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Zürich: FALSTAFF, 03.07.2022

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Falstaff

Applausbild, 3.7.22: K. Sannemann

Commedia lirica in drei Akten | Musik: Giuseppe Verdi | Text: Arrigo Boito | Uraufführung: 9. Februar 1893, Teatro alla Scala, Mailand | Aufführungen in Zürich (Wiederaufnahme): 3.7. | 5.7. | 8.7. | 10.7.2022

Kritik:

Verdis letzte Oper, FALSTAFF, ist eine Ensemble-Oper par excellence, darin mit den Mozart/da Ponte Opern verwandt - kein Wunder, denn Verdi war Zeit seines Lebens ein grosser Bewunderer Mozarts gewesen und fand im hohen Alter in seinem Librettisten Arrigo Boito einen wertvollen künstlerischen Partner, der zusammen mit dem 80jährigen Maestro mit dem FALSTAFF ein sublimes Meisterwerk schuf. Bei dieser Wiederaufnahme der Produktion aus dem Jahre 2011 stand ein Spitzenensemble zur Verfügung, das den Abend zu einem wahren Triumph des feinen Humors und der Musik Verdis geraten liess. Wie fein abgestimmte Räder in einem präzisen Schweizer Uhrwerk griffen die Mitglieder dieses Ensembles musikalisch und darstellerisch ineinander und bereiteten dem am Ende enthusiastisch applaudierenden Publikum einen unvergesslichen, exquisiten Opernabend. Natürlich blitzten in diesem Ensemble neben den ausgezeichneten Kräften des Hauses einige Gast-Sterne, die sich jedoch uneitel aufs Vortrefflichste in den Dienst dieser wunderbaren lyrischen Komödie stellten. Sir Bryn Terfel verkörperte die Tiltelrolle mit überragender Bühnenpräsenz und war stimmlich in Höchstform, von seinem ersten Ton an wusste man: Das wird ein grosser Abend! Sein grosser Monolog im ersten Bild (L'onore), in dem er alle Facetten seines gewaltigen Bassbaritons bis zum Falsett ausschöpfte, gelang meisterlich, sein Agieren war mit stupender Genauigkeit auf den Punkt gebracht und entlockte dem Publikum immer wieder ein Schmunzeln. Sein zweiter Monolog Mondo ladro. Mondo rubaldo. Reo mondo!, in welchem er die Schlechtigkeit der Welt beklagt, wie alles den Bach runtergeht, ist nicht nur pathetisch, nein, er ist aktuell wie selten. Bryn Terfels interpretatorische Durchdringung dieses Textes ist exemplarisch. Irina Lungu als seine "Gegenspielerin" Alice Ford führt mit ihrem wunderschönen, von einem zarten Vibrato umflorten Sopran die Ensembles der Damen an, schwingt sich in den ihr von Verdi in die Kehle komponierten Ariosi wunderbar auf und verströmt herrliche Kantilenen, unterstützt von klug-dezentem Witz im Spiel. Ihr Gemahl Ford wird von Konstantin Shushakov mit einnehmend timbriertem Bariton gesungen, seine Eifersucht und seine vergeblichen Ränkeversuche bringt er mit Glaubwürdigkeit über die Rampe. Es ist erfreulich, dass weder er noch alle anderen Mitglieder dieses Ensembles chargieren, sie vertrauen zu Recht völlig dem hervorragenden Text Boitos und dem subtilen Witz von Verdis Partitur. So auch die umtriebige Mrs. Quickley von Marianna Pizzolato, die wie eine Mamma del paese durchtrieben und klatschsüchtig agiert, ihre Partie mit ihrem herrlichen Mezzosopran lebendig ausgestaltet und dabei beim Reverenza nicht in exaltiertes Orgeln verfällt. Hat mir sehr gefallen. Sandra Hamaoui sang eine bezaubernde Nannetta, liess ihre zarten Klänge als Elfenkönigin im Schlussbild wunderbar schwebend erklingen und bildete zusammen mit dem herrlich phrasierenden Cyrille Dubois als Fenton ein bezauberndes, sympathisches Liebespaar. Cyrille Dubois begeisterte in seiner grossen Szene zu Beginn des Schlussbildes mit seinen fantastisch gestalteten diminuendi in dem einzigen Moment der Oper, den man als Arie bezeichnen könnte: Dal labbro il canto estasiato vola. Das Damenquartett wurde mit Niamh O'Sullivan als Meg Page aufs Vortrefflichste ergänzt. Diese wunderschöne Stimme von Niamh O'Sullivan fügte sich nicht nur fantastisch in die Ensembles ein, sie machte auch neugierig auf grössere Partien, in denen man sie gerne erleben möchte! Iain Milne offenbarte sein komisches Talent in der Rolle des Dr.Cajus, der am Ende in die Falle der Damen stolpert und um Mitternacht ausser sich feststellen muss, dass er sich mit dem Diener des Falstaff, Bardolfo, verheiratet hat. Das ist wirklich lustig, denn Nathan Haller als Bardolfo spielt und singt diese Rolle mit bestechender Genauigkeit und Spielfreude. Wow! Genauso wie sein Kompagnon Pistola, der von Brent Michael Smith ebenso umwerfend dargestellt und gesungen wurde. Diese beiden schurkischen, quirligen und ihr Fähnlein gerade nach dem Vorteil versprechenden Wind richten, hatten alle Sympathien auf ihrer Seite.

Der GMD des Opernhauses Zürich Gianandrea Noseda, der zurzeit auch die WA von TRISTAN UND ISOLDE dirigiert, kitzelte aus der Philharmonia Zürich alles an Präzision (das Horn zu Beginn des Schlussbildes!!!) und Spielfreude heraus, das alles hat Schwung und Witz und ist von herausragender klanglicher Balance und Transparenz und mitreissendem Drive geprägt. Wie er z.B. das kunstvolle Nonett im zweiten Bild des ersten Aktes zusammenhält ist grandios: Das Frauenquartett singt im schnellen 6/8 Takt, das Männerquartett im schnellen 2/2 und Fenton legt sich mit langsamen 2/2 Noten darüber; von der Philharmonia Zürich und den Sänger*innen wird das komplexe Stück mit atemberaubender Präzision ausgeführt.

Die Inszenierung (mehr darüber kann man in meiner Rezension von 2011 nachlesen, Link unten), obwohl schon 11 Jahre alt, hat nichts von ihrer überragenden Qualität und ihrer Perfektion und Stimmigkeit verloren. Sven-Eric Bechtolf war damit im Bühnenbild von Rolf Glittenberg und den wunderbar passenden Kostümen von Marianne Glittenberg ein Geniestreich gelungen, geistreich, witzig und in jedem Moment kongruent mit Verdis Partitur. Verdi hatte sich ja eigentlich eine Uraufführung seiner letzten Oper auf seinem Landgut Sant'Agata vorstellen können, in einer Scheune, ähnlich Shakespeares Globe Theatre. Letztlich aber fand diese dann doch vor einem auserlesenen Publikum in der mondänen Scala statt.

Diese Inszenierung bleibt hoffentlich im Repertoire des Opernhauses Zürich, auch nach dem Intendanzwechsel in zwei Jahren. Vorsichtshalber sollte man sie - vor allem auch wegen des nun auf der Bühne stehenden Ensembles - nicht verpassen. Ein intelligenter Riesenspass und ein musikalischer Leckerbissen!

Inhalt:

Sir John Falstaff, der dicke Ritter, muss erkennen, dass er pleite ist. Er muss sich deshalb neue Geldquellen erschliessen. Da er glaubt, die Frauen könnten seinem Charme nicht widerstehen, schreibt er identische Liebesbriefe an Alice Ford und Meg Page. Seine Diener haben jedoch die Spielchen satt und wollen den verarmten Ritter verlassen, da ihre Ehre es ihnen nicht erlaube, weiter in den Diensten des schlitzohrigen Falstaff zu stehen. Falstaff hält ihnen in einen mockierenden Vortrag über die Ehre. Die beiden Damen lesen sich die Breife gegenseitig vor und wollen dem eingebildeten Ritter eine Lektion erteilen. Mrs. Quickly soll dem Ritter eine Einladung zu einem Stelldichein überbringen. Alices Gatte, der eifersüchtige Ford, hat durch die beiden entlassenen Diener Falstaffs, Bardolfo und Pistola, von Falstaffs amourösen Absichten erfahren und sinnt ebenfalls auf Rache.

Alles scheint vorläufig für Falstaff wie geplant zu laufen, er freut sich auf das Rendez-vous mit Alice. Ford kommt in der Verkleidung eines Herrn Fontana und bittet Falstaff um Rat in Liebesangelegenheiten. Falstaff meint, es werde ein Leichtes sein, Alice zu verführen. Ford (Fontana) kann seine Wut kaum zügeln. Unterdessen beklagt Fords Tochter Nannetta, dass ihr Voater sie dem trotteligen Dr.Cajus versprochen habe, sie jedoch den jungen Fenton liebe. Alice beruhigt ihre Tochter. Falstaff erscheint aufgeputzt zum Stelldichein. Doch da erscheint schon Mrs.Quickly und berichtet, dass Ford im Anmarsch sei. Nach einigem Hin und Her wird Falstaff in einem Wäschekorb versteckt und zusammen mit der Schmutzwäsche in die Themse gekippt.

Durchnässt und mit seinem Schisal hadernd sitzt Falstaff wieder im Gasthaus und beklagt sich über die Schlechtigkeit der Welt. Als die Quickly ihn erneut zu einem Date mit Alice überreden will, lehnt er zunächst entrüstet ab. Doch die Geilheit siegt, er wird als Schwarzer Jäger verkleidet um Mitternacht im Park von Windsor erscheinen. Ford will die Gunst der Stunde nutzen und anlässlich dieses Mummenschanzes auch seine Tochter mit Dr.Cajus vermählen. Doch die Quickly hat ihn belauscht und die Frauen treffen entsprechende Vorkehrungen. Falstaff wird im Park total zum Narren gehalten, doch bald erkennt er, was gespielt wird. Ford vermählt unterdessen zwei identisch verkleidetet Paare, eine Elfenkönigin und einen Mönch, und bemerkt erst zu spät, dass er seine Tochter mit Fenton und Dr.Cajus mit Bardolfo verheiratet hat. Falstaff stimmt die selbstironische Schlussfuge an: Tutto nel mondo è burla ....

Werk:

Verdis erste komisch Oper UN GIORNO DI REGNO (1840) war zu einem Fiasko geworden, deshalb wagte sich der Komponist erst ein halbes Jahrhundert später wieder an die Komposition einer Komödie, auf Drängen des Komponisten und Librettisten seines OTELLO, Arrigo Boito. Dieser hatte aus Elementen von Shakespeares Merry wives of Windsor und Szenen aus Henry IV einen sowohl theatralisch als auch sprachlich erstklassigen Text verfasst. Die Uraufführung des Schwanengesanges des greisen Komponisten wurde zu einem grossen Erfolg. Verdi hat eine delikate Preziose geschaffen, ein Werk, wie man es von ihm nicht erwartet hatte: Durchkomponiert und doch mit gekonnt eingearbeiteten formalen Elementen (Sonate, Scherzo, Rondo Fuge), ohne eingängige Arien, dafür gespickt mit feinem Humor, mit orchestralen Raffinessen, zarten Ariosi und herrlich komischen und ausgeklügelt gestalteten Ensemblesszenen. Die ganze Grösse der subtilen Partitur erschliesst sich einem oft erst beim wiederholten Anhören.

Vor Verdi haben sich bereits mehrere andere Komponisten des Stoffes angenommen, der bekannteste war Otto Nicolai mit seinen LUSTIGEN WEIBERN VON WINDSOR, aber auch Ditters von Dittersdorf, Salieri, Adolphe Adam, M.W. Balfe und im 20. Jahrhundert Gustav Holst und Ralph Vaughn Williams haben sich des dicken Ritters angenommen.

Von mir besuchte Aufführungen von FALSTAFF am Opernhaus Zürich

08.10.1978 ML: Ralf Weikert/I: Claus Helmut Drese, Falstaff: Renato Capecchi, Alice: Antigone Sgourda, Ford: Bruno Pola, Fenton: Romano Emili, Nannetta: Jeannette Perry, Quickley: Nucci Condo, Meg: Charlotte Berthold

02.02.1979 wie oben, Falstaff: Claudio Desderi, Ford: Kari Nurmela, Fenton: Francisco Araiza, Nannetta: Alida Ferrarini

14.11.1993 ML: Nello Santi/I: Jonathan Miller, Falstaff: Juan Pons, Alice: Gabriele Lechner, Ford: Rodney Gilfry, Fenton: Reinaldo Macias, Quickley: Maria Luisa Nave, Nannetta: Isabel Rey

20.03.2011: ML: Daniele Gatti/I: Sven-Eric Bechtolf, Falstaff: Ambrogio Maestri, Alice: Barbara Frittoli, Ford: Massimo Cavaletti, Fenton: Javier Camarena, Nannetta: Eva Liebau, Quickley: Yvonne Naef

Informationen und Karten

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