Zürich: JENUFA, 23.09.2012 & 30.11.2013
Oper in drei Akten | Musik: Leoš Janáček | Libretto: vom Komponisten, nach Gabriela Preissová | Uraufführung: 21. Januar 1904 in Brünn | Aufführungen in Zürich: 23.9. | 26.9. | 30.9. | 4.10. | 7.10. | 16.10 | 20.10. | 24.10 | 28.10. | 31.10.2012 Wiederaufnahme 2013: 30.11. | 4.12. | 7.12.2013
Kurzbesprechung der Wiederaufnahme 2013:
Es war wahrlich ein Paukenschlag, mit welchem Andreas Homoki seine Intendanz vor etwas über einem Jahr eröffnete: Janáčeks JENUFA in der von Anfang bis zum unter die Haut gehenden Schluss ungemein fesselnden und bewegenden Inszenierung von Dmitri Tcherniakov. Die Intensität der Produktion ist zum Glück erhalten geblieben, ja bei der zweiten Begegnung scheint sie sich noch gesteigert zu haben. Zum Glück sind praktisch alle Rollen immer noch mit den an der Premiere beteiligten SängerInnen besetzt, mit Ausnahme des Steva, der nun von Pavel Cernoch übernommen wurde. Auch er (wie Pavol Breslik vor einem Jahr) ein blendend aussehender und überaus agiler und grossartiger Darsteller dieses feigen, machohaften Schönlings, dem die Rolle auch stimmlich bestens liegt. Michaela Mertens als Küsterin liess sich zwar als leicht indisponiert ansagen, doch davon war nichts zu hören. Ihre Porträtierung dieser äusserlich harten, aber im Innern tief verletzlichen und verletzten Frau gehört zum Packendsten, was man wohl derzeit auf Opernbühnen erleben darf. Ebenso ergreifend Kristine Opolais in der Titelrolle: Die fast blinde, jungmädchenhafte Verliebtheit in Steva, die aufkeimende Eifersucht, die Mutterliebe und das Reifen zur Frau, zum neuen Familienoberhaupt gestaltete sie mit ihrem differenziert geführten Sopran und intensivem Spiel mit bewegender Eindringlichkeit. Hanna Schwarz begeisterte wiederum mit einer überwältigenden Darstellung der alten Buryja. Welch eine (unheimliche!) stimmliche und darstellerische Bühnenpräsenz, betörend ihr Anführen des concertatos im ersten Akt. Christopher Ventris wiederholte seine eindringliche Gestaltung des aufbrausenden, aber gutherzigen Laca mit durchschlagskräftigem, aber angenehm biegsamem Tenor. Die Nebenrollen wurden durch Irène Friedli (Frau des Dorfrichters), Ivana Rusko (Karolka), Susanne Grossteiner (Jana), Hannah Bradbury (Barena), Cheyne Davidson (Altgesell) und Pavel Daniluk (Dorfrichter) wiederum mit feinem Gespür für die Charaktere gezeichnet.
Neu am Pult der farbenprächtig und schillernd aufspielenden Philharmonia Zürich stand nun Patrick Lange: Sein Dirigat war pure Freude, die herrliche Musik Janáčeks, welche so gekonnt grelle Farben und Sensibilität mischt, klang unter seiner Leitung sehr veristisch, vorwärtsdrängend und expressiv, ja geradezu nach dieser Musiksprache süchtig machend.
Fazit: Wer es noch nicht gesehen hat - hingehen, wer es schon mal gesehen hat - nochmals hingehen!
Kritik:
Stumm und wie eingefroren stehen sie zu Beginn der Oper JENUFA da, schauen sich nicht an, haben sich nichts zu sagen, die drei Frauen aus drei Generationen, welche in einem zwar schicken, aber kalten Haus unter einem Dach zusammen leben (müssen). Am Ende der Oper sitzen sich sich gegenüber und nun werden sie sich aussprechen, werden das Vorgefallene verarbeiten müssen. Die Männer spielen eine untergeordnete, ja schwache Rolle in diesem Drama, dieser Familientragödie und werden deshalb am Ende von Jenufa ausgeschlossen. Es sind solche überaus eindringliche und starke Bilder, welche Regisseur Dmitri Tcherniakov findet. Dabei entwickelt er das Drama ganz aus den Figuren heraus, zeichnet ungemein sensibel und mit grosser Empathie Menschen mit all ihren Stärken und Schwächen und nicht bloss schwarz-weisse Charaktere. Dank der intensiven, präzisen und mit subtilen Details angereicherten und einfühlsamen Personenführung spielt sich ein hoch spannender Psychothriller vor unseren Augen ab. Manchmal übersteigen die ausgelösten Emotionen beinahe das Mass des Erträglichen. Tcherniakov zeichnet auch für das grandiose Bühnenbild verantwortlich, ein dreigeschossiges Haus, welches sich wie ein Paternoster in der Vertikalen bewegen lässt. (In die aufwändige, faszinierende Technik, welche für dieses Bühnenbild notwendig ist, gibt das neue Opernhausmagazin informative Einblicke.) Tcherniakov hat das Geschehen aus dem mährischen Bauerndorf in unsere Zeit geholt und damit bewiesen, dass grosse Kunst eben zeitlos ist. Denn die Handlung und die implizierten Aussagen und Konflikte funktionieren mit dem Heranrücken an unsern Erlebnishorizont eigentlich entschieden eindringlicher als durch eine quasi museale Brille. Die Natur ist ausgeschlossen worden aus dieser gefühlsarmen Welt, nicht einmal Bilder hängen an den Wänden, keine Bücher, keine Nippes. Alles ist gestylt, jedoch unpersönlich und kalt. Einzig die herausragende Dramaturgie der Kostüme (Elena Zaytseva) tönt die Jahreszeiten an. Und natürlich die Musik Janáčeks, welche von der Philharmonia Zürich (der neue Name des Orchesters kommt vorerst noch schwer über die Lippen und auf die Tastatur) mit grandioser Farbigkeit und bezwingendem Klang interpretiert wird. Generalmusikdirektor Fabio Luisi gelingt ein wunderbar transparentes und erzählendes Klangbild. Es ist nicht nur der Janáček der Ecken und Kanten, der Ruppigkeit und Kleingliedrigkeit zu hören, sondern eben auch der eigenwillige Klangmagier, welcher durchaus zu kantablen, herrlich aufblühenden lyrischen Aufschwüngen griff. Wunderschön zum Beispiel das berührende Violinsolo im zweiten Akt.
Damit der Funke des Dramas zündet, braucht es natürlich herausragende SängerInnen und DarstellerInnen. Und die stehen für diese Produktion wahrlich zur Verfügung: Kristine Opolais zeigt eindringlich die Entwicklung Jenufas von der unbeschwerten, lebenslustigen zur gereiften jungen Frau und schafft die Verbindung von exemplarischem, ausdrucksstarkem Gesang mit restlos überzeugender und natürlich wirkender Kunst der Darstellung. So etwa, wenn sie am Ende ihre still leidende und äusserlich versöhnend und verzeihend scheinende Haltung ablegt und mit dem Schlag ins Gesicht der Küsterin zeigt, welcher Art die Emotionen sind, die sich in ihr aufgestaut haben. Bei Michaela Martens ist diese Küsterin nicht einfach eine sittenstrenge Despotin. Mit immenser Sensibilität und gewaltigen, subtil eingesetzten stimmlichen Ressourcen zeichnet sie das Porträt einer Frau, welche in ihrem Leben viele Verletzungen erfahren musste und verzweifelt versucht, ihre Ziehtochter vor ähnlich schrecklichen Erfahrungen zu bewahren. Intelligent aufgewertet hat der Regisseur die Rolle der Grossmutter, der alten Buryja: Hanna Schwarz gestaltet die an Altersdemenz leidende Grossmutter Buryja mit unvergleichlicher Authentizität und fantastischer stimmlicher Präsenz. Hier hat sich Tcherniakov auch einen kleinen, aber sehr klugen und sinnigen Eingriff ins Libretto erlaubt. Denn nicht die Küsterin begeht den Mord an Jenufas Baby (sie versteckt es bloss auf dem Estrich), sondern die Grossmutter stösst bei ihren verwirrten Streifzügen durch das Haus auf das Kind und kippt es (mit Absicht oder aus Versehen) aus dem Dachfenster. Die beiden Enkel der Buryja könnten unterschiedlicher nicht sein: Pavel Breslik ist der blendend aussehende, leichtlebige Steva, der am Ende schmerzlich erfahren muss, dass gutes Aussehen und Designerklamotten alleine eben auch nicht für ein erfülltes Leben ausreichen. Sein lyrischer, wunderbar ebenmässig timbrierter Tenor ist dazu ebenso ideal besetzt wie der strahlkräftige Heldentenor von Christopher Ventris: Sein Laca ist bodenständiger, aber auch reizbarer. Er reift zwar zum einfühlsamen Mann - und doch wird dies nach allem Vorgefallenen nicht für eine tragfähige Beziehung mit Jenufa ausreichen. Neben diesen zum Teil neuen SängerInnen am Haus tragen auch bewährte Kräfte Enormes zum grossartigen Gesamteindruck des Abends bei: Irène Friedli und Pavel Daniluk als biederes Dorfrichterpaar, Ivana Rusko als deren Tochter Karolka, Susanne Grosssteiner als stolzer Teenager Jana, der den Analphabetismus überwunden hat, Cheyne Davidson als Schach spielender Altgesell und Verehrer der Grossmutter und Herdis Anna Jónasdóttir als Barena.
Das neue Team des Opernhauses Zürich unter der Führung von Andreas Homoki hat mit dieser umjubelten Eröffnungspremiere schon mal ein Versprechen eingelöst: Gezeigt wird mitreissendes, geistvolles, sinnliches Musiktheater, welches uns etwas angeht, uns etwas zu sagen hat und intensiv nachhallt.
Fazit:
SENSATIONELL, packendes Musikdrama das berührt, bewegt und künstlerisch restlos überzeugt!
Inhalt:
Vorgeschichte:
Die alte Buryja hatte zwei Söhne, welche sich beide zu Tode getrunken hatten. Einer der Söhne war mit der Küsterin verheiratet gewesen. Nach dem Tod ihres Mannes zog diese dessen Tochter aus erster Ehe, Jenufa, wie ihr eigenens Kind gross. Jenufa liebt ihren Cousin Steva. Doch Stevas leichtlebiger Lebenswandel erinnert die Küstern stark an ihren Mann. Deshalb möchte sie, dass Jenufa nicht ins Unglück rennt und sucht die Beziehung zu verhindern. Stevas Halbbruder Laca fühlt sich seit Kindestagen zu Jenufa hingezogen.
Inhalt der Oper:
Jenufa erwartet ein Kind von Steva. Eigentlich möchten die beiden heiraten, denn eine unverheiratete Mutter ist in der von Bigotterie geprägten dörflichen Enge des mährischen Dorfes undenkbar. Jenufas Stiefmutter, die Küsterin, welche von der Schwangerschaft noch nichts weiss, erlaubt jedoch keine Hochzeit. Stevas Halbbruder Laca ist ebenfalls in Jenufa verliebt. Als sie ihn zurückweist, verletzt er sie mit einem Messer im Gesicht.
Im Winter lässt sich die Schwangerschaft Jenufas nicht mehr verstecken. Deshalb hat die Küsterin ihre Stieftochter im Haus versteckt. Die Entbindung findet in aller Heimlichkeit statt. Der leichtlebige Steva hat sich von Jenufa aus verschiedenen Gründen abgewandt. Die Küsterin erreicht bei Steva auch nichts und versucht deshalb, Laca wieder ins Spiel zu bringen. Das Kind steht aber einer Verbindung zwischen den beiden im Wege. So behauptet die Küsterin denn, das Kind sei gestorben. Während Jenufa schläft, ertränkt die Küsterin das Neugeborene. Als Jenufa erwacht, behauptet die Küsterin, Jenufa habe zwei Tage im Fieber gelegen und ihr Baby sei in dieser Zeit getorben. Apathisch lässt Jenufa nun den Laca um ihre Hand anhalten.
Im Frühjahr finden die Dorfbewohner die Leiche eines Kindes unter dem tauenden Eis. Jenufa erkennt das tote Baby sofort. Die Dorfbewohner sind sich sicher, dass Jenufa ihr eigenes Kind umgebracht hat und wollen sie steinigen. Die Küsterin tritt dazwischen und bekennt sich der Schuld. Jenufa erkennt, dass die Küsterin aus Liebe zu ihr so gehandelt hat und verzeiht ihr. Zusammen mit Laca will sie eine Lebensperspektive fern der Heimat aufbauen.
Werk:
Für den tschechischen Komponisten Leoš Janáček (1854 – 1928) war das gesprochene Wort und die dazu verwendete Melodie des Sprechenden die Keimzelle seines musikdramatischen Schaffens. Durch genaues „Feldstudium“ sprechender Menschen in verschiedenen Situationen (welches er selbst mit dem Aktzeichnen in der darstellenden Kunst verglich) drang er zum musikalischen Ausdruck und dessen subtilen Nuancen vor. Zudem war er ein profunder Kenner der mährischen Volksmusik, welche er aber nicht platt für seine Werke kopierte, sondern mit differenziert gestalteten rhythmischen und melodischen Abstufungen versehen in den Duktus seiner musikalischen Sprache einbaute. Leoš Janáček kam erst relativ spät in seinem Leben zum Komponieren von Opern, zählt jedoch mit den meisten seiner insgesamt neun Werken für das Musiktheater zu den erfolgreichsten Komponisten dieses Genres im 20. Jahrhundert und war ein entscheidender, eigenwilliger Wegbereiter der Moderne. Die Motive sind zwar eher feingliedrig und wenig Raum einnehmend gehalten, die dramatischen Aufschwünge wirken in dieser Kleingliedrigkeit aber umso beeindruckender. Oft sind in seinen Werken persönliche Schicksalsschläge (früher Tod zweier Kinder, Ehekrisen) mit verarbeitet.
Nachdem über Jahrzehnte die bearbeitete Version, welche Karel Kovařovic 1916 für Prag erstellt hatte, gespielt worden war, liegt nun seit 1981 eine auf der Originalpartitur beruhende Fassung von John Tyrell und Charles Mackerras vor.