sonor strömendem Bass gesungen. In der Höhe klingt seine Stimme ab und an etwas angeraut, nicht ganz frei. Herausragend singt Wenwei Zhang den Wurm: Verdi hat ihm zwar keine eigene Arie zugedacht, doch ist der Bösewicht eigentlich dauerpräsent in den meisten Szenen, mischt sich selbst in Arien ein (sehr ungewöhnlich und fortschrittlich konzipiert vom jungen Verdi). Zhang gestaltet die servil-schleimige Rolle darstellerisch und mit seiner ungemein klaren, profunden Bassstimme mit markanter Präsenz. Judith Schmid verleiht der Duchessa Federica mit ihrem satten Mezzosopran Profil, vermag mit der evozierten Melancholie auf die Vergangenheit zu überzeugen, aber auch mit ihrem energisch intonierten Besitzanspruch auf Rodolfo. Das a cappella geschriebene Concertato Wurm-Walter-Federica-Luisa gerät zu einem veritablen Showstopper, hochklassig gesungen von allen Beteiligten. Soyoung Lee lässt als warmstimmige Laura aufhorchen und Dmytro Kalmuchyn singt seinen kurzen Auftritt als Bauer mit Verve.
Und dann ist da natürlich noch der Star des Abends, der Grandseigneur unter den Baritonen, das Urgestein des Verdi Interpreten: Leo Nucci als Vater Miller. Seit über 40 Jahren dominiert er die internationalen Bühnen als Rigoletto, Germont, Nabucco, Macbeth und eben als Miller. Die Stimme sitzt an diesem Nachmittag hervorragend, seine Interpretation ist wahrlich zum Niederknien, da ist auch eine mimische Präsenz, eine Intensität der Gesangslinie und ein Eingehen auf die PartnerInnen da, ein Verschmelzen in und ein Aufgehen mit der Rolle. Grandios. Die Caballetta seiner ersten Arie löst Begeisterungsstürme aus, da ist nichts von dem Anschleifen und gelegentlichen Bellen der Töne hörbar, die auch ich in früheren Kritiken moniert habe. Leo Nucci scheint die Partie des Miller (wie auch des Rigoletto) von Verdi auf den Leib geschrieben zu sein.
Verdiente standing ovations am Ende!
Werk:
Nicht weniger als vier von Verdis insgesamt 28 Bühnenwerken basieren auf Vorlagen Friedrich Schillers (GIOVANNA D'ARCO [Die Jungfrau von Orléans], I MASNADIERI [Die Räuber], LUISA MILLER [Kabale und Liebe] und DON CARLOS). Zwar gehört LUISA MILLER noch zu Verdis Galeerenjahren, d. h. seinen Frühwerken, als er auf Auftragskompositionen angewiesen war. Doch stellt diese Oper in mancherlei Hinsicht einen aufschlussreichen Wendepunkt in Verdis Gesamtwerk und seiner Reifung als Opernkomponist dar:
Die Ouvertüre ist nicht als Potpourri von eingängigen Melodien aus der Oper angelegt, sondern Verdi verarbeitet darin gekonnt das die Handlung prägende Intrigenmotiv.
Das a cappella Quartett im 2. Akt stellte in der italienischen Oper der damaligen Zeit etwas ganz Aussergewöhnliches dar.
Um dem ersten Akt das notwendige dramatische Gewicht zu verleihen, schliesst dieser entgegen der Konvention ohne Cabaletta und Stretta.
Verdi wendet sich mit LUISA MILLER ab von den grossen historischen Themen und widmet sich erfolgreich seinen Stärken, der psychologisch fundierten Durchdringung seiner Charaktere mit Hilfe seiner unerschöpflichen musikalischen Eingebungskraft.
Rezitative, Ariosi, Arien und Ensembles verschmelzen zu einer dramaturgisch motivierten Einheit, zu einem Vorwärtsdrängen der Handlung, hin zu einem Finale von äusserst angespannter Dramatik.
Leider musste Verdi auf die Gegebenheiten am Teatro San Carlo in Neapel Rücksicht nehmen und die Partien auf die Möglichkeiten der Sängerinnen und Sängern ausrichten. So erhielt Wurm keine eigene Arie, in welcher er seine Psyche offenbaren könnte. Ebensowenig ist die Partie der Federica als Gegenspielerin Luisas ausgearbeitet. Erst mit dem TROVATORE (Leonora-Azzucena) und erst recht in den Meisterwerken DON CARLO (Elisabetta-Eboli) und AIDA (Aida-Amneris) gelang es ihm, zwei rivalisierende Frauengestalten auf eine musikalisch gleichwertige Ebene zu heben.
Inhalt:
Die bürgerliche Luisa Miller ist in den Sohn des Grafen Walter, Rodolfo (bei Schiller Ferdinand), verliebt. Luisa wird ebenfalls vom alten Wurm, dem Sekretär des Grafen Walter, begehrt. Vater Miller misstraut beiden. Graf Walter möchte seinen Sohn mit der Herzogin Federica verehelichen (bei Schiller Lady Milford). Rodolfo schwört Luisa ewige Treue, sein Vater hingegen beschimpft Luisa als Bauernschlampe, worauf er von Vater Miller angegriffen wird. Miller wird daraufhin gefangen genommen. Rodolfo droht seinem Vater, das Geheimnis seines Reichtums öffentlich zu machen.
Um das Leben ihres Vaters zu retten, gibt Luisa dem Drängen des Intriganten Wurm nach. Die Erpressung scheint geglückt, doch Wurm und der Graf können sich nicht in Sicherheit wiegen, solange Rodolfo das Geheimnis (einen vom Grafen und Wurm gemeinsam begangenen Mord) kennt. Rodolfo verzweifelt über Luisas vermeintliche Untreue. Er fordert Wurm zum Duell, doch Wurm entzieht sich dem Zweikampf durch einen Schuss in die Luft. Graf Walter rät seinem Sohn, Federica zu heiraten und sich dadurch an Luisa zu rächen.
Luisa schreibt an Rodolfo und enthüllt in ihrem Brief Wurms Intrigen. Der soeben aus dem Kerker entlassene Miller kann seine Tochter vom Selbstmord abhalten und schmiedet gemeinsam mit Ihr Zukunftspläne an einem andern Ort. Rodolfo kommt hinzu und giesst unbemerkt Gift in einen Becher, von dem beide dann trinken. Im Sterben enthüllt ihm Luisa die Wahrheit. Als Wurm und der Graf erscheinen, ersticht Rodolfo mit letzter Kraft Wurm und verflucht seinen Vater.
Musikalische Höhepunkte:
T'amo d'amor ch'esprimere, Luisa, Laura, Rodolfo, Miller, Chor, Akt I
Fra i mortali...I cenni miei, Finale Akt I
Tu puniscimi, o Signore, Arie der Luisa, Akt II
Che alimento sol per esso, Quartett, Akt II
Quando le sere al placido, Arie des Rodolfo, Akt II
Andrem, raminghi e poveri, Duett Miller-Luisa, Akt III
Piangi, piangi..Ah! L'última preghiera, Duett Luisa-Rodolfo, Akt III
Padre, ricevi l'estremo addio, Finale Akt III