Berlin, KOB: SALOME, 06.05.2011
Musikdrama in einem Aufzug | Musik: Richard Strauss | Libretto : vom Komponisten, nach der Dichtung von Oscar Wilde | Uraufführung: 9.Dezember 1905 in Dresden
Kritik:
Viele haben so ihre geheimen sexuellen Wünsche und Begierden, ihren Fetisch. Doch bleiben diese meist im Verborgenen, tauchen in (Alb)träumen auf, gedeihen im Dunkeln. Die verwöhnte 16jährige Potentatentocher Salome hingegen kennt keine Tabus, ja aus pubertärem Trotz heraus spielt sie geradezu mit Tabubrüchen – und so tut es auch der Regisseur Thilo Reinhardt. Den Striptease der Salome vor ihrem Stiefvater, den berühmt-berüchtigten Tanz der sieben Schleier, zeigt er bewusst nicht als solchen, sondern eben als albtraumhafte Konfrontation aller Beteiligten mit ihren wollüstigen Sehnsüchten. Herodes wird darin zum Pädophilen, der zahlreiche Lolitas missbraucht, Herodias ist die schwanzgeile Hure, die mit dem Riesenphallus des Erlösers am Kreuz „Hau-den-Lukas“ spielt, da sie wahrscheinlich mit dem impotenten Klein-Mädchen-Verführer Herodes nicht mehr so recht glücklich werden kann. Jochanaan, der fanatische Revolutionär, zeigt Kindern den Umgang mit Schnellfeuerwaffen und gefällt sich am Steuer eines Amischlittens mit der schwer bewaffneten Salome als Pin-up Girl auf dem Rücksitz, Salome bespringt den Gekreuzigten. Im Programmheft der Komischen Oper findet man die Bemerkung Einar Schleefs zu seiner Bearbeitung des Stücks: „Salome ist eine Sauerei.“ Das bringt es kurz und prägnant auf den Punkt. Schon die Uraufführung hatte provoziert, die Sängerin der Tiltelrolle soll sich mehrfach geweigert haben, diese „Perversitäten“ darzustellen. Seit 1905 haben wir natürlich schon alles und jegliches bildhaft dargestellt gesehen, sind abgestumpft. Die Regisseure müssen sich also immer neue Provokationen ausdenken, um uns zu erreichen. Doch Thilo Reinhardt schafft es trotz verzweifelter Bemühungen nicht: Vielleicht mag er bei dem aller konservativsten Teil des Publikums (welches der Komischen Oper eh schon lange den Rücken gekehrt hat) Abscheu hervorzurufen, die Jungen begleiten diesen comicartigen Inszenierungsstil mit mildem Lächeln oder Schenkel klopfender Heiterkeit. Zudem hat man die permanent onanierenden Soldaten in ihren schicken Kampfanzügen schon in Thalbachs Kölner Inszenierung vor 10 Jahren gesehen. Paul Zoller hat einen mit wenigen Strichen angedeuteten, klappbaren Präsidentenpalast (der wohl nicht zufällig ans Weisse Haus erinnert) vor eine stark abfallende Spielfläche gestellt, Katharina Gault hat die Protagonisten treffend eingekleidet: Salome tritt zuerst ganz im Girlie-Look auf und nähert sich im Verlauf des grausigen Spiels immer mehr dem klassischen Guerilla-Outfit und der Kriegsbemalung Jochanaans an, Herodias beherrscht optisch im kanariengelben Designerkleid die Bühne, Herodes in einem lächerlich knalligen, saphirblauen Anzug, in seinem quirligen Gehabe nicht unähnlich einem sexgeilen italienischen Ministerpräsidenten. Die Juden sind mehr oder weniger einflussreiche, dekorierte Banker, die Nazarener fuchteln mit einer Art Maobibeln. Narraboth wird kurzerhand von Salome erschlagen, als er sich ihr in den Weg stellt, Jochanaan wird von Herodias und den Juden in einer gemeinsamen Blutorgie hingerichtet, seinen Kopf trägt die Neu-Revoluzzerin Salome dann in einer schicken tranparenten Plastiktüte von dannen – und überlebt als Comicheldin selbstverständlich das Gemetzel. Ja, so kann man das Werk auch sehen, als karikierenden Spass, der sogar musikalisch begründet erscheint, da viele Passagen in Strauss´opulenter Partitur tatsächlich diesen Charakter aufweisen.
Sängerisch überraschte die Darstellerin der riesigen Titelpartie: Annette Seiltgen spielt diese Göre überaus bezwingend und begeistert mit ihrer kraftvollen, höhensicheren Stimme, welche sie dynamisch ausgeklügelt und differenziert einzusetzen weiss. Als ihre Mutter Herodias beherrscht Christiane Oertel mit Mark und Bein durchdringenden Tönen die Bühne. Doch daneben sitzt auch jeder Augenaufschlag, jedes Verziehen des Gesichts – eine bestechende Interpretation. Christoph Späth als Herodes ist ganz der kleine Mann, der es durch Intrigen (und wahrscheinlich Geld) zu Macht gebracht hat, aber innerlich doch eine armselige Kreatur geblieben ist und eben das Gebot Machiavellis zur Machterhaltung (Sexuelle Selbstbeherrschung ist die Voraussetzung zur Unkorrumpiebarkeit) nicht beachtet. Egils Silins gefällt sich offensichtlich im Outfit des fundamentalistischen Revoluzzers und bezirzt durch seine wohlklingende Stimme nicht nur die Stieftochter des Herodes. Joska Lehtinen steht die Uniform des Narraboth blendend, seine Stimme dürfte noch etwas kräftiger sein. Wunderbar schrill geben Christoph Schröter, Peter Renz, Matthias Siddhartha Otto, Thomas Ebenstein und Marko Spehar das Judenquintett. Der Dirigent Uwe Sandner brachte die Partitur mit dem Orchester der Komischen Oper Berlin zu farbenreich-flimmerndem Erblühen, liess einen wunderbar sinnlich klingenden Tanz aus dem Graben aufsteigen und verstand es, die Sängerinnen und Sänger nie zum Forcieren zu zwingen.
Fazit:
Wer mit (wohl) nicht ganz ernst gemeinten Tabubrüchen umgehen kann, dem sei ein Besuch dieser Aufführung wärmstens empfohlen.
Inhalt:
Palästina, ca. 30 n.Chr.
Salome, Tochter der Herodias und Stieftochter des Herodes, ist ein verwöhnter Teenager und wächst in einer äusserst dekadenten Umgebung auf. Ihr Stiefvater stellt ihr lüstern nach, sie ist angewidert, sucht nach Halt und begehrt das Unerreichbare, die Liebe des gefangenen Propheten Jochanaan (Johannes der Täufer). Dieser jedoch weist ihre unreifen, trotzigen erotischen Annäherungen aufs Entschiedenste zurück und bezeichnet sie als Tochter Sodoms. Ein junger Offizier (Narraboth) ersticht sich aus liebender Verzweiflung über Salomes erotisches Verlangen nach dem heiligen Mann. Herodes vermag Salome zu einem Tanz für ihn zu überreden, nachdem er ihr versprochen hat, ihr jeden Wunsch zu erfüllen. Salome verlangt mit kaltblütiger Sturheit den Kopf des Jochanaan, serviert auf einer Silberschüssel. Herodes ist entsetzt, betrachtet er doch den Jochanaan als Heiligen, obwohl er ihn hat festsetzen lassen. Er vermutet hinter Salomes Wunsch die Einflussnahme ihrer Mutter Herodias. Doch darin täuscht er sich: Salome fühlt sich von Jochanaan dermassen zurückgestossen, dass mit unbändiger Ausschliesslichkeit auf ihrem pervers-trotzigen Begehren beharrt. Schliesslich gibt er ihr, was sie verlangt. In ihrem extrem aufwühlenden Schlussmonolog vereinigt sich Salome in sexueller Ekstase mit Jochanaan (mit seinem abgeschlagenen Kopf). Der Ekstase muss die Ernüchterung folgen - Herodes wendet sich angewidert ab und befiehlt: Man töte dieses Weib.
Werk:
Lange, sehr lange hat sich Richard Strauss Zeit gelassen, bevor er sich in seinem reichhaltigen Schaffen dem Musiktheater zugewandt hat. Mit seinen programmatischen sinfonischen Dichtungen (u.a. Don Juan, Till Eulenspiegel, Also sprach Zarathustra) hat er sich das Handwerk des genialen Instrumentationskünstlers angeeignet, die farblichen Möglichkeiten des grossen Orchesters wie kaum ein zweiter ausgelotet und zur Perfektion getrieben. Nach zwei eher erfolglosen Versuchen im Bereich des Musikdramas (GUNTRAM, FEUERSNOT) fand er (im Alter von beinahe 40 Jahren) in Oscar Wildes SALOME endlich den Stoff für sein bahnbrechendes Werk. SALOME kann man als erste deutsche Literaturoper bezeichnen, die aristotelische Einheit des Dramas (Zeit, Ort, Handlung) ist in geradezu exemplarischer Weise gewahrt. Die Figur der femme fatale (und der entsprechenden Männerphantasien ...), welche in ihrem selbstbestimmten sexuellen Begehren auch immer den Tod als Ziel in sich trägt, hatte bereits andere Werke des ausgehenden 19. und beginnenden 20 Jahrhunderts beeinflusst (Delila, Thaïs, Carmen – später Lulu).
Die Komposition wurde von den bedeutendsten Zeitgenossen (Puccini, Mahler, Berg, Schönberg) als wichtigstes Ereignis im Bereich der Oper seit Wagners TRISTAN UND ISOLDE bezeichnet. Strauss schrieb eine packende, erotisch schwülstige und trotz ihrer Komplexität die Grenzen der Tonalität kaum verlassende Musik. Auch der riesige Orchesterapparat wurde von ihm mit grandioser Raffinesse eingesetzt. Nur in ganz wenigen, dramatisch zugespitzten Momenten entlädt sich die volle Wucht des Orchesters. Ansonsten herrscht ein ausgeklügelter Parlandostil vor, gespickt mit ariosen Aufschwüngen, untermalt von einem - in idealen Interpretationen – farblich fein abgestuften, transparenten und ungemein sinnlichen Orchesterklang, einem kunstvollen Stimmengeflecht.
Die Titelrolle gehört zu den anspruchsvollsten Aufgaben für Sopranistinnen im lyrisch-dramatischen Fach. Obwohl Salome oft mit hochdramatischen Sopranen besetzt wurde und wird (Nilsson, Borkh, Gwyneth Jones), liegt die Partie auch schlankeren Stimmen ausgezeichnet, da das Orchester die Sängerin eigentlich kaum zudecken sollte. Viele der besten Salomes waren eher lyrische Soprane (Welitsch, della Casa, Rysanek, Malfitano und vor allem Montserrat Caballé in der empfehlenswerten Einspielung unter Erich Leinsdorf).
Musikalische Höhepunkte:
Wo ist er?, Jochanaan
Jochanaan! Ich bin verliebt in deinen Leib, Salome-Jochanaan
Wahrhaftig, Herr, Judenquintett
Salomes Tanz (Schleiertanz)
Still, sprich nicht zu mir, Herodes
Ah, du wolltest mich nicht deinen Mund küssen lassen …, Salome, Schlussszene