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Zürich, Tonhalle: SCHUMANN | SCHOSTAKOWITSCH; 31.01.2025

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Schumann, Klavierkonzert

Applausbilder: 31.1.2025, K. Sannemann

Anna Vinnitskaya spielt Schumanns Klavierkonzert, Paavo Järvi dirigiert dazu noch Schostakowitschs 10. Sinfonie

Robert Schumann: Klavierkonzert in a-Moll, op 54 | Uraufführung: 4. Dezember 1845 in Dresden (mit seiner Frau Clara Schumann als Solistin) | Dmitri Schostakowitsch: 10. Sinfonie in e-Moll | Uraufführung: 17. Dezember 1953 in Leningrad | Dieses Konzert in Zürich: 31.1. | 1.2. | 2.2.2025

Kritik: 

Viele erachten Schostakowitschs zehnte Sinfonie als seine beste. So hat zum Beispiel Herbert von Karajan diese Sinfonie als einzige aus Schostakowitschs reichhaltigem sinfonischen Schaffen aufgeführt, und dies sogar erstaunlicherweise fast zwanzigmal und zusätzlich hat er sie gleich zweimal auf Tonträger eingespielt. Die gestrige zugleich brillant geschliffene und zutiefst aufwühlende Aufführung in der Tonhalle Zürich mit dem Tonhalle-Orchester Zürich unter der Leitung seines Music Directors Paavo Järvi jedenfalls bewies, dass dieser Sinfonie Schostakowitschs eine herausragende Stellung innerhalb der Gattung im 20. Jahrhundert zukommt. Die zehnte Sinfonie ist wohl die persönlichste des Komponisten. Wie da zu Beginn gleichsam aus dem Dunkel der Kontrabässe und der Celli mit unglaublicher klanglicher Dichte das Leiden des Künstlers (unter der Diktatur Stalins) aufsteigt, wie Järvi dies nicht bloss grummeln liess, sondern mit feinfühliger Agogik klanglich gestaltete, war atemberaubend. So erreichte er mit seinem Orchester eine konzentrierte Ruhe im Saal, die während dieses langen, mit vielen introvertierten Passagen ausgestalteten Satzes, durchgehend anhielt. Der durch das wunderbare Klarinettensolo angestossene Fluss blieb von ruhiger Eindringlichkeit geprägt, unterbrochen durch schmerzhaftes Aufbäumen, ein sich Winden in Qualen mit kulminierendem, gleissendem Blech, bevor die musikalischen Gedanken sich wieder im Dunkel verloren. In keinem Moment brach die Spannung ab, man erfuhr ein aufwühlendes Mitleiden. Alles war mit grösster Präzision ausgeführt, so die Pizzicati der Streicher zum Espressivo der Klarinettenklage, oder der Seufzer der Flöte über den getragenen Passagen der Streicher. Bevor der zweite Satz, dieses boshafte Scherzo, sich Bann brach, spürte man, wie sehr das Publikum von diesem Leiden im ersten Satz beeindruckt war. Man hörte die Zuhörer*innen bewegt flüstern. Doch sofort kehrte Ruhe ein, als Järvi und das Tonhalle-Orchester Zürich mit stampfender, brachialer Kraft in diese Stalin-Groteske einstiegen, schrill polternd diese knapp vier Minuten dauernde Persiflage auf den primitiven Bolschewisten durchliefen. Luftig und bewegt ging es danach mit dem Allegretto weiter. Aufhorchen liess das markante Solo des Fagotts, die wunderschön intonierte Selbstanrufung des Komponisten, der durch das Horn seine Initialen (D-(e)S-C-H) erst verschoben, dann knallig einbrachte. Mit dem zarten Spiel der Konzertmeisterin wurde der Satz bereichert und ruhig zum Verklingen gebracht. Zu Beginn des Finales beeindruckten die Holzbläser*innen des Tonhalle-Orchesters Zürich mit einfühlsamen Passagen, die sich wie aus einer Erstarrung zu lösen schienen und sich dann, nach dem erneuten Aufblitzen des D-(e)S-C-H-Themas, quasi von den Ketten (der Diktatur) befreiten, wuchtig auftrumpften und in einem mitreissenden Orchestertutti kulminierten. Dmitri Schostakowitsch fühlte sich durch Stalins Tod endlich befreit, seine Musik triumphierte und ihm blieben im - Gegensatz zum Diktator - noch etliche Jahre des kreativen Komponierens. Das Publikum bedankte sich beim Orchester und seinem Chefdirigenten mit einer stehenden Ovation für die hochspannenden 55 Minuten.

Spannend war auch der vorwärtsdrängende Ansatz, den Anna Vinnitskaya am Flügel und Paavo Järvi mit seinem Orchester für Schumanns Klavierkonzert in a-Moll gewählt hatten. Järvi dirigiert ja eigentlich stets sehr zielorientiert; er ist kein Zelebrierer des faustischen „Augenblick-verweile-doch-du-bist-so-schön“ - Prinzips. Energiegeladen der Orchesterschlag des Anfangs, markant die Akkordfolgen, mit welchen Anna Vinnitskaya den Abstieg in die Melancholie des Hauptthemas einleitete. Relativ rasch wurde diese Exposition ausgeführt. Auffallend eindrücklich hob Anna Vinnitskaya jeweils die Stimmen der rechten und der linken Hand gleichberechtigt hervor, spielt akzentuiert und kraftvoll, kein überomantisierender Schumann, das durchaus Rebellische von Schumanns Charakter betonend. Doch das liebliche Ausmusizieren mit zartem Anschlag kam trotzdem nicht zu kurz. Die Kadenz lebte von behänden Läufen und ekstatischen Akkordsteigerungen. Eindringlich geriet die Gesanglichkeit des langsamen Satzes, das Grazile, der sich gegenseitig befruchtende Klang des Klaviers mit dem wunderschön aufspielenden Tonhalle-Orchester Zürich war von verklärender Schönheit geprägt. Mit dem raffiniert ausgestalteten Übergang in den Finalsatz, den dezent von der Pianistin verzögerten, marschartigen Themen, den aufwärts strebenden Figuren, den eingestreuten Jubelrufen des Orchesters, in welche die Pianistin bald einstimmte, durchlebte man dieses Finale voller Elan und Lebensfreude. Anna Vinnitskaya bedankte sich mit zwei voller pianistischer Anmut interpretierten Zugaben, die eine davon war das erste Stück aus Schumanns Kinderszenen (Von fremden Ländern und Menschen).

Werke:

Robert Schumann (1810-1856) hatte zwar viele Kompositionen für Klavier geschrieben, allein ein Klavierkonzert fehlte noch in seinem reichhaltigen Oeuvre. Einsätzige Arbeiten wurden von seinen Verlegern zurückgewiesen, erst als er die Phantasie für Klavier und Orchester in a-Moll zu einem dreisätzigen Werk erweiterte, stellte sich der Erfolg ein. Dabei arbeitete Schumann (wie auch in seinen anderen Solokonzerten) nach dem Verschmelzungsprinzip, d.h. die traditionelle Satzaufteilung wird in einen grösseren sinfonischen Zusammenhang gestellt. Besonders schön herausgearbeitet hat Schumann darin den reizvollen Kontrast von stürmischem Verlangen und versonnener Träumerei. Biografen sehen im Konzert den Niederschlag von Schumanns Werben um seine Frau Clara Wieck. Sie war es auch, welche sowohl die Phantasie (1841) als auch das fertig gearbeitete Klavierkonzert zur Uraufführung (1845) brachte.

Dmitri Schostakowitschs kompositorisches Schaffen (abgesehen von seinen Arbeiten für den Film) wurde in der sowjetischen Öffentlichkeit in letzten Jahren von Stalins Diktatur praktisch nicht mehr wahrgenommen. Er schrieb viel für die "Schublade".  Die viersätzige 10. Sinfonie weist eine sehr interessante Gestalt auf. Der erste Satz dauert insgesamt beinahe so lange, wie die drei folgenden zusammen. In ihrer leidenden Art beschreibt die Musik dieses ersten Satzes die Qual des unterdrückten Künstlers, macht sich im zweiten, rasant-brutalen Scherzo-Satz über den Diktator lustig, arbeitet im dritten Satz mit den Initialen des Komponisten (D - Es - C - H) und dem Vornamen einer Kompositionsschülerin (E - La - Mi- Re - A), Elmira Nasirova. Der vierte Satz gliedert sich in einen ernsten, pessimistischen Andante-Teil und ein tänzerisches Allegro, unterbrochen von Reminiszenzen ans Scherzo. Das erneute, diesmal triumphierende Auftreten des D - Es - C - H - Motivs beschliesst die Sinfonie im fortissimo.

Karten

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