Stuttgart: JENUFA, 20.02.2015
Oper in drei Akten | Musik: Leoš Janáček | Libretto: vom Komponisten, nach Gabriela Preissová | Uraufführung: 21. Januar 1904 in Brünn | Aufführungen in Stuttgart: 1., 6., 17., 20.2. | 20., 24., 27.3.15
Kritik:
Aufwühlend, berührend und verstörend – diese vor allem musikalisch exemplarische Aufführung von Leoš Janáčeks Meisterwerk JENUFA geht wahrlich unter die Haut.
Aufgewühlt wurde man von den Klängen aus dem Orchestergraben, wo Sylvain Cambreling das Staatsorchester Stuttgart zu einer fantastischen Leistung führte. Rau und wild vorwärtsdrängend, dann wieder ungemein zart und subtil die ungewöhnlichen Klangfarben dieser Brünner Urfassung mischend, gelang dem Orchester unter Cambrelings Leitung eine Wiedergabe dieser Partitur, welche trotz aller Kleingliedrigkeit des motivischen Materials eine regelrechte Sogwirkung entfaltete.
Berührt und gefesselt wurde man durch die herausragenden Leistungen sämtlicher Sängerinnen und Sänger und des Staatsopernchors Stuttgart. Den Frauenschicksalen gehörte Janáčeks Hauptinteresse, den alleinerziehenden Frauen, den Frauen, die von einer glücklicheren Zukunft träumen, für sich und ihre Kinder. Und die Frauen sind in dieser Wiederaufnahme der Oper (Premiere war 2007) grandios besetzt: Angela Denoke gab eine Küsterin, die man sich intensiver kaum mehr vorstellen kann. Sie sang die schwierige Partie mit erstaunlich leicht ansprechender Stimme und differenzierter, genau auf die seelischen Empfindung abgestimmter Dynamik des Ausdrucks. Sie war mit jeder Faser ihres Körpers diese zu Beginn so verhärmt wirkende, strenge Familienvorsteherin, welche all ihre Emotionen (und auch die ihrer Umgebung) ständig zu kontrollieren schien, um dann im zweiten Akt vor, beim und nach dem Kindesmord die harte Schale auch bildlich abzulegen und die Verletzlichkeit ihrer Seele zu offenbaren. Überhaupt dieser zweite Akt, den wird man so schnell nicht vergessen. Denn nicht nur enthält er eben die zentrale Stelle des Kindesmords, sondern auch das grosse Gebet der Jenufa, welches Rebecca von Lipinski mit einer engelsgleichen Schönheit gestaltete, die zu Tränen rührte. Rebecca von Lipinski gelang es vortrefflich, die Wandlung der Figur von der nach dem Leben und sexueller Erfüllung gierenden jungen Frau zum kurzen Mutterglück und zur verzeihenden, gereiften Frau zu veranschaulichen. Ihre lupenrein und doch ausdrucksstark geführte Sopranstimme ist geradezu ideal für diese Rolle. Renate Behle hatte starke Auftritte als alte Buryja im ersten (wo sie das concertato so berührend anführte) und im dritten Akt. Die kleineren Partien für Frauenstimmen waren mit Maria Theresa Ullrich (als die sich neureich-überheblich gebende Frau des Dorfrichters), Lauryna Bendžiünaite (als aufmüpfige und widerborstige Karolka), Karin Torbjörnsdóttir (als Kaugummi kauende, leicht arrogante Schäferin), Talia Or (als zugedröhnte Barena) und Yuko Kakuta (als neugieriger, naseweiser Jano) allesamt hervorragend besetzt.
Die Männer haben es in Janáčeks Oper schwer, sich gegen diese prägenden Frauen durchzusetzen. Doch hier in dieser Stuttgarter Aufführung entwickelten sie ebenfalls erstaunlich viel Profil. Pavel Černoch (der noch vor kurzer Zeit den Steva, z.B. auch in Zürich, sang) hat nun zur bedeutenderen Rolle des Laca gewechselt und war grandios! Weich timbriert und doch mit strahlend heldischem Klang sang er den eifersüchtigen jungen Mann, machte ihn durch seine feinfühlige Interpretation (trotz des unkontrollierten Messerangriffs auf Jenufa) schon fast zu einem Sympathieträger, als er dann im zweiten Akt in die Heirat mit Jenufa einwilligt und am Ende mit ihr zusammen in ansteckender Heiterkeit in die Zukunft blickt. Seinen Testosteron gesteuerten Halbbruder gab Gergely Németi mit virilem, sehr gut fokussiertem Tenor. Michael Ebbecke war ein unter der Fuchtel seiner Frau stehender Richter und Mark Munkittrick ein gestrenger Alter.
Verstört wurde man durch Calixto Bieitos eindringliche Analyse des komplexen Beziehungsgeflechts. Da ist nichts von folkloristischem mährischem Bauernleben zu sehen. Denn der Katalane verlegte die Handlung in eine heruntergekommene Fabrikhalle, wo sich die Familie der Küsterin mit Altkleiderverwertung gerade so über die Runden bringt. Im dritten Akt dann (nach dem Zusammenbruch der Küsterin) haben Steva und Karolka den Betrieb übernommen und lassen nun im Akkord billige Kleider herstellen (Chor als Näherinnen an Nähmaschinen). Selbst die Alte Buryia wird noch als wandelnde Werbeträgerin eingesetzt. Erniedrigend. Die Personenführung ist dank der szenischen Einstudierung durch Dirk Schmeding immer noch von fantastisch präziser Drastik. Wenn man etwas kritisieren darf, dann ist es das hysterisch laute Lachen der Barena zu Beginn der Oper, welches die wichtigen Eröffnungstakte empfindlich stört. Doch ansonsten eine tief berührende Aufführung!
Inhalt:
Vorgeschichte:
Die alte Buryja hatte zwei Söhne, welche sich beide zu Tode getrunken hatten. Einer der Söhne war mit der Küsterin verheiratet gewesen. Nach dem Tod ihres Mannes zog diese dessen Tochter aus erster Ehe, Jenufa, wie ihr eigenens Kind gross. Jenufa liebt ihren Cousin Steva. Doch Stevas leichtlebiger Lebenswandel erinnert die Küstern stark an ihren Mann. Deshalb möchte sie, dass Jenufa nicht ins Unglück rennt und sucht die Beziehung zu verhindern. Stevas Halbbruder Laca fühlt sich seit Kindestagen zu Jenufa hingezogen.
Inhalt der Oper:
Jenufa erwartet ein Kind von Steva. Eigentlich möchten die beiden heiraten, denn eine unverheiratete Mutter ist in der von Bigotterie geprägten dörflichen Enge des mährischen Dorfes undenkbar. Jenufas Stiefmutter, die Küsterin, welche von der Schwangerschaft noch nichts weiss, erlaubt jedoch keine Hochzeit. Stevas Halbbruder Laca ist ebenfalls in Jenufa verliebt. Als sie ihn zurückweist, verletzt er sie mit einem Messer im Gesicht.
Im Winter lässt sich die Schwangerschaft Jenufas nicht mehr verstecken. Deshalb hat die Küsterin ihre Stieftochter im Haus versteckt. Die Entbindung findet in aller Heimlichkeit statt. Der leichtlebige Steva hat sich von Jenufa aus verschiedenen Gründen abgewandt. Die Küsterin erreicht bei Steva auch nichts und versucht deshalb, Laca wieder ins Spiel zu bringen. Das Kind steht aber einer Verbindung zwischen den beiden im Wege. So behauptet die Küsterin denn, das Kind sei gestorben. Während Jenufa schläft, ertränkt die Küsterin das Neugeborene. Als Jenufa erwacht, behauptet die Küsterin, Jenufa habe zwei Tage im Fieber gelegen und ihr Baby sei in dieser Zeit getorben. Apathisch lässt Jenufa nun den Laca um ihre Hand anhalten.
Im Frühjahr finden die Dorfbewohner die Leiche eines Kindes unter dem tauenden Eis. Jenufa erkennt das tote Baby sofort. Die Dorfbewohner sind sich sicher, dass Jenufa ihr eigenes Kind umgebracht hat und wollen sie steinigen. Die Küsterin tritt dazwischen und bekennt sich der Schuld. Jenufa erkennt, dass die Küsterin aus Liebe zu ihr so gehandelt hat und verzeiht ihr. Zusammen mit Laca will sie eine Lebensperspektive fern der Heimat aufbauen.
Werk:
Für den tschechischen Komponisten Leoš Janáček (1854 – 1928) war das gesprochene Wort und die dazu verwendete Melodie des Sprechenden die Keimzelle seines musikdramatischen Schaffens. Durch genaues „Feldstudium“ sprechender Menschen in verschiedenen Situationen (welches er selbst mit dem Aktzeichnen in der darstellenden Kunst verglich) drang er zum musikalischen Ausdruck und dessen subtilen Nuancen vor. Zudem war er ein profunder Kenner der mährischen Volksmusik, welche er aber nicht platt für seine Werke kopierte, sondern mit differenziert gestalteten rhythmischen und melodischen Abstufungen versehen in den Duktus seiner musikalischen Sprache einbaute. Leoš Janáček kam erst relativ spät in seinem Leben zum Komponieren von Opern, zählt jedoch mit den meisten seiner insgesamt neun Werken für das Musiktheater zu den erfolgreichsten Komponisten dieses Genres im 20. Jahrhundert und war ein entscheidender, eigenwilliger Wegbereiter der Moderne. Die Motive sind zwar eher feingliedrig und wenig Raum einnehmend gehalten, die dramatischen Aufschwünge wirken in dieser Kleingliedrigkeit aber umso beeindruckender. Oft sind in seinen Werken persönliche Schicksalsschläge (früher Tod zweier Kinder, Ehekrisen) mit verarbeitet.
Nachdem über Jahrzehnte die bearbeitete Version, welche Karel Kovařovic 1916 für Prag erstellt hatte, gespielt worden war, liegt nun seit 1981 eine auf der Originalpartitur beruhende Fassung von John Tyrell und Charles Mackerras vor.