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St.Gallen: SALOME, 05.05.2012

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Salome

copyright: Tanja Dorendorf, mit freundlicher Genehmigung Theater St. Gallen

Musikdrama in einem Aufzug | Musik: Richard Strauss | Libretto : vom Komponisten, nach der Dichtung von Oscar Wilde | Uraufführung: 9.Dezember 1905 in Dresden | Aufführungen in St.Gallen: 5.5. | 12.5. | 15.5. | 20.5. | 30.5. | 3.6. | 5.6.2012

 

Kritik:

Ein riesige Vollmondscheibe verbirgt zunächst die seelischen Abgründe, welche sich am Hof des Herodes auftun. Zur geheimnisvoll nächtlich klingenden Tonleiter der Klarinette gibt die Scheibe dann den Blick frei auf auf eine enge, spiegelglatte, leicht abfallende Fläche, begrenzt durch riesige Gitter. In diesem gestylten Käfig sind die Figuren gefangen, haben keine Möglichkeit auszubrechen, werden quasi zunehmend denaturiert. Vincent Lemaire hat eine bezwingende, den Blick genau auf das Wesentliche fokussierende Bühnenkonstruktion geschaffen und Regisseur Vincent Boussard nutzt die begrenzte Fläche zum genau eingezirkelten, atemberaubend packend gestalteten Drama in der pervertierten Gesellschaft einer nicht genau definierten Zeit. Boussard gelingt eine plastische Zeichnung der Charaktere durch eine genaue Personenführung und den Verzicht auf von der Handlung ablenkenden Statisten oder Requisiten. Das einzige, etwas rätselhafte Element ist ein von oben herunterschwebender, vergoldeter Kühlschrank, wohl ein Symbol für die Gefühlsstarre und -kälte in dieser durch und durch gestylten Welt. Denn kein geringerer als der Pariser Couturier Christian Lacroix zeichnet für die wunderschön gearbeiteten Kostüme mit den zauberhaften Stoffen (Firma Schläpfer/Bambula) verantwortlich. Die sowohl im Stück von Oscar Wilde als auch in der Musik von Strauss angelegte Metapher des Mondes bleibt den Abend durch präsent. Immer unterteilt diese mal silbern, mal blutrot gefärbte Scheibe gleich einer Filmklappe die Szenen, konzentriert das Ohr auf die schillernd erzählenden, orchestralen Zwischenspiele, verhindert so, dass man von unnötigen Aktionen auf der Bühne abgelenkt wird. Guido Levi hat ein die Stimmungen perfekt reflektierendes Lichtdesign ausgearbeitet, ein Licht, dass sich auch mal die Augen schmerzend am engmaschigen Gitternetz des Käfigs brechen kann, dann wieder (wie beim Schleiertanz) berauschend golden wirkt. Genauso berauschend ist, was sich auf der musikalischen Seite dieser aussergewöhnlichen Produktion tut: Das Sinfonieorchester St.Gallen lässt Strauss' Partitur in all ihrer Farbigkeit, Schroffheit, Laszivität und Abgründigkeit aufblühen. Dirigent Modestas Pitrenas bevorzugt zügige Tempi, kaschiert die Modernität des Orchesterklangs nie mit Schwülstigkeit, baut das (sexuelle) Begehren bis zum explosiven Zerreissen spannungsgeladen auf. Eine grandiose Leistung des Orchesters, welche ihre Entsprechung in der hochkarätigen Besetzung der Gesangspartien findet. Alex Penda (Alexandrina Pendatchanska) ist eine Salome, welche ihre Kindheit schon zurückgelassen (oder eher nie gehabt) hat. Denn für eine „Kindfrau“ ist ihre Stimme bereits zu reif, zu abgündig. Doch wie die bulgarische Sopranistin mit ihren imponierenden stimmlichen und gestalterischen Ressourcen umgeht, sie gekonnt einsetzt, lässt den Atem stocken. Geradezu trotzig abgebrüht absolviert sie den Scheiertanz, wirft verächtlich ihre kostbaren Schleier runter in die Zisterne zu Jochanaan, wie wenn sie einem Hund Fleischbrocken hinwerfen würde, gibt sich erschlaffend gelangweilt dem Herodes im Walzer hin, so dass dieser sich sogar Trost suchend an die Brust seiner eiskalten Gemahlin werfen muss. Den langen, fantastisch packend und Schauer erregend gestalteten Schlussmonolog singt Frau Penda zumeist liegend, sich die entblösste Brust zunehmend mit Jochanaans Blut verschmierend. Jochanaans Rufe, Prophezeiungen und Anklagen werden von Martin Gantner mit wunderbarer baritonaler Sonorität und Wohlklang in den Raum geschleudert; er ist der revolutionäre Eindringling in dieser emotionalen Eiseskälte, rüttelt an den Fundamenten der erstarrten Gesellschaft. Die Herodias von Gabriele Schnaut stellt diese emotionale Kälte mit geradezu Gänsehaut hervorrufender Eindringlichkeit dar. Mit schneidender, stählerner und grandioser, ausdrucksstarker Stimme (und nicht nur in der Kleidung!) zeigt sie, wer hier im Hause die Hosen anhat. Wie eine Lady Macbeth triumphiert sie still, doch mit geradezu ungeheuerlicher Bühnenpräsenz, wenn ihre Tochter mit geflüsterter Unerbittlichkeit den abartigen Wunsch nach Jochanaans Kopf äussert. Andreas Conrad als Herodes bleibt trotz seiner eindringlich und mit fantastischer Textverständlichkeit vorgetragenen Geschenks-Alternativen schliesslich nichts anderes übrig, als sein zuvor in leichtfertigem sexuellen Begehren abgegebenes Versprechen zu erfüllen. Beinahe (aber nur beinahe) fühlt man ein bisschen Mitleid mit diesem abergläubigen, schwachen Herrscher, den Andreas Conrad mit seinem klaren, hellen und die Textnuancen subtil durchleuchtenden Tenor glänzend interpretiert. Das Theater St.Gallen hat die kleineren Partien rollendeckend aus dem Ensemble besetzen können. Aufhorchen lassen insbesondere Terhi Kaarina Lampi als mit grosser Wärme singender Page und Tijl Faveyts als geradezu luxuriös seine prächtige Bassstimme verströmender Zweiter Soldat. Der attraktive Narraboth von Derek Taylor muss sich früh in den Suizid flüchten, die Nazarener (Wade Kernot, David Maze) vermögen Herodes ein wenig zu verunsichern und die fünf Juden (Riccardo Botta, Nik Kevin Koch, Iskander Turiare, Marc Haag und Robert Virabyan) mit ihren karikierenden Masken, sind bei der Tötung des Jochanaan eilfertig behilflich.

Fazit:

Mit der Besetzung der schwierigen Hauptpartien durch diese vier Weltklassekünstler (Penda, Schnaut, Gantner, Conrad) und der konzentrierten und stringenten szenischen und musikalischen Realisierung ist dem Theater St.Gallen ein unter die Haut gehender, spannungsgeladener Opernabend gelungen.

Inhalt:

Palästina, ca. 30 n.Chr.

Salome, Tochter der Herodias und Stieftochter des Herodes, ist ein verwöhnter Teenager und wächst in einer äusserst dekadenten Umgebung auf. Ihr Stiefvater stellt ihr lüstern nach, sie ist angewidert, sucht nach Halt und begehrt das Unerreichbare, die Liebe des gefangenen Propheten Jochanaan (Johannes der Täufer). Dieser jedoch weist ihre unreifen, trotzigen erotischen Annäherungen aufs Entschiedenste zurück und bezeichnet sie als Tochter Sodoms. Ein junger Offizier (Narraboth) ersticht sich aus liebender Verzweiflung über Salomes erotisches Verlangen nach dem heiligen Mann. Herodes vermag Salome zu einem Tanz für ihn zu überreden, nachdem er ihr versprochen hat, ihr jeden Wunsch zu erfüllen. Salome verlangt mit kaltblütiger Sturheit den Kopf des Jochanaan, serviert auf einer Silberschüssel. Herodes ist entsetzt, betrachtet er doch den Jochanaan als Heiligen, obwohl er ihn hat festsetzen lassen. Er vermutet hinter Salomes Wunsch die Einflussnahme ihrer Mutter Herodias. Doch darin täuscht er sich: Salome fühlt sich von Jochanaan dermassen zurückgestossen, dass mit unbändiger Ausschliesslichkeit auf ihrem pervers-trotzigen Begehren beharrt. Schliesslich gibt er ihr, was sie verlangt. In ihrem extrem aufwühlenden Schlussmonolog vereinigt sich Salome in sexueller Ekstase mit Jochanaan (mit seinem abgeschlagenen Kopf). Der Ekstase muss die Ernüchterung folgen - Herodes wendet sich angewidert ab und befiehlt: Man töte dieses Weib.

Werk:

Lange, sehr lange hat sich Richard Strauss Zeit gelassen, bevor er sich in seinem reichhaltigen Schaffen dem Musiktheater zugewandt hat. Mit seinen programmatischen sinfonischen Dichtungen (u.a. Don Juan, Till Eulenspiegel, Also sprach Zarathustra) hat er sich das Handwerk des genialen Instrumentationskünstlers angeeignet, die farblichen Möglichkeiten des grossen Orchesters wie kaum ein zweiter ausgelotet und zur Perfektion getrieben. Nach zwei eher erfolglosen Versuchen im Bereich des Musikdramas (GUNTRAM, FEUERSNOT) fand er (im Alter von beinahe 40 Jahren) in Oscar Wildes SALOME endlich den Stoff für sein bahnbrechendes Werk. SALOME kann man als erste deutsche Literaturoper bezeichnen, die aristotelische Einheit des Dramas (Zeit, Ort, Handlung) ist in geradezu exemplarischer Weise gewahrt. Die Figur der femme fatale (und der entsprechenden Männerphantasien ...)welche in ihrem selbstbestimmten sexuellen Begehren auch immer den Tod als Ziel in sich trägthatte bereits andere Werke des ausgehenden 19. und beginnenden 20 Jahrhunderts beeinflusst (Delila, Thaïs, Carmen – später Lulu).

Die Komposition wurde von den bedeutendsten Zeitgenossen (Puccini, Mahler, Berg, Schönberg) als wichtigstes Ereignis im Bereich der Oper seit Wagners TRISTAN UND ISOLDE bezeichnet. Strauss schrieb eine packende, erotisch schwülstige und trotz ihrer Komplexität die Grenzen der Tonalität kaum verlassende Musik. Auch der riesige Orchesterapparat wurde von ihm mit grandioser Raffinesse eingesetzt. Nur in ganz wenigen, dramatisch zugespitzten Momenten entlädt sich die volle Wucht des Orchesters. Ansonsten herrscht ein ausgeklügelter Parlandostil vor, gespickt mit ariosen Aufschwüngen, untermalt von einem - in idealen Interpretationen – farblich fein abgestuften, transparenten und ungemein sinnlichen Orchesterklang, einem kunstvollen Stimmengeflecht.

Die Titelrolle gehört zu den anspruchsvollsten Aufgaben für Sopranistinnen im lyrisch-dramatischen Fach. Obwohl Salome oft mit hochdramatischen Sopranen besetzt wurde und wird (Nilsson, Borkh, Gwyneth Jones), liegt die Partie auch schlankeren Stimmen ausgezeichnet, da das Orchester die Sängerin eigentlich kaum zudecken sollte. Viele der besten Salomes waren eher lyrische Soprane (Welitsch, della Casa, Rysanek, Malfitano und vor allem Montserrat Caballé in der empfehlenswerten Einspielung unter Erich Leinsdorf).

Musikalische Höhepunkte:

Wo ist er?, Jochanaan

Jochanaan! Ich bin verliebt in deinen Leib, Salome-Jochanaan

Wahrhaftig, Herr, Judenquintett

Salomes Tanz (Schleiertanz)

Still, sprich nicht zu mir, Herodes

Ah, du wolltest mich nicht deinen Mund küssen lassen …, Salome, Schlussszene

Karten

Video-Trailer auf art-tv

Premierenapplaus, Video

 

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