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Zürich: LA STRANIERA, 23.06.2013

Erstellt von Kaspar Sannemann | | La Straniera

copyright: Monika Rittershaus, mit freundlicher Genehmigung Opernhaus Zürich

Melodramma in zwei Akten | Musik: Vincenzo Bellini | Libretto: Felice Romani | Uraufführung: 14. Februar 1829 in Mailand | Aufführungen in Zürich: 23. 6. | 28.6. | 2.7. | 6.7. | 10.7. | 14.7. | 28.9. | 2.10. | 6.10. | 13.10. | 17.10. | 22.10.2013

Kritik:

Das haben sie nun davon, dass sie nicht miteinander geredet haben: Physische und psychische Verletzungen durch eifersüchtige Fehlinterpretationen,  falsche Mordanklagen, Selbstmord des verzweifelten Liebhabers und die Überlebenden am Ende mit gebrochenen Herzen zurückbleibend. Dabei hätte es nur weniger Sätze bedurft, wie „Du Schatz, ich muss leider incognito bleiben, da ich eigentlich mit dem König liiert bin, aber aus politischen Gründen nicht mit ihm zusammen sein darf“ oder „Darf ich dir meinen Bruder vorstellen? Aber verrate seine Identität bitte nicht“. Doch wie das Leben so spielt, hat die Geheimniskrämerei gepaart mit der fiesen (und auch heutzutage immer wieder aufkeimenden) Lust an der Ausgrenzung des Fremdartigen durch das gemeine Volk fatale Folgen – und diese brachten Bellini (mit dem ihm eigenen, lyrisch grundierten Kompositionsstil) und Romani (mit einer romantisch-schaurigen, sprachlich wunderschön artifiziellen Dichtung) auf die Bühne. Der Komponist zeigte darin neben seiner Kunst der elegischen Melodieführung durchaus auch in die Zukunft weisende Ansätze seines Schaffens. Oft werden Melodiebögen nur angetippt, abrupt abgebrochen und später wieder, quasi als Erinnerungsmotiv aufgenommen. Fabio Luisi am Pult der Philharmonie Zürich versucht nie diese fragmentarische Kleingliedrigkeit zuzudecken, sondern lässt Bellinis beinahe spartanische Orchestrierung mit überaus grosser Exaktheit und Sorgfalt ausmusiziert erklingen. Daraus blitzen jedoch überragende Einzelleistungen vor allem der Holzbläser auf (welch bezaubernder Klang der virtuos gespielten Querflöte bei Isolettas grosser Szene Né alcun ritorna im zweiten Akt). Oftmals reicht ein Arpeggio der Harfe, eine kurze Einleitung der Hörner, ein subtil gesetztes accelerando um die gewünschte Stimmung herbeizuzaubern. Moderner Minimalismus auch hier. Vielleicht vermisst man ab und an den gerundeten, das Werk überspannenden fesselnden Bogen. Doch ist der wahrscheinlich vom Komponisten gar nicht gewollt. Man erlebt jedoch musikalisch vielfältige „Aspects of love and fate“. Regisseur Christoph Loy liess sich von der Bühnenbildnerin Annette Kurz einen imaginären Theatersaal in einer neoklassizistischen Privatresidenz auf die Bühne bauen, welcher von Franck Evin stimmungsvoll ausgeleuchtet wurde. Ursula Renzenbrink steckte die Personen in Kostüme aus der Zeit von 1850, der Entstehungszeit von Wagners sehrendem Liebesdrama TRISTAN UND ISOLDE. Einerseits wohl als Anspielung auf Wagners durchaus anerkennende Worte, welche er für Bellinis LA STRANIERA äusserte, andererseits passt die ganze Konstellation der Personen auch zu Wagners Persönlichkeit zwischen diversen Frauengestalten (Minna-Mathilde-Cosima) und deren Niederschlag in seinen Werken TRISTAN und TANNHÄUSER. Mit Theatralik beginnt auch die Handlung in Loys Interpretation der STRANIERA: Arturo will sich an den Kulissenseilzügen erhängen, stellt sich vor Isoletta tot, das makabre Getue traumatisiert seine Verlobte und das theatralische, absurde Spiel schlägt gegen Ende immer mehr in Ernst und Drama um, die Seilzüge und Kulissenbahnen verschwinden nach und nach, die echten Gefühle werden offen gelegt, das Theater öffnet sich zu Seelenräumen, Räumen voller unterdrückter Wünsche (der Auftritt der Alaide in Königinnenmontur anlässlich der Hochzeit Isolettas mit Arturo), vergeblichen Hoffnungen, tiefen Verletzungen. Trotz relativ statischer Personenführung und des Verzichts auf durchaus mögliche, effektvolle coup de théâtre Auftritte gelingt es Loy, einen packenden Psychothriller auf die Bühne des Opernhauses zu stellen, die krude Handlung intelligent für sein Spiel zu nutzen. Dass es ihm mit diesem Ansatz gelang, eine spannungsgeladene Atmosphäre zu schaffen, zeigte auch das konzentrierte und disziplinierte Verhalten des Premierenpublikums. Es gab kein Husten und Räuspern, keinen Applaus an unpassenden Stellen. Erst am Ende entlud sich die Begeisterung in einem frenetischen Schlussapplaus für alle Beteiligten.

Edita Gruberova hat mit der Partie der Alaide (la straniera), in der sie sich nun in Zürich erstmals szenisch vorstellt, eine weitere Belcantopartie in ihr Repertoire aufgenommen. Ihr erster Auftritt erfolgt offstage mit einem himmlisch zart intonierten a capella Beginn der Romanze Ah....sventurato il cor. „Wie schön sie singt“ kommentiert Arturo auf der Bühne – und tatsächlich, dieser Beginn ist der Künstlerin wunderbar gelungen.  Im Verlauf des Abends rast sie manchmal mit messerscharf schneidender Verzweiflung durch die Koloraturen, scheut fahle, erstickte Klänge nicht. Das ist nicht immer nur schön und nicht immer restlos sauber intoniert, auch ab und an leicht manieristisch geprägt, doch machen die Wahrhaftigkeit des Ausdrucks und die psychologische Durchdringung der Partie so manches intonatorisch weniger Gelungene wieder wett. Und plötzlich blitzt wieder ein zauberhaftes messa di voce auf, crescendiert ein piano wunderbar gleitend ins fortissimo, endet eine Phrase mit einem Gänsehaut erregenden Gefühlsausbruch. Sie versteht es die Stimme immer wieder neu zu schattieren, Klänge zwischen lodernder Glut und Eiseskälte hin und her fliessen zu lassen – auch stimmlich eine grosse, faszinierende Tragödin eben. In der Schlussarie singt sie È l’ estremo favilla d’ un foco (Es ist das letzte Aufglimmen eines Feuers) – und man mag doch irgendwie gar nicht daran denken wollen, dass diese Zeile irgendwann einmal auch auf die unglaubliche Karriere von Edita Gruberova zutreffen wird.

Natürlich ist die Oper Bellinis auf die Primadonna zugeschnitten, doch die seconda donna erringt mit ihren zwei Auftritten zu Recht  eine ebenso grosse Zustimmung des Publikums. Veronica Simeoni lässt ihren kostbaren Mezzosopran wunderschön funkeln, singt ihre grosse Arie im zweiten Akt mit fantastisch präziser Phrasierung und Tongebung und wird zur eigentlichen Sympathieträgerin der Oper. Für den exaltierten Charakter des Arturo hat Bellini erstaunlicherweise keine Arie komponiert. Dario Schmunck kann jedoch in grossen Duetten mit Alaide und Valdeburgo und im Terzett und Quartett mit seinen tenoralen Qualitäten glänzen. Franco Vassallo ist der besorgte Bruder Alaides, Leopold, der unter dem falschen Namen Valdeburgo auftritt.  Mit warmem, durchschlagkräftigem Bariton tröstet er seine Schwester mit der Arie Meco tu vieni, o misera im zweiten Akt, ein hervorragender Sänger, den man gerne noch öfter hier hören würde. Wie der Intendant Andreas Homoki auf der Premierenfeier richtig sagte, ist nicht nur die erstklassigee Besetzung der Hauptpartien für das Gelingen eines Opernabends von Bedeutung, sondern auch die Qualitäten der Comprimari tragen entscheidend dazu bei.  Mit den sonoren Bassqualitäten von Pavel Daniluk (Signore di Montolino) und Reinhard Mayr (Priore) und dem unverständlicherweise immer noch in kleinen Rollen eingesetzten, über herausragende Tenorqualitäten verfügenden Benjamin Bernheim (der Intrigant Osburgo) sind die Nebenrollen Klasse besetzt. Der Chor der Oper Zürich, insbesondere der stark geforderte Männerchor (Einstudierung Jürg Hämmerli) glänzt mit einer überragenden, präzisen und dynamisch sehr subtil abgestuften Leistung.

Fazit: Ein selten gespieltes Werk Bellinis, welches durch seine beinahe fragmentarisch konzipierte Modernität beeindruckt. Die Aufführung ist hochspannend, sehens –und hörenswert.

Exaltierte, traumatisierte Charaktere am Rande des Nervenzusammenbruchs führt uns Christoph Loy in einem imaginären Theaterraum vor, in welchem auch bald die Seilzüge und gemalten Kulissen keinen Halt mehr geben und die Situation tragisch kippt. Trotz relativ statisch ablaufender seelischer Innenschau resultiert ein spannender Psychothriller - und mit der durch Mark und Bein schneidenden Stimme von Edita Gruberova in der Titelpartie ist Gänsehaut garantiert. Das ist zwar nicht im eigentlichen Sinne "schöner Gesang" (belcanto), doch Wahrhaftigkeit des Ausdrucks und faszinierende Durchdringung der Psyche mittels stupender Stimmtechnik ist es alleweil, auch wenn zuweilen die Ränder des Manierismus touchiert werden. Neben der Protagonisten singen sich die Mezzosopranistin Veronica Simeoni als Isoletta und der Bariton Franco Vassallo als Valdeburgo in die Herzen der ZuhörerInnen. Exzellente Leistung des Chores und der exponierten Holzbläser der Philharmonia Zürich unter der die Modernität der Partitur betonenden Leitung von Fabio Luisi.

Inhalt:

Isoletta liebt Arturo, doch zweifelt sie kurz vor der Hochzeit an der Treue ihres Verlobten. Sie vertraut sich Valdeburgo an mit der Vermutung, Arturo habe sich in die Fremde (la straniera) verliebt, welche sich seit einiger Zeit unter dem Namen Alaide in einer Hütte am See aufhält. Arturo sucht die Straniera auf, gesteht ihr seine Liebe. Sie erklärt ihm. Dass diese Liebe keine Zukunft habe. Valdeburgo sucht die Straniera ebenfalls auf und erkennt in ihr seine Schwester Agnese, einst Geliebt des Königs, aber auf Grund päpstlich-royaler Konflikte vom Hofe verbannt. Arturo beobachtet das Treffen Valdeburgo-Alaide aus einem Versteck, zieht falsche Schlüsse und hält Valdeburgo für einen Rivalen. Im Verlauf des Duells wird Valdeburgo verwundet und stürzt in den See. Adelaide hört die Rufe und teilt Arturo mit, dass Valdeburgo ihr Bruder Leopold sei. Arturo stürzt sich aus Verzweiflung ebenfalls in den See. Da Alaide das Blut ihres Bruders an den Händen hat, wird sie des Mordes an den beiden Männern bezichtigt.

Vor Gericht erwartet sie die Todesstrafe. Da stürzt der durchnässte Arturo in den Saal. Nun wird auch er des Mordes bezichtigt und soll gemeinsam mit Alaide hingerichtet werden. Doch auch Valdeburgo konnte sich aus den Fluten retten und kärt alles auf. Arturo soll Isoletta heiraten und auf Alaide verzichten. Doch Isoletta spürt, dass Arturos Liebe nicht aufrichtig ist und will auf eine solche Heirat verzichten. Arturo bricht die Zeremonie ab. Der Prior verkündet, dass die Königin Isemberga verstorben sei und Alaide (Agnese) nun den Platz an der Seite des Königs einnehmen könne. Diesem königlichen Rivalen fühlt sich Arturo nicht gewachsen. Er ersticht sich vor Alaides Augen.

Werk:

Als historisches Vorbild der Handlung diente dem Librettisten Felice Romani die Liebeswirren um den König Philipp II. Auguste von Frankreich, dessen Begehren nach Aufhebung der Ehe mit der dänische Prinzessin Ingeborg der Papst nicht stattgab. Seine Geliebte Agnes von Andechs-Meranien musste sich auf ein Schloss zurückziehen, wo sie nach der Geburt ihres Sohnes starb.

Vincenzo Bellini (1801-1835) war der grandiose Melodiker unter den Komponisten des Belcanto, welcher mit seinen „melodie lunghe, lunghe, lunghe“ (Verdi) das Publikum entzückte. Die Verbindung von Schauerromantik und Melodrama war Bellinis Spezialität. LA STRANIERA war ein Auftragswerk der Scala, entstanden nach dem Erfolg von IL PIRATA und diesen noch übertreffend. Heutzutage wird die Oper nur sehr selten aufgeführt, Bellinis spätere Werke LA SONNAMBULA, NORMA und I PURITANI liessen LA STRANIERA etwas in Vergessenheit geraten. Erwähnenswert ist vor allem das Duett Quest' ultimo addio mit seiner Kabaletta und der engen Beziehung der Wortsilben mit den Noten. Die sparsame Orchestrierung, die simplen Begleitfiguren der Arien wurden Bellini oft als kompositorisches Unvermögen angelastet. Sie sind jedoch Ausdruck seiner Überzeugung, dass der Gesang in der Oper - also die Melodie - klar dominieren (und rühren!) müsse. In den vergangenen 50 Jahren habe sich Sopranistinnen wieder vermehrt der STRANIERA zugewandt, u.a. Renata Scotto, Montserrat Caballé, Lucia Aliberti, Patrizia Ciofi und Edita Gruberova, welche auch in dieser Produktion am Opernhaus Zürich szenisch als Alaide debütieren wird. Diverse Mitschnitte von LA STRANIERA (auch mit Frau Gruberova) sind im Internet (youtube) abrufbar.

Karten

Premierenapplaus, Videoclip

Videobeitrag auf art-tv.ch

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