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Luzern: LA SONNAMBULA, 26.03.2010

Erstellt von Kaspar Sannemann | | La Sonnambula

Melodramma in zwei Akten

Musik: Vincenzo Bellini

Libretto: Felice Romani

Uraufführung: 6. März 1831 in Mailand

 

Vorstellungen in Luzern:

So. 28.3. І So. 4.4.* І So. 18.4. (13.30 Uhr) І Mi. 21.4. І Sa. 1.5. I Fr. 14.5. І So. 16.5. (13.30 Uhr) I Fr. 21.5. I

Do. 27.5. I Mi. 2.6., jeweils 19.30 Uhr

* THEATER TAG, Vorstellung zum Einheitspreis CHF 39.-

Kritik:

Nein, heile ist diese Welt im kleinen Dorf in den Schweizer Alpen wahrlich nicht. Da herrschen Bigotterie, Machismus, Gier und Missgunst, Aberglaube und strenger Katholizismus, Lynchjustiz und Fremdenfeindlichkeit. In dieser unwirtlichen Gesellschaft ist die schlafwandelnde Waise Amina die Aussenseiterin. Von ihrer Heirat mit dem reichen Grundbesitzer Elvino erhofft sie sich ein besseres, freieres Leben, sie klammert sich mit letzter Verzweiflung an die Liebe zu diesem Schnösel, diesem vermeintlichen Traum aller Schweigermütter. Doch schnell macht uns die Luzerner Inszenierung klar, welchem fatalen Irrtum Amina hier unterliegt: Elvino mit seinem Ödipuskomplex sucht nicht eine Frau, er sucht das Ebenbild seiner Mutter. Gewaltsam lässt er sie vor der Verlobungsfeier als Spiegelbild seiner Mutter herrichten, sie wird wie eine lebende Tote geschminkt, muss die Kleinmädchenkleider seiner Mutter anziehen, ihre Füsse werden in die zierlichen Schuhe seiner verstorbenen Mutter gezwängt. Zwar versucht sie sich dagegen zu wehren, doch vergeblich: Die Dorfbewohner sind am Geldsegen, welchen Elvino freigiebig verteilen lässt, interessiert und zwingen Amina mit roher Gewalt, den Wünschen des Elvino gefügig zu sein. Einzig Teresa, die resolute Ziehmutter Aminas, versucht vergeblich, ihrem Adoptivkind beizustehen, während das Dorfflittchen Lisa die Situation gandenlos für ihre eigenen Absichten ausnutzt. Die Konzeption des Regisseurs Lorenzo Fioroni rückt das Geschehen somit in die Nähe von Hitchcocks PSYCHO, Elvino ist ein kleiner Norman Bates, welcher am Ende lieber mit einer Puppe in der Gestalt seiner Mutter von dannen zieht, als die sich emanzipierende Amina zu heiraten. Das Schlussbild ist dann auch ungewohnt, aber stringent und stark: Die drei Frauen bleiben alleine auf der Bühne zurück, Amina mit halsbrecherischen Koloraturen vom grossen Glück träumend, die Ziehmutter Teresa und die sich dem Alkohol zuwendende, desillusionierte und einsame Lisa.

Regisseur Fioroni erkrankte leider kurz nach Probenbeginn schwer. Sein Assistent Johannes Pölzgutter besorgte mit nie nachlassender Spannung die intensive und unter die Haut gehende szenische Umsetzung. Das Einheitsbühnenbild (Paul Zoller) stellt eine albtraumhafte, zugige Scheune dar, Papierschlangen hängen als Schmuck für die Verlobungsfeier lieblos von der Decke, die Seile wurden nicht weggeräumt und so haben die Männer sie schnell zur Hand, wenn sie Störenfriede und Aussenseiter aufknüpfen wollen, oder Elvino und Amina gewaltsam ans Bett fesseln, nachdem Elvino sich eifersüchtig von Amina abgewandt hat. Das Licht bleibt meistens kalt, unheimlich. Die Kostüme (Katharina Gault) harmonieren bestens mit der Konzeption: Die Bäuerinnen in Wollsocken, Haussschlappen und billigen Schürzen, Elvino von biederer Eleganz. Weshalb jedoch Graf Rodolfo in der Uniform eines Obersten auftreten muss, erschliesst sich nicht ganz. Weder die Schweizer Armee noch die Polizeikorps stehen doch im Ruf besonders aufgeklärt und reformfreudig zu sein ...

Das Theater Luzern kann mit einer äusserst spannenden und hörenswerten Besetzung der beiden Hauptpartien aufwarten: Sumi Kittelberger als Amina begeistert mit stimmlichen Höchstleistungen, koloraturgewandt und höhensicher. Mutig stürzt sie sich in die Schlussarie, gestaltet eindringlich den Andante-Teil von Non credea mirarti und stürzt sich mutig in die Cabaletta Ah non giunge. Utku Kuzuluk als Elvino lässt mit seinem strahlenden und ebenso höhensicheren Tenor aufhorchen. Seine Phrasierungskunst beeindruckt ebenso wie sein Verzicht auf weinerliche tenorale Schluchzer-Unarten; gekonnt meistert er auch einen kleineren stimmlichen Einbruch zu Beginn des zweiten Teils. Einzig das den Belcanto so prägende Messa di voce sollten die beiden phantastischen Sänger noch vermehrt einsetzen. Katharina Persicke macht aus dem freizügigen Flittchen Lisa eine eindringliche und auch berührende Charakterstudie und wertet mit stupender Tongebung die Partie gewinnbringend auf (obwohl sie als leicht indisponiert angekündigt wurde). Olga Privalova verleiht Teresa ihre warme, sich den nötigen Respekt verschaffende Stimme und zeichnet ein einfühlsames Porträt der besorgten Stiefmutter. Sonor und wohlklingend erweist sich der Bassist Boris Petronje als Idealbesetzung des Grafen Rodolfo und Flurin Caduff prägt das unheimlich spiessige Ambiente als glaubwürdiger, mit beschränkter Intelligenz, aber blendendem Aussehen ausgestatteter Dorfmacker Alessio.

Das Luzerner Sinfonieorchester begleitet unter der Leitung von Rick Stengårds meist einfühlsam, mit differenziert abgestufter Dynamik, dramatischen crescendi (Geistererzählung) und virtuosen pizzicati.

Eine kleine Frage sei gestattet: Wer am Haus hat die Applausordnung zu verantworten? Es ist unverständlich, dass nach einer dermassen anstrengenden und fantastisch gesungenen Schlussarie nicht die Protagonisten den ersten Solovorhang bekommt, sondern zuerst Chor (schlagkräftig und sicher der Chor und Extrachor des Luzerner Theaters) und Komparsen auf die Bühne gebeten werden. Dies müsste dringendst umgestellt werden!

Fazit:

Endlich: Die SONNAMBULA als eindringlicher Psychothriller und nicht als einschläfernde Pastoralidylle aus der sowieso nie heil gewesenen Schweizer Bergwelt! Hörenswerte Protagonisten!

Inhalt:

Ort: Ein Dorf in den Schweizer Bergen

Amina, die schöne Adoptivtochter der Müllerin Teresa, und der wohlhabende Bauer Elvino wollen heiraten. Amina wird auf dem Dorfplatz vom Chor der Dorfbewohner begrüsst, nur Lisa, die Wirtin der Dorfschenke ist eifersüchtig, da sie selber in Elvino verliebt ist (den in sie verliebten Alessio weist sie zurück). Als Elvino mit einem Notar eintrifft und Amina den Ring an den Finger stecken will, taucht Graf Rodolfo inkognito auf. Er ist der neue Feudalherr des Ortes, war aber lange fort. Er macht der hübschen Amina Komplimente. Elvino zieht sich eifersüchtig-beleidigt zurück. Teresa warnt vor dem nächtlichen Gespenst, welches in letzter Zeit im Dorf gesichtet wurde.

Im Gasthof besucht Lisa Rodolfo auf dessen Zimmer, gerade als die schlafwandelnde Amina eintritt, und auf ein Sofa sinkt. Lisa versteckt sich und Amina wird von den Dorfbewohnern in Gegenwart des verwirrten Rodolfo gefunden. All ihre Unschuldsbeteuerungen nutzen nichts und sie wird von Elvino verstossen.

2. Akt: Trotz der Versöhnungsversuche des Grafen bleibt Elvino stur. Er wirft Amina ihre Treulosigkeit vor und will nun Lisa heiraten. Auf dem Weg zur Hochzeit konfrontiert Teresa Lisa mit deren Umhang, welcher in Rodolfos Zimmer gefunden wurde. Elvino gerät erneut in Zorn und lässt auch diese Hochzeit platzen. Nach Einbruch der Dunkelheit taucht Amina schlafwandelnd vor den Dorfbewohnern auf einem Dach auf. Sie gesteht Elvino ihre Liebe. Doch kommt es nun zum Happyend? Oder haben die falschen Verdächtigungen ihre Spuren hinterlassen?

Werk:

LA SONNAMBULA gehört zu den populärsten Opern Bellinis. Sie enthält mit der Amina eine Paraderolle für einen lyrischen Koloratursopran: Der Reigen der berühmten Interpretinnen reicht von Giuditta Pasta (Uraufführung) zu Jenny Lind und Maria Malibran. Im letzten Jahrhundert feierten Maria Callas, Joan Sutherland, Toti dal Monte und Edita Gruberova mit der Rolle Triumphe. Cecilia Bartoli sang 2008 in Baden-Baden die rekonstruierte, tiefer transponierte kritische Neuausgabe des Werks. In Luzern wird die traditionelle Ricordi-Fassung gespielt.

Die durchgehend lyrische Grundstimmung des Werks wird nur durch wenige buffoneske Einschübe durchbrochen und so kann die Oper unter einfallslosen Regisseuren leicht etwas einschläfernd wirken ... aber nicht hier in Luzern!

Infos und Karten

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