Zürich: RACHMANINOW/MAHLER, 18.01.2015
Rachmaninow: Klavierkonzert Nr. 3 | Uraufführung: 28. November 1909 in New York (der Komponist spielte den Solopart)| Mahler: Sinfonie Nr. 5 | Uraufführung: 18. Oktober 1904 in Köln unter Leitung des Komponisten | Aufführung diese Konzerts in Zürich: 18.Januar 2015
Kritik:
Vor 30 Jahren wurde in der Schweiz das erste eigenständige Theaterorchester gegründet. Es entstand durch die Auflösung der „Zweckehe“ mit dem Tonhalle Orchester und nannte sich Orchester der Oper Zürich. Seit dem Antritt der neuen Intendanz von Andreas Homoki und GMD Fabio Luisi nennt es sich Philharmonia Zürich.
Den 30. Geburtstag beging man würdevoll und gewichtig, mit einem Festkonzert (auch der erste Leiter des Orchesters, Prof. Ralf Weikert war anwesend) unter der Leitung von Fabio Luisi und mit der Pianisten Lise de la Salle, welche als ARTIST IN RESIDENCE für die Solokonzerte und die Paganini-Variationen Rachmaninows engagiert wurde.
Den gestrigen Abend eröffneten die Künstlerin und das Orchester mit Rachmaninows Klavierkonzert Nr.3 in d-Moll.
Es ist schon erstaunlich: So fragil die Pianistin äusserlich auch wirkt, ihr Klavierspiel ist von ungeheuer energiegeladener, zupackender Kraft. Mit stupender technischer Brillanz und Wagemut wirft sie sich in den von Schwierigkeiten nur so gespickten Klavierpart, die rasanten Akkordfolgen und Läufe werden mit atemberaubender Präzision dargeboten, das Zusammenspiel mit dem Orchester ist von exzellentem Timing geprägt. Federnde Rhythmik und ein ausgeprägtes aufeinander Eingehen charakterisieren die Wiedergabe dieses spätromantischen Reissers. Wie selbstverständlich meistert Lise de la Salle die vertracktesten Fingersätze, liefert Kadenzen von grosser Virtuosität, hält intime Zwiesprachen mit den Holzbläsern und der Pauke. Die simple, schlichte Melodie des Anfangs weiss sie mit Bedeutung aufzuladen, die Stimmungswechsel im Adagio klug auszuloten. Fulminant drehen das Orchester unter Luisi und die Pianistin an der Schraube, wenn die martialischen Rhythmen des Finalsatzes und die Themenverarbeitung kulminieren. Nach dem begeisterten Applaus setzt sie sich zu einer Zugabe an den Flügel und bringt die aufgewühlten Ohren und Seelen mit einer ruhig fliessenden Interpretation eines Chorals von Bach zur Ruhe.
Nach der Pause setzt der Solotrompeter mit einer sauberen Fanfare zu Mahlers fünfter Sinfonie ein, diesem Schlüsselwerk im Oeuvre des Komponisten, der übrigens (die Verbindung zu Rachmaninow) mit dem Russen in New York dessen drittes Klavierkonzert aufgeführt hatte. Fabio Luisi und dem an allen Pulten herausragend aufspielenden Orchester gelang eine überaus plastisch malende Wiedergabe dieser Sinfonie, packend, aufwühlend, farbig. Hochemotionale Klangeruptionen wechseln mit reflektierenden Momenten, Stürme und Blitze, aber auch sperrigere Passagen werden überwunden. Herrlich die sanften Kantilenen der Celli vor dem gleissend-triumphalen Choral des zweiten Satzes, der dann jedoch wieder sanft und präzise verklingt. Das ausgedehnte Scherzo beschert grotesk verzerrte Bauerntänze, Pizzicati vom Feinsten und verstörend klagende Stimmen im Mittelteil. Und dann wehen die ergreifenden Harfen- und Streicherklänge des Adagiettos herein, erst wie verloren, dann immer präsenter sich steigernd. Gänsehaut und Rührung zugleich erzeugend, emotional zelebriert, aber nicht zu süss. Der Finalsatz dann wieder schlicht eine Wucht: Luisi arbeitet die kleingliedrigen Motive sauber heraus, führt sie zu intensiver Verdichtung, einem sehrenden Herantasten und lässt sie explosiv in die fulminante Schlussapotheose münden. Verdienter und grosser Jubel für das Orchester und seinen Chefdirigenten.
Ein kleines Unbehagen bleibt: Rachmaninow wurde von der Mahlersinfonie beinahe erdrückt. Und das hat er nicht verdient. Denn zwei so grosse Brocken an einem Konzertabend sind vielleicht des Guten zuviel.
Die Philharmonia Zürich hat nun auch ihr eigenes Plattenlabel gegründet: Bereits erschienen sind Berlioz’ Symphonie fantastique und eine CD mit Vor- und Zwischenspielen von Richard Wagner, sowie die DVD mit dem RIGOLETTO aus dem Jahr 2012. Geplant ist eine Box mit Rachmaninows Klavierkonzerten und natürlich mit Lise de la Salle als Solistin.
Werke:
Rachmaninow: Klavierkonzert Nr. 3 in d-Moll, op 30
Ebenso populär wie das zweite ist auch das dritte Klavierkonzert von Sergej Rachmaninow, davon zeugen über 200 kommerzielle Einspielungen. Formal orientiert es sich an den dreisätzigen Solokonzerten der Romantik. Aufgrund seines wehmütigen, melancholischen Charakters stellt es quasi einen Prototyp russischer Musik in spätromantischer Ausformung dar. Der Klavierpart gehört zu den schwierigsten der gesamten Konzertliteratur. (Berechnungen ergaben, dass in keinem anderen Klavierkonzert so viele Noten pro Sekunde gespielt werden müssen wie in RACH 3.)
Das Werk beschreibt in seinem Duktus einen Weg von der Schwermut ins Licht und schliesst mit einem veritablen Klangrausch in strahlendem D-Dur.
Grosse Popularität erlangte das Konzert 1996 durch den Film SHINE, welcher die Geschichte des nervenkranken Pianisten David Helfgott erzählte.
Knapp zwei Monate nach der Uraufführung in New York dirigierte übrigens Gustav Mahler eine Aufführung des Werks in der Carnegie-Hall.
Gustav Mahler, Sinfonie Nr. 5:
Wie bei vielen seiner grossen Werke entstand das Konzept der fünften Sinfonie auf Mahlers Sommersitz in Maiernigg, da er in der übrigen Zeit des Jahres mit seinem Posten an der Wiener Staatsoper und weiteren Verpflichtungen als Dirigent stark ausgelastet war. Das ungefähr 70 Minuten dauernde Werk besteht aus fünf Sätzen. Im ersten Teil verarbeitet der Komponist Motive eines Trauermarschs und eines Chorales, führt die Themen zu einem beeindruckenden dissonanten Kulminationspunkt und nd lässt die Emotionen wieder in ruhigere Bahnen zurückgleiten. Der Mittelteil der Sinfonie besteht aus einem Scherzo, welches auch den längsten Satz darstellt. Unbeschwert setzt es sich gegen den düsteren ersten Teil ab. Wie oft bei Mahler hört man Ländler- und Walzerklänge hereinschweben. In einer grandiosen Coda kombiniert Mahler die Hauptmotive und kommt zu einem fulminanten Satzschluss. Der dritte und letzte Teil der Sinfonie wird mit dem weltberühmten Adagietto eingeleitet (Visconit hat es in seiner Verfilmung von Thomas Manns TOD IN VENEDIG effektvoll als Filmmusik verwendet!). Nur Streicher und Harfe sind zur Untermalung dieser zerbrechlichen rührenden Melodik eingesetzt. Mit einem sich schraubenartig steigernden Rondosatz kommt diese populäre Sinfonie Mahlers zu ihrem Ende, ihrer Apotheose. Mahler reizt in dieser Sinfonie den tonalen Klangraum deutlich aus und führt ihn bis zu seinen Grenzen. Deshalb brauchte diese Sinfonie wahrscheinlich mehr Zeit als die vorangehenden, um die Hörgewohnheiten des Publikums zu erweitern. Heutzutage ist diese Sinfonie jedoch diejenige Mahlers, welche am häufigsten in den Konzertprogrammen der grossen Sinfonieorchester auftaucht.