Frankfurt, Oper: NORMA; 31.05.2025
Letzte Vorstellung dieser Wiederaufnahmeserie von Bellinis NORMA in der Inszenierung von Christoph Loy
Tragische Oper in zwei Akten | Musik: Vincenzo Bellini | Libretto: Felice Romani | Uraufführung: 26. Dezember 1831 in Mailand | Aufführungen in Frankfurt: 31.05.2025
Kritik:
„Das Dramma per musica muss einen zu Tränen, zum Schauder, zum Sterben bringen“, wird der Komponist Vincenzo Bellini im erneut äusserst informativen Programmheft der Oper Frankfurt zitiert. Dieser kategorische Aufforderung des Komponisten von NORMA kam die Derniere der Wiederaufnahmeserie (Premiere war 2018 gewesen) auf schlicht überwältigende Art und Weise nach. Gerade der letzte Teil rührte tatsächlich zu Tränen – der Schauder war vorangegangen. (Nur sterben wollte man selbstredend noch nicht ...). Dass NORMA zu den bewegendsten, schauerlichsten und vollkommensten Opern des Repertoires gehört, steht ausser Zweifel – und nach dieser Aufführung erst recht! Die kosovarische Sopranistin Marigona Querkezi erfüllte die riesigen Ansprüche der enorm fordernden Titelpartie mit ihrer grossen, voluminösen Stimme, welche neben aller Kraft für die Ausbrüche auch die perfekte Technik für getragene, sublime Piani und langgezogene Phrasen mit den entsprechenden Verzierungen mitbrachte. Ihre wunderbar samtene, dunkle Sopranstimme entfaltete sich mit aller Pracht und einem ganz speziellen Leuchten und Blühen. Zum Niederknien schön. Dabei stellte sie den reinen Belcantogesang immer in den Dienst des Dramas, es blieb in keinem Moment beim selbstverliebten Schöngesang um des Schöngesangs willen. Genau so muss Bellini sich das vorgestellt haben, als er seine oben zitierte Forderung aufstellte. Das Glück dieser Aufführung bestand darin, dass sich die übrigen Protagonist*innen mit ihrer fantastischen Gesangs- UND Darstellungskunst ausnahmslos in den Dienst dieses Dramas stellten. Die junge polnische Mezzosopranistin Karolina Makuła aus dem Frankfurter Ensemble, rührte als verletzliche Adalgisa mit ihrem warmen, virtuosen und schlank geführten Mezzo tatsächlich zu Tränen, die Verschmelzung mit der Stimme von Marigona Quekezi in den langen, so wunderschön komponierten Duetten gelang perfekt. Stefano La Colla auf der Bühne erleben zu dürfen ist immer ein Glücksfall, vor allem, wenn man nicht damit gerechnet hat. Er sprang nämlich für den erkrankten Angelo Villari ein. La Colla war aber mit der Inszenierung bestens vertraut, hatte er doch schon 2018 in der Premierenserie die Rolle des Pollione interpretieren dürfen. Stefano La Colla begeisterte mit seiner fest und sicher sitzenden Stimme, der mühelos strahlenden Höhe, dem berückenden Timbre. Im Duett mit Adalgisa Va, crudele lieferten sich Stefano La Colla und Karolina Makuła einen hoch spannenden Wettstreit. Ach, es wären noch so viele musikalische Höhepunkte aufzuzählen, die man an diesem aussergewöhnlichen Abend erleben durfte: Das Geständnis Adalgisas, natürlich das Casta diva mit nachfolgender Cabaletta der Norma und die Duette und Kadenzen von Adalgisa und Norma. Vor allem aber bleibt die letzte halbe Stunde der Aufführung haften: Ab dem rasanten Duett In mia man alfin tu sei mit Norma und Pollione bis zum Finale auf dem Scheiterhaufen (hier ein Weltenbrand, den Norma mit der Fackel, die sie einem der Untergrundkämpfer entreisst, entfacht) sitzt man einfach nur noch gebannt auf der Sitzkante – Musiktheater vom Allerfeinsten und Fesselndsten!
Dazu trug natürlich der versierte musikalische Leiter der Aufführung, Giuliano Carella, entscheidend bei. Er führte das hervorragende Frankfurter Opern- und Museumsorchester mit straffer, vorwärtsdrängender Hand, liess kein Schleppen und keine Sentimentalitäten zu und bewirkt gerade dadurch ein „agitato“ des Dramas, das so richtig einfuhr.
Inszeniert hatte Christof Loy im Bühnenbild von Raimund Orfeo Voigt. Die zeitlich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts angesiedelten Kostüme, mit Reminiszenzen an das 19. Jahrhundert (Flavios Mantel) hatte Ursula Renzenbrink entworfen. Es erging einem wie so oft, wenn man Arbeiten Loys begegnet: Männer in Anzügen in allen Schattierungen von Grau, die Frauen ebenfalls in Grau- und Schwarztönen, mit Ausnahme des schlichten weissen Kleids Adalgisas. Die Bühne war mit schmucklosen holzvertäfelten Wänden versehen, links ein Fenster, davor eine Bodenklappe, unter der Norma ihre Kinder versteckt. Zuerst denkt man: Nicht schon wieder! Doch was Loy wie stets aus der Nüchternheit des Settings mittels bärenstarker, überzeugender Personenführung herausholt, wischt alle Bedenken weg. Er findet tief hinein in die seelischen Befindlichkeiten der Protagonist*innen, wühlt in den Emotionen, holt das Innere nach Aussen, so dass das packende Drama – hier in einer Art Rückzugsort der Partisanen – entsteht. Grossartig, wie die Enge von Normas Zimmer durch Anhebung des Bodens und Senkung der Decke immer drückender wird, wie das fahle Licht (Olaf Winter) das Geschehen in eine Art Twilight-Zone rückt, wie einzig ein oranger Sonnenstrahl bei Guerra, guerra (hervorragend der Chor der Oper Frankfurt, einstudiert von Álvaro Corral Matute) etwas Hoffnung (oder vernichtendes Feuer?) durchs Fenster fliessen lässt.
Wie immer vergisst Christof Loy auch die mittleren und kleineren Partien nicht, weiss Geschichten und Hintergründe zu erzählen. Simon Lim als bassgewaltiger (dieses lang gezogene, sichere Aushalten der Töne: Wow!) Gründer der Widerstandsbewegung und Vater Normas wird genauso scharf gezeichnet wie der Leichenfledderer Flavio (mit schöner Tenorstimme: Abraham Bretón), der zu einem Abschnitt der Ouvertüre die Toten beraubt und von seinem Freund Pollione gemassregelt wird. Dabei stolpern sie über die noch lebenden Frauen Norma und Clotilde – Pollione verliebt sich so in Norma und Clotilde ist die einzige Person, die somit Normas Geheimnis kennt. Gerade in der Zeichnung der Clotilde geht Loy viel weiter als alle anderen Inszenierungen des Werks, die ich bislang erleben durfte. Julia Stuart macht grossen Eindruck als gestrenge Aufseherin und Vertraute Normas. Hervorragend agieren auch die beiden Knaben der Kinderstatisterie Benedikt Alt und Jakob Fritschi als Kinder Normas. Sie sind älter als in üblichen Inszenierungen, Loy will damit nach eigenen Angaben dem Eindruck der „Niedlichkeit“ entgehen. Die Beziehung Normas zu den beiden an der Schwelle der Pubertät stehenden Jungs ist damit noch stärker ausgeprägt und sie kann den angedrohten Kindesmord nicht ausführen.
Fazit: Man ist erschlagen, geflasht – und sehr aufgewühlt! Musikdrama at it's best! Zitat von Alfred Einstein (der Musikwissenschaftler) aus dem Programmheft: „Jemand, der aus einer Aufführung von NORMA kommt und nicht bis zum Überfliessen erfüllt ist von den letzten Seiten dieses Aktes, weiss nicht, was Musik ist!“
Inhalt:
Die gallische Druidenpriesterin Norma hat heimlich ein Verhältnis mit dem Anführer der römischen Besatzer, Pollione, mit dem sie auch bereits zwei gemeinsame Kinder hat. Pollione ist ihrer aber längst überdrüssig geworden und hat mit der Novizin und Vertrauten Normas, Adalgisa, angebandelt. Die Gallier erwarten von der Priesterin, dass sie zum Kampf gegen die Römer aufruft. Doch Norma interpretiert die Göttin Irminsul so, dass die Zeit dafür noch nicht reif sei. Am ende des ersten Aktes kommt es auf privater Ebene zum Showdown: Norma erfährt vom Verhältinis ihres Geliebten mit Adalgisa und schwört Rache. Dazu will sie ihre Kinder töten (gleich einer Medea). Doch die Mutterliebe siegt hier, im Gegensatz zur griechischen Tragödie. Stattdessen will sie, dass Adalgisa zusammen mit Pollione und den Kindern nach Rom flüchtet. Doch Adalgisa ihrerseits will Norma und Pollione wieder vereinen. Pollione lehnt dies ab. Norma gibt das Zeichen zum Kampf gegen die Römer, Pollione wird gefangengenommen. Noch immer weigert sich Pollione, Adalgisa zu entsagen. Norma lässt einen Scheiterhaufen errichten, auf dem eine Priesterin verbrannt werden soll, die das Keuschheitsgelübde gebrochen habe. Als sie nach dem Namen der Sünderin gefragt wird, nennt sie ihren eigenen Namen, vertraut ihre Kinder dem Schutz des Oberpriesters (und ihres Vaters) Oroveso an und schreitet in den Verbrennungstod. Überwältigt von soviel Grossmut und Entsagung folgt ihr Pollione.
Werk:
Vincenzo Bellini wurde nur 34 Jahre alt. Von seinen zehn Bühnenwerken werden sechs mehr oder weniger regelmässig gespielt. Die bekanntesten neben der NORMA sind I PURITANI, LA SONNAMBULA, I CAPULETI E I MONTECCHI, BEATRICE DI TENDA und IL PIRATA. Bellini gilt als Schöpfer der „Melodie lungh, lunghe, lunghe“ wie Verdi sie nannte. Die Orchesterbesetzung ist z.B. gegenüber Rossini zurückgenommen, um den Gesangslinien und den Texten mehr Gewicht zu geben. NORMA, sein berühmtestes Werk, enthält Elemente der Schauerromatik und des griechischen Dramas. Die Hauptpartie gehört zu den schwierigsten des gesamten Belcanto Repertoires, erfordert sie doch sowohl dramatische Durchschlagskraft als auch die Kunstfertigkeit der geläufigen Verzierungen und ausgesprochen empfindsam zu singenden, langen Kantilenen. Die Partie gilt seit Giuditta Pasta (Sängerin der Uraufführung) und Maria Malibran als DIE Primadonnen-Oper schlechthin. Maria Callas setzte im 20. Jahrhundert diese Tradition fort, gefolgt von Joan Sutherland, Renata Scotto, Montserrat Caballé, Margaret Price (in Zürich!!!) und in neuerer Zeit Edita Gruberova. Aber auch die Partie der Gegenspielerin Adalgisa ist äusserst dankbar – und wenn die beiden Frauen mit hervorragenden Stimmen besetzt sind, ist Gänsehaut garantiert.
Die hochgelobte Produktion der Salzburger Pfingstfestspiele von 2013 startet in Zürich zu einer internationalen Tournee. Die Aufführung basiert auf einer quellenkritischen Neuausgabe von Maurizio Biondi und Riccardo Minasi. Bellini hatte die Titelpartie für die Mezzosopranistin Giuditta Pasta geschrieben und mit Cecilia Bartoli als Norma steht nun wiederum eine (koloraturgewandte) Mezzosopranistin im Zentrum des Werks.
Musikalische Höhepunkte:
Casta diva, Cavatine der Norma, Akt I
Oh, rimembranza, Norma-Adalgisa, Akt I
No, non tremare, o perfido, Terzett Norma-Adalgisa-Pollione, Akt I
Mira o Norma, Duett Norma-Adalgisa, Akt II
In mia man alfin tu sei, Duett Norma-Pollione, Akt II
Deh, non volerli vittime, Finale Akt II