Zürich: FIDELIO, 08.12.2013 & 08.01.2014
Oper zwei Akten Musik: Ludwig van Beethoven | Libretto : Joseph Sonnleithner und Friedrich Treitschke | Uraufführung: 20. November 1805 in Wien, 3. Fassung 23. Mai 1814 in Wien | Aufführungen in Zürich: 8.12. | 12.12. | 15.12. | 18.12. | 20.12. | 29.12.13 | 1.1. | 5.1. | 8.1. | 11.1.14
Kritik:
Vier Menschen stürzen in einen leeren, hermetisch abgeriegelten Bühnenkasten aus grauen Betonwänden. Einer (Pizarro) will einen langjährigen Gegner (Florestan) endgültig aus dem Weg schaffen. Eine Frau (Leonore) stellt sich nach kurzem Kampf mit einem obrigkeitsgläubigen Wächter (Rocco) schützend vor Florestan und bedroht den Angreifer mit einer Pistole. Beim Gerangel um die Waffe löst sich ein Schuss, Leonore sinkt getroffen zu Boden. So beginnt in Andreas Homokis Neuinszenierung die Oper FIDELIO, direkt in medias res, ohne Umwege über Ouvertüre, singspielhaften Beginn, betuliche Dialoge, Verkleidungskomödie. Nach diesem atemberaubenden Auftakt erlebt Leonore in einer Art Todes-Backflash die Ereignisse nochmals, eine Erklärung für das Vorgefallene wird gegeben. Doch im Verlauf zeigt sich, dass die hehren Absichten des Heldenmuts eben doch Utopie bleiben werden. Und damit ist Homoki wieder ganz nahe bei Beethovens Intention. Doch der Reihe nach: Während Teile der ursprünglichen Ouvertüre (Leonoren 2) erklingen, senkt sich die Rückwand, Leonore erlebt ihre Heirat mit Florestan, erfährt starke Frauensolidarität, Florestan wird abgeführt, die Wand stellt sich wieder hoch, Leonore taumelt, kämpft gegen undurchdringliche Mauern. Starke Bilder! Wie in einem Film werden Titel, Namen der Protagonisten und Regieanweisungen an die leere Wand projiziert. Marzelline verliebt sich in diese starke Frau, bringt Leonore Männerkleider, damit ihr ihre Geliebte nahe sein kann. Leonore geht auf dieses Spiel ein, aber nicht etwa weil sie bisexuell wäre, sondern sehr berechnend, nämlich um an ihren eingekerkerten Mann heranzukommen. Eine überaus interessante Konstellation, da Marzellines Verhalten so plausibel erklärt wird und sie nicht das Dummchen ist, als das sie oft hingestellt wird, sondern ebenfalls eine vom Leben Betrogene. Das Wegfallen der gestelzten, betulichen Dialoge kann man nur begrüssen. FIDELIO erhält in dieser konsequent auf die Personenkonstellation reduzierten Regie eine packende Stringenz. Sogar auf die eingeblendeten Regieanweisungen des Librettos hätte man getrost verzichten können. Oftmals steht dann der Chor wie gebannt vor diesen Schriftzeichen und kann damit nichts anfangen oder sie werden konterkariert, was auch ein wenig fragwürdig erscheint. Genial hingegen der Einfall, Fetzen des Librettos in schneller Abfolge einzublenden, sie überblenden zu lassen, bis auf der Rückwand ein einziges Gewusel entsteht. Damit wird der hohle Charakter von pathetischen Worthülsen unterstrichen. Immer wieder staunt man über eine wunderbar stimmige Führung der Massen, Wächter werden zu Gefangenen, Unterdrücker zu Unterdrückten; es kann jeden mal treffen. Elektronisch verfälschte Stimmen aus dem Off werden an einer Stelle repetitiv und sich überlagernd eingesetzt. Die Goldarie Roccos wird nicht an Leonore und Marzelline gerichtet, sondern Rocco trägt sie dem Damenchor vor und erntet zunehmend Spott und Verachtung für seine korrupte Haltung, die Frauen sind hier die Starken. Die Drohkulisse während des berühmten Gefangenenchors wird nicht durch irgendwelche KZ Schergen aufgebaut, sondern einzig durch Lichteffekte. Grausam gut! (Licht: Franck Evin). Im zweiten Akt schliesslich (es wird ohne Pause gespielt) kommt man wieder zur Schlüsselszene: Pizarros Er sterbe folgt das Quartett, doch ab nun ändert sich das Licht, es wird irrealer, denn was nun kommt hat sich ja so (in der Lesart Homokis) nicht abgespielt, sondern bleibt Utopie: Der Auftritt des Ministers (Ruben Drole), die namenlose Freude, die Schlussapotheose (Wer ein solches Weib errungen). Dies alles hätte sich Leonore gewünscht, doch sie liegt wieder tot auf dem kalten Betonboden – Ende der Oper, zerschmettert die Utopie. Für diese in ihrer Radikalität äusserst mutige Auseinandersetzung mit einer deutschen Nationaloper erhielt das Inszenierungsteam (Bühne: Henrik Ahr, die grauen Businessanzüge der Männer und die weich fliessenden Kleider der Damen stammen von Barbara Drosihn) viele zustimmende Bravi und nur ganz vereinzelte Missfallensbekundungen.
Musikalisch wurde man an diesem Premierenabend (noch) nicht ganz glücklich. Fabio Luisi und die Philharmonia Zürich schienen nicht immer die gleiche Sprache zu sprechen, vieles wirkte etwas disparat, leichte Unsauberkeiten schlichen sich vor allem im ersten Teil ein. Sehr solide sangen Christof Fischesser (Rocco) mit prägnantem, kernigem Bass, Julie Fuchs (Marzelline) mit angenehm und leuchtend timbriertem Sopran, Mauro Peter, der als Joaquino seine Marzelline natürlich nicht umpolen konnte und Martin Gantner , der einen stimmlich schon fast zu biedern Pizarro gab. Dem hätte man durchaus noch etwas Schwärze beimischen können, wenngleich auch in der Biederkeit der Männer oft die unberechenbarste Gefahr schlummern kann. Bleiben die grossen Rollen: Leonore und Florestan. Für den Tenor Brandon Jovanovich handelte es sich um ein Rollendebüt. Sein ungemein durschlagkräftiges Organ hätte eigentlich die Mauern (Jerichos ...) dieses Betonkerkers einreissen müssen. So ein Mark und Bein durchdringendes GOTT, WELCH DUNKEL HIER hat man noch kaum je gehört! Durch das dauernde Singen im Fortissimo-Bereich traten im Verlauf auch einige intonatorische Trübungen auf. Man darf jedoch auf die weitere Entwicklung dieses jungen Sängers gespannt sein. Hoffentlich übernimmt er sich nicht zu früh mit den Ausflügen ins heldentenorale Fach. In jugendlich-dramatischen und hochdramatischen Partien hat Anja Kampe schon oft überzeugt, z.B. als Senta hier in Zürich in der letzten Spielzeit. Nun erfordert die Fidelio-Leonore sowohl lyrisch abgerundete Geschmeidigkeit und tiefe Empfindsamkeit als auch heldische Ausbrüche, liegt zudem nicht für jede Sängerin in einer bequemen Lage. Frau Kampe klang am Premierenabend oft etwas angestrengt in der Höhe; die Stimme konnte irgendwie nicht frei schwingen, es fehlte an Wärme. Wirklich schöne Momente hatte sie im feinfühlig intonierten Quartett des ersten Aktes, in dem ihre Stimme herrlich mit der von Julie Fuchs verschmolz oder im langsamen Teil der Abscheulicher, wo eilst du hin – Szene (Komm, Hoffnung, lass den letzten Stern). Bewundernswert waren ihre Identifikation mit Rolle und Konzept und der Impetus ihrer Darstellung. Mit einer klangstarken Leistung voller Eindringlichkeit warteten der Chor der Oper Zürich, der Zusatzchor und die SoprAlti auf (Einstudierung Ernst Raffelsberger).
Nachtrag: Vorstellung vom 8. Januar 2014
Diesen FIDELIO kann man sich problemlos mehrmals ansehen und anhören. Die äusserst kompakte, schnörkellose Regiearbeit von Andreas Homoki besticht durch ihre präzise, schlüssige Personenführung und die trotz aller Reduzierung ausgesprochen starke und unter die Haut gehende Emotionalität. Einzig die Brüche, welche durch die Einblendung der originalen Szenenanweisungen entstehen (und die daraus resultierenden Lacher im Publikum), sind für mich nach wie vor nicht ganz nachvollziehbar und stören die Konzentration auf das Drama und die Musik. Aber einem dermassen starken Werk können auch diese wenigen Bruchstellen nichts anhaben. Der einsame Buhrufer, welcher am Ende seiner Entrüstung über das Regiekonzept Nachdruck verschaffte, wurde von der lautstark Zustimmung bekundenden Mehrheit des Publikums quasi in die Wüste geschickt. Aber natürlich ist es das demokratische Recht des Einzelnen, auch sein Missfallen kund tun zu dürfen.
Viel besser bestellt war es an diesem Abend um die stimmlichen Qualitäten von Anja Kampe in der Titelrolle. Diesmal glänzten die Höhen, die Stimme wirkte fokussierter, die Intonation war tadellos. Ausdruckstark durchgestaltet das Accompagnato Abscheulicher, wo eilst du hin, mit viel Wärme in der Stimme gesungen die Arie Komm, Hoffnung lass den letzten Stern. Ganz grandios gelang das atemlose Duett der namenlosen Freude, in welchem auch Brandon Jovanovich mit seinem edlen Tenor auftrumpfen konnte, nachdem seine grosse Stimme in der Soloszene zu Beginn des zweiten Aktes doch hörbar an Grenzen stiess und mehrmals ganz hart am Rande des Brechens dahinschrammte.
Julie Fuchs als Marzelline wiederholte, ja übertraf ihre fantastische Leistung des Premierenabends noch. Herrlich anzuhören, wie ihre helle und klare Stimme leicht schwebend das Quartett des ersten Aktes anführte und sich immer wieder wunderschön in den traumhaften Gesamtklang einbettete. An diesem exquisiten Klang hatten natürlich auch Mauro Peter (Jaquino) und Christof Fischesser (Rocco) ihren bedeutenden Anteil. Gerade Fischesser beeindruckte mit seiner sorgfältigen, nie polternden stimmlichen Gestaltung und seinem subtilen szenischen Agieren, zum Beispiel wenn er verschämt die letzten Geldscheine nach seiner Goldarie zusammenkratzt. Als gefährlich-biederer Pizarro wiederholte Martin Gantner seine saubere Leistung des Premierenabends und Ruben Drole gab wiederum den Minister, eine Rolle, welche seinem spielfreudigen Temperament wohl nicht gerade entgegenkommt.
Am Pult der Philharmonia Zürich stand diesmal Thomas Rösner. Er und das bestens disponierte Orchester konnten sich zu Recht vom Publikum feiern lassen. Zwischen Bühne und Graben gab es nun keinerlei Koordinationsprobleme mehr. Besonders haften blieb die satt und in sich ruhend intonierte Einleitung zum Quartett Mir ist so wunderbar, die sehr präzise herausgearbeiteten Motive der Ouvertüre, in welcher das tänzerische und das hochdramatische Element grossartig zur Wirkung gelangten und die Wucht der Chorszenen. Insgesamt eine Aufführung, die von einer packenden Intensität geprägt war und gleich wieder von vorne hätte beginnen können!
Fazit: Ein schlüssiges Konzept unterstreicht durch die Reduktion auf das Wesentliche (Reduced tot he max) die Allgemeingültigkeit und den fiktiven, utopischen Charakter von Beethovens humanistischer Oper; musikalisch werden sich die Protagonisten sicher noch finden. Das eigentlich sängerfreundliche Bühnenbild scheint geradezu als Stimmverstärker zu wirken, deshalb werden dynamische Anpassungen bestimmt im Verlauf der kommenden Vorstellungen möglich sein.
Werk und Inhalt:
Wie schwer sich Beethoven mit seiner einzigen Oper tat, zeigen die zahlreichen Umarbeitungen, die er dem Stück angedeihen liess. Was schliesslich entstand, ist eine Utopie über Freiheit und Liebe, ein humanistisches Meisterwerk, ganz im Geiste der damals üblichen Rettungs- und Befreiungsopern und doch in ihrer Qualität weit über diese hinauswachsend und in Richtung Romantik weisend. Daran vermag auch (wie in Webers FREISCHÜTZ) der manchmal etwas holprig und gestelzt daher kommende gesprochene Text nicht zu rütteln. Zweifellos gehört Beethovens FIDELIO zum Kernrepertoire jedes Opernhauses.
Leonore hat sich als Mann (Fidelio) verkleidet in einem Gefängnis anstellen lassen, in welchem sie ihren Gatten als politischen Gefangenen des Gouverneurs Pizarro vermutet. Marzelline, die Tochter des Kerkermeisters, verliebt sich in Fidelio.Pizarro will sich seines Gefangenen durch Mord entledigen. Leonore (Fidelio) gibt sich zu erkennen und bedroht Pizarro (Töte erst sein Weib!). Die Ankunft des Ministers verhindert eine Eskalation. Der Minister erkennt in dem Gefangenen seinen Freund Florestan. Die Kerker werden geöffnet, die politischen Gefangenen sind dank Leonores Mut und Tapferkeit befreit.