St.Gallen: LA SONNAMBULA, 23.10.2010
Melodramma in zwei Akten | Musik: Vincenzo Bellini | Libretto: Felice Romani | Uraufführung: 6. März 1831 in Mailand | Aufführungen in St.Gallen: 23.10. | 30. 10. | 2.11. | 4.11. | 7.11. | 13.11. | 16.11. | 19.11. | 26.11. | 28.11. | 30.11. | 5.12. | 8.12. | 14.12. | 20.12. | 22.12. | 27.12.2010| 19.1. | 6.2. | 3.3. | 6.3.2011
Kritik:
Allen Fans von Belcanto-Opern (und solchen, die es werden wollen) sei ein Besuch von Bellinis LA SONNAMBULA im Theater St.Gallen wärmstens empfohlen. Hier wird vokaler Wohlklang vom Feinsten geboten. Einmal mehr hat es die Theaterleitung verstanden, prominente Gäste für begeisternde Rollendebüts zu gewinnen. Jane Archibald, weltweit gefeiert als Zerbinetta und Königin der Nacht, erfüllte die Rolle der Amina mit Koloraturen von traumwandlerischer Sicherheit, setzte berührend zart, mit schwebenden Piani zur grossen Finalszene Ah non credea mirarti an und steigerte sich in eine fulminante Cabaletta (Ah non giunge), gespickt mit ausdrucksstark und gekonnt gesetzten Fiorituren. Ihr Bühnenpartner, der von der Scala über Berlin und Hamburg bis an die Met gefeierte Tenor Lawrence Brownlee, stand ihr darin in nichts nach. Mit seiner flexiblen, herrlich weich timbrierten Stimme mit männlichem Kern, sang er den schwierigen Part des Elvino mit Schmelz und wunderbar perlenden Koloraturen. Nobel und unprätentiös liess Roberto Tagliavini seine herrliche Bassstimme als „aufgeklärter“ Conte Rodolfo strömen. Doch nicht nur die Gäste hatten Anteil am vokalen Ereignis dieser Aufführung, auch die Ensemblemitglieder des Theaters St.Gallen vermochten Glanzpunkte zu setzen: Alison Trainer war eine umwerfend kratzbürstige Lisa, welche ihren hellen Sopran effektvoll zur Geltung bringen konnte, Katja Starke, als liebevoll besorgte Teresa, hatte einen an Eindringlichkeit kaum zu überbietenden Auftritt im zweiten Akt, als sie Lisa als Lügnerin entlarvte: Ihr im fortissimo hinausgeschleudertes Menzognera ging nicht nur Elvino und den wankelmütigen Dorfbewohnern (klangschön sangen Chor und Opernchor des Theaters St.Gallen) unter die Haut. Wade Kernot gab den gutmütigen, in seinem Werben um Lisa trotz ständiger Zurückweisung unerschütterlich bleibenden Bauern Alessio und Nik Kevin Koch war der Notar.
Bühnenbildner Cristian Taraborrelli hat für die Bühne vier Möbelstücke in je drei Ausführungen entworfen: Eine Kommode, einen Schreibtisch, einen Sessel und ein Bett. In der Bühnenmitte waren diese Möbel von überdimensionaler Grösse, darauf bewegten sich die Protagonisten und der Chor, wenn sie sich durch Selbstüberschätzung oder Schlafwandel der Realität entfremdeten. In den Bühnenvordergrund wurden die selben Möbel in realer Grösse geschoben für wirklich stattfindende Geschehnisse, so vor allem wenn der aufgeklärte Conte ins Geschehen involviert war. Am rechten Bühnenrand dann waren diese Möbelstücke auf Puppenstubengrösse reduziert, besetzt mit Puppen in Gestalt der vier Protagonisten Amina, Elvino, Conte und Lisa. Diese Puppenstube diente als Projektionsfläche für Wünsche und Verwünschungen – beinahe als eine Art von Voodoo-Zauber. Das Team um Regisseur Giorgio Barberio Corsetti (Kostüme Angela Buscemi und Cristian Taraborrelli – die mit kunstvollen Blumenstickereien versehenen Schürzensäume vermittelten dann doch noch ein wenig Lokalkolorit) bekam für die szenische Arbeit viel Applaus. Hervorzuheben sind auch noch die raffiniert gemachten Projektionen auf der Bühnenrückwand. Die Personenführung war unaufdringlich, stimmig und zuweilen auch neckisch (die Verfolgungsjagd um das Riesenbett am Schluss); ab und an hätte man sich aber doch noch ein Mehr an psychologischer Durchdringung der Figuren vorstellen können. Dass in dem Stück einiges an seelischen Abgründen zutage kommen kann, wenn man ein wenig an der romantisch-biederen Oberfläche kratzt, hat zum Beispiel die Inszenierung in Luzern in der vergangenen Spielzeit gezeigt.
Thomas Rösner leitete das Sinfonieorchester St.Gallen, welches durch schöne Soli (Klarinette) und Spielwitz (Echos im Vorspiel, flinke Bläser- und Streicherfiguren im Duett Conte-Elvino im zweiten Akt) aufhorchen liess.
Grosser und verdienter Beifall des Premierenpublikums für alle Künstlerinnen und Künstler.
Fazit:
In dieser traumhaften Besetzung darf man die St.Galler SONNAMBULA auf keinen Fall verpassen!
Inhalt:
Ort: Ein Dorf in den Schweizer Bergen
Amina, die schöne Adoptivtochter der Müllerin Teresa, und der wohlhabende Bauer Elvino wollen heiraten. Amina wird auf dem Dorfplatz vom Chor der Dorfbewohner begrüsst, nur Lisa, die Wirtin der Dorfschenke, ist eifersüchtig, da sie selber in Elvino verliebt ist (den in sie verliebten Alessio weist sie zurück). Als Elvino mit einem Notar eintrifft und Amina den Ring an den Finger stecken will, taucht Graf Rodolfo inkognito auf. Er ist der neue Feudalherr des Ortes, war aber lange fort. Er macht der hübschen Amina Komplimente. Elvino zieht sich eifersüchtig-beleidigt zurück. Teresa warnt vor dem nächtlichen Gespenst, welches in letzter Zeit im Dorf gesichtet wurde.
Im Gasthof besucht Lisa Rodolfo auf dessen Zimmer, gerade als die schlafwandelnde Amina eintritt, und auf ein Sofa sinkt. Lisa versteckt sich und Amina wird von den Dorfbewohnern in Gegenwart des verwirrten Rodolfo gefunden. All ihre Unschuldsbeteuerungen nutzen nichts und sie wird von Elvino verstossen.
Trotz der Versöhnungsversuche des Grafen bleibt Elvino stur. Er wirft Amina ihre Treulosigkeit vor und will nun Lisa heiraten. Auf dem Weg zur Hochzeit konfrontiert Teresa Lisa mit deren Umhang, welcher in Rodolfos Zimmer gefunden wurde. Elvino gerät erneut in Zorn und lässt auch diese Hochzeit platzen. Nach Einbruch der Dunkelheit taucht Amina schlafwandelnd vor den Dorfbewohnern auf einem Dach auf. Sie gesteht Elvino - immer noch schlafwnadelnd - ihre Liebe. Dieser erkennt seinen Irrtum. Auf Geheiss des Grafen streift er Amina den Verlobungsring wieder über. Happy End?
Werk:
LA SONNAMBULA gehört zu den populärsten Opern Bellinis. Sie enthält mit der Amina eine Paraderolle für einen lyrischen Koloratursopran: Der Reigen der berühmten Interpretinnen reicht von Giuditta Pasta (Uraufführung) zu Jenny Lind und Maria Malibran. Im letzten Jahrhundert feierten Maria Callas, Joan Sutherland, Toti dal Monte und Edita Gruberova mit der Rolle Triumphe. In St.Gallen wird die kriitische Neuedition von Alessandro Roccatagliati und Luca Zoppelli gespielt, welche z.B. 2008 von Cecilia Bartoli (Leitung Thomas Hengelbrock) in Baden-Baden aufgeführt wurde und auch der Einspielung von Natalie Dessay (Pidó) zugrunde liegt.
Die durchgehend lyrische Grundstimmung des Werks wird nur durch wenige buffoneske Einschübe durchbrochen.