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St.Gallen: LA DAMNATION DE FAUST, 22.06.2012

Erstellt von Kaspar Sannemann | | La Damnation de Faust

copyright: Tanja Dorendorf | T+T Fotografie

Dramatische Legende in vier Teilen | Musik: Hector Berlioz | Libretto: Gérard de Nerval, Almire Gandonnière, Hector Berlioz | Uraufführung: 6. Dezember 1846 in Paris (konzertant) | Aufführungen in St.Gallen: 22.6. | 23.6. | 26.6. | 29.6. | 30.6. | 4.7. | 6.7.2012

Kritik:

 

Warte, bis es dunkel ist – so hiess ein Thriller aus dem Jahre 1967. Warten, bis es dunkel wird, muss man auch im Klosterhof St.Gallen. Denn erst mit Einbruch der Dunkelheit enthüllt das diabolische Varieté des Méphistophèles, in welches uns Regisseur Carlos Wagner (mit den stimmigen, phantasievollen Kostümen von Ariane Isabell Unfried) führt, seine unheimliche Magie, entfalten die bezwingenden Lichteffekte von Guido Petzold ihre mirakulösen Effekte. Doch was sich dann auf dem Platz vor der barocken Fassade der Klosterkirche abspielt, ist von ungemein suggestiver, fesselnder Kraft. Carlos Wagner sieht seinen Faust als Aussteiger, Verweigerer. Eine Zigarette rauchend kommt er daher geschlendert, wahrscheinlich von der Arbeit, seinem letzten Arbeitstag. Denn der Mann leidet wohl am Burnout-Syndrom, ist gelangweilt, angewidert, sehnt sich nach der unschuldigen Kindheit zurück und gibt seinen infantilen Anwandlungen auch gleich nach, indem er beinahe neidisch Kindern beim Himmel und Hölle Hüpfspiel zusieht (womit auf kluge Weise der Bogen zum Metphysischen gespannt wird), sich sehr gekonnt beteiligt – und doch die Kinder nicht erreicht. Er bleibt aussen vor und wird so zum Opfer des Gauklers Méphistophèles, welcher jedoch auch mehrere Anläufe seiner Verführungskünste braucht, um den Dr. Faust seiner Seele und seines Verstandes zu berauben. Erst als er ihn in ein riesiges Schlafmohnfeld führt, gelingt es ihm, den Geist des Dr.Faust derart zu benebeln, dass dieser den ganzen Betrug, die Illusion des Gaukelspiels, nicht wahrnimmt. Denn das Trugbild der Marguerite ist nur eine von Méphistophèles Varietékünstlerinnen, welche es fertig bringt, Faust durch ihre körperlichen (und stimmlichen!) Reize zu betören. Am Ende sehen wir die Artistin Marguerite als kitschigen Zirkusengel auf der Schaukel in die Höhe schweben und Faust ist in ein Hamster-Laufrad verdammt – die Verdammnis des ewig Suchenden, der doch nicht vom Fleck kommt. Da haben es Méphistophèles und seine herausragend und mit virtuoser Laszivität agierenden teuflischen Kumpane der Tanzkompagnie des Theaters St.Gallen doch bedeutend lustiger!

Gilles Ragon gibt diesen Faust ganz grossartig. Seine Stimme wird den hohen Anforderungen, welche die immense Partie stellt, voll gerecht. Zu Beginn vermag er es auf faszinierende Art, die Gebrochenheit dieses Mannes darzustellen, setzt dazu ein gehörig Mass an Vibrato ein, um die lassitude und den ennui glaubhaft zu vermitteln. In den Szenen mit und im Sehnen nach Marguerite setzt er sein schönes Timbre mit Eleganz und Geschmeidigkeit der Phrasierung ein, glänzt mit Höhensicherheit und in der Beschwörung der Natur besticht er durch die ausdrucksstarke Kraft seiner Stimme. Mirco Palazzi ist ein herrlich einnehmend teuflischer Zirkusdirektor, welcher seine manipulativen Künste durch stimmliche Souplesse und raffiniertes Spiel einzusetzen weiss. Er kann seinen ebenmässigen Bariton wunderbar verführerisch und ironisch zum Klingen bringen. Elena Maximova darf (leider, aber daran ist Berlioz schuld ...) erst nach der Pause singen – doch was man in den beiden grossen Arien (Autrefois un roi de Thulé und D'amour l'ardente flamme) von ihr hört ist schlicht grandios. Theatralisch setzt sie zum schwermütigen Chanson gothique an, der Erzählung über das Schicksal des Königs von Thule, wohl wissend, dass sie Faust damit bannt. Genau so subtil gestaltet sie die Romanze im vierten Bild, bringt ihren voluminösen Mezzospran betörend zur Geltung und beherrscht darstellerisch gekonnt das Doppelspiel ihres zwiespältigen Charakters. Denn von den KünstlerInnen, den Tänzern und den Statisten verlangt Regisseur Carlos Wagner einiges an waghalsigem Spiel auf der gefährliche Schieflagen aufweisenden, vielseitige Schauplätze ermöglichenden Bühne von Rifail Ajdarpasic – und diese lassen sich anscheinend gerne darauf ein. Faust z.B. ist sich nicht zu schade, sich von Méphistophèles zum gefügigen Zirkuspferdchen abrichten zu lassen, Marguerite zeigt noch so gerne ihr verführerisches Korsett, welches sich unter ihrem biederen schwarzen Rock verbirgt. Berlioz' Faust-Adaption ist durch ihre Tableau-artige Anlage szenisch nicht ganz einfach zu bewältigen – die Realisierung, welche nun an den St.Galler Festspielen zu erleben ist, vermag durch den gewählten Ansatz zu begeistern. Vielleicht wäre es wünschenswert gewesen, die Vorstellung eine halbe Stunde später beginnen zu lassen. Dann hätte bestimmt auch der Beginn etwas spannender gewirkt – und für die Illustrierung des berühmten Rakoczy-Marsches hätte eine fesselndere Umsetzung gewählt werden können, als das etwas mutlos daherkommende Schwingen einiger roter und schwarzer Fahnen im Hintergrund.

Die meisterhafte Partitur von Hector Berlioz wird vom Sinfonieorchester St.Gallen unter Sébastien Rouland mit feinfühligem Gespür für den Duktus dieser wunderbaren Musik umgesetzt. Dank der hier auf dem Klosterhof stets überzeugend ausgeklügelt eingesetzten Tontechnik (Stephan Linde/Christian Scholl) erklingen die Subtilitäten der Orchestrierung wunderbar transparent und die Abmischung des Klanges sowohl mit den Stimmen der Solisten (zu denen sich auch der herrliche Bass von Tijl Faveyts in Auerbachs Keller gesellt) als auch mit den stimmschön und sehr präsent singenden Chormassen (Theaterchöre St.Gallen und Winterthur, Prager Philharmonischer Chor: Einstudierung von Michael Vogel) ist perfekt.

Fazit: HINGEHEN!

Inhalt:

Faust erwacht in der Puszta-Landschaft Ungarns. Er preist den Frieden und die Einsamkeit und singt einen Hymnus auf den Frühling. Weder die fröhlichen Gesänge der Bauern noch der mitreissende Rakoczy-Marsch vermögen Faust aus seiner Schwermut zu reissen.

In seinem Arbeitszimmer führt Faust einen Giftbecher zum Mund. Das Ostergeläute erklingt, Engelsstimmen singen vom Auferstandenen. Faust ist seltsam berührt: „Die Erde hat mich wieder....“ Mephisto erscheint und führt ihn in Auerbachs Keller. Doch die drolligen Trinklieder der Studenten beeindrucken Faust nicht. Am Ufer der Elbe ruft Mephisto Luft- und Erdgeister herbei. Diese erschaffen für Faust ein bezwingendes Traumbild von überirdischer Schönheit und Kraft. Darin sieht Faust Margarethe. Mephisto führt ihn zu ihr. Faust verbirgt sich hinter einem Vorhang. Margarethe singt das Lied vom „König von Thule“. Mephisto ruft die Irrlichter herbei. Es folgt das grosse Liebesduett Faust-Margarethe, begleitet vom Spott Mephistos.

Den letzten Teil leitet die grosse Arie der von Faust verlassenen Margarethe D'amour l'ardente flamme ein, gefolgt von Fausts Anrufung an die Natur. Mephisto schildert Faust die bevorstehende Hinrichtung Margarethes. (Sie hat ihre Mutter umgebracht.) Falls Faust sich ihm komplett verschreibt, will Méphistophèles die Vollstreckung verhindern. Am Ende durchleben wir die aufwühlend-grandiose Höllenfahrt Fausts, kontrastiert von Engelsstimmen, welche Margarethe Erlösung verheissen.

Werk:

Hector Berlioz (1803-1869) wollte ursprünglich eine der damals üblichen Grand Opéras schaffen. Tatsächlich enthält seine Faust-Version alle dafür notwendigen Ingredienzen: Grosse Chöre, tableau artige Szenen, immenser Aufwand an orchestralen und vokalen Mitteln, vielfältige Schauplätze, tänzerische Intermezzi. Durch den Verzicht auf eine geschlossene, dramaturgisch durchgearbeitet aufgebaute Handlung entstand jedoch nicht eine Oper im herkömmlichen Sinne, sondern bezwingend intensiv durchgestaltete, epische Einzelbilder, eine Art Kolossalgemälde, aufgeteilt in kontrastreiche, ungemein fortschrittlich und exzessiv instrumentierte musikalische Szenen mit hoch illustrativer Erzählkraft.

„Ich betrachte dieses Werk als eines der besten, die ich hervorgebracht habe ...“ , schrieb Berlioz in seinen Memoiren. Trotzdem führte die Uraufführung an der Opéra-Comique in Paris zu einem finanziellen Desaster für den Komponisten. Zu seinen Lebzeiten wurde das Werk (nach nur zwei Aufführungen) nicht kaum gespielt. Erst 1893 folgt in Monte Carlo eine erste szenische Aufführung. Doch bis heute sind szenische Aufführungen von Berlioz' Werk (ganz im Gegensatz zu Gounods FAUST oder Boitos MEFISTOFELE) selten geblieben.

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