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Zürich, Opernhaus: PROKOFJEW | BEETHOVEN; 14.07.2023

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Prokofiew, 3. Klavierkonzert

Alle Applausbilder: K. Sannemann, 14.07.2024

Seong-Jin Cho spielt Prokofjews 2. Klavierkonzert, Leitung: Gianandrea Noseda

Werke:

Sergei Prokofjew: 2. Klavierkonzert in g-Moll | Uraufführung der Urfassung: 5. September 1913 in Pavlovsk (die Partitur Urfassung fiel einem Brand zum Opfer) | Uraufführung der Neufassung: 8. Mai 1924 in Paris

Ludwig van Beethoven: Sinfonie Nr. 5 in c-Moll | Uraufführung: 22. Dezember 1808 in Wien

 

Kritik:

Es ist eines der atemberaubendsten, aber auch der schwierigsten Klavierkonzerte der Literatur: Prokofjews 2. Klavierkonzert, das der Komponist gleich zweimal komponieren musste. Als 22jähriger Absolvent des Konservatoriums spielte er es selbst bei der Uraufführung in Pavlovsk, zum Entsetzen seiner Professoren und eines Grossteils des Publikums, denen diese Musik zu futuristisch klang. Bald darauf brach der Erste Weltkrieg aus und 1917 kam es in Russland zur bolschweistischen Revolution. In diesen Wirren ging die Originalpartitur verloren, wahrscheinlich verbrannte sie. Im (vorübergehenden) Exil schuf Prokofiew das Werk 10 Jahre später aufgrund seiner Skizzen neu und brachte es in Paris zur zweiten Uraufführung. Wiederum war der Erfolg gering. Selbst in Paris hatten sich die Menschen vom wilden Futurismus abgewandt und neigten nun eher dem Neoklassizismus eines Stravinsky zu. In den folgenden Jahrzehnten wurde dieses 2. Klavierkonzert immer wieder von grossen Pianisten eingespielt und aufgeführt, es geriet nie ganz in Vergessenheit, die Aufführungszahlen blieben trotzdem eher bescheiden. Doch in den letzten Jahren kehrte es immer öfter in die Konzertprogramme zurück, dank einer Reihe jüngerer Interpret*innen, welche sich den höchste Virtuosität fordernden Ansprüchen des Werks stellten, unter ihnen eben auch der 30jährige Seong-Jin Cho aus Südkorea, der dieses eindrückliche Konzert gestern Abend im Opernhaus Zürich zusammen mit der Philharmonia Zürich unter der Leitung von Gianandrea Noseda spielte - mit überwältigendem Erfolg. Die Dame, welche hinter mir sass, flüsterte nach jedem Satz deutlich hörbar WOW. Zu Recht, denn was Seong-Jin Cho da für ein Tastenfeuerwerk entfachte, liess einen den Atem stocken. Der erste Satz beginnt noch erstaunlich melancholisch-erzählerisch. Eine punktierte Achtelnote mit nachfolgender, fallender Sechzehntel- und dann einer aufsteigenden Viertelnote bildet den relativ simplen Kern des Hauptmotivs dieses Satzes. Ganz ruhig beginnt der Pianist mit Begleitfiguren der linken Hand, fügt das Motiv dann mit der rechten dazu. Durch viele Verdichtungen und Verarbeitungen (auch mit einer kurzen ersten Kadenz) kulminiert das Ganze in einer rund fünfminütigen Kadenz, die mit unfassbaren Schwierigkeiten gespickt ist und quasi einer eigenständigen Fantasie über das Hauptthema gleichkommt. Seong-Jin Cho rast mit einer verblüffenden Selbstverständlichkeit durch diese vertrackten Passagen, lässt das Hauptthema immer wieder aufblühen, reiht über die gesamte Tastatur danhinhüpfende Akkorde mit schon beinahe kristalliner Transparenz aneinander, fügt Triller und glitzernde Läufe ein, nichts ist gemogelt oder verwischt, pianistische Virtuosität auf höchstem Niveau, aber nie selbstgefällig, sondern ganz den Ausdrucksintentionen des Werks verpflichtet. Alles steigert sich zu einem Orkan des Flügels, gegen dessen Ende dann das Blech einsetzt. Danach verklingt der Satz relativ schnell mit dem vom Pianisten nochmals ganz zart mit der rechten Hand angeschlagenen Hauptthema. Zeit zum Durchatmen gibt's nicht, weder für den Pianisten noch für die in Bann geschlagenen Zuhörer*innen: Der zweite Satz, ein kurzes, knapp drei Minuten dauerndes Scherzo, ist ein Perpetuum mobile, das den Pianisten mit nicht mehr zählbaren Anschlägen bis zum Äussersten fordert, einer grell-grotesken Jagd gleicht. Wer danach nun einen langsamen, sentimental-ruhigen Satz erwartet hätte, wird eines Besseren belehrt: Das als Intermezzo bezeichnete Andante moderato ist fernab jeglicher Idylle. Es beginnt mit einem düsteren Marsch, der mit schweren Schritten vorwärtsschreitet. Der Pianist muss der klagenden Stimmung etwas entgegensetzen, spielt ein virtuoses, locker hüpfendes Gegenargument mit sich überkreuzenden Händen. Im kongenialen Wechselspiel mit der Philharmonia Zürich entsteht eine witzige Verspieltheit, aber der dräuend-düster Marsch gewinnt wieder die Oberhand, Trommeln und Pauken verkünden den Sieg des Martialischen, dem Pianisten bleibt nur, das Ganze mit wundervollen Arpeggien zu untermalen. Im Allegro tempestoso herrscht zu Beginn regelrechte Aufregung, beim Orchester und beim Solisten. Mit entfesselter Klangmagie werden Klippen gemeistert, Ausbrüche im Tutti gefeiert und die Tuba führt in knarzende Abgründe, die Kontrabässe verbreiten eine bedrohliche Stimmung. Da verkündet das Klavier mit einem erneut narrativ-epischen Thema etwas Ruhe, subtil verziert Seong-Jin Cho das eingängige Thema, Gianandrea Noseda und die Philharmonia Zürich steigern die Passage dynamisch vom Piano ins Mezzoforte, der Pianist fügt nochmals eine längere, aus zart hingetupften Akkorden heraus sich wunderbar aufbäumende Kadenz ein und in perfektem Zusammenspiel mit dem Orchester, in welchem der Pianist mit fantastischer Präzision den motivischen Lead des Orchesters mit Begleitfiguren allerhöchster Virtuosität untermalt, schliesst das Konzert mit einer einminütigen, fulminant peitschenden Coda.

Eigentlich hatte man erwartet, dass der Pianist nach so einer Tour de force kaum mehr eine Zugabe spielen würde, doch Seong-Jin Cho setzte sich nach der ersten Woge des enthusiastisch aufbrausenden Applauses sogleich wieder an den Flügel und spielte eines der pianistisch anforderungsreichsten Stücke für Klavier Solo, nämlich Ravels ONDINE aus GASPARD DE LA NUIT. Seong-Jin Cho spielte mit grandioser Leichtigkeit diese perlenden, ostinaten Zweiunddreissigstel-Figuren in der rechten Hand, die so mystisch und impressionistisch das im Mondlicht glitzernde Wasser, das Zuhause der Nixe, evozieren. Die verführerischen Gesänge der Nixe, welche die Männer in ihre Falle lockt, wechseln von der linken Hand bald in die rechte, es kommt zu diabolischen Steigerungen, die aber nie exzessiv oder grotesk wirken, immer irgendwie hinter einem sanft wehenden Schleier verborgen bleiben. Wunderbar!

Mit Rasanz und Kraft steigen die Philharmonia Zürich und Gianandrea Noseda nach der Pause in die fünfte Sinfonie von Beethoven ein, die mit dem berühmten Schicksalsmotiv aus drei Achteln und einer halben Note. Sie nehmen das con brio zu Recht ernst, lassen das im gesamten ersten Satz dauerpräsente Motiv vehement und klar akzentuiert anklopfen. Da bringt auch eine kurze, wunderschöne Solo-Kadenz der Oboe keine Ruhe ins Geschehen. Der Kampf des Helden, dem bedrohlichen Dräuen des Schicksals zu entkommen und ins Licht zu gelangen (per aspera ad astra), wird in dieser vorwärtsdrängenden, spannungsgeladen Interpretation sehr eindringlich gezeichnet. Im zweiten Satz wird das Suchende nach einem Ausweg von den Bratschen und den Celli mit viel Wärme im Klang eingeleitet. Es folgt ein schön austariertes, leicht marschartig herausgearbeitetes Vorwätsschreiten und der Satz endet in beruhigender, bejahender Zuversicht: Alles wird gut! Aber zuerst muss der Held noch dunkle Mächte bekämpfen, die Beethoven so eindringlich schildert, indem er im dritten Satz das nun marschartige aufblitzende Schicksalsmotiv auf ein elgischeres Motiv prallen lässt. Noseda und die Philharmonie Zürich interpretieren dieses Aufeinandertreffen, dieses Ringen der Motive, das in ein Fugato mit perfekt akzentuierter, mitreissend-bedrohlicher Wucht mündet, mit grandioser Emphase. Der Kampf explodiert dann förmlich in freudiger Lebensbejahung im attaca gespielten Jubelfinale dieser aussergewöhnlichen und bahnbrechenden Sinfonie. Da vermag auch ein kurz wahrnehmbares, fast verschämt pochendes Anklopfen des Schicksalsmotivs nichts mehr daran zu ändern. Fulminanter Orchesterjubel in siegesgewiss strahlendem C-Dur trifft (mit attacca subito) auf frenetischen Beifall des Publikums.

Werke:

Von Sergei Prokofjews (1891-1958) fünf Klavierkonzerten ist sein zweites nicht ganz so populär geworden wie das dritte (wohl auch weil es zu den schwierigsten Werken der Klavierliteratur des 20. Jahrhunderts zählt und deshalb die Anzahl der Interpreten eher begrenzt ist). Doch ist erstaunlicherweise in den letzten Jahren festzustellen, dass sich immer mehr (auch junge) Meisterpianisten des Werks annehmen (Jan Lisiecki, Anna Vinnitskaya, Daniil Trifonov oder eben der nun in Zürich spielende Seong-Jin Cho). Entstanden war das zweite Klavierkonzert Prokofjews kurz nach seinem einsätzigen ersten, das nicht ungeteilte Zustimmung fand. Auch für sein zweites musste Prokofjew teils harte Kritik einstecken. Vielen war es zu dissonant, zu lärmig, zu wild. Dabei sind in diesem Werk, neben den fulminanten, hämmernden und unglaubliche Virtuosität fordernden Passagen auch “lullabys” zu hören, also sanfte Melodien, die an Schlaflieder erinnern. Aufmerksam sollte man der gewaltigen Kadenz im ersten Satz folgen, die jeden Rahmen sprengt! Der zweite Satz ist dann ein Scherzo Vivace von kurzer Dauer, aber mit höchsten Anforderungen für den Solisten: Ein Perpetuum mobile, in dem er 10 Noten pro Sekunde rauszuhauen hat. Ein klagendes Intermezzo mit russisch gefärbten Themen bringt kaum Entspannung, da es sarkastisch-grotesk gehalten ist. Der Finalsatz hat es dann wieder in sich: Ein wildes Allegro tempestoso, das einen mit atemloser Spannung auf der Stulhkante sitzen lässt. Prokofjew hat darin eventuell den Suizid seines langjährigen Freundes Maximilian Schmidthof verarbeitet, dem das Werk auch gewidmet ist.

Nach der Uraufführung 1913 fiel die Originalpartitur in den Wirren des Ersten Weltkriegs und der nachfolgenden russischen Revolution wohl Flammen zum Opfer. Jedenfalls besass Prokofiew nur noch den Klavierpart und musste das Werk neu instrumentieren. Diese zweite Fassung kam dann in Paris mit dem Komponisten am Klavier und unter der Leitung von Koussevitzky zur Uraufführung.

Ludwig von Beethoven (1770-1827) brauchte vier Jahre, um seine fünfte Sinfonie fertigzustellen. Entstanden ist eines der grössten und populärsten Werke der gesamten Klassikliteratur, ein Werk, dessen eröffnendes Schicksalsmotiv (aus drei pochenden Achteln auf der fünften Stufe, dann abwärts auf der Terz verharrend) das dermasen berühmt geworden ist, dass es wohl jeder/jede sogleich dem Komponisten Beethoven zuzuordnen weiss. Die Entstehung des Werks fiel in die Zeit, als sich das Gehörleiden Beethovens immer mehr verschlimmert hatte. Das Schicksalsmotiv dieser “Schicksalssinfonie” ist aber nicht nur Ausdruck eines persönlichen Schicksals, das es zu überwinden galt. Beethoven war ja auch Humanist und ein politisch sehr interessierter und gebildeter Mensch. Nach seiner anfänglichen Begeisterung für Napoleon (der durch die Eroberung weiter Gebiete zum Schrecken Europas und zum Verräter an den Idealen der Französischen Revolution geeworden war) zerriss er die Widmung der dritten Sinfonie (Eroica) an Napoleon. In der fünften Sinfonie nun “klopft das Schicksal an die Pforte” (Zitat von Beethoven). Aber dieses dräuende Schicksal gilt es zu überwinden und Beethoven traut das dem Individuum und der Menschheit zu. Die Sinfonie berichtet von einem zähen Ringen und anstrengendem Kampf, um vom Dunkel ins Licht zu gelangen, sie ist ein Polädoyer dafür, nicht in fatalistischer Ergebenheit zu verharren, sondern die Herausforderungen des Schicksals anzunehmen, dagegen anzukämpfen und über die dunkeln Kräfte zu triumphieren. Nach dem düsteren Allegro des dritten Satzes geht es mit gespannter Erwartung von der Finsternis in die Erlösung im Finalsatz: Wie ein elementares Ereignis bricht sich der Triumph über das dunkle Schicksal Bann. Eine positiv gestimmte Wucht, der sich niemand entziehen kann.

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