Zürich: FAUST, 03.11.& 14.11.2013
Oper in fünf Akten | Musik: Charles Gounod | Libretto: Jules Barbier und Michel Carré | Uraufführung: 19. März 1859 in Paris (noch mit gesprochenen Dialogen), 3. März 1869 im Palais Garnier in der neuen Fassung | Aufführungen in Zürich: 3.11. | 6.11. | 9.11. | 14.11. | 17.11. | 29.11. | 1.12. | 6.12. | 11.12.2013
Kritik:
Nachtrag: Vorstellung vom 14.11.2013
Der positive Eindruck der Premiere hat sich weitest gehend bestätigt, ja sogar noch verstärkt, da insbesondere Pavel Breslik in der Titelrolle bedeutend gelöster sang. Die Kavatine Salut demeure chaste et pure im dritten Akt geriet ihm hervorragend, mit all dem Schmelz und der Biegsamkeit interpretiert, welche seine einschmeichelnd timbrierte Stimme auszeichnet. Mühe- und bruchlos erreichte er das hohe C und hielt es sauber auf der Fermate aus. Herrlich!!! Sein Spiel des (in dieser Inszenierung) etwas verklemmten und steifen Familienvaters mitten in der Midlife-Crisis ist absolut sehenswert, die musikalische Durchdringung der Partie gefällt! Überragend wiederum Kyle Ketelsen als diabolischer Magier Mephistopheles, das sarkastische Ständchen ein wunderbarer Höhepunkt des Abends. Amanda Majeski sang die Marguerite mit weniger vibratoreichen Stimme als am Premierenabend, dadurch vermochte sie sowohl in der Roi de Thulé - Arie als auch in der Schlussszene auf dem Schafott noch mehr zu überzeugen und klang insgesamt silberner und jungmädchenhafter. Anna Stéphany (Siébel), Irène Friedli (Marthe) und Erik Anstine (Wagner), sowie der Chor der Oper Zürich vermochten erneut zu begeistern. Der Effekt von Valentins (Elliot Madore) betrunken vorgetragenem Schnulzengebet (Avant de quitter ces lieux) verpufft beim zweiten Anhören etwas. Vielleicht ist mir eine sentimentalere Interpretation doch lieber ;-)
Die Leistung der Philharmonia Zürich unter Patrick Lange war tadellos, sehr schön gespielte Passagen der Holz- und Blechbläser liessen aufhorchen.
Premierenkritik:
Ein wunderbarerer Opernabend, mit stimmiger Ästhetik und subtilem Tiefgang in Szene gesetzt, ohne aufgesetzt wirkende Opulenz und mit bemerkenswerter Musikalität stilsicher dargeboten.
Wer ist er, dieser Doktor Faust, dessen Pakt mit dem Teufel seit Jahrhunderten die Menschen in ihren Bann zieht? Ein grübelnder Wissenschaftler oder ein geiler alter Mann, der noch einmal jung und potent sein möchte? Für Jan Philipp Gloger, den Regisseur der Neuinszenierung von Gounods Oper FAUST am Opernhaus Zürich, ist er ein finanziell erfolgreicher Mann des Grossbürgertums in den besten Jahren, mit Ehefrau und drei reizenden, brav zur Schule gehenden Kindern. Doch Herr Faust steckt mitten in der Midlife-Crisis. Seine Ehe scheint in eine Sackgasse geraten zu sein, das Paar hat sich am gediegen gedeckten Esstisch nichts mehr zu sagen; von sexueller Anziehung ist da keine Spur mehr zu spüren. Dieser Faust sehnt sich nach Frivolitäten, wagt diese dann aber doch nicht recht auszuleben. Ein zurückhaltender Mann, dessen einziger Fehler es ist, in einer träumerischen Szene den Satan anzurufen, welcher dann auch prompt als aufgeklärter Renaissancefürst erscheint und ihm die ersehnten Versprechungen macht, ihn in ein brutales Drama hineinzieht. Gloger und sein Team (Bühne: Ben Baur, Kostüme: Karin Jud, Licht: Franck Evin, Choreografie: Ramses Sigl) siedeln die Handlung in der bigotten Gesellschaft des Second Empire an, also in der Entstehungszeit der Oper. Das macht Sinn und ist wunderbar stimmig umgesetzt. Dabei ist das Konzept näher an Gounods erster Fassung als an der Fassung für die Grand Opéra, denn nicht mit opulenter Ausstattung, Balletteinlagen und gefährlich nahem Religionskitsch punktet die Inszenierung, sondern mit einem subtil, geradlinig und geschmackvoll in Szene gesetzten bürgerlichen Drama. Ben Baur hat einen imaginären Theaterraum entworfen, welcher auf ein Fingerschnippen des Variété-Magiers Mephistopheles hin flugs die verschiedenen Stationen der Handlung aus dem Bühnenboden hervorzaubert. Die schnell wechselnden Schauplätze und die sonst schwierig hinzukriegenden Auf- und Abtritte der Chormassen werden so elegant und effizient gelöst. Wie in einem Traum sind die geschmackvollen und aufwändigen Cul de Paris-Kostüme von Karin Jud in herrlich schattierten Grau- und Schwarztönen gehalten. Unter der streng kostümierten Oberfläche brodeln die Leidenschaften und das Begehren: Der Faustwalzer wird zum Cancan, die kurz gehaltene Walpurgisnachtszene zur kleinen Orgie, in welcher die gesitteten Bürger einerseits ihre dämonischen Triebe ausleben und andererseits die Ausgrenzung und Verurteilung Marguerites vorantreiben dürfen. Frei nach Sartre: L’enfer c’est les autres. Und an diesen verlogen Moralisierenden zerbricht dann auch das kurze Liebesglück von Marguerite (und Faust). Er fährt am Ende nicht zur Hölle sondern findet (vielleicht?) zurück in den Schoss seiner Familie. Der Regisseur lässt den Schluss bewusst offen, und das ist auch gut so, denn ein allzu offensichtliches Happyend wäre weder der Vorlage noch der musikalischen Umsetzung angemessen.
Diesen unpathetischen Regieansatz haben auch der Dirigent der Aufführung, Patrick Lange, und die Philharmonia Zürich verinnerlicht. Mit schnörkellosem Vorwärtsdrang und entschlacktem Klang wird die Partitur interpretiert und verliert doch nichts von ihrer prächtig instrumentierten Farbigkeit. Auf Tränendrüsen-Seligkeit (Valentins Arie) und Apotheosenkitsch wird wohltuend mutig verzichtet. Die Besetzung mit vorwiegend jungen, viel versprechenden Sängerpersönlichkeiten verleiht der Aufführung eine erfrischende Geradlinigkeit und Intensität. Pavol Breslik in der Titelrolle legt den Faust wohlweislich sehr lyrisch an und strapaziert seinen biegsamen, weich geführten Tenor nicht mit unangebrachten heldentenoralen Allüren. Da kommt das hohe C in der Arie Salut demeure chaste et pure halt nicht strahlend zum Ausbruch sondern wird vorsichtig verhalten und leicht falsettiert angesetzt. Nicht weiter schlimm. Zurückhaltend spielt er den sich nach frivolen Abenteuern sehnenden Familienvater, der zwar fasziniert ist von verschiedenen sexuellen Spielarten, sich aber doch nicht so recht traut und schliesslich nur noch das Mittel der Vergewaltigung kennt. Seine exquisite Phrasierung und die lyrische Eleganz der Tongebung machen alles wett, was man vielleicht ab und zu an Durchschlagskraft in den Ensembles vermissen könnte. Kyle Ketelsen ist ein wunderbar einnehmender, verführerischer Mephistopheles. Er lässt seinen schwarzen Bassbariton mit diabolischem Sarkasmus aufblitzen, ist ein überaus wendiger Darsteller mit viel schalkhaftem Charme, macht sowohl im Variété als Magier als auch in der Kirche als falscher Gekreuzigter hervorragende Figur - und wird (man darf es kaum zugeben!) zum Sympathieträger ... . Amanda Majeski berührt als Marguerite mit zauberhaftem Vibrato, leichtfüssig perlenden Koloraturgirlanden in der Cabaletta (fälschlicherweise als Juwelenarie bezeichnet) und durchschreitet mit ihrem wunderschön timbrierten Sopran ein unglaublich breites dynamisches Ausdrucksspektrum. Das Abschiedslied des Valentin wird vom Dirigenten ungewohnt schnell angegangen und Elliot Madore folgt gekonnt dieser Tempovorgabe. Damit wird die Arie zwar nicht zum hitverdächtigen Rührstück-Showstopper, doch passt sie so genau zur betrunkenen Figur des moralinsauren Bruders. Bewegend gestaltet Madore dann allerdings Valentins Sterbeszene im vierten Akt. Anna Stéphany beweist einmal mehr, welch grossartiges Potential in ihrer warmen Mezzosopran-Stimme steckt und welche Bereicherung sie in diesem Fach für das Zürcher Ensemble darstellt: Ihr burschikoser Siébel ist schlicht umwerfend gesungen und ebenso fantastisch gespielt. Irène Friedli liefert eine grandiose Charakterstudie der Marthe, zeigt offenherzig das zu lange unterdrückte Begehren der reifen Nachbarin, welches unter dem bieder hochgeschlossenen Kleid steckt und welches der smarte Offizier Mephistopheles hervorzukitzeln vermag. Wunderbar ausgeglichen klingend und einfühlsam gestaltet wird das Quartett (Marguerite-Marthe-Faust-Mephistopheles) im dritten Akt zu einem musikalischen Höhepunkt. Erik Anstine als Wagner ist ein weiterer junger Bassbariton im Zürcher Ensemble, welcher mit wunderschön geführter Stimme einzunehmen vermag. Ein grosses Lob gebührt dem von Ernst Raffelsberger einstudierten, klangprächtig intonierendem Chor der Oper Zürich, welcher die amorphe, bigotte Masse der Moralapostel (treffend ausgeleuchtet von Franck Evin) mit packender Intensität darstellt.
Die geneigten LeserInnen meiner Rezensionen wissen, dass ich nicht unbedingt ein Freund von „Theater auf dem Theater“- Inszenierungen bin. Doch wenn sie dermassen schlüssig und nachvollziehbar in Szene gesetzt werden wie nun von Jan Philipp Gloger mit Gounods FAUST, dann werde sogar ich zum Anwalt dieses Regiekniffs ! ;-)
Inhalt:
Der Wissenschaftler Doktor Faust grübelt in seinem Studierzimmer über den Sinn und die Erkenntnis des Lebens nach und kommt zu keinem Ziel. Er bittet die höllischen Mächte um Beistand. Mephistopheles erscheint und bietet ihm Jugend, Liebe und Reichtum um den Preis seiner Seele. Mit einer Phantasmagorie der schönen Marguerite beeinflusst er die Entscheidung des Doktors. Durch einen Zaubertrank verjüngt macht sich Faust mit dem Teufel auf den Weg.
Osterfeiertag: Valentin ist in trüber Stimmung, er muss in den Krieg ziehen und nimmt Abschied von seiner Schwester Marguerite. Seine Freunde Siebel und Wagner sollen Marguerite während seiner Abwesenheit beschützen. Mephistopheles zieht mit seinem zynischen Lied vom „goldenen Kalb“ und billigen Zaubertricks die Aufmerksamkeit des Volkes auf sich. Faust kann sich Marguerite nähern, vorerst noch ohne an sein Ziel zu gelangen.
Vor Marguerites Haus wartet Siebel auf seine verehrte Marguerite. Faust und Mephistopheles verdrängen ihn. Marguerite kommt nach Hause. Sie singt das Lied vom König von Thule. Da findet sie eine Schatulle mit Juwelen. (Mephistopheles hat sie hingestellt). Ihre Nachbarin Marthe ermöglicht es Faust, mit Marguerite allein zu sein, während sie selbst von Mephistopheles hofiert wird. Der Teufel ist seinem Triumph nahe.
Marguerite ist schwanger, fühlt sich von Faust verlassen und sucht in der Kirche Beistand. Mephistopheles erscheint und nimmt ihr jegliche Hoffnung auf Vergebung ihrer Schande. Valentin ist aus dem Krieg zurück und will die Entehrung seiner Schwester rächen. Faust ersticht Valentin, welcher sterbend seine Schwester verflucht.
Mephistopheles lädt Faust zum Hexensabbat auf dem Blocksberg. Doch das orgiastische Treiben kann Fausts Gewissensbisse nicht vertreiben. In einer Vision sieht er Marguerite vor dem Henker.
Marguerite ist wahnsinnig geworden und hat ihr Kind umgebracht. Sie wartet auf ihre Hinrichtung. Faust will mit ihr fliehen, ihr Wahnsinn weicht und sie erinnert sich des glücklichen Zusammenseins mit Faust. Mephistopheles erscheint, Marguerite stösst Faust von sich und bricht tot zusammen. Mephistopheles ruft : Jugée. Der Chor der Engel erwidert: Sauvée. Faust aber hat seine Seele verloren.
Werk:
Der Mythos des schwäbischen Schwarzkünstlers Johannes Faust ist seit dem 16. Jahrhundert ein Symbol für die Suche des Menschen nach Erkenntnis. Christopher Marlowe und Johann Wolfgang von Goethe zählen zu den bedeutendsten literarischen Bearbeitern. Doch auch verschiedene grosse Komponisten waren fasziniert von diesem Stoff: Hector Berlioz (LA DAMNATION DE FAUST), Robert Schumann (SZENEN AUS GOETHES FAUST), Louis Spohr mit seiner gleichnamigen Oper, Arrigo Boito (MEFISTOFELE), Ferruccio Busoni (DOKTOR FAUST) und eben Charles Gounod (1818-1893) mit der wohl bekanntesten Adaption für die Bühne des Musiktheaters. Allerdings entnahmen die Librettisten Barbier und Carré der Vorlage vor allem die Gretchen-Szenen. Gounod gelang mit diesem Werk der Beginn einer eigenständigen Entwicklung der französischen Oper, weg von der Nachahmung des Belcanto der italienischen Meister und hin zur Opéra lyrique. Der Uraufführung 1859 war zwar nur ein mässiger Erfolg bei Publikum und Fachpresse beschieden, einzig die Komponistenkollegen Berlioz und Saint-Saens erkannten die Bedeutung und den Gehalt des Werks. Wagner hingegen bezeichnete Gounods FAUST als „gewöhnlich und abgeschmackt zum Erbrechen“. Zehn Jahre später allerdings wurde eine Inszenierung des FAUST an der Grand Opéra zu einem Riesenerfolg. Für diese Aufführung wurden von Gounod auch die gesprochenen Dialoge ersetzt, der Soldatenchor eingefügt und das zweite Thema des Vorspiels zum bekannten Gebet Valentins ausgebaut. Gounods Oper besticht durch die wunderschöne, feinfühlige Instrumentation, die Schlichtheit, den Empfindungsreichtum und die Eingängigkeit der Melodieführung, die gelungene Verflechtung von Sakral- und Volksmusik.