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Berlin, DOB: JENUFA, 24.04.2012

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Jenufa

Photos: Monika Rittershaus im Auftrag der DEUTSCHEN OPER BERLIN

Oper in drei Akten | Musik: Leoš Janáček | Libretto: vom Komponisten, nach Gabriela Preissová | Uraufführung: 21. Januar 1904 in Brünn | Aufführungen in Berlin: 20.4. | 24.4.2012

Kritik:

Es gibt Abende, da wird einem praktisch in der ersten Sekunde nach Erlöschen der Lichter bewusst, weshalb man in die Oper geht, ja gehen muss. Die Produktion der JENUFA an der Deutschen Oper Berlin ist zweifelsohne ein solcher Abend. Hier spielt sie, die perfekte Symbiose von Gefühl und Erkenntnis, von klug in Szene gesetztem Drama und packender Musik.

Regisseur Christof Loy, dem Bühnenbildner Dirk Becker und der Kostümbildnerin Judith Weihrauch ist eine beklemmende und doch am Ende versöhnlich stimmende, ungemein konzentrierte und genau durchdachte Inszenierung gelungen, eine Inszenierung, welche nicht die folkloristisch-bigott-prüde und enge Dorfwelt in den Vordergrund stellt, sondern wie unter einer Lupe mit ergreifender Humanität die Handlungsstränge und Schicksale der Protagonisten betrachtet und verständlich macht. Dazu greift der Regisseur zum Mittel der Rückblende: Noch bevor das kurze Vorspiel einsetzt, sehen wir die Küsterin in ihrer schmerzhaft grell-weissen, kalten Gefängniszelle, eingerahmt von einem schwarzen Rahmen. Hier erinnert sie sich an das tragische Geschehen, versucht zu ergründen, was geschehen ist. Ihre Auftritte im Werk selber finden wie von ausserhalb betrachtet statt, stets ist sie mit der Reisetasche präsent, welche sie ins Gefängnis mitgenommen hat. Die Bühnenrückwand öffnet sich ab und an zu voller Breite, doch der Naturalismus bleibt aussen vor. Die Jahreszeiten werden durch reifes Korn, Schneemassen und Schneeschmelze im Hintergrundbild angedeutet. Die Guckkastenbühne bleibt die Gefängniszelle mit schlichtem Tisch und Stuhl. Ab und an dehnt diese sich quasi zum Breitbildformat aus, fokussiert den Blick der Zuschauer jedoch stets stark auf die Interaktion der Protagonisten. Loy gelingt es, aus den Sängern Individuen aus Fleisch und Blut zu machen, sie bis in die kleinsten Rollen hinein treffend zu charakterisieren. Da ist zum Beispiel die Frau des Bürgermeisters (wie immer ganz grossartig Liane Keegan), welche als einzige für ein bisschen Humor in der tragischen Handlung sorgt. Oder der überschwänglich freudig sein Lesen lernen feiernde Jano von Hila Fahima, die herrlich überkandidelte und dann doch enttäuscht „unbemannt“ bleibende Karolka von Martina Welschenbach, die naive, gutgläubige Barena von Jana Kurucová und der resolut-besorgte Altgesell, welcher von Simon Pauly eindrücklich verkörpert wird. Als Vorsteherin der komplizierten Familienverhältnisse in der Mühle ist Hanna Schwarz als Alte Buryia zu erleben. Und es ist wahrlich ein Erlebnis, was sie aus der Rolle macht: Sie ist keine verhutzeltes, altersweises Weib, sondern eine elegante Grande-Dame mit rot gefärbten Haaren, Highheels und elegantem Kostüm. Wie sie mit einer ungeheuren Intensität das concertato (Jedes Paar muss sein Leid überwinden) anführt, ist unübertrefflich und man spürt, dass diese Dame den Allerweltsweisheiten, die sie da von sich gibt, nur schon aus eigener Erfahrung überhaupt nicht traut. Stets hält sie ein Glas in der Hand und zeigt damit ihre enge Verbundenheit mit ihrem trinkfreudigen Lieblingsenkel Steva. Joseph Kaiser stellt diesen Luftibus und Mädchenschwarm mit grosser (auch tänzerischer) Darstellungskunst dar. Sein angenehm timbrierter Tenor zeigte sich im ersten Akt in der Höhe noch etwas eng, steigerte sich jedoch im zweiten und dritten Akt und man hätte beinahe mit ihm mitleiden können, wäre Steva denn einsichtig geworden. Ganz anders sein Stiefbruder Laca, welcher zu Beginn der aggressive Bauerntölpel ist, sich jedoch traut seinen echten Gefühlen des zurückgesetzt Seins Ausdruck zu geben und im Verlauf der Oper zu einem echt liebenden, mitfühlenden jungen Mann reift. Will Hartmann macht das stimmlich und darstellerisch äusserst einnehmend und er wird damit neben Jenufa zu einem echten Sympathieträger. Bei seinen Auftritten denkt man, er sei einem Stück von Tennessee Williams entsprungen, was mit der gesamten, sehr subtilen Farb- und Stildramaturgie der Kostüme (50er Jahre des vergangenen Jahrhunderts) übereinstimmt. Im tschechischen Original trägt die Oper ja den Titel IHRE STIEFTOCHTER, welcher so beide Protagonistinnen, Jenufa und die Küsterin, beinhaltet. Dieser Titel wäre auch für die Aufführung an der Deutschen Oper Berlin angemessen, denn die Leistungen von Michaela Kaune (Jenufa) und Jennifer Larmore können nicht hoch genug gewürdigt werden. Frau Larmore war bisher eigentlich eher als Belcanto Sängerin bekannt, feierte internationale Triumphe als Rosina im Barbier von Sevilla, in Rollen von Bellini, Mozart und Händel. Sie sucht als Küsterin nicht den oberflächlichen Effekt durch Schrillheit in der Gestaltung, sondern führt ihre Stimme stets kontrolliert ohne übermässigen Druck, aber mit ungeheurer, reflektierender Intensität und psychologischer Durchdringung. Der zweite Akt gehört ganz diesen beiden grossartigen Künstlerinnen. Wie sie sich in ihrer abgeschotteten Einsamkeit beinahe schwesterlich näher kommen, die Küsterin im Gegensatz zum ersten Akt auch Berührungen zulässt, dann die beiden grossen Monologe der Küsterin und das Salve Regina der Jenufa, das sind Momente des Musiktheaters, die man sich berührender und ergreifender kaum vorstellen kann. Michaela Kaune gestaltet die Jenufa im ersten Akt mit lebensfrohem, zukunftsgerichtetem Überschwang, stimmlich opulent und farbig. Beeindruckend ist auch, wie sie die häufigen Wort- und Satzwiederholungen Janáčeks fein im Piano verklingen lassen kann, wie gedankliche Reminiszenzen. Im zweiten Akt dann das mit berückender Zartheit vorgetragene Gebet und die stille, ins Fatalistische und Resignierende drängende Trauer über ihr zerstörtes Liebes- und Mutterglück (Ich habe mir das Leben so anders vorgestellt). Im dritten Akt blüht Frau Kaunes herrliche Stimme im grossen Moment des Verständnisses und der Vergebung für die schreckliche Mordtat der Küsterin wunderbar einfühlsam auf. Das Ende bleibt offen: Jenufa erscheint zwar in schwarzer, rückwärtsgewandter Witwenkleidung zur Hochzeit (nach dem frechen roten Outfit im ersten Akt), doch nimmt sie Laca bei der Hand und schreitet mit ihm zum Bühnenhintergrund. Der allerdings ist tiefschwarz und bildet einen spannenden, rätselhaften Kontrast zu den beinahe heroischen Posaunenstösen und den süssen Streicher- und Harfenklängen, welche auch ohne die „straussisch“ polierten Retuschen von Kovařovic (gespielt wird Janáčeks Fassung von 1908, inklusive des essentiellen Monologs der Küsterin im ersten Akt) ihre erhebende Wirkung nicht verfehlen. Dafür sind Dirigent Donald Runnicles und das wunderbar differenziert und klangschön spielende Orchester der Deutschen Oper Berlin verantwortlich. Runnicles ergänzt die Singstimmen mit einer reichhaltigen, auch das Herbe der Instrumentation nicht kaschierenden Farbpalette, lässt die Musiker jedoch nie zu laut spielen, der Klang bleibt stets transparent und deckt die Stimmen nicht zu.

Einen zu Recht dankbaren und begeisterten Jubel des praktisch voll besetzten Hauses durften alle Beteiligten am Ende dieser leider schon letzten Vorstellung des Werks in dieser Spielzeit entgegennehmen.

Inhalt:

Jenufa erwartet ein Kind von Steva. Eigentlich möchten die beiden heiraten, denn eine unverheiratete Mutter ist der von Bigotterie geprägten dörflichen Enge des mährischen Dorfes undenkbar. Jenufas Stiefmutter, die Küsterin, welche von der Schwangerschaft noch nichts weiss, erlaubt jedoch keine Hochzeit. Stevas Halbbruder Laca ist ebenfalls in Jenufa verliebt. Als sie ihn zurückweist, verletzt er sie mit einem Messer im Gesicht.

Im Winter lässt sich die Schwangerschaft Jenufas nicht mehr verstecken. Deshalb hat die Küsterin ihre Stieftochter im Haus versteckt. Die Entbindung findet in aller Heimlichkeit statt. Der leichtlebige Steva hat sich von Jenufa aus verschiedenen Gründen abgewandt. Die Küsterin erreicht bei Steva auch nichts und versucht deshalb, Laca wieder ins Spiel zu bringen. Das Kind steht aber einer Verbindung zwischen den beiden im Wege. So behauptet die Küsterin denn, das Kind sei gestorben. Während Jenufa schläft, ertränkt die Küsterin das Neugeborene. Als Jenufa erwacht, behauptet die Küsterin, Jenufa habe zwei Tage im Fieber gelegen und ihr Baby sei in dieser Zeit gestorben. Apathisch lässt Jenufa nun den Laca um ihre Hand anhalten.

Im Frühjahr finden die Dorfbewohner die Leiche eines Kindes unter dem tauenden Eis. Jenufa erkennt das tote Baby sofort. Die Dorfbewohner sind sich sicher, dass Jenufa ihr eigenes Kind umgebracht hat und wollen sie steinigen. Die Küsterin tritt dazwischen und bekennt sich der Schuld. Jenufa erkennt, dass die Küsterin aus Liebe zu ihr so gehandelt hat und verzeiht ihr. Zusammen mit Laca will sie eine Lebensperspektive fern der Heimat aufbauen.

 

Werk:

Für den tschechischen Komponisten Leoš Janáček (1854 – 1928) war das gesprochene Wort und die dazu verwendete Melodie des Sprechenden die Keimzelle seines musikdramatischen Schaffens. Durch genaues „Feldstudium“ sprechender Menschen in verschiedenen Situationen (welches er selbst mit dem Aktzeichnen in der darstellenden Kunst verglich) drang er zum musikalischen Ausdruck und dessen subtilen Nuancen vor. Zudem war er ein profunder Kenner der mährischen Volksmusik, welche er aber nicht platt für seine Werke kopierte, sondern mit differenziert gestalteten rhythmischen und melodischen Abstufungen versehen in den Duktus seiner musikalischen Sprache einbaute. Leoš Janáček kam erst relativ spät in seinem Leben zum Komponieren von Opern, zählt jedoch mit den meisten seiner insgesamt neun Werken für das Musiktheater zu den erfolgreichsten Komponisten dieses Genres im 20. Jahrhundert und war ein entscheidender, eigenwilliger Wegbereiter der Moderne. Die Motive sind zwar eher feingliedrig und wenig Raum einnehmend gehalten, die dramatischen Aufschwünge wirken in dieser Kleingliedrigkeit aber umso beeindruckender. Oft sind in seinen Werken persönliche Schicksalsschläge (früher Tod zweier Kinder, Ehekrisen) mit verarbeitet.

Nachdem über Jahrzehnte die bearbeitete Version, welche Karel Kovařovic 1916 für Prag erstellt hatte, gespielt worden war, liegt nun seit 1981 eine auf der Originalpartitur beruhende Fassung von John Tyrell und Charles Mackerras vor.

Applaus (Video)

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