Zum Hauptinhalt springen Skip to page footer

Frankfurt am Main: IDOMENEO, 07.09.2019

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Idomeneo

copyright: Barbara Aumüller, mit freundlicher Genehmigung Oper Frankfurt

Dramma per musica in drei Akten | Musik: Wolfgang Amadeus Mozart | Libretto : Giambattista Varesco | Uraufführung: 29. Januar 1781 in München | Aufführungen in Frankfurt: 31.8. | 7.9. | 15.9. | 22.9. | 27.9.2019 (Wiederaufnahme)

Kritik:

Mozarts 1781 uraufgeführter IDOMENEO mag nicht zu seinen am leichtesten zugänglichen Werken gehören (da sind die späteren da Ponte Opern wie NOZZE DI FIGARO oder DON GIOVANNI in den Arien bei weitem gefälliger angelegt), doch gehört der IDOMENEO zu den musikalisch und dramaturgisch interessantesten und wirklich bahnbrechenden Bühnenwerken des Meisters. Auch Mozart selbst hielt große Stücke auf den IDOMENEO und er habe – wie er seinem Vater in einem Brief mitteilte – nicht Musik für lange Ohren (Esel ...) komponiert. Wenn also IDOMENEO in einer klugen, spannenden Inszenierung und mit einem spielfreudigen und mit unverbrauchten Stimmen aufwartenden Ensemble auf die Bühne gebracht wird, dann ist pures Glück angesagt und tatsächlich vergeht der über dreistündige Abend an der Oper Frankfurt wie im Flug.

Regisseur Jan Philipp Gloger gelang es (Premiere war 2013) mit bezwingender Personenführung dem Publikum das Drama um Kriegsheimkehrer (Idomeneo), vaterlos Aufgewachsene (Idamante), von Familienfehden Traumatisierte (Elettra) und Kriegsgefangene (Ilia), sowie ambitionierte „Berater“ (Arbace) näher zu bringen. Um diese Konzentration auf die aus diversen Gründen am psychischen Abgrund dahinschrammenden Personen zu erreichen, entwarf Franziska Bornkamm eine schmucklose Drehbühne, auf der eine gigantische Wand mit Flügeltüre thronte. Durch das Drehen dieser Wand konnten Schauplätze und Alpträume schnell illustriert und nahtlose Szenenübergänge gewährleistet werden. Durch die fantasievollen und illustrativen Kostüme von Karin Jud, die in einer nicht näher bestimmten Gegenwart zu verorten sind, wurde dem Publikum der Zugang zu den psychischen Befindlichkeiten der Protagonisten noch nachvollziehbarer gemacht. Bereits während der vom Frankfurter Opern- und Museumsorchester unter der Leitung von Rasmus Baumann so wunderbar feinsinnig gestalteten Ouvertüre erzählt Gloger die Vorgeschichte: Ein Vater (Idomeneo) nimmt Abschied von seinem Sohn (Idamante), schenkt ihm ein Spielzeugsegelschiff, zieht (bereits von seinem Alter Ego, dem Dämon, begleitet) in den grausamen Krieg und kommt nicht mehr zurück. Dann setzt die Oper ein, Idamante ist erwachsen geworden, nun hängt sein Porträt anstelle desjenigen des Vaters über der Flügeltüre. Idamante ist verliebt in die trojanische Prinzessin Ilia, die als Kriegsgefangene auf Kreta weilt und sich ebenso stark zu Idamante hingezogen fühlt. Doch ist da auch noch Elettra, die Tochter Agamemnons, seit jeher dem Idamante versprochen und mit ihm verlobt. In der ersten halben Stunde der Oper exponieren diese drei ihre unterschiedlichen Gefühle und Befindlichkeiten in differenziert gestalteten Arien, Rezitativen und Szenen. Hell und mit wunderbar sauber geführter, einnehmender Stimme intoniert Florina Ilie die trojanische Gefangene Ilja, Tochter des Priamus. Wunderschön harmoniert dazu der satte Mezzosopran von Cecelia Hall als Idamante. Frau Hall lässt ihre schön timbrierte Stimme mit ausdrucksvoller, jugendlicher Emphase aufblühen. Und wiederum hervorragend kontrastierend zu den beiden Liebenden der volle, mit dem notwendigen Hauch von Dramatik und Furor ausgestattete Sopran von Ambur Braid als Elettra. Sie versteht es, die Stimme mit aufgebrachtem Zorn und Eifersucht aufzuladen, daneben aber auch empfindsam ihre Gefühlswelt zu offenbaren. Im dritten Akt dann gleitet sie in den Wahnsinn ab. Zum Glück hat man ihr hier in Frankfurt die Arie D’Oreste, D’Ajace gelassen (Mozart hatte dieses barocke Bravourstück für die Münchner Uraufführung zwar gestrichen, aber meiner Meinung nach gehört es unwiderruflich in jede Aufführung der Oper!). So konnte Ambur Braid im dritten Akt neben dem dramatischen Rezitativ O smania! O furie! eben auch mit der mitreißend und mit irrer Besessenheit gestalteten Bravourarie glänzen! Brava! Viel Lob verdient auch Attilio Glaser in der überaus anspruchsvollen Titelrolle. Sein Idomeneo klingt viril und zerbrechlich zugleich, ist geprägt von der traumatisierenden Kriegserfahrung und dem unsäglichen Versprechen an den Meeresgott Neptun, ihm als Dank für die Rettung den ersten Menschen zu opfern, dem er am Strand von Kreta begegnen werde – nicht ahnend, dass dies sein eigener Sohn sein wird. Attilio Glaser gestaltet musikalisch und darstellerisch diese Zerrissenheit zwischen dämonischer, traumatisierter Besessenheit und klarer, die Vaterliebe ausdrückender, Empfindsamkeit hervorragend. Der Regisseur stellt ihm ein stummes Alter Ego zur Seite, ein wilder Kämpfer in schmutziger Uniform, einen Dämon (Neptun), der von seinem Geist Besitz ergreift (man kennt dies aus Romanen und Filmen über Kriegsveteranen aus Vietnam, Afghanistan ... ). Dieser Dämon, mit grandioser Bühnenpräsenz getanzt von Volodymyr Mykhatskyi, stellt einen genialen Einfall des Regisseurs dar, macht die Handlung plausibel. Und dann ist da noch der ehrgeizige, smarte und eher zwielichtige Arbace, eigentlich Vertrauter des Königs, aber doch eher auf seine Interessen bedacht, der von Michael Porter mit großartiger Heimtücke gestaltet wird. Michael McCown gibt den Oberpriester im antiken Umhang mit klarer Stimme und Anthony Robin Schneider leitet als Orakel (hier der Psychiater, der den rasenden Idomeneo zuerst mit einer riesigen Spritze sediert hatte) mit sonorem Bass das lieto fine ein. Zuvor aber erlebt man noch einmal den wunderbar satt und präzise intonierenden Chor der Oper Frankfurt (Einstudierung: Tilman Michael), der mit weißen Masken ausgestattet und vor einem eine Endzeitstimmung evozierenden Zwischenvorhang das Sohnesopfer fordert. Zwar löst Ilias Bereitschaft zur Selbstaufopferung den versöhnlichen Spruch des Orakels aus, doch ganz so glücklich scheint das Ende dann doch nicht zu sein: Ilia tritt freilich im Brautkleid mit Idamante auf, doch Elettra ist nun ganz in den Bann des Dämons geraten, der von Idomeneo auf sie übergesprungen ist und die sich immer schneller drehende Bühne zeigt dem nun im Rollstuhl sitzenden, impotenten König Idomeneo allegorische Bilder und am Ende zum orchestralen Divertimento nur noch leere Stühle ... . Pa

Inhalt:

Die trojanische Königstochter Ilia (Tochter des Priamus) wurde als Kriegsgefangene nach Kreta verschleppt. Zwar sehnt sie sich nach ihrer Heimat, doch zugleich ist sie in heftiger Liebe zum kretischen Prinzen Idamante entbrannt.

In letzter Sekunde aus grosser Seenot gerettet, verspricht der kretische Herrscher Idomeneo dem Meeresgott Poseidon, ihm das erste Lebewesen zu opfern, welches ihm am Strand begegnen wird. Es ist sein Sohn Idamante … Idomeneo begegnet ihm kühl. Er sucht bei seinem Vertrauten Arbace Rat, um nicht zum Mörder seines Sohnes zu werden.

Die mykenische Königstochter Elektra lebt ebenfalls auf Kreta, auch sie ist in Idamante verliebt. Idamante soll Elektra nun nach Hause führen und so seinem grausigen Schicksal entkommen. Doch der wutentbrannte Meeresgott lässt sich nicht so leicht täuschen und vernichtet die auslaufende Flotte. Idomeneo bietet sich selbst als Opfer dar, um seinen Sohn zu verschonen.

Idamante zieht in den Kampf gegen das von Poseidon gesandte Meeresungeheuer. Ilia gesteht ihm ihre Liebe. Elektra und Idomeneo fordern den Prinzen erneut auf, Kreta zu verlassen. Auf Drängen des Volkes gibt Idomeneo den Namen des geforderten Opers preis: Es sei Idamante, sein eigener Sohn, welcher soeben das Ungeheuer besiegt habe.

Die Opferung wird vorbereitet. Ilia will sich vor die Klinge werfen. In diesem Augenblick verkündet das Orakel, dass Poseidons Zorn besänftigt sei, wenn Idomeneo die Krone an seinen Sohn abgebe und Ilia Königin werde.

Werk:

IDOMENEO gehörte lange Zeit zu den wohl am häufigsten unterschätzten Werken der Opernliteratur. Erst in den letzten dreissig Jahren erfuhr das Werk dank den Bemühungen von Nikolaus Harnoncourt (und anderer Dirigenten wie Minkowski und Gardiner) seine ihm zustehende Beachtung und Wertschätzung. Ausgehend von Glucks Reformopern, den tragédies lyriques, schuf Mozart eine Symbiose dieser mit der opera seria. Der 24-jährige Meister wertete die Dreiecksgeschichte Ilia-Idamante-Elektra durch die Dramaturgie von Spannung und Entspannung, der als chiaroscuro (hell-dunkel) bezeichneten Technik, unendlich auf. Der Chor spielt in diesem Werk eine so bedeutende Rolle wie in keiner seiner anderen Opern, er ist der Auslöser für die Verlagerung der Handlungsebenen von den privaten Konflikten (Vater-Sohn, Liebe-Eifersucht-Enttäuschung) ins allgemein Politische. Grosse Kraft entfalten die Rezitative und die Ensembles, welche die Personen eindringlich charkterisieren. IDOMENEO stellt damit eine bedeutende Schnittstelle zwischen alter opera seria und einem moderneren, die Figuren psychologisch durchdringenderen Musiktheater dar.

Wenn man Mozarts IDOMENEO auf den Spielplan setzt, stellt sich unweigerlich die Frage nach der zu spielenden Fassung. Mozart selbst hatte kurz vor der Münchner Uraufführung noch Striche - wegen schlechter Sänger, aus zeitlichen oder dramaturgischen Gründen - vorgenommen, welchen zum Teil wunderbare Arien v.a. im dritten Akt zum Opfer fielen. Heute ist es üblich, diese Fassung von 1781 zu spielen, manchmal mit, manchmal ohne Ballett, manchmal mit, manchmal ohne Elektras fulminante Arie D'Oreste, d'Aiace.

Zur Ballettmusik: Seit Rameau hatte es kein Komponist mehr verstanden, das Ballett musikdramatisch so überzeugend in eine Oper einzubinden, wie es Mozart in IDOMENEO gelungen ist. Durch musikalische Motivverbindungen integrierte Mozart diese die Akte beschliessenden Tanznummern in den dramaturgischen Ablauf. Diese Balletteinlagen waren z.B. in den Zürcher Aufführungen zu hören und zu sehen.

Vater Leopold hatte seinen Sohn Wolfgang ermahnt, nicht nur an das musikalisch gebildete Publikum zu denken, sondern auch „populär“ zu komponieren. Sohn Wolfgang schrieb zurück: „...in meiner Oper ist Musick für aller Gattung leute;- ausgenommen für lange ohren (Esel) nicht.“ (Brief vom 16.12.1780)

Dem bleibt nichts hinzuzufügen ...

Musikalische Höhepunkte:

Padre, germani, addio, Arie der Ilia, Akt I

Tutte nel cor vi sento, Arie der Elektra, Akt I

Se il padre perdei, Arie der Ilia, Akt II

Fuor del mar, Arie des Idomeneo, Akt II

Idol mio, se ritroso, Arie der Elektra, Akt II

Pria di partir, Terzett Idomeneo, Idamante, Elektra, Akt II

Andrò ramingo e solo, Quartett Idamante, Ilia, Elektra, Idomeneo, Akt III

D'Oreste, d'Aiace, Arie der Elektra, Akt III

Karten

 

Zurück