Zürich: DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG, 22.01.,11.2.& 14.02.2012
Oper in drei Akten | Musik: Richard Wagner | Libretto: vom Komponisten | Uraufführung: 21. Juni 1868 in München | Aufführungen in Zürich: 22.1. | 28.1. | 3.2. | 5.2. | 11.2. | 14.2. | 18.2.2012
Kritik:
Einen dermassen stürmischen Applaus des Premierenpublikums wie nach dieser MEISTERSINGER Premiere gab's im Opernhaus Zürich schon lange nicht mehr - und die Ausführenden hatten ihn sich (mit einer kleinen Ausnahme) auch mehr als verdient. Diesen gewaltigen Brocken auf die Bühne zu hieven erfordert ein starkes, eingespieltes Ensemble, einen herausragenden Chor und ein brillantes Orchester. Unter der fulminanten Leitung von Maestro Daniele Gatti und in der die Charaktere einfühlsam und meisterhaft herausgearbeiteten Personenregie von Harry Kupfer gelang dem Opernhaus Zürich eine Wiedergabe von Wagners unvergleichlicher Oper von streckenweise geradezu exemplarischer Qualität. Daniele Gatti dirigierte (wie im Programmheft versprochen) das Werk mit zügigen Tempi, jedoch ohne zu hasten, was zu einer federnden, dynamisch fein abgestuften Wiedergabe der herrlichen Partitur führte. Wagner kann manchmal furchtbar lang und übertrieben pathetisch klingen – bei Gattis Dirigat hat man sich keinen Moment gelangweilt oder vom Schwulst erschlagen gefühlt.
Gespannt war man auf zwei Rollendebüts: Michael Volle gab erstmals den Hans Sachs und Roberto Saccà den Walther von Stolzing. Volle erwies sich einmal mehr als überragend gestaltender, wunderbar menschlich und differenziert agierender Sängerdarsteller. Er war durch und durch ein volksverbundener, aufgeklärter Hans Sachs, strahlte grosse Toleranz, Weisheit und Humor aus, blieb aber auch von Selbstzweifeln nicht verschont, ein Mensch eben. Stimmlich war er wie stets ein Hochgenuss, meisterte die riesigen Textfluten und die manchmal unangenehm hohe Lage mit grösster Selbstverständlichkeit. Die grossen Monologe (Flieder, Wahn, Euch macht ihr's leicht) kann man sich kaum packender gestaltet vorstellen. Roberto Saccà als Stolzing begann eher verhalten, teilte seine Kräfte klug ein. Nach einem textlichen Einbruch im „Probedurchlauf“ in der Schusterstube aus dem er sich aber souverän befreite (das ist der Fluch der Übertitelungsanlage: Die Zuschauer kriegen nicht nur den lauten Souffleur mit, sondern auch noch den richtigen Text ab Leinwand), fand er dann auf der Festwiese zu heldentenoral strahlender, perfekt sitzender Stimme zurück und gestaltete ein begeisterndes Preislied. Als Schwiegervater in spe erlebte man eine Wiederbegegnung mit Matti Salminen als weise-schalkhaftem Pogner. Peter Sonn als quicklebendiger, berückend schön singender David machte die von Wagner etwas lang geratenen Erklärungen zum Ablauf des Probesingens recht kurzweilig. Die von ihm verehrte Lene wurde von Wiebke Lehmkuhl mit warmem, ausdrucksstarkem Mezzosopran gesungen. Ein Traumpaar!
Neben Michael Volle hinterliess jedoch Martin Gantner als Beckmesser den stärksten Eindruck. Die Figur geriet nie zur Karikatur, das war alles fantastisch gestaltet, komisch zwar, doch nie der Lächerlichkeit preisgegeben. Grossartig sein genau auf den Duktus der Musik abgestimmter Auftritt im ersten Bild des dritten Aktes: Da wurde einem auch bewusst, wie zukunftsweisend Wagner hier komponiert hat – Prokofiev schien nicht weit weg!
Einzig Juliane Banse als Eva muss einen rabenschwarzen Tag erwischt haben. Ihr Agieren als selbstbewusste junge Frau vermochte wohl zu gefallen, doch stimmlich war sie leider überhaupt nicht in Form. Ihr leicht eingedunkelter Sopran klang belegt, wurde in der Höhe eng und scharf. Die Intonationstrübungen kulminierten ausgerechnet in Wagners ergreifendster Komposition, dem Quintett in der Schusterstube. Damit zerstörte sie die Balance dieses traumhaft schönen Stücks empfindlich.
Mehr als solide aus dem Ensemble besetzt und treffend charakterisiert die Gilde der übrigen Meister: Besonders gefielen Cheyne Davidson als herrlich zerstreuter Kothner, Krešimir Stražanac als Konrad Nachtigall und Martin Zysset als Kunz Vogelsang.
Harry Kupfer erwies sich erneut als grossartiger Vermittler von Charakteren. Jede Figur erhielt individuelles Profil, bis in kleinste Gesten und Subtilitäten der Mimik wurde genauestens gearbeitet. Selbst der Chor bestand nicht aus einer anonymen, statischen Masse (berührend z.B. das Mauerblümchen im Schlussbild). Den Beckmesser liess er nicht einfach wie einen geschlagenen Hund davonlaufen, er blieb bis zum Ende und reichte zur Versöhnung Sachs die Hand – ein bewegender Moment. Vorher durfte dieser oberlehrerhafte Beamte auch schon mal wie weiland Chruschtschow mit dem Schuh auf den Tisch klopfen. Umwerfend auch wie es ihn beinahe aus dem Gemerk warf, als Stolzing zu seinem Probesingen ansetzte. Zu wahren Kabinettstücken gerieten die Szenen zwischen Sachs und Beckmesser: Da waren mit Volle und Gantner zwei Vollblutkomödianten am Werk. Turbulent choreographiert war die Prügelszene, beinahe zu Tränen rührend die Szene Evchen-Sachs in der Schusterstube. Kupfer ist eben ein echter Humanist, das zeigte sich auch darin, dass Sachs den Lorbeerkranz am Ende seinem Namensvetter Johannes dem Täufer widmete.
Das Einheitsbühnenbild von Hans Schavernoch auf der dezent eingesetzten Drehbühne lehnte sich an die Ruinen der St.Mary Abbey in der Grafschaft Yorkshire an und war mit Baugerüsten abgesichert. Diese boten dem Chor und den Protagonisten vielfältige Auftritts- und Klettermöglichkeiten und die Drehbühne verhalf zu immer neuen perspektivischen Einsichten. Diese Ruinen vermochten jedoch im ersten Akt (das Innere der Katharinenkirche) weit mehr zu überzeugen als im zweiten und dritten. Warum Sachs seine Schusterei in einer zerstörten Kirche betreiben, die Bürger auf den Baugerüsten wohnen sollten, leuchtete nicht ganz ein. Doch immerhin wurde durch dieses "Auferstanden aus Ruinen" (eine moderne Skyline wuchs auf dem Hintergrundprospekt heran) der historisch belastete Mythos von "Nürnberg" überwunden. Doch anstelle des Aufwandes für den kurzen, karnevalesk-akrobatischen Einzug auf die Festwiese hätte man dieses Geld eventuell doch in ein überzeugenderes Bühnenbild für den zweiten und das erste Bild des dritten Aktes investieren können. Die von Yan Tax in Alltagskleider der 50er Jahre gesteckten, fröhlich aufbauenden Bürger feierten am Ende zwar ihren Sachs, doch war zum Glück nichts von deutsch-nationaler Stimmung und Gesinnung zu spüren. Es war die Feier für einen von ihnen, quasi einen Sozialdemokraten (er trat immer ohne Krawatte auf), welcher zu Recht stolz auf die kulturellen Errungenschaften seines Landes sein durfte.
Vorstellung vom 11.Februar 2012:
Überragend wiederum Michael Volle und Martin Gantner als Sachs bzw. Beckmesser. Neben der fantastischen musikalischen Gestaltung muss unbedingt die darstellerische Durchdringung der Rollen nochmals erwähnt werden, da wird jede Geste, jedes Stirnrunzeln punktgenau platziert. So muss Musiktheater sein. Roberto Saccà war diesmal grandios als Stolzing, hell und strahlend leuchtete seine Stimme, auch die Sicherheit im Umgang mit den Textfluten ist nun gewährleistet. Wunderbar! Juliane Banses dunkel leuchtender Sopran gefiel viel besser als an der Premiere, doch mit den hohen Phrasen im Quintett hapert es nach wie vor, die Intonation beginnt zu wackeln, die Stimme wirkt da arg belegt. Daniele Gattis wuchtiges Dirigat begeisterte das Publikum erneut, das Blech ging ab und an eigene Wege ... .
Vorstellung vom 14.2.12:
Auf immer noch sehr hohem Niveau die schwächste der drei von mir besuchten Vorstellungen - Michael Volle und Martin Gantner sowie der phänomenale Chor natürlich ausgenommen. Salminen und Saccà wirkten etwas müde. Ob Roberto Saccà seiner Stimme mit der Partie wirklich einen Gefallen tut? Juliane Banses Kampf mit der sauberen Gesangslinie im Quintett dauert an - schade für eine davon abgesehen sehr einnehmend gestaltete Eva.
Inhalt:
Junker Walther von Stolzing liebt Eva Pogner, die Tochter des Goldschmieds. Jedoch hat ihr Vater bestimmt, dass nur der Sieger beim Wettgesang der Meistersinger um die Hand seiner Tochter anhalten dürfe. Der Lehrbub des Schusters und Poeten Hans Sachs, David, erläutert dem Junker die Regeln des Meistergesangs. Der Stadtschreiber Sixtus Beckmesser hat es ebenfalls auf Eva abgesehen. Auf Betreiben Pogners wird Walther zur Erlangung der Meisterwürde zugelassen. Er muss sich allerdings einem Probesingen unterziehen, als Juror (Merker) wird Beckmesser bestimmt, welcher natürlich Walthers Gesang in Bausch und Bogen ablehnt und lächerlich macht. Mit Ausnahme des gegenüber neuen Strömungen aufgeschlossenen Hans Sachs finden alle Meister, dass Walther „versungen und vertan“ habe.
Am Abend arbeitet Sachs noch vor seiner Schusterwerkstatt. Eva versucht in Erfahrung zu bringen, wie sich Walther beim Probesingen geschlagen habe. Sachs beschliesst, den beiden jungen Leuten zu helfen. Der Schuster zieht sich zurück, Eva trifft Walther und die beiden wollen heimlich fliehen. Dazu tauscht Eva die Kleider mit ihrer Vertrauten Magdalena. Beckmesser erscheint und bringt Eva (aber es ist natürlich Magdalena) ein Ständchen. Sachs untermalt dieses mit Schlägen seines Schusterhammers. So imitiert er den Merker beim Probesingen und bringt Beckmesser zur Verzweiflung. David, der in Magdalena verliebt ist, erwacht und stürzt sich auf den vermeintlichen Nebenbuhler Beckmesser. Die Schlägerei ruft die Bürger Nürnbergs aus ihren Betten und eine wüste Rauferei beschliesst den Akt. Sachs hat unterdessen Walther in seine Werkstatt gezogen und Eva nach Hause geschickt. Das Horn und der Gesang des Nachtwächters beenden das Treiben der Johannisnacht.
Sachs philosophiert über den Weltenlauf. David gratuliert seinem Meister zum Namenstag. Sachs verarbeitet zusammen mit Walther dessen Traum zu einem Preislied. Der nach der Schlägerei leicht angeschlagene Beckmesser erscheint auch in der Schusterwerkstatt und erblickt den Text eines Preisliedes von Sachs. Zuerst glaubt er, Sachs wolle auch um Eva anhalten. Doch Sachs überlässt Beckmesser die Verse seines Liedes. Beckemsser tritt ab und Eva in schönstem Festgewand auf, angeblich wegen eines drückenden Schuhs. Doch Sachs merkt schnell, dass der Liebeskummer Eva drückt. Walther erscheint und singt die letzte Strophe seines Liedes. Nachdem auch David und Magdalene dazustossen, wird in einem wunderschönen Quartett die „selige Weise“ gepriesen.
Auf der Festwiese trägt Beckesser sein Lied vor, doch er kommt mit dem Text nicht zurande und macht sich nun seinerseits äusserst lächerlich. Walther hingegen triumphiert mit dem gleichen Text. Als ihm Pogner darauf die Meisterkette und -würde verleihen will, weist Walther diese zurück. Doch Sachs belehrt ihn, diese Ehre der deutschen Kunst zu achten. Während die versammelten Zünfte und Bürger Hans Sachs und die „heil'ge deutsche Kunst“ feiern, sinken sich Eva und Walther in die Arme.
Werk:
DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG ist Wagners einziger Ausflug ins Reich der Komödie, doch handelt es sich um „eine Komödie, der nicht zu trauen ist“ (Ulrich Schreiber). Denn dieses ist das am häufigsten für rechts- und deutschnationales Gedankengut missbrauchte Werk des Bayreuther Meisters, wurde gerne als ein Hohelied auf die deutsche Kunst als allein seligmachende Gattung interpretiert. Es erstaunt nicht, dass in der Zeit des aufkommenden Nationalsozialismus in Deutschland die Szenen auf der Festwiese (auch durch entsprechende Inszenierungen) in Manifestationen für Patriotismus ausarteten und im Anschluss an Sachsens Monolog im Schlussbild „...ehrt eure deutschen Meister, dann bannt ihr gute Geister“ vom Publikum das Deutschlandlied angestimmt wurde.
Doch dieser Aspekt des Werkes spielt zum Glück in unserer Zeit nur noch eine untergeordnete Rolle. Denn Wagners brillanter Text beinhaltet noch zahlreiche andere Facetten. Mit viel Humor nimmt er den Kunstbetrieb und die Gesellschaft unter die Lupe, hegt Sympathie für ausserhalb der Tradition stehende Ausrichtungen und schwenkt dann erst im Schlussbild wieder pathetisch auf den Weg der Tradition ein. Dieses Libretto gehört zu Wagners besten, nicht zuletzt weil die Oper für einmal nicht ein mythologisches, sondern (obwohl er dies bei anderen Komponisten ablehnte) ein historisches Sujet behandelt. Sie zählt trotz einer Aufführungsdauer von gut fünf Stunden zu den beliebtesten Werken Richard Wagners. Das Orchester ist gegenüber dem RING wieder etwas verkleinert (etwa in LOHENGRIN-Grösse), die Partitur weist viele Bezüge zu klassischen Formen wie Fuge, Choral und Kontrapunkt auf. Die Figur des Beckmesser ist als Parodie auf den Wiener Kritiker Hanslick gemünzt, welcher Wagners Oeuvre sehr kritisch gegenüber stand.
Keiner hat die MEISTERSINGER trefflicher als Friedrich Nietzsche analysiert:
„Was für Säfte und Kräfte, was für Jahreszeiten und Himmelsstriche sind hier gemischt! Das mutet uns bald altertümlich, bald fremd, herb und überjung an, das ist ebenso willkürlich als pomphaft-herkömmlich, das ist nicht selten schelmisch, noch öfter derb und grob, das hat Feuer und Mut und zugleich die schlaffe falbe Haut von Früchten, welche spät reif werden. [...] Alles in allem keine Schönheit, kein Süden, nichts von südlicher Helligkeit des Himmels, nichts von Grazie, kein Tanz, kaum ein Wille zur Logik; eine gewisse Plumpheit sogar, [...] etwas Willkürlich-Barbarisches und Feierliches, ein Geflirr von gelehrten und ehrwürdigen Kostbarkeiten und Spitzen; etwas Deutsches im besten und schlimmsten Sinne des Wortes.“