Zürich, Opernhaus: 1. PHILHARMONISCHES KONZERT, 28.10.2018
Wolfgang Amadeus Mozart: Rondo in A-Dur für Klavier und Orchester, KV 386, entstanden 1782 | Richard Strauss: Burleske in d-Moll für Klavier und Orchester | Uraufführung: 21. Juni 1890 in Eisenach | Dmitri Schostakowitsch: Sinfonie Nr. 5 in d-Moll, op. 47 | Uraufführung: 21. November 1937 im damaligen Leningrad | Dieses Konzert in Zürich: 28.10.2018
Kritik:
Gerade bei so expressiven und extensiven Sinfonien wie sie von Schostakowitsch (oder Bruckner oder Mahler) erschaffen wurden, stellt sich immer die Frage, mit welchen Kompositionen kann man sie denn zusammen aufs Programm setzen, ohne dass die Werke vor der Pause von der nachfolgenden Sinfonie erdrückt werden. Hier haben nun Daniele Rustioni und die Philharmonia Zürich eine ganz kluge Lösung gefunden: Sie setzten vor Schostakowitsch Richard Strauss' Burleske für Klavier und Orchester an. Strauss' Jugendwerk hat mit Schostakowitschs Fünfter nicht nur die Grundtonart d-Moll gemein, auch innerhalb der beiden Werke werden Verwandtschaften hörbar, so der Zug ins Groteske im zweiten Satz der Sinfonie, der auch in Strauss' Burleske herrlich verschmitzt durchdringt und etwas an Strauss' drei Jahre nach der Burleske komponierte Tondichtung TILL EULENSPIEGEL erinnert. Dem extrem schwierig zu bewältigenden Klavierpart von Strauss' Burleske widemete sich Francesco Piemontesi. Er spielte die vertrackt spritzigen Läufe mit einer staunend machenden Selbstverständlichkeit, stürzte sich mit Vehemenz in die Kaskaden, entlockte dem Flügel aber auch glitzernde, perlende Klänge, versank in wohliges Gurgeln, stieg wieder auf zu gleissenden Höhen. Die hochkomplexe Rhythmik bereitete weder dem Solisten, noch dem von Daniele Rustioni sicher und mit hörbarer Spielfreude musizierenden Orchester Mühe, das klang alles überaus präzise und doch mit musikantischem Spass ausgeführt. Spannend aufgebaut wurden von Maestro Rustioni die stets erneuten Anläufe der Komposition, einen Kulminationspunkt zu erreichen, immer noch eine Drehung einzubauen, Höhepunkt an Höhepunkt zu setzen, um dann blitzschnell in vermeintliche Ruhe zurückzufallen. Auch wenn sich Strauss selbst in späteren Jahren beinahe verächtlich und verschämt über sein Jugendwerk äusserte, dem Zuhörer bereitet diese Werk stets einen Riesenspass. Nicht zu vergessen die immens wichtige Rolle der Pauke, die immer wieder auf Sturm drängt, manchmal obsiegt dann aber eine Melancholie wie von Tschaikowsky komponiert. Am Ende siegt dann natürlich die Fulminanz, die in eine durch Piemontesi auch physisch humorvoll dargestellte Erschöpfung des Solisten mündete. Doch die Erschöpfung hielt nicht lange an, erst folgte eine herzliche Umarmung des Solisten mit dem Dirigenten, dann verlangte der begeisterte Applaus natürlich nach einer Zugabe. Die war erstmal eine ganz grosse Überraschung, denn flugs wurde ein zweiter Klaviersessel hingestellt und der Dirigent Daniele Rustioni setzte sich links neben Francesco Piemontesi und zusammen spielten sie Mozart, den 3. Satz aus dessen Klaviersonate zu vier Händen KV 381. Rasant und brillant. Wunderbar. Das war aber nicht das einzige Werk von Mozart, das in diesem Konzert erklang. Begonnen hatte man nämlich mit dem Rondo in A-Dur für Klavier und Orchester, dessen spannende Entstehungs- und Wiederaufführungsgeschichte weiter unten nachzulesen ist. Rustioni dirigierte die relativ lange Orchestereinleitung wunderbar federnd und liess den tänzelnden Charakter herrlich durchschimmern, Piemontesi antwortet mit sorgsam hingetupften Anschlägen, wunderbar sauberen Trillern, zunehmender Virtuosität; die Interpretation versprühte eine einnehmende Frische und Direktheit, zeugte von sorgfältigem gegenseitigem Mitdenken, Mitfühlen, Horchen. Doch damit nicht genug, denn Piemontesi schenkte dem Publikum auch noch einen wunderschön, sanft und sauber gespielten Bach von tief empfundener Innigkeit und Bescheidenheit.
Nach der Pause nahm dann ein Orchester auf der Bühne Platz, das noch grösser besetzt war, als das für Strauss' Burleske. Aufhorchen liessen gleich zu Beginn die Streicher mit ihrem geschärften Klang. Immer wieder wurde er zwar im ersten Satz durch weichere, melancholischere, idyllischere Kantilenen abgelöst, doch die martialischen, schmerzverzerrten Passagen behielten stets die Oberhand. Schostakowitschs kaum verhohlene Kritik am Regime dringt durch. Der brachiale Marsch, von der Philharmonia Zürich mit atemberaubender Präzision gespielt, verfehlte seine unter die Haut gehende Wirkung nicht. Vom zweiten Satz war schon die Rede, diesem grotesken Gegacker der Holzbläser, das wie eine Persiflage daherkommt, unterbrochen von der verzerrt tanzenden Solovioline (wunderbar gespielt von Hanna Weinmeister, Kniefall des Dirigenten vor ihr beim Schlussapplaus) und der Soloflöte. Der dritte Satz hätte beinahe einen Zwischenapplaus ausgelöst, diese leidvolle Musik, dieses tieftraurige Largo markierte einen krassen Gegensatz zur vorhergehenden grotesken Ländlerseligkeit. Rustioni verstand es dabei, die Spannung bis zum Zerreissen aufrecht zu erhalten und eine Verinnerlichung ohnegleichen zu evozieren. Dann wieder der Schnitt zum Finalsatz, diesem kurzen, derben Heranrollen des (vermeintlichen) Triumphs. Forsch das Tempo, galoppierend, und das Riesenorchester wie eine gewaltige Siegesglocke läuten lassend. Kurz ein Verschnaufen in einer Art vorweggenommener Minimal Music, mit einer kurzen Phrase die sich höher bis in die ganz kurzen Saiten der Harfen schraubt, dann die Rührtrommel die den sich nähernden Marsch ankündigt und sich darauf mit (vom Dirigenten gerade noch genügend kontrollierter) Wucht über die Zuhörer ergiesst. Gefährlich mitreissende Musik, die sowohl regimefreundlich als auch regimefeindlich und kritisch gehört werden kann. Der Jubel jedenfalls wollte kaum enden. Daniele Rustioni, Chefdirigent an der Opéra de Lyon, in Zürich dirigierte er MADAMA BUTTERFLY und CAV/PAG, möchte man jedenfalls immer wieder gerne in Zürich begegnen.
Werke:
Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) komponierte sein Rondo in A-Dur 1782. Die Quellenlage ist jedoch alles andere als gesichert, auch ist die Komposition nur unvollständig erhalten geblieben, über die Jahre kamen immer neue lose Blätter zum Vorschein. Cipriani Potter erstellte 1838 eine Fassung, Albert Einstein knapp 100 Jahre später eine neue, basierend auf Cipriani Potters Version. Paul Badura-Skoda und Charles Mackerras erstellten 1962 eine aufführungstaugliche Version, die heute meist gespielt wird. Doch die Forschungsarbeit zu diesem Werk ist noch nicht zu Ende. 1980 tauchten in der British Library Partiturseiten mit dem Schluss von KV 386 auf. Vor allem was den (unvollständig erhaltenen) Orchestersatz betrifft, wird man sich bei jeder Aufführung für eine Lösung entscheiden müssen. Einstein vermutete auch, dass es sich bei diesem Rondo um eine Alternative zum Finalsatz des Klavierkonzerts KV 414 gehandelt haben könnte.
Richard Strauss kam als 21jähriger als Assistent zu Hans von Bülow nach Meiningen. Dort komponierte er seine Burleske in d-Moll. Eigentlich wollte er sie seinem Mentor Hans von Bülow widmen, doch der lehnte es ab, die Uraufführung zu spielen, obwohl auch er ein ausgezeichneter Pianist war. Dem viel beschäftigten Musiker war der Probenaufwand für dieses schwierige Stück zu gross. Strauss widmete es dann Eugen d'Albert, welcher es unter der Leitung des Komponisten zur Uraufführung brachte.
Dieser Burleske sitzt der Schalk wahrlich im Nacken. Die Komposition weist neben allen witzigen Referenzen an Struass' Idole Brahms und Wagner auf seinen TILL EULENSPIEGEL voraus. Der Pianist Rudolf Buchbinder, der das Werk oft aufgeführt hat, sagt dazu: "Man kann da einiges hineininterpretieren: frech, hinterfotzig, da gibt's schon einiges. Das ist ja typisch Richard Strauss, es ist ja schon der ganze Till Eulenspiegel drin. Und dann kommt der Moment, wo er genau weiß, dass man auf die Tränendrüse drücken muss. Plötzlich diese Cantilene. So sind einige Stellen in dieser Burleske." Den Auftakt überlässt Strauss der Pauke. Im weiteren Verlauf werden sich die vier Pauken immer wieder prominent in den Vordergrund drängen!
Der bis anhin sehr erfolgreiche Komponist Dmitri Schostakowitsch (1906-1975) fiel in der Sowjetunion Mitte der Dreissigerjahre in Ungnade, weil Stalin entsetzt war über Schostakowitschs Oper LADY MACBETH VON MZENSK und ein darauffolgender Prawda Artikel Schostakowitsch zum Rückzug seiner 4. Sinfonie bewegte. Mit der fünften jedoch konnte er sich 1937 retablieren, die Uraufführung war ein kolossaler Erfolg. Die Sinfonie behandelt das Thema des Mensch werdens in der sozialistischen Gesellschaft, lag in ihrer Form, ihrer Aussage genau auf der Linie des von der KPDSU von den Künstlern geforderten „sozialistischen Realismus“. Besonders das mitreissende Marsch-Jubel-Finale schien die Parteioberen zufrieden zu stellen. Doch Schostakowitsch wäre nicht Schostakowitsch, wenn es nicht durchaus doppeldeutig zu interpretieren wäre, denn allzu hohl und vordergründig scheint dieser Marsch zu sein, auf tönernen Füssen zu stenen. Brillant ist die Orchestrierung dieser Sinfonie, ihre formvollendete Geschlossenheit, ganz auf der Tradition der viersätzigen Sinfonien grosser Meister aufgebaut.
Schostakowitsch selbst schrieb später über das umstrittenen Finale: „Was in der Fünften vorgeht, sollte meiner Meinung nach jedem klar sein. Der Jubel ist unter Drohungen erzwungen. […] So als schlage man uns mit einem Knüppel und verlange dazu: Jubeln sollt ihr! Jubeln sollt ihr! Und der geschlagene Mensch erhebt sich, kann sich kaum auf den Beinen halten. Geht, marschiert, murmelt vor sich hin: Jubeln sollen wir, jubeln sollen wir. Man muss schon ein kompletter Trottel sein, um das nicht zu hören.“