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Berlin, Deutsche Oper: DER FLIEGENDE HOLLÄNDER, 04.06.2017

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Der fliegende Holländer

copyright: Thomas Jauk, mit freundlicher Genehmigung Deutsche Oper Berlin

Romantische Oper in drei Aufzügen | Musik: Richard Wagner | Text: vom Komponisten | Uraufführung: 2. Januar 1843 in Dresden | Aufführungen in Berlin: 7.5. | 11.5. | 16.5. | 20.5. | 4.6. | 10.6.2017

Kritik:

 

DER FLIEGENDE HOLLÄNDER verströmt den düsteren Hauch der deutschen Schauerromantik – und diesen Hauch hat das Inszenierungsteam um den Zürcher Ballettdirektor Christian Spuck einzufangen versucht. Das Bühnenbild von Rufus Didwiszus lehnt sich dabei an die Arbeiten der Schweizer Avantgarde-Künstlerin Heidi Bucher an, welche sich durch ihre „Abhäutungen“ von Räumen auszeichnete, indem sie Kautschuk-Folien über Wände vor allem in Villen aus dem 19. Jahrhundert legte. An diesen Folien blieben nach deren Abzug dann „Erinnerungsfetzen“ hängen. Darauf baut Christian Spuck auch seine Inszenierung auf: Ganz aus der Erinnerung des einzig „normal“ empfindenden Menschen dieser Oper heraus, dem Erik, lässt Spuck das Geschehen nochmals aus dem Nebel seiner durcheinander geratenen Gefühlswelt aufsteigen. Von Beginn weg sind wir in einem solchen Villen-Zimmer. Zwei große Türen führen ins nebulöse Nichts, das Dach ist undicht geworden, der Regen tropft unaufhörlich auf den Boden, bildet riesige Pfützen. Erik ist denn auch durchgehend vom Beginn der Ouvertüre bis zum Tod Sentas auf der Bühne präsent, ein Mensch, der durch das Erlebte zutiefst gezeichnet ist, mal wütend ein Miniatur-Handelsschiff zerschmettert, dann wieder zusammengekauert und der Welt abgewandt in seiner Depression versinkt. Für das zweite Bild wird die Verpackungsfolie der Schiffsladung wie ein Riesensegel hochgezogen, bildet einen baldachinartigen Raum im Raum, Stockflecken und Schwarzschimmel zeichnen sich auf dieser Abhäutungsfolie ab. Für das Schlussbild wird der schimmlige Baldachin durch ein unheilverkündendes schwarzes Segel ersetzt. Stets dräuen weiße Trockeneisschwaden über der Szene, der Regen tropft nun auf die wieder mit Folie bedeckten Nähmaschinen (anstelle von Spinnrädern), die Gummistiefel der Matrosen quietschen, wenn sie durch die Pfützen waten. Diese naturalistischen Geräusche (auch das Klirren der Flaschen beim Fest im dritten Bild) mögen atmosphärisch angebracht sein, stören auch nicht gar so wie in Bieitos Stuttgarter Inszenierung des Stücks,  aber so ganz zwingend sind sie nun auch wieder nicht. Emma Ryotts Kostüme sind ganz in Schwarztönen gehalten, fangen wie die Bühne den Geist der Entstehungszeit der Oper ein. Optisch wirkt das Ganze stimmig – und doch verliert man zusehends etwas das Interesse an der Geschichte, das Auge ist ermüdet von den schwarzen Wänden, den schwarzen Kostümen, den Nebelwolken. Natürlich gelingen Spuck in der Führung des Chors bezwingende Choreographien – die Auftritte der Entourage des Holländers ist von gespenstischer Eindringlichkeit. Die Kapuzenmänner ohne Gesicht wirken wie die Todesser aus Harry Potter. Interessant ist vom Regisseur auch das Ende der Oper gedeutet: Senta stürzt sich nicht vom Felsen ins Meer, sondern stirbt beim Gerangel mit Eriks Jagdmesser. Unfall, Selbstmord oder gar Mord? Verdenken könnte man es Erik nämlich nicht, wenn er dem neurotischen Gehabe der Senta durch einen gezielten Stich mit dem Messer ein Ende bereitet hätte.

Thomas Blondelle singt diesen Erik mit blendend sicher geführter, geradezu heldisch leuchtender Stimme, jenseits jeglicher Larmoyanz, welche oft in dieser Partie aufzuschimmern droht. Mit überzeugender Vehemenz schreitet er nach langem Beobachten des Abgleitens Sentas in ihre Holländer-Sucht endlich ins Geschehen ein (Senta, willst du mich verderben?), gestaltet mit bezwingender Intensität die Traumerzählung, die dynamische Schraube stetig drehend und bewältigt seinen Auftritt im dritten Bild mit grandioser, unter Hochdruck stehender Expressivität. Herausragend auch der kernige Bass von Tobias Kehrer als Daland: Perfekt in Diktion, Rundung. Sonorität in der Tiefe. Ingela Brimberg verströmt herrlich aufblühende Phrasen als Senta (ganz wunderbar im Duett des zweiten Bildes „Er steht vor mir mit leidenvollen Zügen“), verfügt auch über die glockenartigen Fanfarentöne für die Eröffnung der Ballade und die Wärme für das Erlösungsmotiv. Zudem ist sie eine ideale Darstellerin dieses schwärmerischen Mädchens, dieser Außenseiterin in einer überangepassten Frauengemeinschaft. Samuel Youn singt den Holländer, klingt dabei etwas unterkühlt, eindimensional, der stimmlichen Gestaltung fehlt die Tiefe, das Mystische. Die Phrasierung scheint an diesem Abend dabei oft etwas eigenwillig, die Intonation an gewissen Stellen nicht gerade stabil zu sein. Sehr gut klingen der erfrischend jugendliche Tenor von Gideon Poppe als Steuermann und die resolute Mary von Ronnita Miller. Ausgezeichnet auch die Chöre der Seemänner und der Mädchen in der Spinnstube, auch wenn gewisse Sforzati beim Matrosenchor am Ende des ersten Aufzugs etwas gar überdreht waren. (Chor der Deutschen Oper Berlin, Herren des Extrachores Der Deutschen Oper Berlin, Einstudierung: Raymond Hughes) Solide wogt das Orchester der Deutschen Oper Berlin unter der Leitung von Donald Runnicles in den Wagnerschen Orchesterfluten. Runnicles lässt dabei die peitschenden Effekte wie die Gischt der Wellen aufschäumen, gefährdet aber die Balance zwischen Bühne und Graben in keinem Moment.

Inhalt:

Während eines Sturms geht Dalands Schiff in einer Bucht vor Anker. Die Mannschaft und der wachhabende Matrose schlafen ein, gespenstisch naht sich ein zweites Schiff. Es ist das Schiff des Holländers, der wegen einer Gotteslästerung zu einem ewigen Leben auf See verdammt ist. Nur ein treu ergebenes Weib kann ihm Erlösung bringen. Alle sieben Jahre darf er an Land gehen und sich dieses Weib zu erringen suchen. Daland ist beeindruckt von den Schätzen auf des Holländers Schiff und bietet dem Mann seine Tochter Senta zur Gemahlin an.

Diese ist ganz närrisch nach dem Holländer, welchen sie nur von einem Bild und der Sage kennt. Immer wieder ergeht sie sich in Tagträumen über das Schicksal dieses Mannes. Senta wird aber vorerst vom jungen Jäger Erik umworben, der besorgt die Träumereien seiner Liebsten wahrnimmt. Doch Senta fühlt sich berufen, den „armen Mann“ zu erlösen. Unmutig verlässt Erik das Mädchen, als Sentas Vater mit dem Holländer das Zimmer betritt. Senta weiß nun, dass es ihr bestimmt ist, das Erlösungswerk zu vollbringen. Zwischen ihr und dem Holländer entsteht eine innige Verbundenheit. (Wunderbares Duett!)

Die norwegischen Matrosen bereiten das Fest vor und versuchen auch die Mannschaft des Holländer-Schiffes einzuladen, doch aus dem Schiff schallt ihnen nur beängstigendes, geisterhaftes Dröhnen entgegen, so dass sie entsetzt und verängstigt fliehen. Erik erinnert Senta noch an seine Liebe zu ihr, vergeblich.
Der eintretende Holländer hat das Gespräch belauscht und ist sich sicher, dass auch Senta ihm nicht die erhoffte Treue gewähren können wird. Um sie vor der Verdammnis zu bewahren, erzählt er ihr von seinem Fluch (Erfahre das Geschick, vor dem ich Dich bewahr). Er eilt zu seinem Schiff, um auf ewig unerlöst zu bleiben. Doch Senta setzt ihm nach, verkündet nochmals laut, ihm treu […] bis zum Tod zu sein, und stürzt sich von der Klippe ins Meer. Augenblicklich versinkt das Schiff des Holländers in den Fluten. Der Fliegende Holländer ist erlöst.

Werk:

Zum ersten Mal taucht im FLIEGENDEN HOLLÄNDER Wagners Frauenbild auf: Durch bedingungslose Hingabe und Selbstaufopferung dient das Weib der Erlösung fremder Schuld und dem Heil des Mannes. Sentas Ausbruch aus dem Mief des Kleinbürgertums wirkt zwar revolutionär, doch ihre Entscheidung führt nicht zur Freiheit der Liebe, sondern zur Selbstpreisgabe. Der Rolle des Holländers hingegen enthält die Weltschmerzthematik sowie den Keim des deutschen Irrwegs, der auf Erlösung und Untergang im globalen Vernichtungsrausch und auf Kadavergehorsam abzielt. Seit Siegfried Wagner 1901 den Holländer in Bayreuth pausenlos spielen liess, hat sich diese Version auf den Bühnen durchgesetzt, sie wird dem balladesken Charakter des Werks gerecht. Sentas Ballade steht denn auch im Zentrum, die Erzählung vom fliegenden Holländer wandelt sich nach den ersten beiden Strophen zur Ich-Form, die junge Frau kommt zur vermeintlichen Selbstfindung.

Zwar hört man in Wagners Werk noch Anklänge an Weber und Marschner, an die deutsche Schauerromantik, auch die Nummernoper ist noch nicht komplett aufgebrochen. Doch dominieren neben volkstonhaften Einsprengseln (Lied des Steuermanns, Chöre der Spinnerinnen und der Matrosen) grossartige, durchkomponierte Szenen. So der Auftritt des Holländers und vor allem das mit 422 Takten jeglichen konventionellen Rahmen sprengende Duett Senta-Holländer.

Bereits in der Ouvertüre wird der Charakter des Stückes offenbar: Das Motiv des Holländers mit seinem Quart-Quint Aufstieg, die Sturmakkorde und die bedrohlichen Wellen des Meeres, das Erlösungsmotiv und die Melodien der Matrosen bewirken eine packende, gefährliche Sogwirkung.

Musikalische Höhepunkte:
Ouvertüre
Die Frist ist um, Monolog des Holländers, Aufzug I
Johohoe! Traft ihr das Schiff…, Ballade der Senta, Aufzug II
Wie aus der Ferne längst vergang’ner Zeiten, Duett Senta-Holländer, Aufzug II
Steuermann, lass die Wacht!, Matrosenchor, Aufzug III
Erfahre das Geschick, Finale Aufzug III

Karten

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