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Basel: EUGEN ONEGIN, 18.01.2014

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Eugen Onegin

copyright: art-tv.ch, mit freundlicher Genehmigung

Lyrische Szenen in drei Akten | Musik: Piotr Tschaikowski | Libretto: Konstantin Schilowski, Piotr Tschaikowski, nach dem Versroman von Alexander Puschkin | Uraufführung: 29. März 1879 in Moskau | Aufführungen in Basel: 18.1. | 24.1. | 26.1. | 31.1. | 3.2. | 5.2. | 9.2. | 15.2. | 23.2. | 4.3. | 6.3. | 16.3. | 29.3. | 21.4. | 4.5. | 9.5. | 17.5.2014

Kritik:

Zum Glück war dieser EUGEN ONEGIN eine Oper und nicht bloss ein Sprechtheater! Denn die musikalische Seite dieser Premiere am Theater Basel war ein Hochgenuss und rettete den Abend. Dirigent Erik Nielsen und das wunderbar differenziert aufspielende Sinfonieorchester Basel bereiteten mit ihrer Interpretation der feinfühlig ausgehorchten kammermusikalischen Feinheiten der Partitur grosse Freude. Die MusikerInnen unter der subtilen Führung des Dirigenten erreichten eine grösstmögliche Transparenz des Klangbildes, blieben auch in den populären Tänzen (Mazurka, Polonaise, Walzer) wohltuend zurückhaltend und legten so einen musikalischen Seelenteppich für die Sängerinnen und Sänger aus, welchen diese auch feinnervig für ihre Rollengestaltung nutzten. Allen voran die Tatjana von Sunyoung Seo. Die koreanische Sopranistin begeisterte mit einer musikalisch bewegenden Interpretation der Tatjana, welcher ja auch das Hauptinteresse des Komponisten gegolten hatte. Vom verträumten, naiv und blind verliebten Backfisch verwandelte sie sich zur gereiften, ihre Leidenschaften kontrollierenden Frau: Überschäumend im grossen Klang in der zentralen Briefszene des ersten Aktes, mit gerundeter Stimme, differenziert abgestufter Dynamik und tragfähiger Pianokultur voller Eindringlichkeit in der finalen Auseinandersetzung mit Onegin. Grandios! Dagegen wirkte Onegin wirklich wie ein kümmerlicher Schwächling. Eung Kwang Lee gestaltete ihn mit der notwendigen Nonchalance und Distanziertheit (und auch etwas Gleichförmigkeit) im Ausdruck. Wenn er dann im Schlussbild zu seiner Leidenschaft und seiner Liebe steht, ist alles zu spät und der überhebliche Unstete zerbricht. Das zweite Paar, Olga und Lenskij, war mit Larissa Schmidt und Andrej Dunaev ebenfalls sehr gut besetzt: Sie mit interessant gefärbtem Mezzo, er mit kernigem Tenor, wunderschön phrasierend und mit mühelos strahlender Höhe. Liang Li als Tatjanas späterer Ehemann Gremin trumpfte in seiner grossen Arie im dritten Akt mit prachtvollem Bass auf, seine herrlich geführte Stimme begeisterte mit profunder Sonorität. Dass Sanja Anastasia als Mutter Larina wie eine manisch getriebene Spastikerin in Highheels über die Bühne torkeln musst, war nicht ihr Fehler. Denn stimmlich war die Sängerin überragend, eine echte Luxusbesetzung für die doch relativ kleine Rolle. Sehr einfühlsam gestaltet war auch die fürsorgliche Amme von Rita Ahonen. Der Name des Vorsängers der Landarbeiter wird im Programmheft leider nicht erwähnt, doch sei ihm an dieser Stelle ein Kränzchen gewunden. Grossartig, auch wenn er im Bäuerinnenkostüm singen musste! Der Chor des Theaters Basel sang mit wunderbar satt abgestimmter Farbigkeit (Einstudierung Henryk Polus). Andrew Murphy war ein sicherer Wert für den Hauptmann und den Sekundanten Lenskijs und Karl-Heinz Brandt gestaltete stilsicher das antiquierte Couplet des Monsieur Triquet. Er musste dann auch noch sturzbetrunken den Sekundanten Onegins im Duell mimen. Nur weil dieser auch einen französischen Namen trägt?
Diese und weitere (gewichtigere!) Fragen konnte die Inszenierung von Corinna von Rad nicht beantworten. Sie nahm von der Poesie, der Melancholie, der Seelenlandschaft der Musik wenig bis nichts auf, bloss die Hässlichkeit der Provinzialität (in den durch die Epochen eilenden, überaus geschmacklosen Kostümen von Sabine Blickenstorfer). Im Einheitsbühnenbild von Ralf Käselau, einem Theaterfoyer  mit dunklen Vorhängen, welche für das Duellbild und die Szenen in St.Petersburg dann weiss wurden, lief die Handlung quasi als Kopfkino Onegins ab. Dieser hört, noch bevor das schwermütige Vorspiel einsetzt, den Chor der Schnitter aus dem Off. Der Gesang scheint bei ihm Erinnerungen zu evozieren. Die Figuren aus der russichen Provinz tauchen in traditionellen, geblümten Kostümen auf. Die gesamte Handlung findet nun in diesem nüchternen Theaterfoyer statt.  Durch ein Fenster sieht man ein Birkenwäldchen, einen ausgestopften Wolf und sogar einen leibhaftigen Bären, der sich später als Monsieur Triquet entpuppt. Manchmal öffnet sich der Vorhang zur kleinen Bühne im Hintergrund, da taucht im dritten Bild eine rosa ausgeleuchtetes Karussell auf, von welchem die Chordamen purzeln. Onegin befindet sich auch darauf und erniedrigt Tatjana mit seinen Belehrungen. Läppisches Getue und Pseudodekadenz prägen die Personenführung und lenken von den eigentlichen Konflikten ab. Es scheint, als hätte sich die Regisseurin davor gefürchtet, diese zu thematisieren. Die rätselhafte Zahlenfolgen neben dem Vorhang, welche ab und zu ausgewechselt wurden, konnte ich auf Grund meines mangelnden Intellekts auch nicht dechiffrieren. Als running gag erscheint zwischen den Szenen manchmal ein Putzmann in leuchtend orangem Overall, die Bediensteten Gremins rutschen auf dem frisch gebohnerten Boden in Slapstick-Manier aus. Onegin, der Kettenraucher, schafft es selten, die Zigarette anzuzünden, da sein Feuerzeug permanent streikt. Nicht besonders witzig und zur Konterkarikatur taugen weder Tschaikowskis Oper noch Puschkins Vorlage. Die gesamte Emotionalität bleibt auf der Strecke, man fühlt mit den Personen nicht mit. Einmal mehr schafft es eine “Theater auf dem Theater“ - Inszenierung nicht, die Herzen der ZuschauerInnen zu berühren. (Unterdessen wissen die LeserInnen meiner Rezensionen, was ich von diesem Regiekniff halte ...)
Tschaikowskis EUGEN ONEGIN kann man durchaus intelligent in die Gegenwart holen, das hat z.B. Andreas Homoki mit seiner feinfühlig durchdachten Inszenierung an der Komischen Oper Berlin bewiesen - in Basel ist dies leider nicht gelungen.

Fazit: Augen zu und durch!

Inhalt:

Ort: Russland, zu Beginn des 19. Jahrhunderts

Auf einem Landgut lebt die Witwe Larina mit ihren beiden Töchtern Tatjana und Olga, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Tatjana scheint ernst und verträumt, Olga lebenslustig und temperamentvoll. Olga ist mit dem schwärmerischen Dichter Lenskij verlobt, Tatjana hingegen ist noch solo. Lenskij kommt mit seinem Freund Onegin zu Besuch. Onegin hat einen reichen Onkel beerbt; gibt sich ziemlich herablassend und gelangweilt. Tatjana ist trotzdem von ihm sehr angetan. Am selben Abend noch schreibt sie ihm einen Liebesbrief, obwohl er keinerlei Anzeichen erkennen liess, dass er an ihr interessiert wäre. Onegin spielt den kühlen Menschenverächter und lässt Tatjana wissen, dass er zur Ehe nicht tauge.

Larina lädt zu Tatjanas Namenstag viele Gäste ein, darunter sind auch Lenskij und Onegin. Ein Franzose trägt ein Couplet vor. Onegin langweilt die provinzielle Gesellschaft und er beginnt intensiv mit Olga zu flirten und tanzt beinahe ununterbrochen nur mit ihr. Lenskij steigert sich in seine Eifersucht, die Situation eskaliert und er fordert Onegin zum Duell. Obwohl Olga und Tatjana versuchen, das Duell zu verhindern, lässt sich Lenskij nicht davon abhalten. Onegin tötet dabei seinen einstigen Freund.

Zehn Jahre später: Tatjana ist mit dem viel älteren Fürsten Gremin verheiratet und lebt in St.Petersburg. Onegin taucht auf einem Ball im Palast Gremins auf. Er ist viel gereist, jedoch hat er sein Glück nie gefunden. Zudem lastet der durch ihn verschuldete Verlust seines Freundes Lenskij schwer auf ihm. Als er Tatjana wiedersieht, wird ihm klar, dass er einen Fehler begangen hatte, ihre Liebe zu verschmähen. Er versucht sie für sich zu gewinnen, doch nun ist sie es, die sich von ihm abwendet.

Auch ein letzter Versuch Onegins scheitert. Zwar stürzen Onegins Liebesschwüre Tatjana in einen zwiespältigen Gefühlsstrudel, doch schliesslich reisst sie sich von Onegin los, der viel zu spät erkennt, dass seine Überheblichkeit ihn das persönliche Glück gekostet hat.

Werk:

EUGEN ONEGIN ist die meistgespielte Oper aus dem musikdramatischen Schaffen Tschaikowskis (1840-1893). Der Stoff kam seinem Charakter und seinen Ansprüchen an eine Oper entgegen, da er nicht Monumentalopern im Stile der Grand Opéra schreiben wollte, sondern die intimere, ja beinahe kammermusikalische Form bevorzugte. Zwar tauchen auch in EUGEN ONEGIN folkloristische Momente (Bauernchor) und zwei grosse Ballszenen auf (Landgut der Larina und Ball in St.Petersburg), doch diese bilden nur quasi einen musikalischen Untergrund, auf dem sich die Seelenqualen Tatjanas und Onegins ausbreiten. Daneben dominiert ein lyrisch-schlichter, melancholischer Konversationsstil welcher dem poetischen Sujet überaus angemessen ist. Ariose Aufschwünge (die komplexe, kompositorisch meisterhaft gestaltete Briefszene Tatjanas, Lenskijs grosse Szene vor dem Duell, Gremins abgeklärte Schilderung seiner Ehe mit Tatjana) und die äusserst populär gewordenen Rhythmen der Polonaise und der Mazurka verleihen dem Werk zwar einen leidenschaftlichen, charaktervollen Glanz, der jedoch stets mit feinfühliger Zurückhaltung eingesetzt wird. Tschaikowski hatte die Uraufführung Schülern des Moskauer Konservatoriums anvertraut, welche wohl den Ansprüchen an die psychologische Durchdringung der Partien nicht ganz genügten. Deshalb errang erst die Aufführung im Bolschoi Theater zwei Jahre später den bis heute ungebrochenen Erfolg dieses Schlüsselwerks der russischen Seele.

Karten

Videoclip auf www.art-tv.ch

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