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Zürich, Opernhaus: PHILHARMONISCHES KONZERT | SIBELIUS | SCHOSTAKOWITSCH; 20.10.2024

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Schostakowitsch 5. Sinfonie

Alina Pogostkina mit der Philharmonia Zürich Applausbild: K. Sannemann

Der aufstrebenden junge Finne Tarmo Peltokoski debütiert bei der Philharmonia Zürich, zusammen mit der Geigerin und Sibelius-Preisträgerin Alina Pogostkina interpretieren die beiden Sibelius' Violinkonzert in d-Moll | Uraufführung: 1. Fassung 8. Februar 1904 in Helsinki, 2. Fassung 19. Oktober 1905 in Berlin, Dirigent Richard Strauss | Dmitiri Schostakowitsch: Sinfonie Nr. 5 d-Moll op. 47 | Uraufführung: 21. November 1937 im damaligen Leningrad

Kritik: 

Zwei Werke, beide in d-Moll geschrieben, beide mit der Opuszahl 47 versehen, entstanden im Abstand von knapp 35 Jahren, standen auf dem Programm des 2. Philharmonischen Konzerts der Philharmonia Zürich im Opernhaus heute Vormittag.

Das zuerst komponierte Werk, Sibelius' Violinkonzert, machte den Anfang. Anstelle des im Jahresprogramm angekündigten Daniel Lozakovich spielte Alina Pogostkina den Solopart. (P.S.: Lozakovich war nicht etwa krank, er spielte nämlich am Abend zuvor noch in der Elbphilharmonie Hamburg das Sibelius-Konzert unter der Leitung von Riccardo Chailly. Vielleicht hatten er und sein Management erst relativ spät gemerkt, dass das Konzert in Zürich auf 11.15 terminiert war. So wäre die Anreise dann doch ziemlich knapp geworden). Aber wie dem auch sei, Frau Pogostkina spielte ein grossartiges Konzert. Ihre mit viel Feingefühl ausgeführte, blitzsaubere Intonation vermochte zu begeistern. Gerade in den hohen Lagen verstömte ihre "Camillo Camilli"- Violine von 1752 einen wahrhaft bezaubernden Schönklang. Wie sie zu Beginn des ersten Satzes über den sordinierten Streichern zu schweben vermochte, war ein Traum. Stimmungs- und kontrastreich spielte sie den ersten Satz, verströmte Klangschönheit und liess uns eintauchen in eine fein ausgehorchte, sinnliche, auch düstere Klangwelt. Sie beeindruckte mit einer äusserst virtuosen Kadenz mit vielen Doppelgriffen und flinken Läufen. Wunderbar wie sie mit dem tanzend-wippenden Bogenstrich die Phrasen des Orchesters kontrastierte. Der Philharmonia Zürich unter der Leitung von Tarmo Peltokoski gelangen eindringliche Passagen, so zu Beginn des zweiten Satzes mit der Vorstellung des Themas durch die Oboen und die Klarinetten. Es ist dies ein Adagio di molto von schönster Lyrik, sehrendes Verlangen und stille Erfüllung, ein sanftes Entschweben in ein Traumreich, wunderbar ausmusiziert von Alina Pogostkina und der Philharmonia Zürich. Daran schloss sich ein leicht diabolischer, furioser Tanz im abschliessenden Allegro ma non tanto, in welchem die Solistin erneut mit stupender Viruosität und brillantem Klang aufwarten konnte. Beim Publikum bedankte sie sich nach diesem schwungvollen Finale mit einer ruhigen Zugabe, einem Plädoyer für Frieden: Song of the Birds, dieses katalanische Lied, das Pau Casals ürsprünglich für Cello arrangiert hatte, spielte Alina Pogostkina mit dem ihr eigenen, so wunderschön feinen Ton auf der Violine.

Nach der Pause dann konnte der erstaunliche junge Dirigent Tarmo Peltokoski seinen ihm vorauseilenden Ruf rechtfertigen. Was er aus Schostakowitschs fünfter Sinfonie zusammen mit der fantastisch aufspielenden Philharmonia Zürich herausholte, war überwältigend. Natürlich ist diese Sinfonie stets eine Wucht, aber diesmal schien sie mir unglaublich differenziert, klanglich mit überragender Subtilität abgestuft und die Schattierungen und Instrumentierungen feinsinnig herausgerarbeitet daherzukommen. (Der 24 Jahre junge Dirigent dirigierte übrigens beide Werke auswendig!) Die markanten Intervalle des Beginns und das kantable Seitenthema umspielten sich, verschlangen sich ineinander mit einer wundersamen, transparenten Art, herrliche Soli der Flöte voller Zartheit, wechselten mit dem brachialen Marsch, der in all seiner klanglichen Ballung doch nie die nicht unproblematische Akustik des Hauses strapazierte. Der spritzigen, hüpfenden Jahrmarktsstimmung des zweiten Satzes (Allegretto) wurde dabei genausoviel Sorgfalt gewidmet wie dem eher schweren, tragischen Charakter des anschliessenden Largos. Ein fantastischer Satz, mit seinem ruhig dahinfliessenden Streicherteppich, bereichert mit den beiden Harfen und dem Gesang der über allem schwebenden Oboe. Ein schmerzvolles Aufbäumen von immenser Intensität wird mit überirdischen Klängen, u.a. der Celesta, wieder besänftigt. Peltokoski setzte zu Recht die klanglichen Kontraste dieser Sinfonie in den Vordergrund. Denn nach dem Verklingen des Largos verschaffte sich mit überwältigender Unerbittlichkeit der effektheischende Marsch des Finales Gehör. In dieser Groteske ging wahrlich die Post ab. Aber immer wieder muss man sich dessen bewusst sein, dass dieser hohle Marsch nicht ein Triumphmarsch ist, sondern mit den von Peltokoski sehr klar herausgearbeiteten Dissonanzen in den trivialen Akkorden sehr wohl als Regimekritik interpretiert werden kann. Tosender Applaus für den jungen Dirigenten, der am Beginn einer ganz grossen Karriere steht, aber ohne jegliche Selbstverliebtheit sehr bescheiden auftrat und den Beifall stets ans Orchester weiterleitete. Sehr sympathisch und hoffentlich kommt er bald wieder. (Falls der Opus-Klassik- Preisträger neben der neuen Chefposition beim Orchestre du Capitole de Toulouse, der Position des Musikdirektors beim Lettischen Nationalen Orchester, des Principal Guest Conductors bei der Kammerphilharmonie Bremen und als designierter Musikdirektor des Hong Kong Philharmonic Orchestra für Zürich Zeit finden wird ... .)

Werke:

Der finnische Komponist Jean Sibelius (1865-1957) schrieb sein beliebtes Violinkonzert auf Anregung des Geigers Willy Burmester und widmete diesem auch das Werk. Aus verschiedenen Gründen konnte der Geiger jedoch die Uraufführung nicht spielen, auch bei der überarbeiteten, leicht gekürzten Fassung, welche Richard Strauss dirigierte, kam Burmester nicht zum Zug. Deshalb weigerte er sich, dieses Konzert jemals zu spielen und Sibelius widmete es nun Franz von Vecsey. Das dreisätzige, in spätromantischem Klangbild daherkommende Konzert gehört unterdessen zum Standardrepertoire der grossen Geigerinnen und Geiger. Der erste Satz ist in der Sonatensatzform konzipiert, welcher ohne langes Orchestervorspiel beginnt und die Solovioline sehr prominent in den Vordergrund rückt. Im zweiten Satz herrscht eine liedartige, romantische Stimmung vor. Der Schlusssatz, vom Komponisten als Danse Macabre beschrieben, gibt dem Solisten die Möglichkeit, seine überschäumende Virtuosität zu präsentieren.

Der bis anhin sehr erfolgreiche Komponist Dmitri Schostakowitsch (1906-1975) fiel in der Sowjetunion Mitte der Dreissigerjahre in Ungnade, weil Stalin entsetzt war über Schostakowitschs Oper LADY MACBETH VON MZENSK und ein darauffolgender Prawda Artikel Schostakowitsch zum Rückzug seiner 4. Sinfonie bewegte. Mit der fünften jedoch konnte er sich 1937 rehabilitieren, die Uraufführung war ein kolossaler Erfolg. Die Sinfonie behandelt das Thema des Menschwerdens in der sozialistischen Gesellschaft, lag in ihrer Form, ihrer Aussage genau auf der Linie des von der KPDSU von den Künstlern geforderten „sozialistischen Realismus“. Besonders das mitreissende Marsch-Jubel-Finale schien die Parteioberen zufrieden zu stellen. Doch Schostakowitsch wäre nicht Schostakowitsch, wenn dieses Finale nicht doppeldeutig zu interpretieren wäre, denn allzu hohl und vordergründig scheint dieser Marsch zu sein, auf tönernen Füssen zu stehen. Brillant ist die Orchestrierung dieser Sinfonie; ihre formvollendete Geschlossenhei ist  ganz auf der Tradition der viersätzigen Sinfonien grosser Meister aufgebaut.

Schostakowitsch selbst schrieb später über das umstrittenen Finale: „Was in der Fünften vorgeht, sollte meiner Meinung nach jedem klar sein. Der Jubel ist unter Drohungen erzwungen. […] So als schlage man uns mit einem Knüppel und verlange dazu: Jubeln sollt ihr! Jubeln sollt ihr! Und der geschlagene Mensch erhebt sich, kann sich kaum auf den Beinen halten. Geht, marschiert, murmelt vor sich hin: Jubeln sollen wir, jubeln sollen wir. Man muss schon ein kompletter Trottel sein, um das nicht zu hören.“

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