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Zürich: NORMA, 15.10.2015

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Norma

copyright: Hans Jörg Michel, mit freundlicher Genehmigung Opernhaus Zürich

Tragische Oper in zwei Akten | Musik: Vincenzo Bellini | Libretto: Felice Romani | Uraufführung: 26. Dezember 1831 in Mailand | Aufführungen in Zürich: 10.10. | 13.10. | 15.10. | 18.10.2015 (Gastspiel der Produktion der Salzburger Pfingstfestspiele)

Kritik:

Welcher Opernfreund hat sie nicht in seinem Schallplattenregal stehen, die heiss geliebten Lieblings-(Referenz-) aufnahmen von Bellinis NORMA, natürlich noch auf Vinyl: Je nach persönlichem Geschmack Callas/Stignani, Callas/Ludwig, Sutherland/Horne, Sutherland/Caballé, Scotto/Troyanos, Gencer/Cossotto ... . Doch nun stellt Cecilia Bartoli zusammen mit den Herausgebern der quellenkritischen Neuausgabe, Maurizio Biondi und Riccardo Minasi, unsere über Jahrzehnte gepflegten Höreindrücke und -gewohnheiten in Frage mit der Forderung, Bellinis NORMA von den Ende des 19. und im 20.Jahrhundert auf der Oper abgelagerten Verkrustungen des dem Werk nicht dienlichen Verismo-Stils zu befreien. Denn ursprünglich sei die Titelrolle ja für Giuditta Pasta geschrieben worden, eine Mezzosopranistin und die Rolle der um etliches jüngeren Priesterin Adalgisa für einen leichten Sopran. Macht eigentlich Sinn. Bei der Pasta müssen wir uns natürlich auf Berichte von Zeitgenossen verlassen (Tonträger gab es damals noch nicht...), welche logischerweise sehr subjektiv ausfallen. Nur soviel bleibt festzuhalten: Die strikte Unterteilung in Sopran, Mezzosopran etc. gab es damals noch nicht. Wenn man sich das Repertoire der Pasta anschaut, scheint es sich um einen soprano sfogato gehandelt zu haben, was bedeutet ausgeprägtes tiefes Register, dunkles Timbre, von dramatischer Agilität bis in die Höhen der Koloratursopranistin. Für diese Stimmen wurden Partien wie die Elisabetta in Donizettis ROBERTO DEVEREUX, seine ANNA BOLENA, aber auch Cherubinis MEDEA, Verdis Abigaille in NABUCCO oder dessen Lady Macbeth komponiert. Vertreterinnen dieses Fachs waren u.a. eben Giuditta Pasta, Maria Malibran, Verdis zweite Gemahlin Giuseppina Strepponi oder Pauline Viardot. Und im 20. Jahrhundert, wer wohl? Natürlich der soprano assoluto, Maria Callas. Da wären wir also wieder am Anfang. Hm. So ging man mit einigen Vorbehalten in die Vorstellung – und um es gleich vorweg zu nehmen: Je länger der Abend dauerte, um so stärker wurde man durch die schiere Unmittelbarkeit des Klangs, der Mischung der Stimmen, die Intensität der Darstellung ins Geschehen des Dramas hineingezogen und schloss sich der standing ovation des Publikums an.

Dabei war es einem zuvor so gegangen, wie beim ersten Anhören einer Mozart-Oper unter Harnoncourts Dirigat: Man war leicht irritiert über den rauen, herben, manchmal auch dünnen Klang des auf Originalinstrumenten spielenden Orchestra LA SCINTILLA unter der Leitung des sehr präsenten, mit den SängerInnen mitatmenden Dirigenten Giovanni Antonini, entdeckte dann immer mehr Feinheiten und Farben und vermisste doch ab und an den etwas süffigeren Sound eines romantischen Orchesters. Cecilia Bartoli gelang eine ungemein packende und auch tief berührende Darstellung der Norma: Absolut bewundernswert bei ihr wie immer die fein ziselierten Pianopassagen mit den subtil und mit bestechender Reinheit eingefügten Fiorituren, wahrlich göttlich gelang das Casta Diva, obwohl sie sich vor der Vorstellung sicherheitshalber als leicht indisponiert ansagen liess. Doch davon war gar nichts zu hören. Natürlich sind ihre Töne in den höheren Lagen nicht durchschlagend laut, aber sie sind da und in der Intonation nie gefährdet. Als Darstellerin ist sie für mich schlicht überwältigend: Die tief hängenden Mundwinkel (wie die Merkel an ihrem schlechtesten Tag) das Griesgrämige, das Verhärmte durch die nicht mehr erwiderte Liebe, durch den Krieg. Aber da ist auch die rührende Mütterlichkeit, die erfahrene reife Freundin für die junge Adalgisa, die rachsüchtige betrogene Frau. Einfach herrlich, wie sie das Trema per me fellon! im Terzett am Ende des ersten Aktes Pollione ins Gesicht schleudert. Fantastisch, wie sie mit eingedunkelter, bedrohlicher Stimme das In mia man al fin tu sei beginnt, oder anschliessend ihr öffentliches Schuldeingeständnis an Pollione alleine richtet. Von phänomenaler stimmlicher Kontrolle und wahrlich unter die Haut gehend die Bitte an den Vater, die Kinder aufzunehmen und die Würde, welche sie bei der finalen Hexenverbrennung an den Tag legt. Wunderschön auch, wie die Stimmen von Bartoli und Osborn in dieser Szene in den traumhaft klangschön singenden Coro della Radiotelevisione Svizzera Italiana (Einstudierung: Diego Fasolis und Gianluca Capuano) engebettet waren.

Rebeca Olvera singt die Adalgisa mit ihrem mädchenhaft reinen Sopran, leicht ansprechend, sauber geführt und wunderbar mit Bartolis Stimme harmonierend. Pollione ist in dieser Inszenierung ganz und gar als Bösewicht gezeichnet, ein schmieriger Faschist. John Osborn singt ihn ohne Fehl und Tadel, wobei er insbesondere im zarten Duett mit Adalgisa durch den subtilen Einsatz der voix mixte begeistert. Als besorgte Clotilde hat Liliana Nikiteanu einen ganz starken Auftritt und auch Reinaldo Macias stellt eine luxuriöse Besetzung für die undankbare Partie des hier brutal ermordeten Flavio dar. Einzig der Oroveso von Peter Kálmán hat mich stimmlich etwas enttäuscht mit zu starkem Vibrato und leicht knödelnder Stimme.

Die Inszenierung von Patrice Caurier und Moshe Leiser ist im Stil des italienischen Neorealismo angelegt und erzählt nicht von einer Druidenpriesterin sondern von einer Lehrerin (Norma), welche nach schrecklichen Erfahrungen mit der deutschen Besatzungsmacht in Frankreich in ihrer zerstörten Schule (störende Umbauten während der Ouvertüre, um diese Vorgeschichte zu illustrieren, dies hätte man besser mit einem Film gelöst) ein Hauptquartier der Résistance einrichtet. Das ist alles sehr spannend umgesetzt (welch ein Gegensatz zur statischen Installation der NORMA durch Robert Wilson, welche als hauseigene Produktion am Opernhaus Zürich, noch aus der Ära Pererira, vorhanden ist), mit intensiver Personenführung, nur darf man natürlich nicht allzusehr auf den Text achten, wie das bei Opern, bei denen man die Handlung in andere Zeiten versetzt, halt immer ein kleineres Problem darstellt.

Die Frage bleibt nun: Wird sich diese quellenkritische Neuausgabe von Bellinis NORMA auch international durchsetzen? Schwierig zu prophezeien, auch bei den Mozart-Opern ist eher wieder eine Tendenz weg von den „historischen“ Aufführungen zu beobachten. Aber: Für die Auseinandersetzung mit Bellinis Hauptwerk war und ist die Arbeit von Cecilia Bartoli und den beiden Herausgebern von unschätzbarem Wert. Und wer weiss, vielleicht werden sich auch Mischfassungen durchsetzen, also eine Norma mit einem agilen dramatischen Sopran, daneben aber eine Adalgisa mit einem leichteren Sopran anstelle eines matronenhaften Mezzos. Und nein, meine geliebten Aufnahmen werde ich jedenfalls trotz aller Begeisterung über diese Aufführung noch nicht entsorgen.

Im unmittelbaren Umkreis des Opernhauses Zürich (ca 40-60 km) kann man übrigens ab dem 12.3.2016 zwei weitere Neuproduktionen der NORMA erleben, nämlich in Luzern und St.Gallen.

Inhalt:

Die gallische Druidenpriesterin Norma hat heimlich ein Verhältnis mit dem Anführer der römischen Besatzer, Pollione, mit dem sie auch bereits zwei gemeinsame Kinder hat. Pollione ist ihrer aber längst überdrüssig geworden und hat mit der Novizin und Vertrauten Normas, Adalgisa, angebandelt. Die Gallier erwarten von der Priesterin, dass sie zum Kampf gegen die Römer aufruft. Doch Norma interpretiert die Göttin Irminsul so, dass die Zeit dafür noch nicht reif sei. Am ende des ersten Aktes kommt es auf privater Ebene zum Showdown: Norma erfährt vom Verhältinis ihres Geliebten mit Adalgisa und schwört Rache. Dazu will sie ihre Kinder töten (gleich einer Medea). Doch die Mutterliebe siegt hier, im Gegensatz zur griechischen Tragödie. Stattdessen will sie, dass Adalgisa zusammen mit Pollione und den Kindern nach Rom flüchtet. Doch Adalgisa ihrerseits will Norma und Pollione wieder vereinen. Pollione lehnt dies ab. Norma gibt das Zeichen zum Kampf gegen die Römer, Pollione wird gefangengenommen. Noch immer weigert sich Pollione, Adalgisa zu entsagen. Norma lässt einen Scheiterhaufen errichten, auf dem eine Priesterin verbrannt werden soll, die das Keuschheitsgelübde gebrochen habe. Als sie nach dem Namen der Sünderin gefragt wird, nennt sie ihren eigenen Namen, vertraut ihre Kinder dem Schutz des Oberpriesters (und ihres Vaters) Oroveso an und schreitet in den Verbrennungstod. Überwältigt von soviel Grossmut und Entsagung folgt ihr Pollione.

Werk:

Vincenzo Bellini wurde nur 34 Jahre alt. Von seinen zehn Bühnenwerken werden sechs mehr oder weniger regelmässig gespielt. Die bekanntesten neben der NORMA sind I PURITANI, LA SONNAMBULA, I CAPULETI E I MONTECCHI, BEATRICE DI TENDA und IL PIRATA. Bellini gilt als Schöpfer der „Melodie lungh, lunghe, lunghe“ wie Verdi sie nannte. Die Orchesterbesetzung ist z.B. gegenüber Rossini zurückgenommen, um den Gesangslinien und den Texten mehr Gewicht zu geben. NORMA, sein berühmtestes Werk, enthält Elemente der Schauerromatik und des griechischen Dramas. Die Hauptpartie gehört zu den schwierigsten des gesamten Belcanto Repertoires, erfordert sie doch sowohl dramatische Durchschlagskraft als auch die Kunstfertigkeit der geläufigen Verzierungen und ausgesprochen empfindsam zu singenden, langen Kantilenen. Die Partie gilt seit Giuditta Pasta (Sängerin der Uraufführung) und Maria Malibran als DIE Primadonnen-Oper schlechthin. Maria Callas setzte im 20. Jahrhundert diese Tradition fort, gefolgt von Joan Sutherland, Renata Scotto, Montserrat Caballé, Margaret Price (in Zürich!!!) und in neuerer Zeit Edita Gruberova. Aber auch die Partie der Gegenspielerin Adalgisa ist äusserst dankbar – und wenn die beiden Frauen mit hervorragenden Stimmen besetzt sind, ist Gänsehaut garantiert.

Die hochgelobte Produktion der Salzburger Pfingstfestspiele von 2013 startet in Zürich zu einer internationalen Tournee. Die Aufführung basiert auf einer quellenkritischen Neuausgabe von Maurizio Biondi und Riccardo Minasi. Bellini hatte die Titelpartie für die Mezzosopranistin Giuditta Pasta geschrieben und mit Cecilia Bartoli als Norma steht nun wiederum eine (koloraturgewandte) Mezzosopranistin im Zentrum des Werks.

Musikalische Höhepunkte:

Casta diva, Cavatine der Norma, Akt I

Oh, rimembranza, Norma-Adalgisa, Akt I

No, non tremare, o perfido, Terzett Norma-Adalgisa-Pollione, Akt I

Mira o Norma, Duett Norma-Adalgisa, Akt II

In mia man alfin tu sei, Duett Norma-Pollione, Akt II

Deh, non volerli vittime, Finale Akt II

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