Köln: DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG, 08.04.2012
Oper in drei Akten | Musik: Richard Wagner | Libretto: vom Komponisten | Uraufführung: 21. Juni 1868 in München | Aufführungen in Köln: 1.4. | 8.4. | 15.4. | 29.4. | 5.5. | 7.6.2012
Kritik:
Mit dieser atemberaubenden Produktion ist der Oper Köln wohl eine der klügsten und zugleich unterhaltsamsten Aufführungen von Wagners MEISTERSINGERN gelungen. Uwe Eric Laufenberg (Regie) und Tobias Hoheisel (Bühne und Kostüme) kratzen auf ungemein spannende Art an der Patina der biederen Handlung und der über hundertjährigen, allzu oft für nationalistisches Gedankengut missbrauchten Aufführungstradition.
Beim Betreten des Zuschauerraums schwant einem zwar zunächst Schlimmstes, denn man blickt auf eine nackte, schwarze Bühne, auf welcher bloss einige Scheinwerfer verloren herumstehen. Doch sobald der GMD der Stadt Köln, Markus Stenz, den Taktstock zur fulminanten Ouvertüre hebt, schliesst sich der Vorhang. Wenn er sich wieder öffnet, blicken wir auf eine mittelalterliche Kirchsenszene, wunderschön ausgeleuchtet, herrliche Kostüme und genau beobachtete Rahmenhandlung. Da fehlen weder Taschendiebe noch Hunde. Stolzing wird quasi als Tourist aus der Jetztzeit mit seiner Digitalkamera in dieses Theater hineingezogen, mit den Regeln der Tabulatur vertraut gemacht. Doch dass es ihm in dieser streng reglementierten Gesellschaft nicht wohl sein kann, wird spätestens beim Probesingen offenbar, als er auf den Singstuhl springt, seinen lächerlichen Waschbär- Pelz von sich wirft und seinen Song fuchsteufelswild den entrüsteten Meistern in die jeglicher progressiveren Kunst gegenüber verschlossenen Ohren schreit. Der zweite Akt dann ist Biedermeier pur: Pogners Villa ein klassizistischer Kerker, Sachsens Werkstatt ein putziges Fachwerkhäuschen, auch der Fliederbaum fehlt nicht. Die betenden Bürger des ersten Aktes werden nun zu sich noch so gerne zu nächtlichen Prügeleien verführen lassenden Vorrevolutionären. Die Festwiese des dritten Aktes schliesslich ist der Offenbach- Platz vor der Kölner Oper, mit dem 4711 - Haus im Hintergrund. "Oper für alle" lautet das Motto des Festes. Auf einer Leinwand wird eine traditionelle Meistersinger- Aufführung gezeigt, immer wieder unterbrochen von einer Art Wochenschau der vergangenen 50 Jahre deutscher und internationaler Geschichte und eingebettet in eine Casting-Show im Stile von "Milliardärin sucht Mann". Dies alles ist äusserst präzise und mit grandioser technischer Raffinesse in Szene gesetzt. Stolzing singt sein Preislied untermalt mit einem kitschigen Videoclip und die Schlussansprache des Sachs wird mit Auftritten von Nazigrössen bei "welscher majestät und welscher Gefahr" intelligent konterkariert. So gelingt es der Inszenierung auf kluge Art, die belastete Rezeptionsgeschichte des Werks zu thematisieren und die Einverleibung des Werks in national-deutsches Gesinnungsgut zurecht lächerlich zu machen (auch mit den peinlichen Auftritten der Prominenz von Merkel, Westerwelle, Gottschalk, bis Roberto Blanco, Lagerfeld und dem unsäglichen Moshammer mit Hündchen u.v.w.m., welche sich immer noch gerne im Glanz des Bayreuther Meisters sonnen).
Doch nicht nur das Auge, auch das Ohr kommt an diesem Ostersonntag voll auf seine Kosten, denn gesungen und musiziert wird einfach fantastisch. Thomas Jesatko als Hans Sachs wächst in der Aufführung (wie Beckmesser treffend bemerkt) vom Biedermann zum Spitzbuben. Er teilt seine Kräfte klug ein und meistert sowohl den Wahn-Monolog als auch die Festwiese mit beeindruckender Gestaltung der Textfluten. Adrian Eröd ist ein geradezu überragender Beckmesser. Da stimmt einfach alles, von der Mimik, der Gestik bis zu den stimmlichen Ausdrucksnuancen. Seine schlanke Gestalt, sein elegantes Auftreten werden nie zur Karikatur des hässlichen Kritikers, er bleibt stets der smarte Junggeselle, welcher halt auch bei der hübschen Eva landen möchte. Barbara Havemann bringt für diese Partie eine geradezu ideale Stimme mit, jugendlich aufblühend, wunderbar rein. Mit bezaubernder Intensität führt sie das Quintett an, inspiriert ihren Stolzing (Stefan Vinke) zu herrlichen Strophen voll tenoralem Glanz und Leidenschaft. Da verzeiht man ihm gar ein ab und an etwas unschönes Hochschleifen der Töne. Das Quintett wird ergänzt von Martin Koch als David, welcher sich zwar nach dem ersten Akt als indisponiert ansagen lassen musste, sich jedoch glänzend über den Abend rettet und einen herrlich erfrischenden Schustergesellen gibt. Seine Angebetete ist mit Dalia Schaechter als praller Magdalene ebenfalls herrlich besetzt. Der Pogner von Bjarni Thor Kristinsson klingt zwar etwas kehlig und gewöhnungsbedürftig, setzt mit profundem Volumen jedoch klare, autoritäre Akzente als (einfluss-)reichster Mann der Stadt. Ein wunderbar spielfreudiges Ensemble bilden die restlichen, individuell charakterisierten Meister und überragend singt der klangschöne Chor der Oper Köln.
Das engagierte Spiel des Gürzenich-Orchesters unter dem die vielschichtigen Motive eindringlich verschmelzenden Dirigat von Markus Stenz lässt ebenfalls keine Wünsche offen. Ein grandioser, beglückender und intelligenter Abend!
Inhalt:
Junker Walther von Stolzing liebt Eva Pogner, die Tochter des Goldschmieds. Jedoch hat ihr Vater bestimmt, dass nur der Sieger beim Wettgesang der Meistersinger um die Hand seiner Tochter anhalten dürfe. Der Lehrbub des Schusters und Poeten Hans Sachs, David, erläutert dem Junker die Regeln des Meistergesangs. Der Stadtschreiber Sixtus Beckmesser hat es ebenfalls auf Eva abgesehen. Auf Betreiben Pogners wird Walther zur Erlangung der Meisterwürde zugelassen. Er muss sich allerdings einem Probesingen unterziehen, als Juror (Merker) wird Beckmesser bestimmt, welcher natürlich Walthers Gesang in Bausch und Bogen ablehnt und lächerlich macht. Mit Ausnahme des gegenüber neuen Strömungen aufgeschlossenen Hans Sachs finden alle Meister, dass Walther „versungen und vertan“ habe.
Am Abend arbeitet Sachs noch vor seiner Schusterwerkstatt. Eva versucht in Erfahrung zu bringen, wie sich Walther beim Probesingen geschlagen habe. Sachs beschliesst, den beiden jungen Leuten zu helfen. Der Schuster zieht sich zurück, Eva trifft Walther und die beiden wollen heimlich fliehen. Dazu tauscht Eva die Kleider mit ihrer Vertrauten Magdalena. Beckmesser erscheint und bringt Eva (aber es ist natürlich Magdalena) ein Ständchen. Sachs untermalt dieses mit Schlägen seines Schusterhammers. So imitiert er den Merker beim Probesingen und bringt Beckmesser zur Verzweiflung. David, der in Magdalena verliebt ist, erwacht und stürzt sich auf den vermeintlichen Nebenbuhler Beckmesser. Die Schlägerei ruft die Bürger Nürnbergs aus ihren Betten und eine wüste Rauferei beschliesst den Akt. Sachs hat unterdessen Walther in seine Werkstatt gezogen und Eva nach Hause geschickt. Das Horn und der Gesang des Nachtwächters beenden das Treiben der Johannisnacht.
Sachs philosophiert über den Weltenlauf. David gratuliert seinem Meister zum Namenstag. Sachs verarbeitet zusammen mit Walther dessen Traum zu einem Preislied. Der nach der Schlägerei leicht angeschlagene Beckmesser erscheint auch in der Schusterwerkstatt und erblickt den Text eines Preisliedes von Sachs. Zuerst glaubt er, Sachs wolle auch um Eva anhalten. Doch Sachs überlässt Beckmesser die Verse seines Liedes. Beckemsser tritt ab und Eva in schönstem Festgewand auf, angeblich wegen eines drückenden Schuhs. Doch Sachs merkt schnell, dass der Liebeskummer Eva drückt. Walther erscheint und singt die letzte Strophe seines Liedes. Nachdem auch David und Magdalene dazustossen, wird in einem wunderschönen Quartett die „selige Weise“ gepriesen.
Auf der Festwiese trägt Beckesser sein Lied vor, doch er kommt mit dem Text nicht zurande und macht sich nun seinerseits äusserst lächerlich. Walther hingegen triumphiert mit dem gleichen Text. Als ihm Pogner darauf die Meisterkette und -würde verleihen will, weist Walther diese zurück. Doch Sachs belehrt ihn, diese Ehre der deutschen Kunst zu achten. Während die versammelten Zünfte und Bürger Hans Sachs und die „heil'ge deutsche Kunst“ feiern, sinken sich Eva und Walther in die Arme.
Werk:
DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG ist Wagners einziger Ausflug ins Reich der Komödie, doch handelt es sich um „eine Komödie, der nicht zu trauen ist“ (Ulrich Schreiber). Denn dieses ist das am häufigsten für rechts- und deutschnationales Gedankengut missbrauchte Werk des Bayreuther Meisters, wurde gerne als ein Hohelied auf die deutsche Kunst als allein seligmachende Gattung interpretiert. Es erstaunt nicht, dass in der Zeit des aufkommenden Nationalsozialismus in Deutschland die Szenen auf der Festwiese (auch durch entsprechende Inszenierungen) in Manifestationen für Patriotismus ausarteten und im Anschluss an Sachsens Monolog im Schlussbild „...ehrt eure deutschen Meister, dann bannt ihr gute Geister“ vom Publikum das Deutschlandlied angestimmt wurde.
Doch dieser Aspekt des Werkes spielt zum Glück in unserer Zeit nur noch eine untergeordnete Rolle. Denn Wagners brillanter Text beinhaltet noch zahlreiche andere Facetten. Mit viel Humor nimmt er den Kunstbetrieb und die Gesellschaft unter die Lupe, hegt Sympathie für ausserhalb der Tradition stehende Ausrichtungen und schwenkt dann erst im Schlussbild wieder pathetisch auf den Weg der Tradition ein. Dieses Libretto gehört zu Wagners besten, nicht zuletzt weil die Oper für einmal nicht ein mythologisches, sondern (obwohl er dies bei anderen Komponisten ablehnte) ein historisches Sujet behandelt. Sie zählt trotz einer Aufführungsdauer von gut fünf Stunden zu den beliebtesten Werken Richard Wagners. Das Orchester ist gegenüber dem RING wieder etwas verkleinert (etwa in LOHENGRIN-Grösse), die Partitur weist viele Bezüge zu klassischen Formen wie Fuge, Choral und Kontrapunkt auf. Die Figur des Beckmesser ist als Parodie auf den Wiener Kritiker Hanslick gemünzt, welcher Wagners Oeuvre sehr kritisch gegenüber stand.
Keiner hat die MEISTERSINGER trefflicher als Friedrich Nietzsche analysiert:
„Was für Säfte und Kräfte, was für Jahreszeiten und Himmelsstriche sind hier gemischt! Das mutet uns bald altertümlich, bald fremd, herb und überjung an, das ist ebenso willkürlich als pomphaft-herkömmlich, das ist nicht selten schelmisch, noch öfter derb und grob, das hat Feuer und Mut und zugleich die schlaffe falbe Haut von Früchten, welche spät reif werden. [...] Alles in allem keine Schönheit, kein Süden, nichts von südlicher Helligkeit des Himmels, nichts von Grazie, kein Tanz, kaum ein Wille zur Logik; eine gewisse Plumpheit sogar, [...] etwas Willkürlich-Barbarisches und Feierliches, ein Geflirr von gelehrten und ehrwürdigen Kostbarkeiten und Spitzen; etwas Deutsches im besten und schlimmsten Sinne des Wortes.“