Leipzig: RUSALKA, 03.12.2017
Lyrisches Märchen in drei Akten | Musik: Antonín Dvořák | Libretto : Jaroslav Kvapil | Uraufführung: 31. März 1901 in Prag | Aufführungen in Leipzig: 3.12. | 9.12. | 14.12.2017 | 4.3. | 1.6.2018
Kritik:
„Wehe dem, der sich den Menschen nähert“, singt Olena Tokar als Rusalka gegen Ende des zweiten Aktes, als sie erkennen muss, dass ihr Verlangen nach dem Menschsein kläglich und schmerzhaft gescheitert ist. Und wie sie das gestaltet ist schlicht und einfach zutiefst berührend: Sie legt die ganze Trauer und Enttäuschung dieses nixenhaften Wasser- und Naturwesens in ihre Stimme, mit einer Empfindsamkeit sondergleichen. Ein zartes Vibrato unterstreicht dabei ihre Zerbrechlichkeit, die Verwundbarkeit der Seele, die sie unbedingt zu erlangen suchte. Wie emphatisch schwang sich ihre Stimme doch im ersten Akt - im berühmten „Lied an den Mond“ – noch nach oben, wie gebrochen ist sie nun am Ende des zweiten und am Anfang des dritten Aktes, wo sie in ihrer Verzweiflung nochmals Hilfe bei Ježibaba (dieser Mischung aus Knusperhexe und Baba Jaga,) sucht. Verschüchtert, beschämt und beschmutzt tritt Rusalka also im Schlussakt auf, ihr hoffnungsvolles Verlangen des Beginns ist verflogen, Olena Tokars Stimme verschmilzt wunderbar mit den impressionistischen Orchesterfarben, welche vom Gewandhausorchester unter der Leitung von Christoph Gedschold so überwältigend klar und stimmungsvoll evoziert werden. Ein weiterer Pluspunkt dieser durch und durch stimmigen, atmosphärisch dichten Premiere: Die Stimmen der Solistinnen und Solisten sind punkto Dynamik und Klangfarben perfekt auf die ausgeklügelte Balance zwischen Graben und Bühne abgestimmt, so dass die Kommentare des Orchesters zu den Gefühlsregungen der Protagonisten deutlich zu vernehmen sind und die Zuhörer im soghaften, mystischen Fluss dieser genialen Komposition Dvořáks mitreißen. Diesem mystischen Fluss trägt auch die Inszenierung durch Michiel Dijkema (Regie und Bühne) Rechnung, welche das Märchen schlackenlos und ohne aufgepfropfte Regiemätzchen direkt und atmosphärisch stimmig erzählt und der Intelligenz des Zuschauers und der Zuschauerin das Entschlüsseln der Parabel, das Erkennen der Metaphern überlässt. Nur schon die Gestaltung der Bühne ist ein Erlebnis: In der Mitte ein großer Teich, umgeben von einer Moorlandschaft. Viel Himmel, wunderbar stimmig ausgeleuchtet durch das Lichtdesign von Michael Fischer, ein Hexenhaus auf gigantischen Hühnerfüßen (der Regisseur hat sich mit den Quellen rund um Baba Jaga intensiv befasst), ein Mond, der aus lauter Leuchtdioden zusammengesetzt ist, mal märchenhaft pinkfarben strahlt, dann wieder wie die Liebe Rusalkas zum Prinzen auf- und verglüht. Die Festgesellschaft im zweiten Akt fährt mit Schwimmwesten ausstaffiert in einem Floß über den Teich, für des Prinzen Jagdtruppe steht ein mit Suchscheinwerfern ausgestattetes Geländefahrzeug zur Verfügung, der Heger transportiert das erlegte Wild in einem Kleintransporter. Innerhalb dieses Settings nun erzählt Dijkema das Märchen stringent, nachvollziehbar und mit einer genau der Musik abgehörten Personenführung und Charakterzeichnung. Fantastisch der Einfall, die Fremde Fürstin am Ende des zweiten Aktes als verkleidete Ježibaba zu entlarven, sie, welche die Menschen so abgrundtief hasst und dem Scheitern Rusalkas in der Menschenwelt damit gewaltig nachhilft. Prächtig und dramaturgisch stimmig gearbeitet sind die Kostüme von Jula Reindell, welche entscheidend zur märchenhaften Atmosphäre der Inszenierung beitragen. Umwerfend verspielt und in ihrer schweinischen Art überaus sympathisch auch die drei Waldfeen (Magdalena Hinterdobler, Sandra Maxheimer und Sandra Fechner mit zauberhaft intonierten Sirenengesängen): In ihrer fettleibigen Nacktheit gleichen sie Doppelgängerinnen von Bubbles DeVere aus LITTLE BRITAIN, traumatisieren den Küchenjungen mit ihrer sexuellen Begierde wahrscheinlich bis zu seinem Lebensende (gut, sie nehmen ihn dann auch gleich mit – oder er folgte ihnen freiwillig - in ihre Erdlochvulkane ...). Das spukhafte Hexenhaus mit seinem Eigenleben auf den Hühnerfüßen darf man gerne noch ein zweites Mal erwähnen: Zu Beginn des dritten Aktes sitzt es nämlich auf dem Boden, erhebt sich dann zu roten Höllenschwaden wieder auf seine Füße und verschwindet polternd von der Bühne. Klasse! Während der Ouvertüre sieht man den Prinzen auf der Jagd, sein Bad im Teich und die Begegnung mit Rusalka ebendort. Hier ist der Prinz noch ganz wie aus dem Märchenbuch, von stattlicher Gestalt, mit blondem, langem Haar und Krone. Am Ende dann lässt ihn der Regisseur um Jahrzehnte gealtert wieder am Teich nach Rusalka suchen, völlig wahnsinnig geworden, das Haar struppig, der Bart ergraut, die Kleider verschmutzt. Peter Wedd singt ihn mit angenehm timbriertem Tenor, die Stimme nicht allzu groß, dafür schön und sauber geführt und nie forcierend, eine hervorragende Leistung! Karin Lovelius ist eine durchtriebene und stimmlich exzellente Ježibaba: Sie scheint Rusalka zu Beginn mit viel Empathie für deren Wünsche nach dem Menschsein zu begegnen, nur um dann umso gnadenloser ihr Ziel der Vernichtung des menschlichen Prinzen zu verfolgen. Als Fremde Fürstin zeigt Kathrin Göring (im nuttigen Look) gekonnt dosierte stimmliche Erotik und dramatische Wucht. Auch ihre Stimme fügt sich wunderbar in den Orchesterklang ein, genauso wie die des Wassermannes von Tuomas Pursio, der mit seiner sanften Bassbaritonstimme weit mehr als nur väterliche Gefühle für Rusalka offenbart. Einige Passagen mögen bei ihm vielleicht etwas zu vibratoreich geklungen haben, doch wurde dadurch der Effekt des Mitleidens verstärkt. Als Küchenjunge glänzt Mirjam Neururer mit herrlicher Naivität im Spiel und glasklarer Stimme. Jonathan Michie ist ein glaubhafter und stimmschön gestaltender Heger und Patrick Vogel lässt mit seinem wunderschön intonierten Jägerlied aus dem Off aufhorchen. Auch der Chor der Oper Leipzig (Einstudierung: Alexander Stessin) hat seinen verdienten Anteil an dieser zu Recht vom Premierenpublikum heftig applaudierten RUSALKA – zum Schlussapplaus erhebt sich Rusalka zuerst alleine, der Prinz, den sie als irrlichterndes Geisterwesen eben noch mit ihrem Todeskuss ins Jenseits befördert hatte, liegt nur noch als Skelett neben ihr. Ein dezentes Augenzwinkern darf auch bei ernsten Stoffen (bei RUSALKA geht es ja um die Entfremdung zwischen Natur und Menschen) durchaus sein!
Inhalt:
Ein Geisterwesen, die Nixe Rusalka, hat sich in einen Menschen, den Prinzen, verliebt und möchte nun, um ihn zu gewinnen, ein menschliches Wesen werden. Trotz seiner Warnungen vor der Verdorbenheit der Menschenwelt, rät ihr der Wassermann, die Hexe Ježibaba aufzusuchen. Diese erfüllt zwar Rusalkas Wunsch, verlangt aber, dass sie bei den Menschen stumm bleibe. Auf der Jagd begegnet der Prinz Rusalka und nimmt sie mit auf sein Schloss.
Dort begegnet man der stummen, eigentümlichen Braut mit Misstrauen. Auch der Prinz ist durch Rusalkas Schweigen verwirrt und wendet sich der fremden Fürstin zu. Damit bricht er Rusalkas Herz. Vergeblich versucht Rusalka, den Prinzen wieder für sich zu gewinnen. Der Wassermann erscheint, prophezeit dem Prinzen, dass er Rusalkas Umarmungen doch nicht entkommen werde und zieht Rusalka mit sich fort. Der Prinz ist verwirrt, er wirft sich der fremden Fürstin zu Füssen, doch die stösst ihn lachend von sich.
Rusalka beklagt ihr Schicksal: Sie ist nun weder Mensch noch Geisterwesen. Heimatlos wandert sie als todbringendes Irrlicht umher. Ježibaba rät ihr, den Prinzen zu töten, um sich selbst zu retten. Doch dies weist Rusalka empört von sich. Auch Bedienstete des Prinzen, der Küchenjunge und der Jäger, suchen Hilfe bei Ježibaba, da ihr Herr seit Rusalkas Verschwinden total verhext sei. Von Sehnsucht nach der Nixe getrieben erscheint der Prinz wieder am See. Rusalka wirft ihm den Treuebruch vor. Sie warnt ihn auch, dass ihr Kuss ein Todeskuss sein werde. Das kümmert den Prinzen nicht, die Sehnsucht nach der reinen, unverdorbenen Liebe ist stärker. Er stirbt in ihren Armen. Doch Rusalka wird nicht erlöst, als Irrlicht wird sie den von der Natur und der reinen Liebe entfremdeten Menschen ewig Verderben bringen ...
Werk:
Bedřich Smetana und Antonín Dvořák waren die bedeutendsten Vertreter des musikalischen tschechischen Nationalismus im 19. Jahhundert. Mit ihren Opern DIE VERKAUFTE BRAUT, respektive RUSALKA haben sie Werke geschaffen, die sich auch auf internationalen Bühnen grösster Beliebtheit erfreuen. Im Vergleich zu Smetana hat sich Antonín Dvořák mit seinem Opernschaffen schwerer getan. Von seinen zehn Bühnenwerken tauchen neben der immens populären RUSALKA nur KÄTHE UND DER TEUFEL und DER JAKOBINER (Zürich 1978) ab und zu auf den Spielplänen auf. Einerseits liegt das an der unglücklichen Wahl seiner Stoffe (und seiner Librettisten …), andererseits hat er auch Zeit gebraucht, um einem zu ihm passenden Kompositionsstil für die Bühne zu finden. Hin- und hergerissen zwischen Wagnerscher Leitmotivtechnik, der Grand Opéra Meyerbeerscher Ausprägung und den liedhaften Opern Lortzings fand er lange Zeit nicht zu einer eigenen Tonsprache für seine Bühnenwerke. Erst durch den Inhalt seiner neunten Oper, der RUSALKA, wurde er dazu inspiriert, seinen sinfonischen Einfallsreichtum (Vorstudien zu RUSALKA waren seine sinfonischen Dichtungen DIE MITTAGSHEXE und DER WASSERMANN) mit lyrischen und volksliedhaften Elementen zu einem zutiefst beseelten Werk zu verschmelzen. Die Musik, welche er der Nixe zudachte, gehört zu Dvořáks zauberhaftesten und innigsten Eingebungen. Anders jedoch als Strauss und Hofmannsthal in der FRAU OHNE SCHATTEN lassen Dvořák und sein Librettist die Geisterprinzessin nicht durch Domestizierung (sprich Kinder kriegen) ins biedere Bürgertum abgleiten, sondern wagen mit dem Tod des Prinzen und der irrlichternden Rusalka eine bedenkenswerte Utopie und Warnung an die Verdorbenheit der Welt jenseits aller ideologisch verklärten Heilsversprechungen.
Damit und mit der Verknüpfung von Eros und Tod schufen Dvořák und Kvapil mit der RUSALKA ein wichtiges Bindeglied zwischen den existenziellen Werken des 20. Jahrhunderts (LULU, HERZOG BLAUBARTS BURG) und den impressionistischen Schöpfungen eines Debussy (PELLEAS ET MELISANDE) oder Dukas (ARIANE ET BARBE-BLEUE).