Zürich: FALSTAFF, 20.03.2011
Commedia lirica in drei Akten |
Musik: Giuseppe Verdi |
Text: Arrigo Boito |
Uraufführung: 9. Februar 1893, Teatro alla Scala, Mailand |
Aufführungen in Zürich: 20.3. | 23.3. | 25.2. | 27.3. | 1.4. | 3.4. | 5.6. | 11.6. | 13.6. | 17.6.2011
Kritik:
Eine von geradezu mediterranem Licht durchflutete Aufführung von Verdis meisterhaftem Abschied von der Oper durfte man gestern Abend im Opernhaus Zürich erleben. Maestro Daniele Gatti, der neue Chefdirigent, gab einen fulminanten Einstand mit seiner ersten Neuproduktion. Das Inszenierungsteam (Regie: Sven-Eric Bechtolf, Bühne: Rolf Glittenberg, Kostüme: Marianne Glittenberg, Licht: Jürgen Hoffmann) steuerte dazu eine rundum geglückte szenische Arbeit von äusserster Präzision bei und durfte auf ein Ensemble von erlesener stimmlicher und darstellerischer Qualität bauen. Ambrogio Maestri ist ein wahrlich überrragender Falstaff. Mit mildem Humor, tiefsinnig und augenzwinkernd zwischen Selbstironie und Selbstmitleid schwankend, trägt er seine Weisheiten und philosophischen Ergüsse vor. Maestri singt kraftvoll, aber nie polternd, verdeutlicht den geschmeidigen Text Boitos durch subtil differenzierte Tongebung. Seine Monologe (L'onore, Akt I, Mondo ladro, Akt III) geraten zu spannungsgeladenen Höhepunkten der Aufführung. Doch auch die Auseinandersetzungen mit seinen Dienern, seine grosse Szene als eingebildetet Geck mit Fontana und natürlich das Anstimmen der Schlussfuge begeistern. Viel Rollenerfahrung bringt auch Barbara Frittoli als Alice mit ihrem wunderbar aufblühenden Sopran mit. Yvonne Naef führt die Intrige der Damen mit einer phantastisch virtuos gesungenen Mrs. Quickly an, begeistert mit tief orgelnden Klängen (Povera donna) und einer differenziert vorgetragenen Erzählung über den Jäger Herne, welche dann von Barbara Frittoli meisterhaft fortgesetzt wird. Doch neben diesen in ihren Rollen erfahrenen KünstlerInnen verblüffen eine Reihe von Sängerinnen und Sängern mit grandiosen Rollendebüts: Eva Liebau singt eine zauberhafte Nannetta mit glockenreinen, himmlisch leicht schwebenden Piani, Massimo Cavalletti ist ein Ford/Fontana in bestechender Form. Handelte es sich nicht um ein durchkomponiertes Werk, wäre man versucht gewesen, nach seiner geradezu rasend vorgetragenen Arie im zweiten Akt in heftigen Jubel auszubrechen. Javier Camarena verführt einmal mehr mit seinem tenoralen Schmelz als Fenton (wunderbar rein und samten erklingt immer wieder sein Bocca baciata ... ) und Judith Schmid ist eine ganz hervorragende Meg Page. Ein erfrischend komisches Dienerpaar (Martin Zysset und Davide Fersini) und der herrlich hysterische Dr.Cajus von Patrizio Saudelli ergänzen das grandiose Ensemble.
Bechtolf und die Glittenbergs lassen die turbulente Handlung in einer riesigen, schlichten Scheune spielen, eine Art Hommage an den Komponisten, welcher sich auf sein Landgut Sant'Agata zurückgezogen hatte und hier zusammen mit Boito an der Oper arbeitete. Zudem erinnert diese Scheune auch an eine Art ländliches Globe Theatre und ist eine Verbeugung vor dem Schöpfer der Vorlage, William Shakespeare, welcher von Verdi als "Vater" aller Belange des Theaters verehrt wurde. Falstaff und seine Diener sind irgendwie in einer fernen Epoche stehen geblieben, was an ihren Kostümen ersichtlich wird, die Fords hingegen leben in den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, haben Transistorradio, geschmacklose Inneneinrichtung im Stil von Louis toujours, tragen Knickerbocker oder geblümtes Kleid. Die Frauen beginnen sich zu emanzipieren, was z.B. damit verdeutlicht wird, dass es den Muskel bepackten Dienern nicht gelingt, den Wäschekorb mit dem dicken Ritter in die Themse (oder den Po ...) zu kippen, die vier Damen dies jedoch mit links schaffen. Der Regisseur hat wie stets in seinen Arbeiten genau auf die Musik gehört, jede noch so kleine Geste, Bewegung oder Mimik ist exakt auf die musikalische Notierung abgestimmt. Welch ein Gegensatz zur vorangehenden NORMA von Wilson - und welch ein unvergleichlich intensiveres Theatererlebnis! Als Beispiel sei nur das zweite Bild des ersten Aktes erwähnt, welches Verdi in einer Art Rondo-Scherzo komponiert hat und das der Regisseur in einer stimmigen Choreographie der Männer- und Frauengruppen mit bestechender Virtuosität auf die Bühne bringt. Die Inszenierung versprüht feinen Humor und verkommt nicht zum schenkelklopfenden Gaudi, die Figuren sind mit viel Liebe und Zuneigung gezeichnet, werden nie der Lächerlichkeit preisgegeben, behalten auch in der Niederlage - wie Verdi und Boito es vorgezeichnet haben - ihre Würde. Das ist wahrhaft menschliches Theater. Dabei kann sich der Regisseur auf ein herrlich komödiantisches Ensemble (und das ist es wirklich, ein Team ohne jegliche Schwachstelle) stützen, welches seine Intentionen mit viel Spielwitz und grossartigem musikalischen Können umzusetzen weiss. Bedeutende Unterstützung bekommen sie dabei vom prachtvoll aufspielenden Orchester der Oper Zürich unter Daniele Gatti, welches die mit lautmalerischen und subtilen Farben orchestrierte Partitur wunderbar luzide zum Klingen bringt. Gatti hat im Vorfeld der Premiere ja angekündigt, dass rund 30 Prozent geflüstert werde. Es blieb (zum Glück) bei etwa deren fünf, doch das reichte vollkommen aus, um einen Differenzierungsgrad an dynamischen Schattierungen zu erreichen, wie man ihn in diesem Haus - vor allem bei Verdi - schon lange nicht mehr gehört hatte.
Nicht verpassen!
Inhalt:
Sir John Falstaff, der dicke Ritter, muss erkennen, dass er pleite ist. Er muss sich deshalb neue Geldquellen erschliessen. Da er glaubt, die Frauen könnten seinem Charme nicht widerstehen, schreibt er identische Liebesbriefe an Alice Ford und Meg Page. Seine Diener haben jedoch die Spielchen satt und wollen den verarmten Ritter verlassen, da ihre Ehre es ihnen nicht erlaube, weiter in den Diensten des schlitzohrigen Falstaff zu stehen. Falstaff hält ihnen in einen mockierenden Vortrag über die Ehre. Die beiden Damen lesen sich die Breife gegenseitig vor und wollen dem eingebildeten Ritter eine Lektion erteilen. Mrs. Quickly soll dem Ritter eine Einladung zu einem Stelldichein überbringen. Alices Gatte, der eifersüchtige Ford, hat durch die beiden entlassenen Diener Falstaffs, Bardolfo und Pistola, von Falstaffs amourösen Absichten erfahren und sinnt ebenfalls auf Rache.
Alles scheint vorläufig für Falstaff wie geplant zu laufen, er freut sich auf das Rendez-vous mit Alice. Ford kommt in der Verkleidung eines Herrn Fontana und bittet Falstaff um Rat in Liebesangelegenheiten. Falstaff meint, es werde ein Leichtes sein, Alice zu verführen. Ford (Fontana) kann seine Wut kaum zügeln. Unterdessen beklagt Fords Tochter Nannetta, dass ihr Voater sie dem trotteligen Dr.Cajus versprochen habe, sie jedoch den jungen Fenton liebe. Alice beruhigt ihre Tochter. Falstaff erscheint aufgeputzt zum Stelldichein. Doch da erscheint schon Mrs.Quickly und berichtet, dass Ford im Anmarsch sei. Nach einigem Hin und Her wird Falstaff in einem Wäschekorb versteckt und zusammen mit der Schmutzwäsche in die Themse gekippt.
Durchnässt und mit seinem Schisal hadernd sitzt Falstaff wieder im Gasthaus und beklagt sich über die Schlechtigkeit der Welt. Als die Quickly ihn erneut zu einem Date mit Alice überreden will, lehnt er zunächst entrüstet ab. Doch die Geilheit siegt, er wird als Schwarzer Jäger verkleidet um Mitternacht im Park von Windsor erscheinen. Ford will die Gunst der Stunde nutzen und anlässlich dieses Mummenschanzes auch seine Tochter mit Dr.Cajus vermählen. Doch die Quickly hat ihn belauscht und die Frauen treffen entsprechende Vorkehrungen. Falstaff wird im Park total zum Narren gehalten, doch bald erkennt er, was gespielt wird. Ford vermählt unterdessen zwei identisch verkleidetet Paare, eine Elfenkönigin und einen Mönch, und bemerkt erst zu spät, dass er seine Tochter mit Fenton und Dr.Cajus mit Bardolfo verheiratet hat. Falstaff stimmt die selbstironische Schlussfuge an: Tutto nel mondo è burla ....
Werk:
Verdis erste komisch Oper UN GIORNO DI REGNO (1840) war zu einem Fiasko geworden, deshalb wagte sich der Komponist erst ein halbes Jahrhundert später wieder an die Komposition einer Komödie, auf Drängen des Komponisten und Librettisten seines OTELLO, Arrigo Boito. Dieser hatte aus Elementen von Shakespeares Merry wives of Windsor und Szenen aus Henry IV einen sowohl theatralisch als auch sprachlich erstklassigen Text verfasst. Die Uraufführung des Schwanengesanges des greisen Komponisten wurde zu einem grossen Erfolg. Verdi hat eine delikate Preziose geschaffen, ein Werk, wie man es von ihm nicht erwartet hatte: Durchkomponiert und doch mit gekonnt eingearbeiteten formalen Elementen (Sonate, Scherzo, Rondo Fuge), ohne eingängige Arien, dafür gespickt mit feinem Humor, mit orchestralen Raffinessen, zarten Ariosi und herrlich komischen und ausgeklügelt gestalteten Ensemblesszenen. Die ganze Grösse der subtilen Partitur erschliesst sich einem oft erst beim wiederholten Anhören.
Vor Verdi haben sich bereits mehrere andere Komponisten des Stoffes angenommen, der bekannteste war Otto Nicolai mit seinen LUSTIGEN WEIBERN VON WINDSOR, aber auch Ditters von Dittersdorf, Salieri, Adolphe Adam, M.W. Balfe und im 20. Jahrhundert Gustav Holst und Ralph Vaughn Williams haben sich des dicken Ritters angenommen.
Musikalische Höhepunkte:
É sogno o realtà?, Ford, Akt II
Sul fil d’un soffio etesio, Nannetta, Akt III
Tutto nel mondo é burla. L’uom é nato burlone,Finale Akt III