Zum Hauptinhalt springen Skip to page footer

Hamburg, Elbphilharmonie: RUSALKA (konzertant), 06.05.2022

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Rusalka

Applausilder: K.Sannemann, 06.05.2022

Lyrisches Märchen in drei Akten | Musik: Antonín Dvořák | Libretto : Jaroslav Kvapil | Uraufführung: 31. März 1901 in Prag | Aufführungen in der Elbphilharmonie Hamburg: 6.5. | 8.5.2022

Kritik: 

Zweineinhalb Stunden voller Klangmagie: Das NDR Elbphilharmonie Orchester unter der Leitung seines Chefdirigenten Alan Gilbert, eine Riege erstklassiger Gesangssolist*innen und der Prager Philharmonische Chor begeisterten gestern Abend mit einer mitreißenden, berührenden und gefühlsintensiven (semi-) konzertanten Aufführung von Antonín Leopold Dvořáks Märchenparabel-Oper RUSALKA.

Alan Gilbert gelang zusammen mit den mit herausragender Klangqualität und Präzision intonierenden Musiker*innen seines NDR Elbphilharmonie Orchesters eine die Partitur aufs Innigsten auslotende Aufführung. Das war nicht bloß ein perfekt ausgebreiteter Klangteppich für die Vokalsolisten, nein die Orchestersprache entfaltete ein tiefgründiges Eigenleben, wurde zu einem gewichtigen, gleichwertigen Akteur, einem Erzähler und Ergründer seelischer Befindlichkeiten. Dabei gelang es Alan Gilbert einen über die gesamte Spieldauer der Oper nie abflachenden Spannungsbogen aufrechtzuerhalten. Klug setzte er dynamische Abstufungen, schenkte der Ausgewogenheit zwischen Stimmen und Orchesterwogen und der keine Fehler verzeihen, glasklaren Akustik der Elbphilharmonie die gebotene Beachtung. Die Musiker*innen des Orchesters glänzten an sämtlichen Pulten mit exzellenten Glanzleistungen, von der wunderbar klar die Nixenwelt evozierenden Harfenistin, über die samten und fein spielenden Streichergruppen, die mit immenser Farbigkeit ihre wunderschönen Phrasen intonierenden Holzbläser, die perfekt sich in den Gesamtklang einfügenden Blechbläser und die präzise rhythmisierende Schlagzeuggruppe. 

Die Sängerinnen und Sänger traten mit an die Rolle angepasster, eleganter Abenkleidung auf, eine subtil eingesetzte Lichtregie setzte unaufdringliche, aber stimmungsvolle Akzente. Agiert wurde sehr zurückhaltend, nie chargierend, so dass zusammen mit den Übertiteln eine stimmige, die Themen und Gedanken der Oper klar transportierende Interpretation gelang.

Rachel Willis-Sørensen war eine herausragende Interpretin der Titelpartie: Ihr wunderschön timbrierter Sopran konnte silbern schimmern, dramatisch verzweifelt aufwallen und betörend verführen, stets mit vollkommener Reinheit intonieren. Der Prinz wurde von David Junhoon Kim (anstelle des vorgesehenen Dmytro Popov) mit strahlendem, bombensicherem und leidenschaftlich gestaltendem Tenor interpretiert. Michelle DeYoung war eine stimmlich herrlich agile Hexe Ježibaba (sie sah im wunderbar geschnittenen, eleganten schwarzen Abendkleid und mit ihrer blonden Haarpracht auch umwerfend aus!). Michelle DeYoung konnte erbost keifen, einschmeichelnd und warnend singen, eine grandiose Gestalterin, die ihre lodernden Kantilen mit plastischer Souveränität gestaltete. Als Fremde Fürstin glänzte Ekaterina Gubanova mit ihrem ausdrucksstarken, dramatischen Mezzosopran. Sie beherrschte mit erotischem Timbre die Kunst der Verführung, brachte aber auch ihre Häme, den Spott und die Verachtung gegenüber Rusalka mit genau charakterisierender Tongebung zum Ausdruck. Ganz große Klasse! Neben den zwei bedeutenden Arien der Rusalka im ersten und im dritten Akt gehört für mich die Arie des Wassermanns im Mittelakt zu den ergreifendsten Momenten der Partitur. Der vielseitige Bassbariton Eric Owens sang die Partie mit profunder Stimme, stets seine Besorgnis um seine Lieblingsnixe hörbar machend. Fantastisch! Catherina Witting, Lucy De Butts und Anna-Maria Torkel begeisterten als Elfen/Waldnymphen mit perfekt harmonierenden, wunderbar sauber geführten Stimmen. Ein Ohrenschmaus! Attilio Glaser ist immer eine sichere Bank, so auch gestern Abend in der Elbphilharmonie, wo er in der Tenorpartie des Försters mit seiner frischen, jugendlich-dramatischen Stimme beeindruckte. Anastasiya Taratorkina sang einen herrlich abergläuischen Küchenjungen, ließ mit ihrem hellen, klaren Sopran aufhorchen. Der junge Nicholas Mogg verfügt über einen schlank und elegant klingenden Bariton. Er bereicherte das herausragende Ensemble mit seinem wirkungsvollen Auftritt vom Rang herab als Jäger.

Eine Klasse für sich stellt natürlich der Prager Philharmonische Chor unter der Leitung von Lukáš Vasilek dar. Welch eine Klangqualität, welch eine stimmige Transparenz zwischen den einzelnen Stimmgruppen. Chorgesang vom Allerfeinsten!

Von der Decke hingen Mikrofone, hoffentlich nicht bloß für die Übertragung im Rundfunk. Diese Sternstunde verdiente es, für die Ewigkeit festgehalten zu werden!

 

Inhalt:

Ein Geisterwesen, die Nixe Rusalka, hat sich in einen Menschen, den Prinzen, verliebt und möchte nun, um ihn zu gewinnen, ein menschliches Wesen werden. Trotz seiner Warnungen vor der Verdorbenheit der Menschenwelt, rät ihr der Wassermann, die Hexe Ježibaba aufzusuchen. Diese erfüllt zwar Rusalkas Wunsch, verlangt aber, dass sie bei den Menschen stumm bleibe. Auf der Jagd begegnet der Prinz Rusalka und nimmt sie mit auf sein Schloss.

Dort begegnet man der stummen, eigentümlichen Braut mit Misstrauen. Auch der Prinz ist durch Rusalkas Schweigen verwirrt und wendet sich der fremden Fürstin zu. Damit bricht er Rusalkas Herz. Vergeblich versucht Rusalka, den Prinzen wieder für sich zu gewinnen. Der Wassermann erscheint, prophezeit dem Prinzen, dass er Rusalkas Umarmungen doch nicht entkommen werde und zieht Rusalka mit sich fort. Der Prinz ist verwirrt, er wirft sich der fremden Fürstin zu Füssen, doch die stösst ihn lachend von sich.

Rusalka beklagt ihr Schicksal: Sie ist nun weder Mensch noch Geisterwesen. Heimatlos wandert sie als todbringendes Irrlicht umher. Ježibaba rät ihr, den Prinzen zu töten, um sich selbst zu retten. Doch dies weist Rusalka empört von sich. Auch Bedienstete des Prinzen, der Küchenjunge und der Jäger, suchen Hilfe bei Ježibaba, da ihr Herr seit Rusalkas Verschwinden total verhext sei. Von Sehnsucht nach der Nixe getrieben erscheint der Prinz wieder am See. Rusalka wirft ihm den Treuebruch vor. Sie warnt ihn auch, dass ihr Kuss ein Todeskuss sein werde. Das kümmert den Prinzen nicht, die Sehnsucht nach der reinen, unverdorbenen Liebe ist stärker. Er stirbt in ihren Armen. Doch Rusalka wird nicht erlöst, als Irrlicht wird sie den von der Natur und der reinen Liebe entfremdeten Menschen ewig Verderben bringen ...

Werk:

Bedřich Smetana und Antonín Dvořák waren die bedeutendsten Vertreter des musikalischen tschechischen Nationalismus im 19. Jahhundert. Mit ihren Opern DIE VERKAUFTE BRAUT, respektive RUSALKA haben sie Werke geschaffen, die sich auch auf internationalen Bühnen grösster Beliebtheit erfreuen. Im Vergleich zu Smetana hat sich Antonín Dvořák mit seinem Opernschaffen schwerer getan. Von seinen zehn Bühnenwerken tauchen neben der immens populären RUSALKA nur KÄTHE UND DER TEUFEL und DER JAKOBINER (Zürich 1978) ab und zu auf den Spielplänen auf. Einerseits liegt das an der unglücklichen Wahl seiner Stoffe (und seiner Librettisten …), andererseits hat er auch Zeit gebraucht, um einem zu ihm passenden Kompositionsstil für die Bühne zu finden. Hin- und hergerissen zwischen Wagnerscher Leitmotivtechnik, der Grand Opéra Meyerbeerscher Ausprägung und den liedhaften Opern Lortzings fand er lange Zeit nicht zu einer eigenen Tonsprache für seine Bühnenwerke. Erst durch den Inhalt seiner neunten Oper, der RUSALKA, wurde er dazu inspiriert, seinen sinfonischen Einfallsreichtum (Vorstudien zu RUSALKA waren seine sinfonischen Dichtungen DIE MITTAGSHEXE und DER WASSERMANN) mit lyrischen und volksliedhaften Elementen zu einem zutiefst beseelten Werk zu verschmelzen. Die Musik, welche er der Nixe zudachte, gehört zu Dvořáks zauberhaftesten und innigsten Eingebungen. Anders jedoch als Strauss und Hofmannsthal in der FRAU OHNE SCHATTEN lassen Dvořák und sein Librettist die Geisterprinzessin nicht durch Domestizierung (sprich Kinder kriegen) ins biedere Bürgertum abgleiten, sondern wagen mit dem Tod des Prinzen und der irrlichternden Rusalka eine bedenkenswerte Utopie und Warnung an die Verdorbenheit der Welt jenseits aller ideologisch verklärten Heilsversprechungen.

Damit und mit der Verknüpfung von Eros und Tod schufen Dvořák und Kvapil mit der RUSALKA ein wichtiges Bindeglied zwischen den existenziellen Werken des 20. Jahrhunderts (LULU, HERZOG BLAUBARTS BURG) und den impressionistischen Schöpfungen eines Debussy (PELLEAS ET MELISANDE) oder Dukas (ARIANE ET BARBE-BLEUE).

Karten

Zurück