Zürich: DON GIOVANNI, 26.05.2013
Dramma giocoso in zwei Akten | Musik: Wolfgang Amadeus Mozart | Libretto: Lorenzo da Ponte | Uraufführung: 29. Oktober 1787 in Prag, Zweitfassung 7. Mai 1788 im Burgtheater Wien | Aufführungen in Zürich: 26.5. | 29.5. | 1.6. | 4.6. | 7.6. | 9.6. | 14.6. | 20.6. | 22.6. | 25.6. | 27.6.2013 und Wiederaufnahme in der Saison 2013/14
Medienmitteilung Opernhaus: Ticciati gibt Dirigat ab, Luisi übernimmt
Das Opernhaus Zürich teilt mit, dass der englische Dirigent Robin Ticciati die Neuproduktion von Mozarts „Don Giovanni“ nach der zweiten Vorstellung verlassen hat und keine weitere Vorstellung mehr dirigieren wird. Als Grund für seinen Ausstieg erklärte Robin Ticciati gegenüber dem Opernhaus, nicht zu der Produktion stehen zu können, in der der deutsche Regisseur Sebastian Baumgarten Regie geführt hat. Fabio Luisi, der Generalmusikdirektor des Opernhauses Zürich, hat sich bereit erklärt, die musikalische Leitung des „Don Giovanni“ zu übernehmen und alle weiteren Vorstellungen zu dirigieren.
Intendant Andreas Homoki bedauert den Ausstieg Ticciatis: „Wir schätzen Robin Ticciatis musikalische Qualitäten. Er steigt aus einer spannenden Produktion vorzeitig aus, die er in sechswöchiger, intensiver Probenzeit – mitunter skeptisch, aber immer konstruktiv – gemeinsam mit den Sängern, dem Orchester und dem Regisseur erarbeitet hat. Wir können nicht verstehen, warum er diese Entscheidung, wenn sie denn für ihn künstlerisch unumgänglich war, nicht bereits während des Probenprozesses getroffen hat - auch aus Rücksicht auf die beteiligten Künstler. Wir freuen uns sehr, dass Fabio Luisi sich spontan bereit erklärt hat, für Robin Ticciati einzuspringen und so sicherzustellen, dass das hohe musikalische Niveau dieser Aufführung auch für die weiteren Vorstellungen gewährleistet bleibt.“
Kritik:
Dass man sich bei dieser Neuproduktion des DON GIOVANNI von einigen tradierten und lieb gewordenen Sehgewohnheiten wird verabschieden müssen, war zu erwarten gewesen. Überraschender dann allerdings war gestern Abend, dass man sich auch musikalisch auf eine neue, ungewohnte Reise begeben musste. Robin Ticciatis analytische Lesart der Partitur und der trockene (an manchen Stellen auch unpräzise) Klang des auf Originalinstrumenten spielenden Orchesters LA SCINTILLA verwirrten und der Dirigent wurde beim Schlussapplaus in den Strudel der Ablehnung mit hineingerissen, einer Ablehnung der Inszenierung von Sebastian Baumgarten, die mit schon beinahe einhelliger Vehemenz erfolgte. Selbst der Beifall für die zum Teil ausserordentlich guten Sängerleistungen blieb ungewohnt kurz.
Der Konzeptionsansatz - nämlich das Geschehen rund um den libertinösen Verführer im Einflussbereich einer evangelikalen Sekte von extremen Sauberkeitsfanatikern spielen zu lassen - war gut gewählt. Schon Kierkgaard (in seinem Essay Entweder - Oder) hatte vor 170 Jahren das gesellschaftlich-revolutionäre Sprengpotential dieses erotischen Freigeists erkannt und dessen moralisch verwerflichen Aktivitäten als Entschuldigung für das Nichteinhalten von rigorosen und radikalen Regeln der Gemeinschaft entschuldigt und erklärt. Regisseur Sebastian Baumgarten spinnt diese Gedanken wenigstens in seinen theoretischen Ausführungen (leider weniger in der konkreten Umsetzung) einleuchtend fort: Don Giovanni erscheint bei ihm als schleimiger, von tierischen Trieben gesteuertes, überaus unsympathisches Wesen, welches in immer neuen Verwandlungen und Verkleidungen über die Bühne und durch diesen Gebetsraum der Freikirche tollt (Bühne: Barbara Ehnes). In der ersten Szene begrapscht er als haariger Affe Donna Anna, reizt sie mit seiner Banane (Phallus); im Finale fährt er als diabolisch-roter, geiler Bock mit dem Fahrstuhl zur Hölle. Blutige Spuren hinterlässt er auf den von ihm begehrten Frauen, auf dem Busen Donna Annas, auf dem Po Elviras, zwischen den Schenkeln der von ihm in einer sadistischen Orgie entjungferten Zerlina. Peinlich genau wird jede seiner Untaten in die Kategorie der sieben Todsünden eingereiht, per Videoprojektion und mit Strichliste festgehalten – wir hätten es ja sonst nicht begriffen. Das entspricht dann leider einer Methode mit dem Holzhammer, welche die Intelligenz des Publikums beleidigt. Bereits bevor die Vorstellung beginnt, darf man die in rosa Schutzanzüge gewandeten Mitglieder der Sekte beim Herstellen von Transparenten beobachten („Ich bin zum Gericht auf die Welt gekommen“ etc.) Selbst während der Ouvertüre werden wir noch mit ähnlichen Sprüchen des „zornigen Gottes“ dermassen bombardiert, dass man vom genialen d-Moll Akkord Mozarts und seiner gekonnten Modulation wegen der optischen Ablenkung fast nichts mitbekommt. Zum Glück verschwinden diese zittrigen Projektion dann nach wenigen Takten und man kann die Aufmerksamkeit einige kurze Momente lang ungeteilt der Ouvertüre widmen. Das Ohr jedoch muss sich erst mal wieder an den trockenen, spröden Klang der Originalinstrumente gewöhnen (das Orchester LA SCINTILLA der Oper Zürich spielt unter der Leitung von Robin Ticciati). Der Dirigent versucht die Tempi scharf gegeneinander abzugrenzen, doch das Ganze gelingt nicht pannenfrei. Wunderschön herausgearbeitete Feinheiten stehen neben ziemlich uninteressant und etwas verwackelt geratenen Passagen. Auf der Bühne spielt ein continuo (Cello, Hausorgel und Cembalo) gekonnt dissonante Klänge als Begleitung der secco Rezitative, das kann man zwar so machen, es wirkt nicht mal allzu befremdlich, doch zwingend oder sonderlich einleuchtend ist es indes nicht.
Immerhin scheint die Kostümdramaturgie (Kostüme: Tabea Braun) ziemlich stringent: Viel Violett und Weiss für die Sektenmitglieder Komtur (der Oberguru), Donna Anna und Don Ottavio (wenigstens in seiner modischen Unterwäsche), der später zum Operetten-Offizier mit Reitstiefeln und Breeches mutiert. Burschikos gekleidet ist Elvira, welche nur für den Ball ins Rokoko-Kostüm schlüpft. Leporello kommt wie eine Don Basilio-Karikatur daher, hinkend, die Brille stets von der Nase rutschend. Ruben Drole spielt das hingebungsvoll, er sorgt auch dafür, dass das Buffo-Element nicht zu kurz kommt. Die Friedhofsszene mit Diener und Herr in 20er Jahre Unterwäsche und Leichenfledderei am Grab des Komturs bekommt etwas Slapstickartiges und ist durchaus amüsant, wie auch einige subtile Personenführungen. So etwa wenn Zerlina zum Entsetzen ihres Amish-Quäker-Mennoniten Gemahls Masetto in muslimische Gebetsposen verfällt. Während also Donna Anna, Ottavio und Donna Elvira gutbürgerliche und wohlbetuchte Moralisten und Leporello etwas Lehrerhaftes darstellen, Don Giovanni in Windeseile in und aus allen möglichen und unmöglichen Travestien schlüpft, ist der dritte Stand als biedere nordamerikanische Amish-People Gemeinschaft gezeichnet. Auch dies ein an und für sich gelungener Ansatz, der aber nicht weiter verfolgt wird und irgendwie ins Leere läuft.
Die Sängerinnen und Sänger lassen sich mit bewundernswerter Hingabe auf das insgesamt zu kopflastige Spiel und die doch etwas gewöhnungsbedürftigen Tempovorgaben ein, überzeugen mit grossem Atem und eingeflochtenen Verzierungen und Vorhaltenoten, die man so noch kaum je gehört hat. Peter Mattei glänzt stimmlich in der rasant vorgetragenen Champagnerarie genauso wie im sublim gestalteten Ständchen mit seiner substanzvollen Baritonstimme und darstellerisch ist er unter den ihm aufoktroyierten Umständen von überragender, (wenn auch widerlicher) Bühnenpräsenz. Ruben Drole als Leporello klang zu Beginn aufgerauter als auch schon, doch passte dieser sperrige Klang durchaus zu dem dargestellten Charakter des hinkenden Lehrers, dem sein Schüler Giovanni wie ein Geist aus der Flasche um den Kopf wirbelt. Pavol Breslik darf in dieser Mischfassung aus Wiener- und Prager-Fassung zum Glück beide Arien des Don Ottavio singen und tut dies mit wunderschöner, tragender Stimmgebung, ohne jede Weinerlichkeit, die gerade bei dieser Figur oft droht. Sein kerniger, überaus schön geführter Tenor und die wunderbare Phrasierungskunst (sowie das blendende Aussehen!) lassen ihn beinahe zu einem Sympathieträger werden, in einer Aufführung, die uns ansonsten keine Person richtig nahe bringt. Marina Rebekas grosse, leidenschaftlich lodernde und wunderschön aufblühende Stimme füllt das Haus bis in den letzten Winkel. Sie verleiht dieser Donna Anna eine beinahe hochdramatisch anmutende, berechnende (und auch etwas gleichförmig laute) Kraft. Julia Kleiter als Donna Elvira (Rollendebüt!) gelingt es vortrefflich das Schwanken zwischen unerfüllter Liebe, Abscheu, warnender Moralistin und verführbarer Frau zu transportieren. Einen musikalischen Höhepunkt an dramatischer Ausdruckskraft stellt ihre Szene im zweiten Akt „In quali eccessi ... Mi tradì quell’ alma ingrata“ dar. Mit Anna Goryachovas prallem und biegsamem Mezzosopran ist die Zerlina vortrefflich besetzt, genauso wie der Masetto mit der einnehmenden Stimme von Erik Anstine (beide mit Rollendebüts!). Als Komtur und steinerner Gast bringt Rafal Siwek seinen profunden, schwarzen Bass effektvoll zur Geltung. Dank dieser insgesamt wirklich geglückten Besetzung der gleichwertig wichtigen acht Partien der „Oper aller Opern“ (E.T.A.Hoffmann) verlässt man die Aufführung nach dem Entrüstungssturm, welcher über die szenisch Verantwortlichen hereingeprasselt war, doch einigermassen besänftigt.
Werk:
Da LE NOZZE DI FIGARO, die erste Zusammenarbeit zwischen Lorenzo da Ponte und Mozart, in Prag grossen Enthusiasmus ausgelöst hatte, kam Mozart zu seinem Auftrag, eine Oper für das Prager Nationaltheater zu schreiben. Mozart und da Ponte beschlossen, sich dem damals äusserst populären Don-Juan-Stoff zuzuwenden. So entstand die zweiaktige Oper DON GIOVANNI (welche eigentlich den Titel IL DISSOLUTO PUNITO OSSIA IL DON GIOVANNI trägt). Seit der Uraufführung geniesst das Werk grösste Wertschätzung bei Publikum, Musikern und Kritikern und den Ruf als „Oper aller Opern“ (E.T.A.Hoffmann). Diese Oper regte Denker vom Rang eines Adorno, eines Kierkegaard oder eines Nietzsche zu philosophischen Ergüssen an. Aber all dessen ungeachtet, sind es die direkt ins Herz der Zuhörer und der Charaktere treffende Meisterschaft von Mozarts Musik, seine geniale Einfühlungskraft und die musikdramatisch feinnervig erfasste Vielschichtigkeit der Protagonisten, welche das Werk selbst aus Mozarts Schaffen herausragen und alle anderen Vertonungen des Stoffes neben sich verblassen lassen.
Inhalt:
Um seinen unbändigen Trieb nach sexuellen Abenteuern zu befriedigen, hat sich Don Giovanni die Tochter des Komturs, Donna Anna, als nächstes „Opfer“ ausgesucht. Doch ihr Vater kommt dazwischen. Don Giovanni ersticht ihn. Donna Annas Verlobter, Don Ottavio, schwört seiner Geliebten, die Tat zu rächen. Giovannis Diener Leporello hat es zwar satt, dem zügellosen Herrn zu dienen, doch lässt auch er sich immer wieder von Don Giovannis Charme (und seiner Geldbörse) einlullen. Eine von Don Giovannis Verflossenen, Donna Elvira, warnt Donna Anna und die junge Zerlina vor dem Verführer Giovanni, denn Don Giovanni versucht sich an Zerlina heranzumachen, kurz vor ihrer Hochzeit mit Masetto. Als ihre Hilferufe Leute herbeilocken, lenkt er den Verdacht auf seinen Diener Leporello. Durch einen Kleidertausch mit Leporello entkommt er auch den Prügeln der Bauern und kann sich erneut an Donna Elvira heranmachen. Auf dem Friedhof trifft er sich wieder mit Leporello, ausgerechnet am Grab des von ihm ermordeten Komtur. Die Statue beginnt zu sprechen, empört sich über die Störung der Totenruhe. In seiner Übermut lädt Don Giovanni die Statue zum Abendbrot auf sein Schloss ein. Vor dem Mahle, zu dem auch Donna Elvira, Donna Anna und Ottavio geladen sind, versucht Donna Elvira nochmals, Don Giovanni zur Abkehr von seiner Lasterhaftigkeit zu bewegen. Vergeblich. Der steinerne Gast erscheint. Don Giovanni bereut keine seiner Schandtaten. Die Flammen der Hölle verschlingen ihn. Im Schlusssextett ziehen die übrig gebliebenen Protagonisten die Moral aus der Geschichte des bestraften Wüstlings.
Musikalische Höhepunkte:
Madamina, il catalogo è questo, Leporello, Akt I (Registerarie)
Ah! Chi mi dice mai, Donna Elvira, Akt I
Là ci darem la mano, Duett Don Giovanni-Zerlina, Akt I
Ah! Fuggi il traditor, Donna Elvira, Akt I
Or sai chi' l'onore, Donna Anna, Akt I
Dalla sua pace, Don Ottavio, Akt I (nachkomponiert für Wien)
Fin ch'han dal vino, Don Giovanni, Akt I (Champagnerarie)
Deh, vieni alla finestra, Don Giovanni, Akt II
Il mio tesoro, Don Ottavio, Akt II
In quali eccessi, Donna Elvira, Akt II (nachkomponiert für Wien)
Non mi dir, Donna Anna, Akt II
Don Giovanni, a cenar teco, Commendatore-Don Giovanni, Höllenfahrt, Akt II