Berlin, Deutsche Oper: COSÌ FAN TUTTE, 11.10.2016
Dramma giocoso in zwei Akten | Musik: Wolfgang Amadeus Mozart | Libretto: Lorenzo da Ponte | Uraufführung: 26. Januar 1790, Burgtheater Wien | Aufführungen in Berlin: 25.9. | 28.9. | 1.10. | 11.10. | 14.10. 2016 | 25.2. | 3.3. | 11.3.2017
Kritik:
Beliebig (und auf den ersten Blick rätselhaft) wirkt, was da wild zusammengewürfelt im zweiten Akt von COSÌ FAN TUTTE auf der Drehbühne vorbeizieht: Ein Spinett, Spiegelwände, eine gigantische Ölpumpe wie man sie in einsamen Landstrichen der USA antreffen könnte, einzelne verspiegelte Buchstaben, Rokoko-Stühle. Wenn sich die Projektionsrückwand hebt, erkennt man weit hinten gar einen gigantischen Weihnachtsbaum. Hat sich da der Regisseur und Bühnenbildner Robert Borgmann für seine erste Arbeit für die Opernbühne einfach im Fundus der Deutschen Oper Berlin ausgetobt und gütlich getan oder sind diese Versatzstücke symbolbeladen gedacht und bewusst gewählt? Eines scheint von Anfang an klar: Um Realismus geht es auf der Opernbühne nur ganz selten, und in Mozart/da Pontes COSÌ FAN TUTTE schon gar nicht. Diese lange Zeit verkannte, weil moralisch nicht mit dem gängigen Kodex vereinbare Oper, ist ein Experiment, ein ziemlich bösartiges. Uns so lässt Borgmann das Stück auf der Theaterbühne mit viel Theatralik ablaufen, als wirklich gutes Theater sogar! Denn das Stück, das schnell einmal betulich schön aber etwas langweilig wirken könnte, gewinnt durch ein außerordentlich spielfreudiges, junges Ensemble eine direkt ansprechende Frische, welche den Abend nie lang werden lässt. Die Jugend (YOUTH steht auf dem in der Farbe der Deutschen Oper - diesem merkwürdigen Senfgelb - gehaltenen Vorhang) wagt hier ein Experiment, um die Monogamie auf die Probe zu stellen und zu hinterfragen. Die jungen Liebenden schürfen tief in ihren Seelen, und wie das so ist beim Schürfen, da kommt vieles an die Oberfläche, was man nicht unbedingt gewollt oder erwartet hat, die Bohrungen können auch böse enden, eben genau wie beim Bohren nach Öl: So wäre das Rätsel der Ölpumpe als schon mal entschlüsselt. Am Ende blicken wir dann quasi von hinten nochmals auf den gelben Vorhang, lesen die Buchstaben YOUTH gespiegelt, sind also als Zuschauer ebenfalls mitten in den Strudel des Versuchs geraten, Teil der Theatralik und des Experiments geworden. Das alles ist mit einer großartigen Kurzweil gemacht, manchmal wirklich lustig, jedoch ohne anbiedernd zu wirken. Michael Sontag hat wunderbar phantasievolle Kostüme entworfen, die schrill und bunt sind und mit ihren Anklängen an Rokoko-Schnitte amüsieren. Herrlich die Idee, die „falschen“ Liebenden farblich einander zuzuordnen mit den neonfarbenen Stoffen. Wunderbar auch die Kostüme für die eigentliche Strippenzieherin Despina: erst ein kurzer, sehr eleganter schwarzer Reifrock, dann ein hautenger Lackanzug, gleich einer Domina aus dem Eros-Center (sie verkündet ja auch recht freizügige Parolen), dann die lächerliche Verkleidungen als Doktor des Magnetismus und als Notar und schließlich im eng geschnittenen Abendkleid.
Die Deutsche Oper Berlin hat das Stück mit jungen, viel versprechenden Sängerinnen und Sängern besetzt, die allesamt fabelhaft singen und als quicklebendiges Ensemble funktionieren, ihre augenzwinkernde und ansteckende Spielfreude regelrecht ins Publikum tragen, auch physisch sind Guglielmo und Ferrando immer mal wieder in der ersten Parkettreihe unterwegs. Paolo Fanale singt einen wunderbar lyrischen Ferrando, sein geschmeidiger, sehr angenehm und ausgeglichen timbrierter lyrischer Tenor vermag zu begeistern, das Strahlen, das verschmitzte Lächeln übertragen sich direkt in die wunderschöne Phrasierung seines Gesangs. John Chest gibt mit seinem warmen, runden Bariton einen einnehmenden Guglielmo, der mit witzigem Spiel ebenso wie mit seiner gesanglichen Leistung überzeugt. Ihre beiden Verlobten werden von Nicole Car (Fiordiligi) und Stephanie Lauricella (Dorabella) musikalisch und szenisch hervorragend verkörpert. Nicole Car erweist sich in ihren beiden großen Arien Come scoglio (der mit ihren Intervallsprüngen gefürchteten „Felsenarie“) und Per pietà als reife Interpretin der etwas schwermütigeren Fiordiligi, welche sich am Ende aber doch vom Rollenbild der treu liebenden Frau emanzipiert. Stephanie Lauricella transportiert die Gefühle der etwas lebenslustigeren (und leichter verführbaren) Dorabella mit glaubhafter Darstellungskunst. Ihr leicht und ausgesprochen sauber und ebenmäßig ansprechender Mezzosopran erfüllt ihre Arien und die Ensembles mit bezaubernder musikalischer Schönheit. Noel Bouley als Don Alfonso und die umwerfend komische Alexandra Hutton als Despina ergänzen das Sextett der in dieser Oper gleichwertigen Protagonisten. Alexandra Hutton ersingt und erspielt sich an diesem Abend einen überwältigenden Erfolg. Donald Runnicles dirigiert einen subtil ausgeloteten Mozart, in welchem sich rasante Tempi und ironisch überdehnte Verlangsamungen stimmig abwechseln. Man hatte zunächst die Befürchtung, dass der sehr offen gehaltene Bühnenraum die jungen Stimmen verschlucken oder zum Forcieren animieren könnte, doch diese Befürchtungen erwiesen sich als gegenstandslos, die Balance zwischen dem leicht hochgefahrenen Orchester der Deutschen Oper Berlin und den Sängerinnen und Sängern auf der Bühne blieb stets ausgewogen.
Am Ende ordnet dann Don Alfonso noch die Buchstaben auf der Bühne – und diese ergeben nun ein Wort:
S I L E N C E.
Also schweigen wir nun und moralisieren wir nicht weiter, denn „die Promiskuität gehört zur anthropologischen Grundausstattung“, wie Anselm Gerhard im Programmheft schreibt ... .
Werk:
Così fan tutte gehörte lange Zeit nicht zu den beliebtesten Opern Mozarts, obwohl die Musik zum Schönsten und Einfühlsamsten zählt, was Mozart komponiert hatte. Seine Gabe, tief in die Seele der Menschen hineinzublicken, Schwächen und widerstreitende Gefühle auszuloten und diese in beglückend schöne Noten zu setzen, erreichte in dieser Oper einen Höhepunkt.
Mozarts liberale Gesinnung und sein Einstehen für die sexuelle Selbstbestimmung stand in herbem Widerspruch zum aufkeimenden Puritanismus, der nach der französischen Revolution einsetzte. Wegen des nach dem Tod des aufgeklärten Reformkaisers Joseph II. moralisch unter Druck gekommenen Librettos und abfälliger Äusserungen von Beethoven (obwohl er eine Fiordiligi Arie zum Vorbild für die grosse Leonoren Arie genommen hat …) und Wagner bekam das Werk erst im 20. Jahrhundert seinen verdienten Stellenwert im Repertoire.
Inhalt:
Die Wette, die Guglielmo und Ferrando mit dem Philosophen Don Alfonso eingehen, entpuppt sich als Spiel mit dem Feuer. Um die Liebe von Fiordiligi und Dorabella auf die Probe zu stellen, geben die Offiziere vor, in den Krieg zu ziehen. Nach tränenreichem Abschiednehmen der fassungslosen Frauen betreten Guglielmo und Ferrando als fremdländische Brautwerber verkleidet die Szene und das böse Spiel nimmt seinen Lauf: Kammerzofe Despina, Intrigantenhelferin Don Alfonsos, rät den Bräuten, das Liebesvergnügen willkommen zu heissen und diese, obwohl anfänglich noch resistent gegen voreheliche Untreue, geben sich den Freuden der neuen Liebe schliesslich hin. Dies geschieht nach Metastasios Intrigenschema natürlich über Kreuz, sodass nun Guglielmo und Dorabella sowie Ferrando und Fiordiligi jeweils vor Zuneigung füreinander vergehen. Dass am Ende alles doch wieder seine zweifelhafte Ordnung erhält – Was soll’s! So machen’s alle!
Musikalische Höhepunkte:
Soave il vento, Terzett Fiordiligi, Dorabella, Don Alfonso, Akt I
Ah, scostati … Smanie implacabili, Szene und Arie der Dorabella, Akt I
Come scoglio, Arie der Fiordiligi, Akt I
Un aura amorosa, Arie des Ferrando, Akt I
Una donna a quindici anni, Arie der Despina, Akt II
Per pietà, Arie der Fiordiligi, Akt II
Il core vi dono, Duett Dorabella, Guglielmo, Akt II
Fra gli amplessi, Duett Fiordiligi, Ferrando, Akt II