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Berlin, Philharmonie: BENJAMIN, BEETHOVEN; RACHMANINOW, 16.11.2018

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Die drei grossen B (Violinkonzerte)

Ludwig van Beethoven (1770-1827)

George Benjamin: SUDDEN TIME, für grosses Orchester | Uraufführung: 21.Juli 1993 in London | Ludwig van Beethoven: VIOLINKONZERT in D-Dur | Uraufführung: 23. Dezember 1806 in Wien | Sergej Rachmaninow: SINFONIE NR.2 in e-Moll | Uraufführung: 8. Februar 1908 in St.Petersburg unter der Leitung des Komponisten | Dieses Konzert in Berlin: 16.11. und 17.11.2018

Kritik:

Selbstverständlich werden Konzertprogramme nicht willkürlich zusammengestellt, und schon gar nicht beim Deutschen Symphonie Orchester Berlin. Doch was verbindet so unterschiedliche Werke wie Benjamins SUDDEN TIME aus dem Jahre 1993, Beethovens VIOLINKONZERT (entstanden 1806) und Rachmaninows ausladende 2. SINFONIE (1908), dass man sie gemeinsam auf ein Konzertprogramm setzt? Die Antwort ist im Titel des jüngsten Werkes enthalten: TIME, das Erforschen der Zeit, ihrer Abläufe, ihrer Wirkung. Zeit, die sich in ihrer Entfaltung dehnt, verkürzt, zusammenbricht, verweilt. Bei George Benjamin stand ein Naturerlebnis (Donnerschlag) zwischen Wachsein und Traum am Ausgangspunkt seiner Auseinandersetzung mit dem Phänomen der subjektiv wahrgenommenen Zeitdauer. Bei Beethoven ist es der auffallend lange erste Satz seines Violinkonzerts, der die Zeit braucht, um sich zu entfalten, um seine Geschichte zu erzählen. Rachmaninow gestand man über viele Jahre hinweg die Zeit nicht zu, die er benötigte, um seine erzählerische Kraft in die sinfonische Struktur seiner zweiten Sinfonie zu bannen – das Werk wurde oft um bis zu einer halben Stunde gekürzt aufgeführt. Dabei ist es gerade dieses lang anhaltende Versinken in die Melancholie seiner Tonsprache, welches die Faszination dieses Werks ausmacht. Musik von bezaubernder Schönheit, tiefer Empfindung, elegischen Gesten. Da türmen sich (Gefühls-) Wogen auf, herrliche solistische Kantilenen (Solovioline, Klarinette) und sich aufbäumende Tutti-Passagen wechseln sich ab. Höhepunkte reihen sich aneinander, Zeit zum Aufatmen bleibt kaum. Robin Ticciati und das blendend die Stimmungen dieser Sinfonie evozierende Deutsche Symphonie Orchester Berlin bescheren dem begeisterten Publikum einen Hörgenuss der Extraklasse: Das ist sentimental, ja, aufwühlend, ja, aber nie kitschig oder zu süss. Filmmusik vom Allerfeinsten, bevor es überhaupt Filme gab. Klar strukturiert und mit leicht diabolischem Ton wird nach dem emotionalen ersten Satz das Scherzo durchwandert, unterbrochen vom fiebrig-nervösen Trio, immer präzise den Rhythmus haltend. Hervorragend hier die Streicher im Wechsel von Pizzicati zu gestrichenen Passagen. Wunderbar seufzend und schmachtend erklingt das Adagio, mit Steigerungen, die schlicht zum Heulen schön sind. Wild und draufgängerisch schliesst sich das lärmig-jubelnde Finale an, man sitzt an der Stuhlkante, weil immer noch eine Schraubendrehung folgt. Ticciati bereitet die unzähligen klanglichen Kulminationen mit spannungsgeladener Intensität vor – der Jubel ist gross.

Gross war er auch vor der Pause nach Beethovens Violinkonzert. Mit Christian Tetzlaff war wohl einer der führenden Interpreten der Gegenwart für dieses Konzert engagiert worden. Tetzlaff schafft es, auch dem mit diesem Konzert sehr vertrauten Hörer neue Aspekte des Werks zu eröffnen. Seine Interpretation hat etwas beinahe Trotziges, ich würde es als Sensibilität gepaart mit Attacke bezeichnen. Neben den fulminanten Trillerorgien horcht Christian Tetzlaff aber auch immer wieder dem Klang nach, will ihn noch tiefer erforschen. Das ist hochspannend, lässt mehrmals echt aufhorchen – und die Zeit, die Beethoven für die pastorale Entwicklung braucht, wird nie lang, auch nicht in diesem überlangen Satz. Christian Tetzlaff spielt seine eigene Kadenz, welche er auf der Grundlage von Beethovens Kadenz der Umarbeitung des Violinkonzerts für Klavier erarbeitet hat, mit dem geradezu ereignishaften Einbezug der Pauke in diese Kadenz. So ergibt sich hier ein zwar humoristisch-tänzerischer Duktus, der aber auch den erwähnten trotzigen Einschlag nicht verhehlt. Herrlich dann der zweite Satz mit den fantastischen Pianopassagen, fein und zart hingetupft, wie in einem pointillistischen Gemälde. Eine singend-luftige Liebeserklärung, souverän im Ausdruck, alles Manieristische jedoch knapp vermeidend. Faszinierend der nahtlose Übergang ins finale Rondo, Exaktheit und virtuoses Passagenwerk verleihen dem Satz einen beinahe musikantischen Charakter. Beeindruckend dabei (in allen drei Sätzen und auch in der Zugabe, Gavotte en Rondeau aus Bachs Partita Nr.3) sind die dynamische Bandbreite, die energiegeladene Attacke und die vibrierende Spannung von Tetzlaffs Spiel. Zusammen mit dem DSO unter der nicht minder energiegeladenen Leitung von Robin Ticciati wird man regelrecht in eine aufregende Interpretation von Beethovens einzigem Violinkonzert hineingezogen.

Da gestaltete sich der Zugang zu Benjamins SUDDEN TIME beim ersten Anhören doch erheblich schwieriger. Das viertelstündige Werk, welches den Abend eröffnet hatte, bestach wohl mit klanglichen Finessen (ganz wunderbar die Solobratsche in der höchsten Lage), Schattierungen (hervorgerufen durch verwischte Mehrstimmigkeit), Dehnungen zur Unendlichkeit, dann wieder gewichtige Einwürfe des Blechs, Verdichtungen zu eruptiven Passagen und apartem Timbre des fernöstlich anmutenden Schlagwerks. Doch um die Komposition zu würdigen, müsste man sie sich wohl mindestens zweimal hintereinander anhören. Die Reaktion des Publikums auf dieses Werk war dann auch nur freundlich zurückhaltend.

Werke:

GEORGE BENJAMIN wurde 1960 in Grossbritannien geboren. Er war ein Schüler von Olivier Messiaen. Ab 1980 entstanden grossangelegte Komposition für Orchester, darunter SUDDEN TIME, eine Komposition, an der Benjamin mehrere Jahre arbeitete. Der Titel geht auf ein Gedicht von Wallace Stevens("It was like sudden time in a world without time") zurück. Die ca 15 Minuten dauernde Komposition zeichnet sich durch Agilität und gelichzeitige Entwicklung des thematischen Materials in verschiedene Richtungen aus, dicht geschichtet und doch immer wieder sehr tranparent gehalten. Komplexe Polyrhythmen wechseln mit einfachem Pulsschlag. Am Ausgangspunkt der Inspiration für dieses Werk stand eine Traum-/Realitätserfahrung Benjamins, als er einen Donnerschlag vermeinte über eine Minute lang zu hören. Dinge können sich also ausbreiten, die reale Zeitgrenze sprengen, in Gedanken wiederkehren, sich verdichten. 

LUDWIG VAN BEETHOVEN (1770-1827) schrieb nur ein einziges Konzert für Solovioline, das in D-Dur. Das Werk hatte es zu Beginn nicht ganz einfach sich durchzusetzen. Erst eine Aufführung durch Felix Mendelssohn (mit dem damals erst 13jährigen Virtuosen Joseph Joachim, welcher auch die Kadenzen zum ersten Satz komponierte) verhalf dem Werk zum Durchbruch, 17 Jahre nach Beethovens Tod. Das Violinkonzert Beethovens ist sinfonisch gehalten, eine Form, welche auch von Schumann, Brahms, Dvorak und Pfitzner bevorzugt wurde. Bemerkenswert ist Beethovens überlanger erster Satz, welcher die Hälfte des zeitlichen Ablaufs des Konzertes für sich beansprucht. Er beginnt mit leisen Paukenschlägen, bevor die liedhaften Hauptthemen des Satzes von den Bläsern intoniert werden. In anmutigem Wechselspiel evozieren die Varianten der Themen Bilder und Gedanken. Der zweite Satz, Larghetto, ist von einer berührenden Schlichtheit und Schönheit, er erinnert auch an Beethovens berühmte Violinromanzen. Mit vor Frohmut sprudelnder Verve wird bruchlos der dritte Satz eingeleitet, das Rondo. Dieser erscheint wie eine Reverenz an das 18. Jahrhundert, mit Haydn und Mozart, welche ebenfalls in vielen Werken, das Jagdstückartige in Finalsätzen effektvoll eingesetzt hatten.

SERGEJ RACHMANINOV (1873-1943) wollte nach dem Misserfolg seiner ersten Sinfonie das Komponieren beinahe aufgeben. Er verfiel in eine Depression, aus welcher ihm eine Hypnosetherapie verhalf, wieder zu seiner Arbeit zurückzukehren. Die zweite Sinfonie entstand in Dresden, wohin er sich nach der anstrengenden Arbeit als Dirigent im Bolschoi Theater in Moskau zurückgezogen hatte, um wieder mehr Zeit zum Komponieren zu haben. Die Sinfonie hat eine beachtilche Spieldauer von 60 Minuten, doch entstanden im Verlauf der Jahre immer wieder gekürzte Fassungen, die zum Teil nur 35 Minuten dauern. In dieser Sinfonie, die neben den Klavierkonzerten zu seinen meistgespielten Werken zählt, begeistern Rachmaninows reichhaltige Orchestrierungskunst, die elegischen Melodiebögen und die kunstvoll gearbeiteten Fugati.

Einige Themen fanden ihren Weg in die Filmmusik (Birdman) und Jazz- und Popsongs (Never gonna fall in love again). Die Sinfonie wurde vom Musiker Alexander Warenberg gar zu einem Klavierkonzert (Rachmaninow's 5th) umgearbeitet.

Karten

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