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Baden-Baden, Osterfestspiele: SCHÖNBERG | MAHLER, 02.04.2023

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Rachmaninow 3 | Mahler 5

Gustav Mahler (1860-1911)

Arnold Schönberg: Fünf Orchesterstücke. op. 16 | Uraufführung: 3. September 1912 an den Promenade Concerts in London, unter Henry Wood | Gustav Mahler: Uraufführung: 18. Oktober 1904 in Köln unter Leitung des Komponisten | Dieses Konzert in Baden-Baden: 2.4. und 3.4. 2023

Kritik

Richard Strauss - dessen Werke einen Programmschwerpunkt der diesjährigen Osterfestspiele Baden-Baden bilden - hatte es in seiner Position als Generalmusikdirektor der Berliner Philharmoniker noch abgelehnt, Arnold Schönbergs FÜNF ORCHESTERSTÜCKE uraufzuführen. Unterdessen ist dieses Werk zum Glück längst im erweiterten Repertoire des Orchesters angekommen und wurde gestern Abend dem Publikum im Festspielhaus als Eröffnungstück von eben diesen Berliner Philharmonikern unter der Leitung von Daniel Harding präsentiert. Schönbergs atonales Werk gehört ganz eindeutig in den Konzertsaal, das hat die Aufführung gestern Abend mit aller Deutlichkeit bewiesen. Nur in einem Live-Erlebnis erschließt sich den Hörer*innen diese absolute Musik. Das spürte man unmittelbar, denn im riesigen Saal des Festspielhauses herrschte eine beinahe atemlose, gespannte und konzentrierte Stille. Schönberg hatte die fünf Stücke sehr kurz gehalten, je drei bis vier Minuten dauern sie nur. Die fünf "Sätze" faszinieren durch Rhythmen, Klangfarbe und ziehen nicht zuletzt dank den fantastischen Leistungen der Musiker*innen in ihren Bann. Feine Zwischentöne werden im ersten Stück in die kontrastreiche Dynamik eingebettet, zarte Melancholie herrscht im zweiten Satz (Vergangenes) vor - Schönberg zum Liebgewinnen, verblüffend. Genuin die Solobratsche, spätromantisch wehen Celestaklänge herein ein Hauch von Klangmagie. Daniel Harding hält die Fäden mit ruhiger, souveräner Hand zusammen. Im dritten Stück (Farben) wird der Klang flächig, hypnotiserend. Irre gut! "Peripetie" nannte Schönberg das vierte Stück (notgedrungen, weil der Verleger Titel wollte und das Publikum sich nicht zuletzt wegen Strauss' Tondichtungen anscheinend an Programmmusik gewöhnt hatte). Hier nun wird die Musik schneller, auch grell, aber nie hysterisch. Das wird von Harding geschmackvoll austariert, genauso wie im letzten Satz (Das obligate Rezitativ), das mit einem musikalischen Fragezeichen endet und uns verblüfft, amüsiert und bereichert in die Pause entlässt.

Nach der Pause dann der brutale Wurf in den Trauermarsch von Mahlers fünfter Sinfonie. Die Trompetenfanfare von einer Sauberkeit der Intonation, die nicht von dieser Welt zu stammen scheint. Überhaupt befindet sich die Qualität des Orchesters auf allerhöchstem Niveau. War man schon am Abend zuvor in DIE FRAU OHNE SCHATTEN von diesem Orchester geflasht, so steigerte sich die Begeisterung über das exzeptionelle Können der Musiker*innen nun noch, da man sie auf der Bühne erleben durfte, die Musik noch unmittelbarer aufs aufnahmebereite Ohr traf. Daniel Harding ließ den Trauermarsch nie allzu schwer oder gar rührselig werden, suchte und fand immer die großen Bögen, ließ das Orchester in langen, runden Phrasen atmen und auch den Ländler prominent in den Trauerzug hereinwehen. Der zweite Satz wurde über lange Strecken von den ergreifend "singenden" Celli geprägt, farbig unterstützt mit präzisen Einwürfen der Holzblasinstrumente. Klangliche Klarheit herrschte auch in den nun aufkommenden stürmischen Passagen, meisterhaft organisch wurden die Übergänge vom Piano zu vollem Streicherrausch gemeistert, glorios die Kulminationen erreicht. Auf eine schon apotheotische Verklärung folgte ein Zurückfallen in Schmerz. Das ausladende Scherzo steht als singuläres Zentrum der Sinfonie da. Bewegt, locker und präzise (die Hörner!!!!) wurde in den Tanzstrudel eingestiegen, schöne Echowirkungen erzielt, herrlich tragfähige Piani ließen aufhorchen. Die Pizzicato-Passagen wurden zu einem Erlebnis an Akkuratesse. Fulminant ging's weiter, hereinwehende Tänze (wie später bei Ravels LA VALSE) explodierten lustvoll im Tuttiklang des vollen Orchesters, bevor erneut die Reminiszenz des Trauermarsches dem Spuk ein Ende bereitete. Doch nach kurzer stiller Reflexion bäumte sich ein exaltierter Schluss auf - und mündete in das weltberühmte Adagietto (spätestens seit Viscontis Film TOD IN VENEDIG Inbegriff von Wehmut und Abschied). Doch das Adagietto war schon zu Lebzeiten Mahlers der populärste Satz seiner Sinfonie. Richard Strauss, der Mahler eigentlich bewunderte, befand ihn aber als den schwächsten Satz der Fünften. Wie dem auch sei, auch unter den Bogenstrichen der wunderbar spielenden Streicher der Berliner Philharmoniker mit der Harfenbegleitung und der einfühlsamen Lenkung durch Daniel Harding verfehlte das Stück seine direkt zu Herzen gehende Wirkung nicht. Im Rondo des Schlusssatzes folgte nach dieser ergreifenden Liebeserklärung, die wie ein Intermezzo sinfonico in einer veristischen Oper dasteht, das brillante und fulminante Einschwenken auf die Zielgerade, mit orgiastischen Klangkulminationen; rasende und mit ultraschneller Präzison gespielte Begleitfiguren der Streicher trugen das Blech zu gleißend strahlenden Gipfeln - und zu tosendem Applaus des für dieses Klangerlebnis dankbaren Publikums. (Im leider nicht restlos ausverkauften Festspielhaus, verbereitet der Name " Schönberg" etwa immer noch Angst, Schrecken, Abneigung? Das wäre zu bedauern!)

Werke:

Arnold Schönberg (1874-1951): Fünf Orchesterstücke, op.16

Die fünf Orchesterstücke von Arnold Schönberg stellen einen wichtigen Punkt  im Schaffen des Komponisten dar, sind sie doch sein einziges Orchesterwerk aus der Phase der freien Atonalität. Seine berühmte Methode der Zwölftontechnik entwickelte Schönberg erst nach dem 1. Weltkrieg, also Jahre nach der Entstehung der fünf Orchesterstücke.

Diese fünf Orchesterstücke entstanden nach Schönbergs spätromantischer Phase, als er sich in seiner mittleren Schaffensperiode dem expressionistischen Stil zuwandte. Seine Musik in dieser Lebensphase trägt Züge von Wut und Protest gegen den Verfall, drückt Trauer, Einsamkeit und Verzweiflung aus. Ursprünglich wollte Schönberg keine Satzüberschriften für seine fünf Orchesterstücke, da er der Ansicht war, dass keine Worte nötig seien, um seine Kunst zu erklären. Auf Druck seines Verlegers liess sich Schönberg erweichen und setzte dem Verlag diese Titel vor: 1. Vorgefühle, 2. Vergangenes, 3. Farben, 4. Peripetie, 5. Das obligate Rezitativ. Der Verleger war enttäuscht von diesen allzu abstrakten Titeln und die erste gedruckte Partiturausgabe erschien ohne sie. Die fünf Stücke sind nur lose und kaum erkennbar (ohne die Partitur genau zu studieren) miteinander verbunden. Kontrapunktische Virtuosität wechselt mit flächigem Klang, oft amorph, formal ungebunden. Die Akkorde können teilweise sehr desolat und verzweifelt schmerzhaft klingen, üben aber eine suggestive Faszination aus, wenn man bereit ist, sich darauf einzulassen. Im letzten Teil sind Anklänge an einen schmerzlichen Walzer zu hören, eine Hauptstimme zieht in kleinteiligen Motiven durch verschiedene Instrumentengruppen.

Die fünf Orchesterstücke waren lange Zeit nur selten in Konzerten zu hören, Schönberg reduzierte in einer späteren Fassung den riesigen Orchesterapparat auf " normale" Dimensionen, aber der ersten Fassung ist natürlich der Vorzug zu geben!

Die Uraufführung unter Sir Henry Wood war nicht gerade ein Erfolg, selbst die Musiker des Orchesters mussten vom Dirigenten beinahe mit der Peitsche dazu gebracht werden, die Partitur zu spielen. Ein Kritiker (Ernest Newman) schrieb in THE NATION: "It is not often that an English audience hisses the music it does not like; but a good third of the people the other day permitted themselves that luxury after the first performance of the five orchestra pieces of Schoenberg. Another third of the audience was not hissing because it was laughing, and the remaining third seemed too puzzled either to laugh or to hiss … ."

Gustav Mahler, Sinfonie Nr. 5 in cis-Moll:

Wie bei vielen seiner grossen Werke entstand das Konzept der fünften Sinfonie auf Mahlers Sommersitz in Maiernigg, da er in der übrigen Zeit des Jahres mit seinem Posten an der Wiener Staatsoper und weiteren Verpflichtungen als Dirigent stark ausgelastet war. Das ungefähr 70 Minuten dauernde Werk besteht aus fünf Sätzen. Im ersten Teil verarbeitet der Komponist Motive eines Trauermarschs und eines Chorales, führt die Themen zu einem beeindruckenden, dissonanten Kulminationspunkt und und lässt die Emotionen wieder in ruhigere Bahnen zurückgleiten. Der Mittelteil der Sinfonie besteht aus einem Scherzo, welches auch den längsten Satz darstellt. Unbeschwert setzt es sich gegen den düsteren ersten Teil ab. Wie oft bei Mahler hört man Ländler- und Walzerklänge hereinschweben. In einer grandiosen Coda kombiniert Mahler die Hauptmotive und kommt zu einem fulminanten Satzschluss. Der dritte und letzte Teil der Sinfonie wird mit dem weltberühmten Adagietto eingeleitet (Luchino Visconti hat es in seiner Verfilmung von Thomas Manns TOD IN VENEDIG effektvoll als Filmmusik verwendet!). Nur Streicher und Harfe sind zur Untermalung dieser zerbrechlichen, rührenden Melodik eingesetzt. Mit einem sich schraubenartig steigernden Rondosatz kommt diese populäre Sinfonie Mahlers zu ihrem Ende, ihrer Apotheose. Mahler reizt in dieser Sinfonie den tonalen Klangraum deutlich aus und führt ihn bis zu seinen Grenzen. Deshalb brauchte diese Sinfonie wahrscheinlich mehr Zeit als die vorangehenden, um die Hörgewohnheiten des Publikums zu erweitern. Heutzutage ist diese Sinfonie jedoch diejenige Mahlers, welche am häufigsten in den Konzertprogrammen der grossen Sinfonieorchester auftaucht.

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