Zürich: FIDELIO, 21.10.2008
Oper zwei Akten
Musik: Ludwig van Beethoven |
Libretto : Joseph Sonnleithner und Friedrich Treitschke |
Uraufführung: 20. November 1805 in Wien, 3. Fassung 23. Mai 1814 in Wien |
Aufführungen in Zürich: Di, 07.10.2008 | Do, 09.10.2008 | Sa, 11.10.2008 | Di, 21.10.2008 | Do, 23.10.2008 | Sa, 25.10.2008
Kritik: Besuchte Vorstellung, 21. Oktober 2008
Noch fast zu erregt von den unbeschreiblichen Emotionen steigern sich Florestan (Scott MacAllister) und seine unerschrockene Gemahlin Leonore (Melanie Diener) in ihr ekstatisches Duett O namenlose Freude. Ohne dem Zuhörer eine Atempause zu gönnen attackieren danach Dirigent Bernhard Haitink und das ihm aufmerksam folgende und traumhaft schön spielende Orchester der Oper Zürich die Leonoren Ouvertüre Nr. 3 und loten dabei nochmals das ganze Spektrum der Gefühle aus, welches die Protagonisten dieses Meisterwerks durchlaufen. Von der gehemmten Hoffnung zur rauschenden Befreiung, von der Verzweiflung zum seligen Glück, von schmerzhaften, fein ziselierten Reminiszenzen zu heroischen Jubelklängen, die auf Carl Maria von Weber voraus weisen. Nur schon allein die Interpretation dieser Musik lohnt den Besuch der Neuproduktion im Opernhaus.
In der von mir besuchten Vorstellung sang (anstelle des kurzfristig erkrankten Roberto Saccà) Scott MacAllister den Florestan. Seine grosse Szene zu Beginn des zweiten Aufzugs ging durch Mark und Bein. Bereits die Orchestereinleitung mit ihren schmerzerfüllten Akkorden bereitete Gänsehaut. Mit heldentenoraler Kraft stürzte sich der Sänger in das Rezitativ. Gott! Welch Dunkel hier war ein herzzerreissender, letzter Klagegesang eines sich dem Tode nahe Wähnenden. Grandios dann auch die nachfolgende Arie mit dem visionären Schluss. Man darf sich auf seinen Siegfried an diesem Haus freuen!!
Nach der Premiere wurde Melanie Diener als Leonore nicht gerade mit Komplimenten überhäuft. In der von mir besuchten Vorstellung sang sie vortrefflich, abgesehen von kleinen Intonationstrübungen am Schluss ihrer grossen Arie. Ansonsten aber begeisterte sie mit einer warmen Stimme, einfühlsamem Spiel, einer geradezu beispielhaften Diktion, auch in den gesprochenen Passagen. Sie ist zu Recht keine heroische Leonore, sondern eine liebende Frau, die all ihren Mut zusammen nehmen muss, um in ihrer Verkleidung zu bestehen, eine Frau, voller Selbstzweifel, die am Ende Zeit braucht, um ihr Glück zu fassen.
Ganz unglücklich ist selbstverständlich Marzelline über den unerwarteten Ausgang. Sandra Trattnigg fasziniert mit ihrer glockenreinen, jubelnden Stimme. Auch sie spielt hervorragend in dieser soliden Regiearbeit von Katharina Thalbach. Nein, es ist kein provozierender FIDELIO, und doch schält Frau Thalbach im stimmigen Bühnenbild von Ezio Toffolutti den humanistischen, erhebenden Kern des Werks sehr plastisch heraus. Da gibt es viele sensibel herausgearbeitete Details zu entdecken: Der Gefangene, der seine Befreiung nicht überlebt hat, von seiner um ihn trauernden Frau gehalten wird, der verzweifelt und vergeblich liebende Jaquino (wunderschön gestaltet von Chrisoph Strehl, der auch nach seinem hervorragenden Schubert-Abend am Vortag bestens bei Stimme war), welcher von den Schergen des Pizarro geschlagen wird, Rocco (Alfred Muff mit einer herausragenden Leistung), welcher in der Kerkerszene plötzlich dermassen von Emotionen überwältigt wird, dass er sich weinend auf die Treppe setzen muss und schliesslich die strahlend weisse Erscheinung des Pizarro (Lucio Gallo gibt ihn vor Kraft und Verachtung seinen Mitmenschen gegenüber nur so strotzend) im dunklen Verliess, bis er dann ins ausgehobene Grab stolpert. Nur das Basketballspiel der Gefangenen mit Pizarros Kopf war dann ein bisschen zu dick aufgetragen.
Doch diese Betriebsamkeit machte sich eine Ratte zunutze und floh ebenfalls aus dem Kerker.
Die Choreographie der Chorszene im Schlussbild war überzeugend. Männer und Frauen (hervorragend und stimmgewaltig der Chor der Oper Zürich) standen sich frontal gegenüber und schrien sich beinahe vorwurfsvoll zu: Wer ein solches Weib errungen... . Die Damen trugen dabei Kostüme aus verschiedenen Epochen, von Biedermeier bis zu britischen Suffragetten und versinnbildlichten dadurch das im Werk durchaus vorhandene Emanzipatorische.
Fazit:
Ein Maestro der Spitzenklasse beschert uns einen musikalisch begeisternden Abend, das Werk vermag auch (oder gerade!) in einer eher konventionellen Inszenierung zu berühren.
Musikalische Höhepunkte:
Ouvertüre
Mir ist so wunderbar, Quartett Aufzug I
Ha, welch ein Augenblick, Rachearie des Pizarro
Abscheulicher, wo eilst du hin – Komm Hoffnung …, grosse Szene der Leonore, Aufzug I
O, welche Lust, Gefangenenchor, Aufzug I
Gott, welch Dunkel hier – In des Lebens Frühlingstagen, Arie des Florestan, Aufzug II
O namenlose Freude, Duett Leonore – Florestan, Aufzug II
Leonoren Ouvertüre Nr.3 (wird hier zwischen Kerkerszene und Schlussbild gespielt)
Heil sei dem Tag – Wer ein solches Weib errungen, Finale Aufzug II
Werk und Inhalt:
Wie schwer sich Beethoven mit seiner einzigen Oper tat, zeigen die zahlreichen Umarbeitungen, die er dem Stück angedeihen liess. Was schliesslich entstand, ist eine Utopie über Freiheit und Liebe, ein humanistisches Meisterwerk, ganz im Geiste der damals üblichen Rettungs- und Befreiungsopern und doch in ihrer Qualität weit über diese hinauswachsend und in Richtung Romantik weisend. Daran vermag auch (wie in Webers FREISCHÜTZ) der manchmal etwas holprig und gestelzt daher kommende gesprochene Text nicht zu rütteln. Zweifellos gehört Beethovens FIDELIO zum Kernrepertoire jedes Opernhauses.
Leonore hat sich als Mann (Fidelio) verkleidet in einem Gefängnis anstellen lassen, in welchem sie ihren Gatten als politischen Gefangenen des Gouverneurs Pizarro vermutet. Marzelline, die Tochter des Kerkermeisters, verliebt sich in Fidelio.
Pizarro will sich seines Gefangenen durch Mord entledigen. Leonore (Fidelio) gibt sich zu erkennen und bedroht Pizarro (Töte erst sein Weib!). Die Ankunft des Ministers verhindert eine Eskalation. Der Minister erkennt in dem Gefangenen seinen Freund Florestan. Die Kerker werden geöffnet, die politischen Gefangenen sind dank Leonores Mut und Tapferkeit befreit.