Basel: RUSALKA, 22.10.2011
Lyrisches Märchen in drei Akten | Musik: Antonín Dvořák | Libretto : Jaroslav Kvapil | Uraufführung: 31. März 1901 in Prag | Aufführungen in Basel: 22.10. | 28.10. | 30.10. | 5.11.| 7.11.| 12.11. | 19.11. |27.11. | 29.11. | 4.12. |10.12. | 21.12. | 26.12.2011 | 5.1. | 7.1. | 20.1. | 2.2. | 11.2.2012
Kritik:
Das „Basler Opernwunder“ setzt sich mit Dvořáks symbolistischer Märchenoper RUSALKA fort. Im Zentrum von RUSALKA steht das Schicksal einer jungen Frau. Deshalb ist es mehr als legitim und naheliegend, die ergreifende Geschichte aus weiblicher, ja feministischer Sicht zu erzählen, so wie sie die litauische Regisseurin Jurate Vansk im Theater Basel auf die grosse Bühne bringt. Wir befinden uns nicht an einem idyllischen Zauberweiher, sondern an einem profanen Strand in einem osteuropäischen Land. Der Strand als Symbol für die gestrandeten Seelen, die Verliererinnen dieser Zeit nach der Wende. Randständige Frauen "stranden" hier, werden in die Arme von ruchlosen Zuhältern getrieben, erste Widerstände gegen diese Unterdrückung durch russische Mafiosi werden evident. Die Nixen demonstrieren ganz im Sinne der ukrainischen „Femen“ mit ihren weiblichen Reizen gegen diese männliche Gewalt. Einzig der Chefzuhälter (Wassermann) scheint ein weicheres Herz zu haben, hört sich Rusalkas Beschwerden an. Diese träumt vom weissen Prinzen, idealisiert ihn, und will alles unternehmen, um in seine Gesellschaftsschicht aufzusteigen. Die Hexe Ježibaba gibt sich als mütterliche Freundin, kommt im Wahrsagerinnen-Look daher, lässt Rusalka schon mal als Vorwarnung auf das Unvereinbare der gesellschaftlichen Stellung vergewaltigen, mit Alkohol abfüllen. Rusalka verstummt – und findet sich dann in der Gesellschaft der neuen Oligarchie nicht zurecht. Diese wird von der Regisseurin und vor allem vom Kostümbildner Ingo Krügler umwerfend entlarvend gezeichnet. Die Geschmacklosigkeiten dieser Neureichen kennen keine Grenzen, pure Dekadenz im Palast des Prinzen, mit Ausblick auf eine von Abgasen geschwängerte Skyline (das überaus stimmungsvolle Bühnenbild stammt von Martina Segna). Auf der Party des Prinzen wird geprotzt, mit frauenfeindlichen Sprüchen gelästert (so fies können natürlich nur Schwule lästern, hier ist es der Förster mit seinem Küchenjungen), die Natur wird verhöhnt (ein Hai wird durch die Menge geschleudert), lustlos tanzende Go Go Boys (als Nixen kostümiert) versuchen die Gesellschaft zu unterhalten. Und dazwischen macht sich die Fremde Fürstin an den Prinzen heran. Dieses schauderhafte Treiben, welchem die arme Rusalka schutzlos ausgeliefert ist, wird von der Regisseurin mit ungemein lustvoller Plastizität herausgearbeitet. Der Space-Barbie-Traum Rusalkas zerbricht, ausweglos und gefangen wie ein Fisch in einem gläsernen Behälter muss sie mitansehen, wie der smarte Prinz sich der feschen Fürstin an den Busen wirft. Am Strand der Sehnsucht treffen wir Rusalka dann wieder, im roten Ballkleid, ein berührend trauriges Bild. Die brutalen Lösungsvorschläge Ježibabas prallen an Rusalka ab. Am Strand betende Frauen nehmen Rusalka in ihrer Mitte auf, die Frauensolidarität spielt. Eine letzte Begegnung mit dem Prinzen endet in einer eisigen Umarmung, die beiden Welten können nicht zur Vereinigung kommen. Jurate Vansks Lesart und Interpretation des im Werk angelegten Symbolgehalts mag an gewissen Stellen zu schrill und in ihrer Vielschichtigkeit zu ausufernd sein, aber sie versteht es, die Spannung, die Empathie für die Hauptfigur und die Charakterzeichnungen bis in die Nebenfiguren hinein grandios über drei Stunden aufrechtzuerhalten.
Dazu stehen ihr Darstellerinnen und Darsteller von herausragenden Qualitäten zur Verfügung: Svetlana Ignatovich durchdringt die Partie mit ihrem wunderbar bruchlos alle Gefühlsregungen auslotenden, kraftvollen Sopran – das beginnt beim Lied an den Mond, in welchem sie ihre Wünsche offenbart und endet in der Verzweiflung über ihre Unfähigkeit, ihre Sehnsucht nach Liebe verwirklichen zu können. Es ist so schade, dass sie mit dem Prinzen nicht zusammenkommen kann, denn einmal mehr in Basel bilden Svetlana Ignatovich und Maxim Aksenov ein tragisches Traumpaar (nach Butterfly/Pinkerton und Lisa/Hermann): Er meistert die schwierige Partie des Prinzen mit seinem hellen und doch markanten, in allen Lagen mühelos ansprechenden Tenor, mit fantastischer Natürlichkeit. Ein an Eindringlichkeit kaum zu überbietendes Porträt des Chefzuhälters, also des Wassermanns, zeichnet Liang Li: Seine mit tränenerstickter Stimme über das grausige Schicksal seines „Mädchens“ vorgetragene Anklage gegen die dekadente Gesellschaft im zweiten Akt geht wahrlich unter die Haut. Ursula Füri Bernhard gelingt es hervorragend, die selbstbewusste Fremde Fürstin zu spielen. Dazu mischt sie ihrem leuchtenden Sopran subtil eine leicht ordinäre Klangfarbe bei. Khatuna Mikaberidze (der einzige Gast im starken Ensemble des Basler Theaters) zeichnet eine suggestives Rollenporträt der vermeintlich mütterlichen Freundin, also der Hexe Ježibaba. Ihr wunderschön timbrierter Mezzosopran muss nicht auf plakativ erzeugte Töne der Bruststimme ausweichen um Bedrohliches auszustrahlen – die Sängerin kann dafür von ihrer phänomenalen Durchschlagskraft in der Höhe profitieren. Eung Kwang Lee gibt überzeugend das schwule Lästermaul des Försters und Solenn' Lavanant-Linke wandelt sich ebenso gekonnt von der feministischen Nixe zum androgynen Küchenjungen. Rita Ahonen und Laurence Guillod bereichern mit wunderschönem Gesang als Strandhuren (Nixen) ihren Aufstand gegen die Unterdrückung der Frauen und Alex Lawrence lässt im furchtbaren Karnevalskostüm des Jägers stimmlich aufhorchen.
Giuliano Betta sorgt am Pult des einmal mehr auf höchstem Niveau spielenden Sinfonieorchesters Basel für eine wunderbar farbenreiche, sowohl das fiebrig Brodelnde wie auch das Melancholische und Träumerische betonende Wiedergabe von Dvořáks vielschichtiger Partitur.
Und dann ist da noch das kleine, verwöhnte Mädchen, welches in allen drei Akten seinen Schabernack treibt, der einengenden Gesellschaft zu entkommen sucht: Am Ende geht es den umgekehrten Weg Rusalkas – aus dem dekadenten Elternhaus ausbrechend greift es sich einen Blumenkranz der „Femen“: Ein Hoffnungsschimmer oder ein ein bereits vorgezeichnetes Scheitern?
Fazit:
Ja, es ist eine ganz persönliche Lesart des Märchens aus der Sicht einer Frau: Doch es lohnt auf jeden Fall, sich mit offenen Augen darauf einzulassen. Musikalisch und darstellerisch phänomenal!
Inhalt:
Ein Geisterwesen, die Nixe Rusalka, hat sich in einen Menschen, den Prinzen, verliebt und möchte nun, um ihn zu gewinnen, ein menschliches Wesen werden. Trotz seiner Warnungen vor der Verdorbenheit der Menschenwelt, rät ihr der Wassermann, die Hexe Ježibaba aufzusuchen. Diese erfüllt zwar Rusalkas Wunsch, verlangt aber, dass sie bei den Menschen stumm bleibe. Auf der Jagd begegnet der Prinz Rusalka und nimmt sie mit auf sein Schloss.
Dort begegnet man der stummen, eigentümlichen Braut mit Misstrauen. Auch der Prinz ist durch Rusalkas Schweigen verwirrt und wendet sich der fremden Fürstin zu. Damit bricht er Rusalkas Herz. Vergeblich versucht Rusalka, den Prinzen wieder für sich zu gewinnen. Der Wassermann erscheint, prophezeit dem Prinzen, dass er Rusalkas Umarmungen doch nicht entkommen werde und zieht Rusalka mit sich fort. Der Prinz ist verwirrt, er wirft sich der fremden Fürstin zu Füssen, doch die stösst ihn lachend von sich.
Rusalka beklagt ihr Schicksal: Sie ist nun weder Mensch noch Geisterwesen. Heimatlos wandert sie als todbringendes Irrlicht umher. Ježibaba rät ihr, den Prinzen zu töten, um sich selbst zu retten. Doch dies weist Rusalka empört von sich. Auch Bedienstete des Prinzen, der Küchenjunge und der Jäger, suchen Hilfe bei Ježibaba, da ihr Herr seit Rusalkas Verschwinden total verhext sei. Von Sehnsucht nach der Nixe getrieben erscheint der Prinz wieder am See. Rusalka wirft ihm den Treuebruch vor. Sie warnt ihn auch, dass ihr Kuss ein Todeskuss sein werde. Das kümmert den Prinzen nicht, die Sehnsucht nach der reinen, unverdorbenen Liebe ist stärker. Er stirbt in ihren Armen. Doch Rusalka wird nicht erlöst, als Irrlicht wird sie den von der Natur und der reinen Liebe entfremdeten Menschen ewig Verderben bringen ...
Werk:
Bedřich Smetana und Antonín Dvořák waren die bedeutendsten Vertreter des musikalischen tschechischen Nationalismus im 19. Jahhundert. Mit ihren Opern DIE VERKAUFTE BRAUT, respektive RUSALKA haben sie Werke geschaffen, die sich auch auf internationalen Bühnen grösster Beliebtheit erfreuen. Im Vergleich zu Smetana hat sich Antonín Dvořák mit seinem Opernschaffen schwerer getan. Von seinen zehn Bühnenwerken tauchen neben der immens populären RUSALKA nur KÄTHE UND DER TEUFEL und DER JAKOBINER (Zürich 1978) ab und zu auf den Spielplänen auf. Einerseits liegt das an der unglücklichen Wahl seiner Stoffe (und seiner Librettisten …), andererseits hat er auch Zeit gebraucht, um einem zu ihm passenden Kompositionsstil für die Bühne zu finden. Hin- und hergerissen zwischen Wagnerscher Leitmotivtechnik, der Grand Opéra Meyerbeerscher Ausprägung und den liedhaften Opern Lortzings fand er lange Zeit nicht zu einer eigenen Tonsprache für seine Bühnenwerke. Erst durch den Inhalt seiner neunten Oper, der RUSALKA, wurde er dazu inspiriert, seinen sinfonischen Einfallsreichtum (Vorstudien zu RUSALKA waren seine sinfonischen Dichtungen DIE MITTAGSHEXE und DER WASSERMANN) mit lyrischen und volksliedhaften Elementen zu einem zutiefst beseelten Werk zu verschmelzen. Die Musik, welche er der Nixe zudachte, gehört zu Dvořáks zauberhaftesten und innigsten Eingebungen. Anders jedoch als Strauss und Hofmannsthal in der FRAU OHNE SCHATTEN lassen Dvořák und sein Librettist die Geisterprinzessin nicht durch Domestizierung (sprich Kinder kriegen) ins biedere Bürgertum abgleiten, sondern wagen mit dem Tod des Prinzen und der irrlichternden Rusalka eine bedenkenswerte Utopie und Warnung an die Verdorbenheit der Welt jenseits aller ideologisch verklärten Heilsversprechungen.
Damit und mit der Verknüpfung von Eros und Tod schufen Dvořák und Kvapil mit der RUSALKA ein wichtiges Bindeglied zwischen den existenziellen Werken des 20. Jahrhunderts (LULU, HERZOG BLAUBARTS BURG) und den impressionistischen Schöpfungen eines Debussy (PELLEAS ET MELISANDE) oder Dukas (ARIANE ET BARBE-BLEUE).
Musikalische Höhepunkte:
Měsíčku na nebi hlubokém, Lied an den Mond, Rusalka, Akt I
Čury mury fuk, Ježibaba, Akt I
Vidino divná, Prinz, Akt I
Běda! Běda!, Wassermann, Gäste, Akt II
Ó marno, ó marno, Rusalka, Akt II
Finales Duett Akt II, Fürstin-Prinz
Necitelná vodní moci, Arie der Rusalka, Akt III
Bîlá, moje lani!, Prinz, Akt III
Schlussduett Rusalka-Prinz, Akt III