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Zürich, Tonhalle: YOAV LEVANON (Klavierrezital), 25.09.2023

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Paderewski

copyright: Philipp Schmidli

Der 2004 geborene israelische Pianist Yoav Levanon gab bereits im Alter von 4 Jahren sein erstes öffentliches Konzert, mit 7 debütierte er in der New Yorker Carnegie Hall. Nach Auftritten am Verbier Festival und am Lucerne Festival tritt er nun erstmal in der Tonhalle Zürich auf (Séries Jeunes).

Werke:

Clara Schumann: Variationen über ein Thema von Robert Schumann in fis-Moll, op.20, entstanden 1853 | Franz Liszt: Klaviersonate in h-Moll, entstanden 1849-1853, Uraufführung am 22. Januar 1857 in Berlin durch Hans von Bülow | Sergej Rachmaninow: Études-tableaux, op.39, Uraufführung am 21. Februar 1917 in Petrograd durch den Komponisten

Kritik: 

Minutenlang sitzt er still in sich versunken da, voll konzentriert, man fürchtet bereits, er könne vor lauter Lampenfieber nicht beginnen - doch weit gefehlt, was nach dieser Konzentrationsphase jeweils folgt, katapultiert ihn, den Flügel und vor allem das Publikum im beinahe ausverkauften Saal der Kleinen Tonhalle in den pianistischen Himmel der virtuosen Ekstase. Der 19jährige Pianist Yoav Levanon hat sich nichts weniger als zwei der Gipfelwerke der Klavierliteratur für sein Debüt in der Tonhalle angenommen: Liszts auch formal vertrackter, mit immensen Schwierigkeiten gespickter h-Moll Sonate und Rachmaninows nicht minder diffizil zu spielenden Études-tableaux, op. 39. Als drittes Werk, ebenfalls von einer komponierenden Tastenvirtuosin komponiert, Clara Schumanns Variationen über ein Thema ihres Gatten Robert Schumann, op.20: Wunderbar zart intonierte er das Hauptthema, überdehnte die punktierte Viertelnote ganz leicht und entlockte so dem Motiv etwas Verlangend-Elegisches. Überhaupt gelang es ihm, das Hauptthema innerhalb der gekonnten und vielschichtigen Variationen Clara Schumanns stets klar herauszuarbeiten, so klar, dass man es kaum mehr aus dem Ohr brachte, auch wenn umspielende Läufe in der rechten und wuchtig grollende Figuren in der linken Hand es zu erdrücken suchten.

Yoav Levanon ging danach nicht von der Bühne, nahm bescheiden den heftigen Applaus entgegen und setzte sich gleich wieder vor den Flügel, um sich auf das nächste Stück zu konzentrieren, Liszts so verdammt schwierige h-Moll Sonate. Bei den ersten tastenden Staccati liess er sich auch nicht durch eine draussen aufheulende Sirene eines Streifenwagens aus der Ruhe bringen und die bald aufwallenden Klangfluten übertönten die Sirene mit Leichtigkeit. Was nun folgte war eine berauschende, mitreissende Achterbahnfahrt, wilder als jede Verfolgungsjagd mit Polizeifahrzeugen. Liszt hatte mit dieser Sonate ein für die damalige Zeit in seiner Modernität wahrlich explosives Werk geschaffen, von Clara Schumann nicht verstanden, von Richard Wagner bewundert - was nicht erstaunt, denn an manchen Stellen erklingt ein erhebendes, fanfarenartiges Grandioso-Motiv, das Wagner sicherlich als Inspirationsquelle für manche Wendungen z.B. im PARSIFAL gedient haben mochte. Gerade die Herausarbeitung dieser Passagen gelang Yoav Levanon mit gewaltiger Emphase. Daneben verblüffte er mit zartem Innehalten, verträumt-reflexiven Phrasen und leutenden Tönen, mit der rechten Hand wunderbar angeschlagen zu grummelnden Wellen im Bassbereich der linken Hand. Auch das Umgekehrte (und weitaus Schwierigere) führte er mit Brillanz aus: Die Melodie erklang in der linken Hand, während die rechte sich in quirrligen Läufen im oberen Tonbereich austobte. Faszinierend die Passagen mit den überkreuzten Händen, galoppierend und souverän. Keine angezogene Handbremse auch in den vertracktesten Passagen nicht, das floss und sprudelte mit einer Rasanz, die verblüffte.

Auch nach dieser kräfteraubenden Ausführung von Liszts h-Moll Sonate ging der junge Meisterpianist nur kurz von der Bühne und sogleich ging es weiter mit Rachmaninows neun Études-tableaux, op.39. Bereits im ersten Stück evozierte Levanon quasi einen Nonstop-Klimax von vibrierend auf- und abschwellenden, schnellen Passagen. Er versetzte die Zuhörer*innen in die unterschiedlichen Stimmungen der neun Études-tableaux, setzte gewaltige Klangballungen neben impressionistische Schattierungen (Nr.2), evozierte frenetische Wogen (Nr.3), charmante, tänzerische Weisen (Nr.4), leidenschaftliche, tumultuöse Akkordfluten (Nr.5, der Pianist Swjatoslaw Richter sagte über dieses Stück einmal: "Ich vermeide es, das zu spielen, da es mich emotional komplett nackt erscheinen lässt. Aber wenn du dich entscheidest, es zu spielen, schau, dass du gut genug bist, dich auszuziehen."). Bei der Nummer 6 hörte man - vehement Einlass begehrend - das Klopfen des Wolfs an der Tür des Hauses der Grossmutter (Rachmaninow hat gegenüber Ottorino Respighi "Rotkäppchen" erwähnt als Titel für diese Étude). Auch im ärgsten musikalischen Strudel blieb Levanons Spiel transparent und makellos. Wenn die Nummer 5 tumultuös war, so steigern sich die marschartigen Klangballungen mit den Glockentönen in Nummer 7 schon beinahe zur Kakophonie, aber eben nur beinahe, dank der souveränen Technik Levanons, der auch in exaltiertesten Passagen alle Emotion nur aus Handgelenk und Fingern strömen lässt, Körper und Arme bleiben vollkommen ruhig. Nach dieser Aufwallung erklang mit der Nr. 8 eine wehmütige Nachdenklichkeit. Mit der mit glitzernder Leichtigkeit vorgetragenen, kontrapunktisch genial komponierten Nr. 9 ging der offizielle Programmteil frenetisch bejubelt zu Ende.

Der sympathische Pianist ergriff nun das Wort, bedankte sich bei Agenten, Freunden und dem Publikum und spielte als erste Zugabe Liszts Ungarische Rhapsodie Nr. 2 mit einer atemberaubenden pianistischen Brillanz, welche das Publikum endgültig von den Stühlen riss. Die Kombination von gewaltigen Akkordpassagen kombiniert mit fein ziselierten Trillern waren nicht von dieser Welt. Yoav Levanon gleicht äusserlich dem grössten Tastenvirtuosen des 19. Jahrhunderts, Franz Liszt, beinahe aufs Haar - und so passte auch die zweite Zugabe wunderbar zu ihm und zum Programm seines Rezitals. Er spielte eine fulminante Interpretation von Liszts LA CAMPANELLA, diese Étude, die auf dem Schlusssatz von Paganinis zweitem Violinkonzert fusst. Noch einmal erhoben sich alle zum Jubel von ihren Plätzen - und man hofft, dass Levanon bald im grossen Saal zusammen mit dem Tonhalle-Orchester zu erleben sein wird. Wer nicht solange warten will, dem sei sein Auftritt im nächsten Januar im KKL im Rahmen des Festivals LE PIANO SYMPHONIQUE empfohlen; da wird er beide Klavierkonzerte von Franz Liszt spielen, zusammen mit dem Luzerner Sinfonieorchester unter der Leitung von Michael Sanderling.

Werke:

Die herausragende Pianistin und Komponistin Clara Schumann geb. Wieck (1819-1896) war ab 1840 die Ehefrau des Komponisten Robert Schumann. Nach dessen Tod unternahm sie wieder vermehrt Konzertreisen als Pianistin (während ihrer Ehe geschah dies eher selten und wenn, dann aus wirtschaftlichen Gründen) und war als Klavierpädagogin am Frankfurter Konservatorium angestellt. Ihre Variationen für Klavier und Orchester basieren auf einem Thema aus dem ersten Albumblatt Robert Schumanns aus der Sammlung "Bunte Blätter", op 5. Sie schenkte die Komposition ihrem Gatten zum Geburtstag am 8. Juni 1853, fein säuberlich auf Schmuckpapier notiert. Ein Jahr später verfasste sie wiederum eine Reinschrift auf Schmuckpapier, diesmal schenkte sie diese Johannes Brahms, dem sie zu seiner grossen Begeisterung die Komposition ein Jahr zuvor vorgetragen hatte. In der Folge schrieb Brahms selbst eine Variationsfolge über das Schumann'sche Thema (sein op.9) und widmete es Clara. Clara hatte in ihrem opus 20 auch ein eigenes Zitat eingefügt (ihre Romance variée, op.3) über die wiederum Robert seine "Impromptus sur une Romance de Clara Wieck" geschrieben und woraus Brahms wiederum zitiert hatte, Zwischen den drei Künstlern herrschte also ein verflochtenes Geben und Nehmen.

Franz Liszt (1811-1886) komponierte seine h-Moll Sonate zwischen 1849 und 1853. Es ist eines der schwierigsten und komplexesten Werke der Klavierliteratur des 19. Jahrhunderts. Man kann darin vier Abteilungen erkennen (Exposition, Langsamer Satz, Scherzo, Reprise mit Coda) die aber nicht als "Sätze" bezeichnet werden, sondern quasi eine Mehrsätzigkeit innerhalb der Einsätzigkeit darstellen. Die Abteilungen wiederum beinhalten sogenannte Binnensonatenformen, d.h. es ist eine Sonatenform innerhalbeiner Abteilung erkennbar. Liszt widmete die Sonate Robert Schumann, der ihm 14 Jahre zuvor seine Fantasie in C-Dur gewidmete hatte. Johannes Brahms spielte Clara Schumann Liszts h-Moll Sonate vor. Clara war jedoch wenig angetan von dieser Musik und schrieb in ihrem Tagebuch am 25. Mai 1854: „Liszt sandte heute eine an Robert dedizierte Sonate und einige andre Sachen mit einem freundlichen Schreiben an mich. Die Sachen sind aber schaurig! Brahms spielte sie mir, ich wurde aber ganz elend. … Das ist nur noch blinder Lärm – kein gesunder Gedanke mehr, alles verwirrt, eine klare Harmoniefolge ist da nicht mehr herauszufinden! Und da muß ich mich nun noch bedanken – es ist wirklich schrecklich.“ 

Auch Sergej Rachmaninows 1916/17 entstandene Études-tableaux gehören mit zu den technisch anspruchsvollsten Werken des 20. Jahrunderts. Die letzten Jahre, die Rachmaninow (1973-1943) in Russland verbrachte, waren sehr schwierig für ihn. Nicht nur der Erste Weltkrieg und die sich anbahnenden revolutionären Umbrüche in Russland machten ihm zu schaffen; er musste daneben auch verschiedene Todesfälle in seinem engsten Umfeld verkraften, der seines Vaters, seines Lehrers Taneyev und des Komponistenkollegen Skriabin, dessen Schaffen er aufmerksam verfolgt hatte. Wie die 1911 entstandenen Études-tableaux op.33 erhielten auch die neune Études-tableaux op.39 keine näherern inhaltlichen Bezeichnungen. Rachmaninow wollte das atmosphärische Erschliessen der einzelnen Stücke der Fantasie der Interpret*innen und der Zuhörer*innen überlassen. Als er jedoch Ottorino Respighi erlaubte, einige dieser Études zu orchesterieren, gab er dem italienischen Komponistenkollegen in einem Brief dann doch inhaltliche Anhaltspunkte, um diesem bei den Orchesterfarben zu helfen: So etwa Das Meer und die Möwen, Trauerzug, Marsch oder gar Rotkäppchen!

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