Luzern, KKL: PADEREWSKI, 09.02.2023
Ignacy Jan Paderewski: Klavierkonzert in a-Moll, op. 17 | Uraufführung: 1. August 1889 in Wien unter der Leitung von Hans Richter
Kritik:
Wenn sich selbst eine im Publikum anwesende Tastenlöwin und Klavierlegende (Martha Argerich, die am Vorabend mit Schumanns Klavierkonzert brilliert hatte) zur Standing Ovation für einen blutjungen Pianisten erhebt, kann man mit Fug und Recht konstatieren, dass man einem Ereignis beigewohnt hat. Yoav Levanon heisst der 19 jährige Pianist aus Israel, der bereits im Alter von vier Jahren seinen ersten öffentlichen Auftritt hatte, ein Jahr später bereits in der New Yorker Carnegie Hall auftrat und nun die schwierigsten Werke der Klavierliteratur in seinem Repertoire verinnerlicht hat und sie mit überragender Reife und brillanter Technik interpretiert. Gestern Abend in Luzern widmete er sich Paderewskis wunderbarem Klavierkonzert in a-Moll, ein spätromantisches, fesselndes und technisch überaus anspruchsvolles Werk, das leider viel zu selten aufgeführt wird. Umso dankbarer war man dafür, dass sich das Luzerner Sinfonieorchester unter der Leitung seines Chefdirigenten Michael Sanderling mit Verve und hörbarem Herzblut für die Komposition des hochinteressanten Polen einsetzte. (Stichworte zu seiner Biografie sind untenstehend angefügt.)
Nach markigen, wuchtigen Eröffnungsakkorden des Orchesters setzten Oboe, Flöte und Streicher mit dem Hauptthema ein, bald schon übernahm Yoav Levanon am Klavier dieses Thema in wunderbar weich intoniertem Cantabile und bog ein in fulminante Läufe, Appegiaturen, solistische Passagen mit überkreuzten Händen, stellte sich einem Frage- und Antwortdialog mit dem schwelgerisch auftrumpfenden Orchester. Mit einer wuchtigen, von überragender Virtuosität geprägten Solokadenz und einem Satzfinale zusammen mit dem Orchester, das auf die Zuhörer*innen wie ein Hammerschlag niedersauste, endet der Kopfsatz. Ein wunderschön sauber intonierter Hornruf weckte die Oboe auf, welche eine traumverlorene Kantilene zu Beginn des zweiten Satzes, einer Romanze, intonierte. Diese Romanze erfüllte Yoav Levanon mit beinahe intorvertierter, zart empfundener Verspieltheit, fügte sich in beglückende Dialoge mit der Solovioline der Konzertmeisterin und des Cellos, steigerte sich in eine Emphase, die zum Dahinschmelzen erhebend geriet, bevor molto vivace in den quirligen Tanz des Finalsatzes eingebogen wurde. Stupende, lang gehaltene Triller, sich breit, fast hymnisch entladende, feierliche Passagen wurden mit rasanten Läufen umspielt, mit einer verblüffenden Präzision perlte der Satz dahin. Das Luzerner Sinfonieorchester und der Solist attackierten und musizierten mit grossartiger Präzision und gegenseitiger Ergänzung und schufen eine musikalische Sogwirkung, die süchtig nach Paderewskis Klangsprache machte. Das Ohr verlangte nach mehr, nach immer vertrackteren Passagen und Levanon lieferte - auch bei den Zugaben. Erst mit einer Etude von Rachmaninov, bei der er fast zirzensisch alles aus dem Flügel herausholte, was nur dynamisch und klanglich möglich war, raste von fff zu ppp und wieder zurück. Als zweite Zugabe folgte das Werk eines anderen Tastenlöwen - Franz Liszts La Campanella, diese Etude, die auf einem Thema aus Paganinis zweitem Violinkonzert fusst und mit unermesslichen Schwierigkeiten gespickt ist. Doch Yoav Levanon spielt es mit einer sich in einen pianistischen Rausch steigernder Selbstverständlichkeit, die nicht von dieser Welt zu stammen schien.
Doch damit war der überwältigende Konzertabend im KKL noch lange nicht zu Ende, denn nach der Pause spielte sich ein weiterer exzeptioneller Pianist in die Herzen des Publikums:VÍKINGUR ÓLAFSSON (Die Würdigung folgt im nächsten Artikel)
Komponist und Werk:
Ignacy Jan Paderweski (1860 -1941) war eine der schillerndsten Perönlichkeiten in Musik und Politik vor, während und nach dem Ersten Weltkrieg. In eine polnische Adelsfamilie hineingeboren, erhielt er zuerst privaten Kalvierunterricht, bevor er im Alter von 12 Jahren die Aufnahmeprüfung ans Warschauer Konservatorium bestand. Nach einem schweren Schicksalsschlag (seine Frau hatte ein schwer behindertes Kind zur Welt gebracht und starb kurz nach der Geburt) zog Paderewski nach Berlin und Wien, um seine Studien fortzusetzen. In Wien bei Leschetizky entstand auch die Komposition seines Klavierkonzerts, das dank der guten Beziehungen Leschetitzkys durch den renommierten Dirigenten Hans Richter ebenda zur Uraufführung gebracht wurde. Allerdings wollte Leschetizkys Gemahlin Madame Essipoff den Solopart bei der Uraufführung spielen. Zuvor hatte Paderewski das Konzert in Paris Camille Saint-Saëns in dessen Privaträumen vorgespielt. Saint-Saëns zeigte sich davon sehr angetan, besonders der zweite Satz des dreisätzigen Werkes, das Andante, erregte seine Aufmerksamkeit. Paderewskis Konzertourneen führten ihn nach Paris, London und in die USA und waren überaus erfolgreich, der Jubel nahm geradezu hysterische Ausmasse an. Insbesondere die Frauen gerieten beim Auftreten des blondgelockten Jünglings beinahe in Ekstase. Paderewski wohnte zeitweise in einer Villa in Morges, am Genfersee, kaufte sich eine Ranch in Kalifornien und baute die Rebsorte Zinfandel an, die er erfolgreich in einer renommierten Winery vinifizieren liess. Neben der Konzerttätigkeit fand Paderewski immer wieder Zeit für Kompositionen, so eine Oper, die nach der Uraufführung in Dresden sogar an der Met in New York gespielt wurde oder seine Sinfonie in h-Moll, die vom Boston Symphony Orchestra uraufgeführt worden war. Der Erste Weltkrieg brachte die Wende: Paderewski gründete einen Fonds für polnische Kriegsopfer. 1917 wurde er Sprecher des Ponischen Nationalkomitees. Nach einem Konzert im Weissen Haus konnte er den amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson dazu bringen, die Neugründung Polens zu einer Kernforderung der Neuordnung Europas nach dem Krieg zu machen. Nach Kriegsende wurde er zum polnischen Ministerpräsidenten und Aussenminister berufen, unterzeichnete in dieser Funktion den Versailler Vertrag. Im selben Jahr musste er die Position von Aussenminister und Ministerpräsident aber wegen mangelnder Unterstützung wieder aufgeben und zog sich auf den Posten des Botschafters Polens beim Völkerbund zurück. Er begann sich wieder vermehrt seiner Konzerttätigkeit zu widmen, füllte sowohl die Carnegie Hall als auch den Madisen Square Garden (20'000 Zuschauer) mühelos und reiste in einem privaten Eisenbahnwaggon quer durch die USA. Paderewski erhielt diverse Auszeichnungen, Knight of the British Empire, Mitglied der französischen Académie des Beaux Arts und der Ehrenlegion, der American Academy of Arts and Letters. Paderewski lebte Mitte der 30er Jahre wieder in Morges, wurde führendes Mitglied der polnischen Opposition im Ausland gegen das Putsch-Regime in Polen (Front von Morges). 1937 stimmte Paderewski einem britischen Filmprojekt über sein musikalisches Wirken und Talent zu, das heute als ganz wertvolles Zeitdokument über Paderewskis Musizieren gilt. Nach dem Überfall Hitler-Deutschlands auf Polen 1939 wurde Paderewski auch politisch erneut aktiv: Er wurde Leiter des Beratungsorgans der polnischen Exilregierung und reaktivierte seinen Fonds zur Unterstützung polnischer Kriegsopfer. Dazu brauchte der Fonds Geld. Paderewski ging erneut auf Tournee, doch seine zunehmende Altersdemenz stand ihm dabei im Wege. So verpasste er z.B. ein ausverkauftes Konzert im Madison Square Garden, weil er meinte das Konzert bereits gespielt zu haben. (dabei war das fast 20 Jahre zuvor gewesen). Paderewski erkrankte am 27. Juni 1941 während einer Benefiz- Konzerttournee in den USA an Lungenentzündung und verstarb zwei Tage später in New York. Er wurde auf dem Arlington Cemetary beigesetzt. 51 Jahre später wurde sein Leichnam in die Warschauer Johanneskirche überführt. Neben den zahlreichen Auszeichnungen zu Lebzeiten wurde Paderewski auch später noch geehrt: Mit Sonderbreifmarken in den USA und in Polen, sein Porträt wurde auf der 100 Zloty-Note abgebildet und 1960 mit einem Stern auf dem Walk of Fame in Hollywood!