Bern: DER FLIEGENDE HOLLÄNDER, 04.09.2011
Romantische Oper in drei Aufzügen | Musik: Richard Wagner | Text: vom Komponisten | Uraufführung: 2. Januar 1843 in Dresden | Aufführungen in Bern: 4.9. | 17.9. | 24.9. | 14.10. | 23.10. | 29.10. | 6.11. | 16.11. | 19.11. | 23.11. | 14.12. | 17.12. | 20.12. | 28.12.2011
Kritik:
Das Stadttheater Bern stellte sich mit dieser Saison-Eröffnungspremiere einer grossen Herausforderung und vermochte das Premierenpublikum mit Wagners FLIEGENDEM HOLLÄNDER zu überzeugen. Alle Beteiligten wurden schon beinahe enthusiastisch gefeiert. Der Kritiker kann allerdings nicht ungeteilt in diesen allgemeinen Jubel einstimmen.
Dankbar konnte man dem Regisseur Dieter Kaegi und seinem Ausstattungsteam (Bühne und Kostüme: Francis O'Connor, Licht: Jacques Batocletti) dafür sein, dass sie der oft für pseudo-psychologisch angehauchte Verfremdungen missbrauchten Geschichte einen nachvollziehbaren, naturalistischen Rahmen gaben. Erzählt wird die Handlung aus der Sicht der kleinen Senta: Sie wächst in einer derben Männerwelt auf, ihr Vater nimmt sie mit aufs Schiff, wo sie zum Maskottchen (und vielleicht auch mehr als das) der Matrosen wird. Hier begegnet sie auch dem fremden Mann, der düsteren Gestalt des Holländers, eines Aussenseiters, von dessen Erscheinung sie so fasziniert ist, dass sie flugs ein Porträt von ihm anfertigt. Auch später bleibt sie ein Mädchen, kann nicht erwachsen werden und kleidet sich immer noch entsprechend. Die Skizze bewahrt sie auf und versenkt sich träumerisch immer wieder in deren Anblick. Als ihr Verlobter Erik ihr seinen Traum erzählt, wird dieser Traum für sie zu einer eingebildeten Realität, das Unglück nimmt seinen Lauf. Der Regisseur erzählt diese Sicht auf die Handlung relativ verständlich, auch wenn notgedrungen einige Brüche nicht kaschiert werden können. Hervorzuheben ist das tolle Lichtdesign. Bereits während des Vorspiels wird mittels Projektionen das die Partitur über weite Strecken inspirierende Element des Wassers sichtbar, Senta (die Luftakrobatin Janine Eggenberger) stürzt sich zirkusreif vom Bühnenhimmel in die Fluten - und dieser Effekt wird selbstverständlich am Ende der Oper wiederholt, zum Erlösungsschluss, welchen Wagner nach der Komposition des Tristan für den HOLLÄNDER schuf. Ansonsten hat Kaegi genau auf den Text gehört und ihn - oft allzu wörtlich - umgesetzt. (Daland: "Frisch, Jungen, greifet an!" - die Matrosen stürzen sich auf Klein-Senta, kein Wunder, dass das Mädchen von nun an traumatisiert ist. Erik: "Wenn dann mein Herz in Jammer bricht" - ein Fisch wird ausgenommen, "Gott, was muss ich seh'n" - Senta gibt sich sexuell dem Holländer hin). Als Ausweg aus dem industriellen, trostlosen und frauenfeindlichen Ambiente (die Kostüme lassen auf die 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts schliessen) sieht Senta als einzige Fluchtmöglichkeit den Freitod.
Sängerisch meisterten den Solisten die Anforderungen ihrer Partien unterschiedlich: Luciano Batinic vermochte mit exzellenter Diktion und wohlklingendem Bass als Daland zu gefallen, Niclas Oettermann war ein stimmgewaltiger, nie larmoyant klingender Erik und setzte seinen bruchlos geführten Tenor effektvoll ein. Mardi Byers hingegen konnte Registerbrüche nicht überdecken: Ihre Senta klang zu hysterisch, zu "reif", vor allem wenn sie an Lautstärke zulegte. Ihre Piani klangen nämlich vorzüglich, so die Vokalise des Erlösungsmotivs zu Beginn des zweiten Bildes. Die berühmte nachfolgende Ballade, die zentrale Nummer der Oper, geriet dann allerdings zu flackernd, die Jo ho hoe- Rufe zu verschwommen. Darstellerisch allerdings fiel Frau Byers durch bemerkenswerte Bühnenpräsenz auf. Kevin Short in der Titelrolle des unseligen Holländers disponierte seine Kräfte klug: Nach einem eher zurückhaltenden, etwas brüchig vorgetragenen Auftrittsmonolog vermochte er seinen hell timbrierten Bassbariton im Zwiegesang mit Daland und später mit Senta besser zu fokussieren und fand im Schlussakt zu beeindruckender Statur. Andries Cloete setzte im dritten Bild mit einem gekonnten Striptease als Steuermann einen aufheiternden Akzent in die düstere Geschichte (daneben sang er natürlich auch noch vortrefflich) und Marit Sauramo gab eine solide Mary.
Sehr schön sangen Chor und Extrachor der Stadttheaters Bern (Einstudierung: Bohdan Shved), wobei vor allem die Damen im zweiten Bild als zänkisch-zickige Mitarbeiterinnen am Fliessband der Fischverarbeitung zu gefallen wussten.
Srboljub Dinić am Pult des Berner Symphonieorchesters stellte die naturalistischen, lautmalerischen Töne der Partitur und die grelle Schauerromantik in den Vordergrund seines energiegeladenen, vorwärtsdrängenden Dirigats, was zwar zu einem effektvollen, stark Blechbläser lastigen Gesamtklang führte, jedoch auf Kosten der klanglichen Transparenz ging.
Fazit:
DER FLIEGENDE HOLLÄNDER in Bern ist sehens- und mit Einschränkungen auch hörenswert und allemal eine grossartige Oper.
Inhalt:
Während eines Sturms geht Dalands Schiff in einer Bucht vor Anker. Die Mannschaft und der wachhabende Matrose schlafen ein, gespenstisch naht sich ein zweites Schiff. Es ist das Schiff des Holländers, der wegen einer Gotteslästerung zu einem ewigen Leben auf See verdammt ist. Nur ein treu ergebenes Weib kann ihm Erlösung bringen. Alle sieben Jahre darf er an Land gehen und sich dieses Weib zu erringen suchen. Daland ist beeindruckt von den Schätzen auf des Holländers Schiff und bietet dem Mann seine Tochter Senta zur Gemahlin an.
Diese ist ganz närrisch nach dem Holländer, welchen sie nur von einem Bild und der Sage kennt. Immer wieder ergeht sie sich in Tagträumen über das Schicksal dieses Mannes. Senta wird aber vorerst vom jungen Jäger Erik umworben, der besorgt die Träumereien seiner Liebsten wahrnimmt. Doch Senta fühlt sich berufen, den „armen Mann“ zu erlösen. Unmutig verlässt Erik das Mädchen, als Sentas Vater mit dem Holländer das Zimmer betritt. Senta weiß nun, dass es ihr bestimmt ist, das Erlösungswerk zu vollbringen. Zwischen ihr und dem Holländer entsteht eine innige Verbundenheit. (Wunderbares Duett!)
Die norwegischen Matrosen bereiten das Fest vor und versuchen auch die Mannschaft des Holländer-Schiffes einzuladen, doch aus dem Schiff schallt ihnen nur beängstigendes, geisterhaftes Dröhnen entgegen, so dass sie entsetzt und verängstigt fliehen. Erik erinnert Senta noch an seine Liebe zu ihr, vergeblich.
Der eintretende Holländer hat das Gespräch belauscht und ist sich sicher, dass auch Senta ihm nicht die erhoffte Treue gewähren können wird. Um sie vor der Verdammnis zu bewahren, erzählt er ihr von seinem Fluch (Erfahre das Geschick, vor dem ich Dich bewahr). Er eilt zu seinem Schiff, um auf ewig unerlöst zu bleiben. Doch Senta setzt ihm nach, verkündet nochmals laut, ihm treu […] bis zum Tod zu sein, und stürzt sich von der Klippe ins Meer. Augenblicklich versinkt das Schiff des Holländers in den Fluten. Der Fliegende Holländer ist erlöst.
Werk:
Zum ersten Mal taucht im FLIEGENDEN HOLLÄNDER Wagners Frauenbild auf: Durch bedingungslose Hingabe und Selbstaufopferung dient das Weib der Erlösung fremder Schuld und dem Heil des Mannes. Sentas Ausbruch aus dem Mief des Kleinbürgertums wirkt zwar revolutionär, doch ihre Entscheidung führt nicht zur Freiheit der Liebe, sondern zur Selbstpreisgabe. Der Rolle des Holländers hingegen enthält die Weltschmerzthematik sowie den Keim des deutschen Irrwegs, der auf Erlösung und Untergang im globalen Vernichtungsrausch und auf Kadavergehorsam abzielt. Seit Siegfried Wagner 1901 den Holländer in Bayreuth pausenlos spielen liess, hat sich diese Version auf den Bühnen durchgesetzt, sie wird dem balladesken Charakter des Werks gerecht. Sentas Ballade steht denn auch im Zentrum, die Erzählung vom fliegenden Holländer wandelt sich nach den ersten beiden Strophen zur Ich-Form, die junge Frau kommt zur vermeintlichen Selbstfindung.
Zwar hört man in Wagners Werk noch Anklänge an Weber und Marschner, an die deutsche Schauerromantik, auch die Nummernoper ist noch nicht komplett aufgebrochen. Doch dominieren neben volkstonhaften Einsprengseln (Lied des Steuermanns, Chöre der Spinnerinnen und der Matrosen) grossartige, durchkomponierte Szenen. So der Auftritt des Holländers und vor allem das mit 422 Takten jeglichen konventionellen Rahmen sprengende Duett Senta-Holländer.
Bereits in der Ouvertüre wird der Charakter des Stückes offenbar: Das Motiv des Holländers mit seinem Quart-Quint Aufstieg, die Sturmakkorde und die bedrohlichen Wellen des Meeres, das Erlösungsmotiv und die Melodien der Matrosen bewirken eine packende, gefährliche Sogwirkung.
Musikalische Höhepunkte:
Ouvertüre
Die Frist ist um, Monolog des Holländers, Aufzug I
Johohoe! Traft ihr das Schiff…, Ballade der Senta, Aufzug II
Wie aus der Ferne längst vergang’ner Zeiten, Duett Senta-Holländer, Aufzug II
Steuermann, lass die Wacht!, Matrosenchor, Aufzug III
Erfahre das Geschick, Finale Aufzug III