Freiburg: IL TROVATORE, 15.05.2015
Dramma lirico in quattro parti | Musik: Giuseppe Verdi | Libretto: Salvatore Cammarano und Leone Emanuele Bardare, nach dem Drama «El Trovador» (1836) von Antonio García Gutiérrez | Uraufführung: 19. Januar 1853, Teatro Apollo, Rom | Aufführungen in Freiburg: 15.5. | 22.5. | 29.5. | 27.6.2015
Kritik:
Mitreissend, feurig lodernd, packend – das ist die musikalische Sprache Verdis in seinem Erfolgswerk IL TROVATORE. Und genau so erklang sie gestern Abend im Theater Freiburg. Da mag mal der eine oder andere Ton etwas daneben gegangen, die Tempokoordination zwischen Chor und Dirigent nicht immer perfekt abgestimmt gewesen sein, dem positiven Gesamteindruck der musikalischen Seite des Abends tat dies keinen Abbruch. Dazu gesellte sich eine Inszenierung des schwierig auf der Bühne umzusetzenden Werks, welche nicht nur nicht gross störte, sondern gar einiges erhellte. Das ist heutzutage schon viel!
Enrico Caruso, der kleingewachsene grosse Tenor, soll einmal gesagt haben, alles was es brauche um IL TROVATORE erfolgreich in Szene zu setzen, seien die vier weltbesten Sänger. Nun, in Freiburg standen fünf ausgezeichnete Sängerinnen und Sänger auf der Bühne. Denn hier erhielt die Rolle des Ferrando endlich einmal das ihr zustehende Gewicht. Die Regisseure Rudi Gaul und Heiko Voss verlegten die Handlung in eine Art Varieté- oder Kinosaal. Die Zeit war nicht genau definiert, denn die Bühne hatte mal etwas von Art déco der Stummfilmzeit, dann, wenn sich dieser Muschelsaal drehte, sah er aus wie von Christo und Jeanne-Claude verpackt, mit einer Öffnung die einer Vulva glich (Bühne und Kostüme: Olga Motta). Die Kostüme und Teile der Handlung spielten mit deutlichen Assoziationan an Stanley Kubricks blutigen Kultfilm A CLOCKWORK ORANGE. So trat eben der erwähnte Ferrando als Conférencier, Magier und Séance-Künstler auf, weissgekleidet, mit rotem Zylinder, roten Kothurnen und (wie alle Männer) mit über der Kleidung getragenem, sehr auffälligem Suspensorium. Jin Seok Lee füllte die Rolle mit seinem sonoren Bass hervorragend aus, lieferte im ersten Bild eine packende Erzählung der Vorgeschichte und begleitete die Handlung mit seiner immensen Präsenz im weiteren Verlauf des Abends. Sein Dienstherr, Graf Luna, wurde von Alejandro Lárraga Schleske mit einnehmend timbriertem Bariton gesungen. Darstellerisch vielleicht etwas statisch, doch das mag auch an der insgesamt etwas vernachlässigten Personenführung durch die Regisseure gelegen haben, da auch die anderen Protagonisten vielfach eher unbeholfen, ja fast unbeteiligt herumstanden oder -gingen. Das galt auch für den Manrico von James Lee. In den ersten beiden Akten punktete er mit seinem souverän eingesetzten, viril und markant klingenden Tenor. Im dritten Akt hatte er zu Beginn einige kleinere Intonationsprobleme, stürzte sich dann mutig und mit Attacke in die gefürchtete Stretta Di quella pira, das erste hohe C ging leider krächzend daneben, doch für den Schlusston des All'armi war die Stimme wieder voll da. Sehr schön gelangen ihm die Szenen mit seiner vermeintlichen Mutter Azucena, in denen er Tröstender, Zweifelnder und Fragender (nach seiner wahren Herkunft) zugleich war. Diese Azucena war eine Wucht: Anja Jung verfügt über die perfekte Stimme für diese Rolle, welche wohl eine der dankbarsten und intensivsten aus Verdis Feder ist. Frau Jungs Rollengestaltung zeichnete sich durch eine dunkle Grundfarbe aus, sie vermochte die sie psychisch verzehrenden Gewissensbisse über den Mord am eigenen Kind und die in ihrer Seele drohend wuchernden Rachegedanken auf eindringliche Art und Weise zu akzentuieren. Töne die durch Mark und Bein gingen, loderten wie heisse Lava, sich gleissend vom Brustregister in die Höhe drehten und in ein entrücktes Piano wechseln konnten (Schlussbild Ai nostri monti). In ihrem Lager beschäftigte Azucena eine ganze Horde Kinder (mit blutigen Narben), welche in ihrem Auftrag mit blutroter Farbe Poster malen mussten, die sich mit Kindesmord und Hexenverbrennungen beschäftigten. Eine Art selbstauferlegter Psychotherapie? Die fünfte wichtige Person der Oper ist natürlich die Primadonna, Leonora, welche die von einander nichts wissenden Brüder als Rivalen um ihre Gunst in fataler Art aufeinander treffen lässt. Christina Vasileva sang die anspruchsvolle Partie mit einer fulminanten Selbstverständlichkeit. Sauber die Triller und kleinen Fiorituren, den grossen Tonumfang mühe- und bruchlos durchschreitend, von fortissimo Ausbrüchen wie durch Magie in tragfähige Piani zurückgleitend. Wunderbar! Selbstverständlich musste sie in platinblonder Pony Perücke und im kurzen Schwarzen auftreten ... (Wie sich die Bilder gleichen: Auch in der KÖNIGIN VON SABA am Abend zuvor war platinblond und schwarz angesagt gewesen. Gibt es noch ein anderes Frauenbild???) Auch die Inez (sehr gut Viktoria Varga) war identisch gekleidet, den Büstenhalter als Betonung der weiblichen Attribute mussten die Damen über dem Kleid tragen, genau wie die Männer ihr Suspensorium. In der Soldatenszene räkelten sich dann drei dieser Blondinen lasziv an den roten Speeren, eine ziemlich geschmacklose Mischung zwischen Strip-Club und Golgatha. Aber eben, Kubrick liess grüssen!
Der eigentlich gut disponierte Chor und Extrachor des Theater Freiburg vermochte die ziemlich rasanten Tempovorgaben von Johannes Knapp am Pult des sehr prägnant die Verdischen Begleitfiguren ausführenden Philharmonischen Orchesters Freiburg nicht immer auf Anhieb aufzunehmen, so dass es zu kleineren Wacklern kam.
Witzig und einfallsreich waren die holzschnittartigen Comic Videosequenzen von Thilo Nass auf dem Vorhang (und auf der Leinwand des Kinos), welche erklärend die einzelnen Tableaus miteinander verbanden.
Inhalt:
Entgegen ihrem Ruf ist die Handlung von Verdis IL TROVATORE gar nicht so kompliziert, jedenfalls nicht für Leute, die an Fernsehserien und Familiensaga mit unglaublichen und überraschendne Wendungen gewöhnt sind ...
Vorgeschichte
Eine Zigeunerin berührt das Kind einer Adligen. Die Eltern befürchten, das Kind sei nun verhext und verbrennen die vermeintliche Hexe auf dem Scheiterhaufen, wie es damals üblich war. Die Tochter der Zigeunerin (Azucena) will natürlich den Tod der Mutter rächen. Sie entführt das „berührte“ Baby und will es ebenfalls ins Feuer werfen. Doch in ihrer Verwirrung greift sie sich den eigenen Sohn. So zieht sie den Sohn des Grafen als eigenes Kind auf: Manrico – er wird Troubadour. Verhängnisvollerweise liebt er die selbe Frau wie sein Bruder, der Graf Luna (von dem er natürlich nicht weiss, dass es sein Bruder ist): Leonora.
Handlung der Oper
Der Hauptmann der gräflichen Garde erzählt den Soldaten die Vorgeschichte.
Leonora erwartet ihren heimlichen Verehrer, den Troubadour Manrico, der auch bei den Aufständischen mitkämpft, denn die Oper spielt in den Wirren um eine spanische Thronfolge. Luna und Manrico treffen aufeinander – Duell. Manrico siegt, lässt aber Luna leben. Das war ein Fehler, denn Lunas Schergen verletzen Manrico.
Azucena kümmert sich um die Wunden Manricos. Ihr Geist verwirrt sich manchmal, und so gibt sie einen Teil der Vorgeschichte preis. Manrico wird skeptisch: Wer ist er? Doch bevor er weiter in die Mama dringen kann, erreicht ihn die Nachricht, dass Leonora ins Kloster gehen will. Das muss natürlich verhindert werden. Auch Luna kann sich logischerweise nicht mit einer Nonne Leonora abfinden und an den Klostermauern treffen die Brüder erneut aufeinander. Manrico gelingt es, Leonora zu entführen. Azucena wird von den Soldaten Lunas gefangen genommen. Dieser triumphiert: Nun hat er ein Pfand gegen Manrico in seiner Gewalt. Leonora und Manrico bereiten unterdessen die Hochzeit vor. Doch wiederum erscheint ein Bote und berichtet von Azucenas Gefangennahme. Manrico muss seiner Mutter natürlich umgehend zu Hilfe eilen, singt vorher aber noch die gefürchtete Stretta Di quella pira, mit den hohen Cs, die zwar nicht notiert sind, aber gemeinhin vom Publikum erwartet werden. Doch Manricos Rettungsversuche schlagen fehl, zusammen mit der Mama sitzt er im Kerker. Schon brennt der Scheiterhaufen. Leonora unternimmt bei Luna einen Rettungsversuch: Sie verspricht, Luna zu heiraten, wenn er Manrico laufen lässt. Luna geht darauf ein, doch Leonora trinkt heimlich Gift, um nicht mit Luna das Bett teilen zu müssen. Leonora berichtet Manrico im Kerker, dass er bald frei sein werde. Erst beschimpft er sie, doch als er merkt, welches Opfer sie für ihn gebracht hat, ist er erschüttert. Leonora stirbt in Manricos Armen. Luna merkt, dass er betrogen wurde und lässt Manrico köpfen. Azucena erwacht aus ihrem Dämmerzustand und schreit Luna triumphierend ins Gesicht: ER WAR DEIN BRUDER! O MUTTER, DU BIST GERÄCHT!
Werk:
IL TROVATORE ist das mittlere Werk aus Verdis so genanntem Dreigestirn (RIGOLETTO, IL TROVATORE, LA TRAVIATA) und trug entscheidend zur Popularität des Komponisten bei. Bis heute erfreut sich die Oper einer ungeheuren Beliebtheit. Dies liegt natürlich vor allem an Verdis effektvollen und mitreissenden Melodien, welche die blutig-dramatische Handlung bühnenwirksam untermalen. Obwohl Verdi hier auf althergebrachte Stereotypen der formalen Musiksprache zurückgreift (Kavatine – Unterbrechung durch Chor oder Boten – Kabaletta, Stretta), schafft er es, die Spannung nie abreissen zu lassen. Wie in den meisten seiner Opern ist dem Bühnentier Verdi ein perfektes Timing gelungen. Tableau artig ist die Architektur, stimmig die Zuordnung der Tonarten, spannend die geschaffenen Klangräume. Mit der Azucena hat Verdi erstmals in seinem Oeuvre eine zumindest gleichwertige Gegenspielerin zur Primadonna geschaffen, wie später mit Elisabetta-Eboli oder Aida-Amneris.
Musikalische Höhepunkte:
Jede einzelne Nummer, jeder Chor, jedes Ensemble ist ein Ohrwurm oder ein mitreissender Hit!
Verdi at his best!