Hamburg, Staatsoper: COSÌ FAN TUTTE, 21.02.2023
Dramma giocoso in zwei Akten | Musik: Wolfgang Amadeus Mozart | Libretto: Lorenzo da Ponte | Uraufführung: 26. Januar 1790, Burgtheater Wien | Aufführungen in Hamburg (WA): 21.2. | 23.2. | 3.3.2023
Kritik:
Was für ein Riesenspaß war das denn? Mozarts lange Zeit als moralisch fragwürdig verpönte und mit Längen behaftete Oper COSÌ FAN TUTTE kam in Hamburg als atemberaubendes, kurzweiliges Spektakel auf die Bühne der Staatsoper. Die Premiere dieser Inszenierung von Herbert Fritsch fand am 8. September 2018 statt. In dieser Wiederaufnahme präsentieren sich nun ein neuer musikalischer Leiter und neue Sänger*innen in den sechs Partien, welche Mozart und Lorenzo Da Ponte für das turbulente, komische und zugleich tiefsinnige Dramma giocoso kreierten. Herbert Fritsch hat für seine Inszenierung das Bühnenbild selbst entworfen, und es ist ein echter Hingucker. Asymmetrische, bunte geometrische Körper gruppieren sich um ein Cembalo, das durchaus auch ein Eigenleben führt, denn es ist ein Musikautomat, der ab und aun auch ungefragt zu spielen beginnt! Die Wände und die Decke sind ebenfalls bunt leuchtende Flächen, die sowohl spiegeln als auch als Schattenwurfebenen dienen können. Äußerst raffiniert! Die phantasievollen und so fantastisch auf den Typus der jeweiligen Rolle abgestimmten Kostüme mit ihren mehrfach übereinander gelegten Rüschchenplissées hat (wie oft in Fritschs Inszenierungen) die geniale Kostümdesignerin Victoria Behr entworfen. Auch sie sind ein absoluter Hingucker.
Fritschs Regiehandschrift ist unverwechselbar, einzigartig - und durchaus umstritten. Doch hier mit COSÌ FAN TUTTE ist es ihm meisterhaft gelungen, seine Anleihen an die Commedia dell'arte, den Kasperl und das deutsche Hanswurst -Theater und deren Artifizierung im Slapstick des Stummfilms (Chaplin, Buster Keton, Laurel und Hardy) so umzusetzen, dass ein regelrechtes szenisch-musikalisches Kunstwerk entstand, das restlos begeistert. Die Figuren sind praktisch ständig in Bewegung, agieren oft wie mechanische Puppen. Dabei ist die choreographische Präzision enorm, und man staunt, dass trotz aller Bewegungsintensität auf der Bühne auch noch so wunderbar gesungen wird. Chao Deng als Strippenzieher Don Alfonso ist geschminkt wie eine chinesische Porzellanpuppe. Es ist absolut bewundernswert, wie er seine Rolle musikalisch so sorgfältig und temporeich gestaltet, beinahe Rossinische Parlandokaskaden abfeuert und trotzdem ununterbrochen roboterhaft und genau auf den Duktus der Musik abgestimmt agiert. Eine ebenso geile (Pardon, mir fällt gerade kein anderes passendes Adjektiv ein) musikalische und darstellerische Performance zeigt seine Sister in Crime, die Despina von Heidi Stober. Sie agiert wie in Wirbelwind auf der Szene, löst Begeisterungsstürme aus, ihre Auftritte sind von sagenhafter Bühnenpräsenz, unterstrichen von ihren wunderbar virtuos gestalteten Arien und ihren umwerfenden stimmlichen Verstellungen als Dottore und Notario. Das ist alles urkomisch durchgezogen, man freut sich über jeden ihrer Auftritte. Die beiden Freunde Guglielmo und Ferrando, die anfangs unerschütterlich an die Treue ihrer Verlobten glauben und sich selbstsicher auf das Experiment mit dem von Don Alfonso inszenierten Partnertausch einlassen, werden vom Bariton Huw Montague Rendall (Guglielmo) und vom Tenor Filipe Manu (Ferrando) mit enormer komischer und schon fast anrührender Darstellungskraft gesungen. Huw Montague Rendall nimmt mit seinem weich geführten, so wunderschön timbrierten Bariton und seinen akrobatischen Einlagen für sich ein, Filipe Manu mit seinem biegsamen, schlanken und leicht und sauber ansprechenden Tenor. Wenn die beiden dann in der für das Experiment vorgesehenen Täuschung in einer Verkleidung, die zwischen Krümelmonster und wilden Germanen des Frühmittelalters mäandert, auftreten, gibt's an Unterhaltungswert kein Halten mehr.
Ihre beiden Verlobten erhalten durch die Interpretationen von Tara Erraught (Fiordiligi) und Jana Kurucovà (Dorabella) musikalisch ein fantastisch differenziertes Profil. Jana Kurucovà als die keckere, lebenslustigere und sinnliches der beiden besticht mit wunderbar warmer Mezzosopranstimme, Sinnlichkeit in Gesang und Darstellung. Tara Erraught kontrastiert das mit nach vorne zur Schau getragener Unerschütterlichkeit in ihren moralischen Grundsätzen, die aber hinter der Fassade zu bröckeln beginnen. Mit stupender Sicherheit meistert sie die gefürchteten Intervallsprünge, vor allem in der Arie "Come scoglio", ohne übermäßig zu forcieren, stets bewahrt sie Leichtigkeit, Eleganz der Phrasierung und virtuose Gestaltungskraft. Die Duette der beiden sich so wunderschön aneinander schmiegenden Frauenstimmen werden zu Höhepunkten des beglückenden Abends. Das ist auch das Verdienst des umsichtigen Dirigenten Nicolas André und des mit ausgezeichneter Präsenz und spritziger Leichtigkeit aufspielenden Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg. Nicolas André lässt wunderschön und akkurat musizieren, verliert sich jedoch nie selbst verliebt in Details, sondern behält zielgerichtet den stetigen Fluss im Auge. Gerade dadurch wirkt die über dreieinhalb Stunden dauernde Oper (inklusive einer Pause) nie zu langatmig.
Fazit: Ein burlesker Spaß, der den Figuren trotzdem Tiefe einzuhauchen vermag. Von allen Ausführenden exzellent gesungen und musiziert!
Persönliche Anmerkung: Von Herbert Fritsch habe ich bisher drei Inszenierungen in Zürich gesehen: Eötvös' DREI SCHWESTERN, Purcells KING ARTHUR und Webers FREISCHÜTZ. Meine Begeisterung hielt sich jeweils in engen Grenzen. Doch nach der gestrigen COSÌ FAN TUTTE muss ich zu Kreuze kriechen und meine Haltung bezüglich Fritschs Regiearbeiten neu reflektieren - jedenfalls für COSÌ FAN TUTTE hat sein Ansatz etwas absolut Bezwingendes!
Werk:
COSÌ FAN TUTTE gehörte lange Zeit nicht zu den beliebtesten Opern Mozarts, obwohl die Musik zum Schönsten und Einfühlsamsten zählt, was Mozart komponiert hatte. Seine Gabe, tief in die Seele der Menschen hineinzublicken, Schwächen und widerstreitende Gefühle auszuloten und diese in beglückend schöne Noten zu setzen, erreichte in dieser Oper einen Höhepunkt.
Mozarts liberale Gesinnung und sein Einstehen für die sexuelle Selbstbestimmung stand in herbem Widerspruch zum aufkeimenden Puritanismus, der nach der französischen Revolution einsetzte. Wegen des nach dem Tod des aufgeklärten Reformkaisers Joseph II. moralisch unter Druck gekommenen Librettos und abfälliger Äusserungen von Beethoven (obwohl er eine Fiordiligi Arie zum Vorbild für die grosse Leonoren Arie genommen hat …) und Wagner bekam das Werk erst im 20. Jahrhundert seinen verdienten Stellenwert im Repertoire.
Inhalt:
Die Wette, die Guglielmo und Ferrando mit dem Philosophen Don Alfonso eingehen, entpuppt sich als Spiel mit dem Feuer. Um die Liebe von Fiordiligi und Dorabella auf die Probe zu stellen, geben die Offiziere vor, in den Krieg zu ziehen. Nach tränenreichem Abschiednehmen der fassungslosen Frauen betreten Guglielmo und Ferrando als fremdländische Brautwerber verkleidet die Szene und das böse Spiel nimmt seinen Lauf: Kammerzofe Despina, Intrigantenhelferin Don Alfonsos, rät den Bräuten, das Liebesvergnügen willkommen zu heissen und diese, obwohl anfänglich noch resistent gegen voreheliche Untreue, geben sich den Freuden der neuen Liebe schliesslich hin. Dies geschieht nach Metastasios Intrigenschema natürlich über Kreuz, sodass nun Guglielmo und Dorabella sowie Ferrando und Fiordiligi jeweils vor Zuneigung füreinander vergehen. Dass am Ende alles doch wieder seine zweifelhafte Ordnung erhält – Was soll’s! So machen’s alle!
Musikalische Höhepunkte:
Soave il vento, Terzett Fiordiligi, Dorabella, Don Alfonso, Akt I
Ah, scostati … Smanie implacabili, Szene und Arie der Dorabella, Akt I
Come scoglio, Arie der Fiordiligi, Akt I
Un aura amorosa, Arie des Ferrando, Akt I
Una donna a quindici anni, Arie der Despina, Akt II
Per pietà, Arie der Fiordiligi, Akt II
Il core vi dono, Duett Dorabella, Guglielmo, Akt II
Fra gli amplessi, Duett Fiordiligi, Ferrando, Akt II