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Hamburg, Staatsoper: FALSTAFF, 03.04.2025

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Falstaff

Copyright: Monika Rittershaus, mit freundlicher Genehmigung Staatsoper Hamburg (Bilder der Premierenserie 2020)

Christopher Purves, Simon Keenlyside, Danielle de Niese, Anna Kissjudit u.a. in Verdis genialer Komödie

Commedia lirica in drei Akten | Musik: Giuseppe Verdi | Text: Arrigo Boito | Uraufführung: 9. Februar 1893, Teatro alla Scala, Mailand | Aufführungen in Hamburg: 3.4. | 6.4. | 10.4. | 2.10. | 4.10. | 8.10. | 15.10.2025

Kritik:

Viele Theatermacher sind zu Recht der Ansicht, dass es weitaus schwieriger sei, eine gute Komödie als eine Tragödie zu inszenieren. Das stimmt, denn während die Tragödie epische Längen durchaus verträgt, ist bei einer Komödie das perfekte Timing von existentieller Bedeutung. Das wusste auch Giuseppe Verdi aus eigener Erfahrung: Seine komische Oper UN GIORNO DI REGNO (es war dies seine zweite Oper überhaupt) floppte, und er wagte sich danach nicht mehr an dieses Genre bis zum acht Jahre vor seinem Tod uraufgeführten FALSTAFF (seiner letzten Oper) – und in diesem Ausnahmewerk stimmt einfach alles, vor allem das Timing. Die Grundsätze des Timings muss auch ein Regisseur beherzigen, wenn er eine Komödie auf die Bühne bringt. Calixto Bieito, der Regisseur dieser Produktion an der Staatsoper Hamburg (Premiere war am 19. Januar 2020) war mir bisher noch nicht als Regisseur von komischen Opern bekannt, eher als Mann fürs tiefschürfend Abgründige. Umso grösser die Überraschung, dass es dieser FALSTAFF - Inszenierung wahrlich nicht an Tempo und Spritzigkeit (und einem Hauch von Derbheit) fehlte! Viele Regisseure (und auch Theaterleitungen ...) mögen es ja nicht, dass Inszenierungen von Opern mit diversen Schauplätzen Umbaupausen benötigen. Für den FASLTAFF sind eigentlich fünf Schauplätze vorgesehen: Im Inn, im Garten vor Fords Haus, in einem Zimmer in Fords Haus, vor dem Inn und im Park von Windsor bei Hernes Eiche. Bieito nun liess sich von seiner Bühnenbildnerin Susanne Gschwender ein putziges englisches Inn auf die Drehbühne stellen (The Boars Head), das sich manchmal etwas unmotiviert drehte, sich als Clou und für die verschiedenen Verortungen der Handlung aber zunehmend dekonstruierte. Erst wurde es der Länge nach vertikal geteilt, so dass der Blick auf die Innenräume fallen konnte (unten Schankraum, oben Schlafzimmer, wie in einem richtigen britischen Inn). Nach der Pause waren auch die restlichen Wände bis auf das Klohäuschen verschwunden, auch dieses wurde weggezogen und für die Schlussszene im Park blieb nur der hölzerne Rohbau übrig – quasi die Eiche, die aber gegen Ende gänzlich im Nebel des Bühnenhintergrunds verschwand und die Menschen auf nackter Bühne auf ihre Schwächen blicken liess. Einiges an dieser Inszenierung war durchaus diskussionswürdig, wirkte auch stellenweise etwas gesucht, anderes hingegen war wirklich urkomisch und genial. Falstaff auf dem Klo sitzend nach seiner Dreckwasserdusche – unvergesslich. Nannetta die ebenda ihren Schwangerschaftstest durchführte (das ging aber schnell, denn erst gerade in der Szene zuvor hatte sie sich mit Fenton im Schlafzimmer eine heisse Nummer geliefert). Ausgezeichnet gelang dem Regisseur Calixto Bieito und der Kostümbildnerin Anja Rabes die Zeichnung der Figuren: Falstaff mit sprühendem Witz der Völlerei ergeben (aber das Zitat Boccaccios im Programmheft „Es ist besser zu geniessen und zu bereuen, als zu bereuen, dass man nicht genossen hat!“ hat was für sich ...!), seine Diener Bardolfo und Pistola als Wendehälse, Ford als rasend Eifersüchtiger, Dr. Cajus als Loser, Fenton als dauergeiler Pubertierender, Nannetta als seine mehr als willige Gehilfin seiner Triebprobleme in ihrem Schulmädchen-Outfit, Mrs Quickly als freche, durchtriebene, selbstsichere Frau mit einem Touch Vulgarität, Alice Ford, äusserlich bieder und brav, doch hinter der Fassade ziemlich aufrührerisch, feministischen Grundsätzen verpflichtet und einfallsreiche Scherze treibend, Meg Page ein überkandideltes Nervenbündel auf Highheels und im zu eng geschnittenen Kostüm. All diese Charaktere wurden von Bieito grossartig und stimmig herausgearbeitet. Auch dass Falstaff ab dem dritten Bild als Koch im Boars Head arbeitet und ungeniessbare Gerichte serviert, macht Sinn, denn er konnte ja die Rechnung für die unzähligen Flaschen Sekt und die Austern, welche ihm die Wirtin (stumme Rolle mit bühnenwirksamer Dauerpräsenz: Daniella Rothsprach) am Ende der ersten Szene nicht bezahlen und muss den Betrag nun wohl abarbeiten. Man kann bei der Inszenierung darüber hinwegsehen, dass Falstaff im Inn und nicht in Fords Haus in die Falle gelockt wird. Er landet auch nicht in der Themse, sondern zuerst in einer gelben Mülltonne (ein Hinweis darauf, dass solche eingebildeten Schmarotzer im Lauf der Geschichte immer wieder recycelt werden?) wird in den Müllschlucker gekippt und mit Schmutzwasser übergossen. Das Transparent, das die vier Frauen hochhalten FETTE STEUERN FÜR DIE FETTEN war mir dann gar zu plakativ und billig. (Nannetta langweilt sich allerdings zu Recht bei dieser fehlplatzierten politischen Agitation.) Auch die nackte Bühne mit Nebel im Schlussbild mit bedeutungsschwangerem Gegenlicht für die Schlussfuge erschien mir etwas gar zu karg. Aber insgesamt war die Aufführung kurzweilig, temporeich und mehrheitlich von sprühendem Witz.

Für die differenzierten, schlüssigen Tempi sorgte der junge, aufstrebende Dirigent Finnegan Downie Dear, der das Philharmonische Staatsorchester Hamburg mit Verve, feinem Gespür für Eruptionen und musikalischen Witz zu einer grossartigen Gesamtleistung führte. 

Christopher Purves war darstellerisch und sängerisch (was für eine ausgesprochen klare Artikulation!) ein wunderbarer Interpret der Titelrolle. Diesen gekonnt polternden Genussmenschen schloss man ins Herz und hatte schon fast ein bisschen Mitleid mit ihm, als er sich vor Schreck und wegen der brutalen Schlägerattacken (darstellerisch und stimmlich sehr präsent der Chor der Staatsoper Hamburg, einstudiert von Christian Günther) im Park von Windsor in die Jeans pisste. Simon Keenlyside setzte seinen herrlich markant ansprechenden Bariton als Ford effektvoll ein, seine Raserei in der Eifesuchtsarie als verkleideter Fontana fuhr gewaltig ein. Seungwoo Simon Yang verfügte über die schmeichelnden Tenorkantilenen um seine Nannetta zu bezirzen, Olivia Warburton erwiderte diese mit ebenso schön blühenden Phrasen und Ariosi und bezirzte mit ihrer wunderbar dargebotenen Arie als Elfenkönigin im Schlussbild alle. Danielle de Niese als ihre Mutter Alice Ford liess ihren herrlichen Sopran aufs Schönste leuchten. Anna Kissjudit punktete mit ihrer schon fast machohaften Lässigkeit in der Darstellung und effektvoller Prachtentfaltung ihres voluminösen, aber stets gerundeten Mezzosoprans. Es ist immer interessant in den Programmheften der Staatsoper Hamburg zu erfahren, wie die bisherigen Premieren der Werke in der Geschichte des Hauses besetzt waren. So erfährt man z. B. dass Jürgen Sacher bereits 1997 in der Marelli - Inszenierung des Werks den Dr. Cajus gesungen hatte – und er tut es auch heute noch mit kecker Frische und Witz. Daniel Kluge als Bardolfo und Tigran Martirossian als Pistola waren ein echt komisches, stimmlich erfrischend agiles Dienerpaar.

Das Ensemble meisterte also die Klippen der Komödie meisterhaft!

Inhalt:

Sir John Falstaff, der dicke Ritter, muss erkennen, dass er pleite ist. Er muss sich deshalb neue Geldquellen erschliessen. Da er glaubt, die Frauen könnten seinem Charme nicht widerstehen, schreibt er identische Liebesbriefe an Alice Ford und Meg Page. Seine Diener haben jedoch die Spielchen satt und wollen den verarmten Ritter verlassen, da ihre Ehre es ihnen nicht erlaube, weiter in den Diensten des schlitzohrigen Falstaff zu stehen. Falstaff hält ihnen in einen mockierenden Vortrag über die Ehre. Die beiden Damen lesen sich die Breife gegenseitig vor und wollen dem eingebildeten Ritter eine Lektion erteilen. Mrs. Quickly soll dem Ritter eine Einladung zu einem Stelldichein überbringen. Alices Gatte, der eifersüchtige Ford, hat durch die beiden entlassenen Diener Falstaffs, Bardolfo und Pistola, von Falstaffs amourösen Absichten erfahren und sinnt ebenfalls auf Rache.

Alles scheint vorläufig für Falstaff wie geplant zu laufen, er freut sich auf das Rendez-vous mit Alice. Ford kommt in der Verkleidung eines Herrn Fontana und bittet Falstaff um Rat in Liebesangelegenheiten. Falstaff meint, es werde ein Leichtes sein, Alice zu verführen. Ford (Fontana) kann seine Wut kaum zügeln. Unterdessen beklagt Fords Tochter Nannetta, dass ihr Voater sie dem trotteligen Dr.Cajus versprochen habe, sie jedoch den jungen Fenton liebe. Alice beruhigt ihre Tochter. Falstaff erscheint aufgeputzt zum Stelldichein. Doch da erscheint schon Mrs.Quickly und berichtet, dass Ford im Anmarsch sei. Nach einigem Hin und Her wird Falstaff in einem Wäschekorb versteckt und zusammen mit der Schmutzwäsche in die Themse gekippt.

Durchnässt und mit seinem Schisal hadernd sitzt Falstaff wieder im Gasthaus und beklagt sich über die Schlechtigkeit der Welt. Als die Quickly ihn erneut zu einem Date mit Alice überreden will, lehnt er zunächst entrüstet ab. Doch die Geilheit siegt, er wird als Schwarzer Jäger verkleidet um Mitternacht im Park von Windsor erscheinen. Ford will die Gunst der Stunde nutzen und anlässlich dieses Mummenschanzes auch seine Tochter mit Dr.Cajus vermählen. Doch die Quickly hat ihn belauscht und die Frauen treffen entsprechende Vorkehrungen. Falstaff wird im Park total zum Narren gehalten, doch bald erkennt er, was gespielt wird. Ford vermählt unterdessen zwei identisch verkleidetet Paare, eine Elfenkönigin und einen Mönch, und bemerkt erst zu spät, dass er seine Tochter mit Fenton und Dr.Cajus mit Bardolfo verheiratet hat. Falstaff stimmt die selbstironische Schlussfuge an: Tutto nel mondo è burla ....

Werk:

Verdis erste komisch Oper UN GIORNO DI REGNO (1840) war zu einem Fiasko geworden, deshalb wagte sich der Komponist erst ein halbes Jahrhundert später wieder an die Komposition einer Komödie, auf Drängen des Komponisten und Librettisten seines OTELLO, Arrigo Boito. Dieser hatte aus Elementen von Shakespeares Merry wives of Windsor und Szenen aus Henry IV einen sowohl theatralisch als auch sprachlich erstklassigen Text verfasst. Die Uraufführung des Schwanengesanges des greisen Komponisten wurde zu einem grossen Erfolg. Verdi hat eine delikate Preziose geschaffen, ein Werk, wie man es von ihm nicht erwartet hatte: Durchkomponiert und doch mit gekonnt eingearbeiteten formalen Elementen (Sonate, Scherzo, Rondo Fuge), ohne eingängige Arien, dafür gespickt mit feinem Humor, mit orchestralen Raffinessen, zarten Ariosi und herrlich komischen und ausgeklügelt gestalteten Ensemblesszenen. Die ganze Grösse der subtilen Partitur erschliesst sich einem oft erst beim wiederholten Anhören.

Vor Verdi haben sich bereits mehrere andere Komponisten des Stoffes angenommen, der bekannteste war Otto Nicolai mit seinen LUSTIGEN WEIBERN VON WINDSOR, aber auch Ditters von Dittersdorf, Salieri, Adolphe Adam, M.W. Balfe und im 20. Jahrhundert Gustav Holst und Ralph Vaughn Williams haben sich des dicken Ritters angenommen.

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