Zürich: IDOMENEO, 20.02.2010
Dramma per musica in drei Akten
Musik: Wolfgang Amadeus Mozart
Libretto : Giambattista Varesco
Uraufführung: 29. Januar 1781 in München
Aufführungen in Zürich: 20.2. | 23.2. | 25.2. | 28.2. | 2.3. | 4.3. und 7.3. 2010
Kritik:
Man ist traurig und bestürzt: Nach 35-jähriger Zusammenarbeit mit dem Opernhaus Zürich soll dies nun die letzte Produktion gewesen sein, welche Nikloaus Harnoncourt hier dirigiert hat. Man ist jedoch sehr glücklich darüber, dass er dem Zürcher Publikum eine musikalisch so fulminante, mitreissende und über eine Spieldauer von drei Stunden nie an Spannung verlierende Wiedergabe des IDOMENEO, zusammen mit dem Orchester der Oper Zürich (in der Formation Orchestra „La Scintilla“), schenkt. Seine wirklich in die Tiefe gehende Lesart der Partitur, sein Aufspüren von wichtigen Nebenlinien, die Ausformung zu einem die Figuren und das Werk durchdringenden Ganzen, die Reichtümer an Farben und Transparenz, die wunderbar differenziert gestalteten Accompagnati voller Eigenleben, welche er zusammen mit dem an allen Pulten, auf der Bühne und im Off phänomenal spielenden Orchestra „La Scintilla“ erreicht, berühren, begeistern und versetzen die aufmerksamen ZuhörerInnen in erregtes Staunen. Diese Musik muss man so gehört haben – und dann begreift man (auch wenn man kein eingefleischter Mozart Fan ist), warum der IDOMENEO ein so wichtiges und gewichtiges Werk in der Opernliteratur darstellt.
Auf der Bühne hat Harnoncourt neben dem exzellenten und seine volle Kraft mühelos offenbarenden Chor der Oper Zürich ein ebenso überzeugendes Ensemble an Sängerinnen und Sängern um sich geschart. Die Titelrolle gestaltet Saimir Pirgu mit sublim eingesetzter Kraft: Grossartig zum Beispiel der erstickt klingende Beginn nach überstandener Seenot und wie er sich dann freudig-erregt steigert, als er seiner Rettung gewahr wird. Er beherrscht den sprachähnlich zerhackten Duktus der Rezitative ebenso genau wie die die schwierigen Koloraturen in seiner Bravourarie Fuor del mar . Seinem Sohn Idamante verleiht Marie-Claude Chappuis ihre wunderbare Mezzosopranstimme: Mit grossem Atem singt sie die Hosenrolle, kann vor allem mit der ausdrucksstarken, kräftigen Mittellage und den mühelos aufblühenden Höhen überzeugen. Perfekt harmoniert ihre Stimme mit derjenigen der trojanischen Königstochter Ilia: Julia Kleiter begeistert mit ihrem glockenreinen, trotz allen Volumens nie forciert klingenden und sehr nuanciert gestaltenden Sopran. Ihre Arien werden zu weiteren Höhepunkten des Abends. Man wünscht sich, diese Ausnahmekünstlerin noch oft auf der Zürcher Bühne erleben zu dürfen. Das Quartett der Protagonisten vervollständigt Eva Mei als Elektra: Sie beginnt mit einem autoritären, starken Auftritt, gestaltet ihre von Eifersucht und Rachegedanken erfüllten Rezitative bestechend, scheut zu Recht auch hässliche Töne nicht und findet in den Arien sowohl zum geforderten furor, als auch zu freudigem - vermeintlichem – Triumph. Umso mehr ist zu bedauern, dass ihre Abgangsarie D'Oreste, d'Aiace hier gestrichen und durch das Rezitativ Oh smanie … ersetzt wurde. Eva Mei hätte diese geilste (man sehe mir diesen Ausdruck nach) aller Mozartarien bestimmt bestechend gesungen. Dafür liess man im dritten Akt Arbaces endlose und nicht sehr spannende Arie Se colà ne' fati stehen, auch wenn die kleine Rolle mit Christoph Strehl natürlich luxuriös besetzt ist. Rudolf Schasching singt mit heldentenoralem Aplomb den Oberpriester und Pavel Daniluk verleiht dem nur von Blechbläsern begleiteten Rezitativ des Orakels mit seinem profunden Bass das nötige Gewicht.
Bleibt die Inszenierung: Philipp Harnoncourt und die für die Ausstattung Verantwortlichen Rolf Glittenberg (Bühne), Renate Martin und Andreas Donhauser (Kostüme) mussten sich am Schluss der Premiere neben Zustimmung auch einige kräftige Buhs anhören. Irgendwie wirkt das Ganze ein wenig unentschlossen und beliebig. Ein Altar für Poseidon links und vier mobile, griechische Säulensockel abbildende Elemente rechts bilden den Bühnenraum, in welchem nur die Licht- und Farbdramaturgie von Jürgen Hoffmann überzeugende Akzente setzt. Darin entfaltet sich der tragische Vater-Sohn Konflikt und die parallel dazu verlaufende Dreiecksgeschichte. Doch wirklich ausgelotet werden die Charaktere von der Regie her nicht. Vor allem stört, dass die tragische Figur der Elektra der Lächerlichkeit preisgegeben wird. Eva Mei spielt das selbstverliebte Mannequin mit den ständig wechselnden Kostümen, den Hutschachteln und Federhüten zwar umwerfend komisch, doch wird man so der Rolle nicht gerecht. Vor allem, da ansonsten mutige Brechungen, welche man sich durchaus für dieses Werk vorstellen könnte, fehlen. Da hat zum Beispiel Olivier Py in Aix-en-Provence stärkere Bilder evoziert. Heinz Spoerlis Choreographien überzeugen dagegen mehr: Die archaischen, kraftvollen Tänze zur Ouvertüre, das aus nackten menschlichen Gliedern bestehende Meeresungeheuer und die Auftritte des Neptun (Poseidon) gelingen überwältigend. Nur das Divertissement am Schluss des Werks enttäuscht: Zwar ist das eine wunderschön zur Musik gesetzte Choreographie, doch wie Roy Blacks Schlager aus den Sechzigerjahren „Ganz in Weiss“ belanglos und ohne jegliche Aussagekraft. Friede, Freude, Eierkuchen, man verlustiert sich an Kretas Strand mit Federballspielen. Ein Divertissement halt … vielleicht passt das ja sogar in die heutige, sich oft so oberflächlich gebende Zeit. Mir persönlich ist das nicht genug!
Fazit:
Musikalisch mitreissend, spannend und von überwältigender Kraft.
Szenisch eher flach.
Inhalt:
Die trojanische Königstochter Ilia (Tochter des Priamus) wurde als Kriegsgefangene nach Kreta verschleppt. Zwar sehnt sie sich nach ihrer Heimat, doch zugleich ist sie in heftiger Liebe zum kretischen Prinzen Idamante entbrannt.
In letzter Sekunde aus grosser Seenot gerettet, verspricht der kretische Herrscher Idomeneo dem Meeresgott Poseidon, ihm das erste Lebewesen zu opfern, welches ihm am Strand begegnen wird. Es ist sein Sohn Idamante … Idomeneo begegnet ihm kühl. Er sucht bei seinem Vertrauten Arbace Rat, um nicht zum Mörder seines Sohnes zu werden.
Die mykenische Königstochter Elektra lebt ebenfalls auf Kreta, auch sie ist in Idamante verliebt. Idamante soll Elektra nun nach Hause führen und so seinem grausigen Schicksal entkommen. Doch der wutentbrannte Meeresgott lässt sich nicht so leicht täuschen und vernichtet die auslaufende Flotte. Idomeneo bietet sich selbst als Opfer dar, um seinen Sohn zu verschonen.
Idamante zieht in den Kampf gegen das von Poseidon gesandte Meeresungeheuer. Ilia gesteht ihm ihre Liebe. Elektra und Idomeneo fordern den Prinzen erneut auf, Kreta zu verlassen. Auf Drängen des Volkes gibt Idomeneo den Namen des geforderten Opers preis: Es sei Idamante, sein eigener Sohn, welcher soeben das Ungeheuer besiegt habe.
Die Opferung wird vorbereitet. Ilia will sich vor die Klinge werfen. In diesem Augenblick verkündet das Orakel, dass Poseidons Zorn besänftigt sei, wenn Idomeneo die Krone an seinen Sohn abgebe und Ilia Königin werde.
Musikalische Höhepunkte:
Padre, germani, addio, Arie der Ilia, Akt I
Tutte nel cor vi sento, Arie der Elektra, Akt I
Se il padre perdei, Arie der Ilia, Akt II
Fuor del mar, Arie des Idomeneo, Akt II
Idol mio, se ritroso, Arie der Elektra, Akt II
Pria di partir, Terzett Idomeneo, Idamante, Elektra, Akt II
Andrò ramingo e solo, Quartett Idamante, Ilia, Elektra, Idomeneo, Akt III
D'Oreste, d'Aiace, Arie der Elektra, Akt III (in Zürich den Strichen zum Oper gefallen!)
Ballett (Chaconne) KV 367, Schluss Akt III
Werk:
IDOMENEO gehörte lange Zeit zu den wohl am häufigsten unterschätzten Werken der Opernliteratur. Erst in den letzten dreissig Jahren erfuhr das Werk dank den Bemühungen von Nikolaus Harnoncourt (und anderer Dirigenten wie Minkowski und Gardiner) seine ihm zustehende Beachtung und Wertschätzung. Ausgehend von Glucks Reformopern, den tragédies lyriques, schuf Mozart eine Symbiose dieser mit der opera seria. Der 24-jährige Meister wertete die Dreiecksgeschichte Ilia-Idamante-Elektra durch die Dramaturgie von Spannung und Entspannung, der als chiaroscuro (hell-dunkel) bezeichneten Technik, unendlich auf. Der Chor spielt in diesem Werk eine so bedeutende Rolle wie in keiner seiner anderen Opern, er ist der Auslöser für die Verlagerung der Handlungsebenen von den privaten Konflikten (Vater-Sohn, Liebe-Eifersucht-Enttäuschung) ins allgemein Politische. Grosse Kraft entfalten die Rezitative und die Ensembles, welche die Personen eindringlich charkterisieren. IDOMENEO stellt damit eine bedeutende Schnittstelle zwischen alter opera seria und einem moderneren, die Figuren psychologisch durchdringenderen Musiktheater dar.
Wenn man Mozarts IDOMENEO auf den Spielplan setzt, stellt sich unweigerlich die Frage nach der zu spielenden Fassung. Mozart selbst hatte kurz vor der Münchner Uraufführung noch Striche - wegen schlechter Sänger, aus zeitlichen oder dramaturgischen Gründen - vorgenommen, welchen zum Teil wunderbare Arien v.a. im dritten Akt zum Opfer fielen. Heute ist es üblich, diese Fassung von 1781 zu spielen, manchmal mit, manchmal ohne Ballett, manchmal mit, manchmal ohne Elektras fulminante Arie D'Oreste, d'Aiace (wird z.B. in Zürich gestrichen und durch das Rezitativ Oh smania!Oh furie! ersetzt).
Zur Ballettmusik: Seit Rameau hatte es kein Komponist mehr verstanden, das Ballett musikdramatisch so überzeugend in eine Oper einzubinden, wie es Mozart in IDOMENEO gelungen ist. Durch musikalische Motivverbindungen integrierte Mozart diese die Akte beschliessenden Tanznummern in den dramaturgischen Ablauf. Diese Balletteinlagen werden in den Zürcher Aufführungen zu hören und zu sehen sein.
Vater Leopold hatte seinen Sohn Wolfgang ermahnt, nicht nur an das musikalisch gebildete Publikum zu denken, sondern auch „populär“ zu komponieren. Sohn Wolfgang schrieb zurück: „...in meiner Oper ist Musick für aller Gattung leute;- ausgenommen für lange ohren (Esel) nicht.“ (Brief vom 16.12.1780)
Dem bleibt nichts hinzuzufügen ...